Die Katze, die durch Wände geht

Robert A. Heinlein

Robert A. Heinleins vorletzter 1985 veröffentlichter Roman „Die Katze, die durch Wände geht“ gehört zu der umstrittenen Spätphase des Autoren, in der es angeblich laut seinen Kritikern in erster Linie um die Darstellung von sexuellen Perversionen – im vorliegenden Roman Spanking und überdurchschnittliches Interesse an offensichtlich Minderjährigen – geht. Interessant ist, dass insbesondere Alfred Bester auch „Ein Mann in einer fremden Welt“ ähnlich charakterisiert. Nach einem starken interessanten Auftakt hat laut Bester Robert A. Heinlein den Faden verloren und sich in sexuellen Exkursionen verloren. Die gleiche Kritik kann man ohne Frage gegenüber dem vorliegenden Werk äußern, denn die ersten Zweidrittel des Buches sind eine überwiegend von teilweise ein wenig arroganten Dialogen getragene Fortsetzung im lockeren Sinne des Wortes zu „Der Mond ist eine herbe Geliebte“. Erst wenn derAutor den Handlungsfaden mit seinem umfangreichen Multiversumbuch „Die Zahl des Tieres“ verbindet, zerfällt der Plot. Auslöser ist der Moment, in der sich  Gwen Novak als Hazel Stone zu erkennen gibt. Eine Protagonistin nicht nur aus Heinleins „Zweimal Pluto und zurück“, sondern vor allem eine signifikante Nebenfigur aus „Der Mond ist eine herbe Geliebte“. Die Erkenntnis, dass sie schon über zweihundert Jahre alt ist und dank der modernen Medizin und zahlreicher Ehemänner sich jung gehalten hat, passt sogar noch in das bodenständige, seinen früheren Science Fiction Romanen entsprechende Ambiente.Aber Heinlein gibt sich nicht mit wenig zufrieden und versucht zu viel auf einmal wie in "Die Zahl des Tieres" zu kombinieren.  

Der Leser erfährt im Laufe der Handlung zwei Hinweise auf den komödiantischen, wahrscheinlich aber nachträglich erst inszenierten Hintergrund der Handlung. Zum einen ist der Erzähler ein Autor und damit nicht unbedingt vertrauenswürdig, der allerdings auch als Auftragskiller agiert. Diese These wird erst später wieder aufgegriffen, schwebt aber über der ersten Hälfte des Buches zu wenig nachhaltig extrapoliert. Am Ende gibt es den Hinweise auf die junge Katze, die durch die Wände sprich Dimensionen gehen kann. Heinlein erklärt zwar, das die Katze noch sehr jung ist und Pixel es deswegen nicht besser wissen kann, aber die Allegorie hinsichtlich Schrödingers Katze und dessen Paradoxon nimmt der Autor als Vorlage, um seinen Roman frustrierend ambivalent abzuschließen. Der Autor Colonel Colin Campbell alias Richard Ames  wird von einem ihm unbekannten Namen namens Schulz angesprochen, bis Sonntag einen Mann namens Tolliver zu töten, damit alles bestehen bleiben kann. Bevor Campbel/ Ames das Angebot ablehnen kann, wird der Mann vor seinen Augen ermordet, von den Kellnern in Sekunden abtransportiert und sein Tisch wieder hergerichtet, so dass seine Abendessenbegleitung Gwendolyn Novak nichts bemerkt. Sie hat aber die Tat doch beobachtet und drängt Ames, ihn zu heiraten, damit sie nicht gegen ihn aussagen müsste. Kaum in Ames Kabine wieder angekommen, wird ihm erst von der Geschäftsleitung der Aufenthalt gekündigt, kurze Zeit später auch seiner jetzigen Ehefrau. Sie haben bislang an Bord des Raumstation „Golden Rule“ gelebt, die nur wenige Stunden vom Mond entfernt im All schwebt. Interessant ist, dass Robert A. Heinlein auf seine markante Art und Weise den rücksichtslosen Kapitalismus brandmarkt und vor allem die Geschäftsführer der jeweiligen Unternehmen als Betrüger und potentielle Mörder entlarvt. Das gilt für die Geschäftsleitung des Habitats, das durch die zinslosen Einlagen aller Bewohner mehr Geld verdient als mit der eigentlichen Unternehmung und quasi den Anbau durch Eigendarlehen finanzieren kann. Es gilt auch für die Verleiher/ Verkäufer von Budget Raumgleitern im Gegensatz zu den etablierten Firmen, die Heinlein aus der Gegenwart namenstechnisch entkommen hat. Zynisch beschreibt er einen Kreislauf der Widerverwertung, der rücksichtslos mit der Gesundheit und dem Leben der arglosen Käufer spielt. Selbst auf Luna ist einhundertfünfzig Jahre nach der Befreiung inzwischen der Kapitalismus eingezogen. Neben der ironisch übertrieben dargestellten Bürokratie sind es die Luna- Bewohner selbst, die sich gegenseitig für humanitäre Hilfsleistungen zu überbieten suchen, wo die Luft teuer bezahlt werden muss und insbesondere Touristen liebend gerne mit doppelten/ dreifachen Sätzen übers Ohr gehauen werden.

Viele dieser Passagen erinnern nur unterbrochen durch einige wenige intensive Action- und Verfolgungsszenen an den Robert A. Heinlein, der zwanzig Jahre früher mit „Der Mond ist eine herbe Geliebte“ für viele Leser seinen letzten großen Roman geschrieben hat. Gäbe es nicht immer wieder diese sexuell aus heutiger Sicht eher biederen, nur semierotischen Anspielungen, dann könnte man ohne Probleme denken, dieser Roman ist wirklich zwanzig Jahre vorher geschrieben worden ist. Heinlein ist auch in seinem Spätwerk ein Meister des doppeldeutigen Dialogs und nicht selten ist es für geduldige Leser ein Vergnügen, den Schlagabtauschen zu folgen. Selbst die Grundidee, dass die künstliche Intelligenz auf dem Mond – siehe ebenfalls „Der Mond ist eine herbe Geliebte“ – inzwischen von der Technik überholt und fast in Vergessenheit geraten  Tolliver töten möchte und sich deswegen aus „alter Verbundenheit“ Campbell als Täter ausgesucht hat, könnte noch passen. Der Mord findet statt und die Täter lassen Campbell in der Öffentlichkeit als Mörder erscheinen, so dass er sowohl auf der Station „Golden Rule“ als auch auf dem Mond dank der hohen Belohnung im Grunde niemanden mehr trauen kann. Es ist schade, dass Heinlein diesen Handlungsbogen nicht in der bewährten Manier abgeschlossen hat. Zumindest wäre ein solider Science Fiction Krimi herausgekommen.

Erst mit der großen Operation – Campbell wird ohne sein Wissen ein neuer Fuß angepasst, während er ansonsten bis zu diesem Augenblick sich mit seiner Fußprothese sehr gut durchgeschlagen hat -  und konsequenterweise der Versammlung verschiedener anderer Figuren aus Heinleins Multiversum verlässt der Plot die bislang „bodenständigen“ Science Fiction Bahnen und versucht mit verschiedenen parallel laufenden Universen und durch die Time Scouts seine zahlreichen, neben der Future History vorhandenen Romane in ein sehr enges Korsett zu zwängen. So erscheinen auf dem Meeting der Zeitpatrouille – ein Hinweis auf Poul Anderson – nicht nur Mitglieder aus verschiedenen anderen Heinlein Romanen, sondern mit „John Carter“ zum Beispiel auch eine Figur aus Burroughs Universum. Auch diese Idee der Verbindung verschiedener phantastischer Universen hat Heinlein in "Die Zahl des Tieres" zelebriert. Einen hinsichtlich der Überhelden deutlich umfangreicheren Ansatz hat Philip Jose Farmer in vielen seiner Werke vorgenommen.

Natürlich kann die Idee, den Supercomputer wieder zu bergen und damit die Ziele des bislang unbekannten Angreifers – er zerstört das Quartier der Zeitpatrouille, was wiederum eine Evakuierung über eine andere Zeitlinie dreißig Minuten vor dem eigentlichen Anschlag in Gang setzt – zu unterminieren als phantasievolle, aber nicht mehr alleine dem Science Fiction Universum angehörende Parodie auf zahlreiche unwahrscheinliche Romane der Gegenwart gesehen werden. Aber leider macht Heinlein aus diesem Aspekt zu wenig. Er wird zu spät eingeführt und lange Zeit konzentrieren sich die Figuren mehr oder minder auf Kuschelsex in Form von Dreiern, diskutieren über verschiedene an Inzest erinnernde Beziehungen und versuchen möglichst tolerant die verschiedenen Formen einer modernen Ehe zu durch zu spielen, ohne dabei den grundlegenden Plot voranzutreiben oder die aus den ersten Kapiteln vorhandene Spannung zu fokussieren.

Viel schlimmer ist, dass insbesondere Gwen/ Hazel zu einer absoluten Nebenfigur reduziert wird. Zu Beginn ist sie nicht nur die treibende Kraft gewesen, sondern mit einer Mischung aus frisch verliebter Ehefrau und Gespielin hat sie dem Ich- Erzähler und Freizeitmacho die Illusion gelassen, das Kommando inne zu haben. Immer wieder hat sie eingegriffen – so kann sie nicht nur ein Raumschiff fliegen, sondern auch mit einem unförmigen Wagen über den Mond rasen - , wenn ihre originäre Mission gefährdet gewesen ist. Dabei hat sie Stück für Stück die Maske fallen gelassen, bis sie sich als eine Figur aus „Der Mond ist eine herbe Geliebte“ entpuppt hat. Auf der anderen Seite hat der behinderte Macho – ist es Zufall, das es sich im Grunde um einen klassischen Schreibtischtäter, sprich Autor handelt ? – in seinem klassischen, aber auch klischeehaften Terain verloren, bis er hilflos nach den Strapazen in einem Krankenhausbett aufwacht und ausgerechnet von Lazarus Long operiert worden ist. Diese Umdrehung aller Klischees vor allem auch in Hinblick auf die James Bond Welle wird gegen Ende leider ignoriert, so dass ein weiterer interessanter und für eine deutlich frühere als die achtziger Jahre sprechender Aspekt des Romans unnötig fallen gelassen wird. Wie bei „Blake´7“ endet der Plot fatalistisch. Außerhalb des Science Fiction Genres sogar nihilistisch. Aber die Möglichkeit, parallele Welten und damit andere Schicksale gegenüber zu stellen, im Rahmen der Zeitreise alles noch einmal zu machen, gibt dem Erzähler Hoffnung. Auch wenn die Katze im Titel auftaucht, hat sie im vorliegenden Band im Vergleich zu „Segel im Sonnenwind“ eher eine untergeordnete Aufgabe. Sie dient als Ablenkung, als Möglichkeit. Kritiker könnten auch von einer Irritation sprechen, aber mit ihrer Hilfe will Heinlein die Ambivalenz seiner Universen deutlicher nach außen projezieren anstatt auf eine stringente und in sich logische Lösung hinzuarbeiten. 

Interessant ist, dass Robert A. Heinlein mit seinen letzten drei Büchern ein Konzept verfolgt hat, das übergreifend ist. So werden einige rote Fäden nicht im vorliegenden Buch aufgelöst, sondern erst im abschließenden Band „Segel im Sonnenwind“, seiner letzten literarischen Arbeit. Hinzu kommt, dass er auf der anderen Seite vielleicht zu hektisch und zu abrupt einige Ideen inklusiv des obligatorischen Happy Ends am Ende einer nur als Parodie zu bezeichnenden Mission auflöst, aber trotzdem den Roman sehr fest in sein Universum eingeflochten sehen möchte. Heinlein Fans werden sich ohne Frage freuen, bekannten Figuren aus unterschiedlichen Romanen und vor allem auch verschiedenen Epochen seiner Karriere wieder zu begegnen. Als Protagonist sind sie sogar über die Namensnennung hinaus zu erkennen. Zwar agieren sie in dieser eher leichten komödiantischen Handlung anders als bei ihren ersten, vor allem vor „Time Enough for Love“ veröffentlichten Auftritten, aber sie geben dem Heinlein Fan das befriedigende Gefühl, Mitglied in einer großen Familie zu sein, die mehr als nur eine Geschichte umfasst. Neueinsteiger werden von diesem Band vor allem im letzten, hektischen Drittel enttäuscht sein. Selbst Altfans haben sich mehr erwartet, aber Heinlein versucht zumindest progressiv aus den bekannten Schemata auszubrechen und einige wichtige Themen der SF wie Zeitreise und Zeitmanipulation eher auf eine satirisch sarkastische Art und Weise mit einer provokanten „Deus Ex Machina“ Lösung abzuhandeln. Ob es sich dabei um einen ernst gemeinten Roman handelt oder Heinlein es nur den aus seiner Sicht minder befähigten Emporkömmlingen zeigen wollte, kann nicht beantwortet werden. Aber unabhängig vom Chaos am Ende ist „Die Katze, die durch Wände geht“ über Zweidrittel seiner Handlung ein interessanter, ein typischer Heinlein, der sehr viel mit den in den späten fünfziger und früheren sechziger Jahren entstandenen Erwachsenenbüchern gemein hat. Mehr als Heinlein die Kritiker selbst zugestehen wollten.

 

  • Taschenbuch: 443 Seiten
  • Verlag: Heyne Verlag (11. September 2017)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3453317432
  • ISBN-13: 978-3453317437
  • Originaltitel: The Cat who walks through Walls