Heldenfabrik

Christian von Ditfurth

Christian von Ditfurths neue Krimireihe mit dem Kommissar De Brodt ist wie vom Autor angekündigt, deutlich brutaler, mehr an den amerikanischen Paranoia Actionthrillern orientiert als seine drei Fälle, welche die Wohngemeinschaft vorher in Berlin lösen musste. Aber wie in den Stachelmann Romanen spielt nicht nur Lübeck eine teilweise Rolle, sondern der weniger historisch, aber politische Bezug offenbart sich in dem Moment, in welchem der Leser die Titel des Buches „Heldenfabrik“ zum ersten Mal nicht nur liest, sondern vor allem einordnen kann. Betrachtet man allerdings rückblickend den politischen Gehalt von Christian von Ditfurths Werk, dann wirken die kritischen politischen Bezüge erstaunlich verschwommen und ambivalent. Die Achse des Bösen ist klar definiert und ihr Einfluss größer als es manche rückblickend glauben mögen. Deftige, im Grunde nicht nötige Hinweise gibt es in den kursiv gedruckten Exkursen. Wenn am Ende die „Bösen“ auf der Seite der „Guten“ gegen die absolut Bösen bzw. im Grunde Verrückten kämpfen und über mehr als vierhundert Seiten die Fronten verschwommen sind, bleibt die Frage offen, warum Christian von Ditfurth den Plot so weit in den Bereich des eher Unglaubwürdigen geschoben hat. Warum in der schwierigen politischen Situation der Gegenwart die Männer im Hintergrund nicht näher nach Berlin holen? Warum nicht eine klassische und wieder aufflammende Ost- West Konfrontation etablieren? Vor vielleicht zehn Jahren wären die Guten dieses Romans aus dem Hintergrund heraus die Bösen gewesen, die mittels Ablenkungstaktik doch die Hände nach dem als MacGuffin zu bezeichnenden Produkt ausgestreckt hätten. Wer hätte es ihnen verdenken können. Bedenkt man die militärische Brisanz dieser Forschung, erscheint es unwahrscheinlich, dass erstens noch vor dem Kauf der entsprechenden Firma diese Daten weiter gereicht worden wären und zweitens mittels politischen Einfluss dieser Deal niemals statt gefunden hätte. Warum eine derartige Warnung aussprechen und damit vielleicht den Richtigen nur die falsche Spur zu liefern, wenn ein effektiveres und vor allem unauffälligeres Vorgehen eher zum Ziel geführt hätte. Natürlich wird mangels Alternativen jetzt der MacGuffin in die USA wandern, aber bedenkt man, welche Kräfte im Hintergrund wirken, dann wäre keine Alternative möglich gewesen. Wie schon bei „Tod in Kreuzberg“ oder „Ein Mörder kehrt heim“ wirkt die Auflösung des Plots bemüht. Es ist der Weg zum Ziel, welcher den Reiz der „Heldenfabrik“ im Besonderen und von Christian von Ditfurths auf jeden Fall routiniert geschriebenen Kriminalromanen mit einer historisch politischen Note im Allgemeinen ausmacht.

Bevor auf die einzelnen Protagonisten eingegangen werden soll, muss angemerkt werden, dass der Autor mit der Söldnerszene und deren seltsamen Ehrenkodex, dem immer wieder über die Grenzen der Befugnisse im Eigeninteresse hinausschießenden Bundesnachrichtendienstes und vor allem den im Hintergrund doch agierenden, alt bekannten Mächten ein schwierig zu durchschauendes Netzwerk aus Opportunitäten etabliert worden ist. Der von dem brutalen Mordanschlag auf die Führung eines Berliner Chemieunternehmens fliehenden Andre dient dabei als Bundesglied. Durch seine Recherchen getrieben vom Motiv der Rache werden viele Hintergründe aufgeklärt, die Kommissar de Bodt auf seiner Seite eher schwerlich durchschauen kann. Andres Flucht und Blutspur von Belrin über Lübeck oder Köln bis in die USA  bilden den schon angesprochenen Actionhintergrund. Christian von Ditfurth hat das Leben dieser rücksichtslosen Glücksritter gut recherchiert und mit Andre eine skrupellose Killermaschine etabliert. Er ist unsympathisch und trotzdem folgt der Leser seiner blutigen Spur wieder zurück nach Berlin, wo er im rechten Moment Sieger und Verlierer zu gleich ist. Die Schusswechsel sind hart, brutal und zeigen, wie schwer es ist, im entscheidenden Augenblick „ehrenvoll“ zu sterben. Harte Männer, die sich außerhalb der Gesetze als Söldner etabliert haben und seit Jahren vielleicht sogar Jahrzehnten als Pervertierung der Ehrenlegion die schmutzige Arbeit erledigen, für die sich die Armeen der Weltmächte zu schade sind. Aber am Ende entlarvt der Ideologie als eine Art Farce, denn sie sind noch mehr Marionetten der Mächte als der schwierige Opportunist De Bodt, der aus gutem etablierten Hause kommend mit einem Abstecher in die linksextreme Szene aus Provokation dem reichen Elternhaus gegenüber bei der Polizei gelandet ist. Hier hat de Bodt Karriere gemacht. Mit seiner schnörkellosen, nicht arroganten ruhigen Art, seiner Fairness gegenüber Kriminellen und schließlich seinem Instinkt löst er manchen schweren Fall. Während seine Familie – im Grunde in Auflösung begriffen – in Hamburg zurück geblieben ist, muss er gerade nach Berlin versetzt den Mord an acht Managern aufklären. Durch einen Zufall gibt es zumindest zwei latente Spuren und einen Überlebenden. Christian von Ditfurth etabliert nicht nur de Bodt als Chef einer kleinen verschworenen Gruppe, mit der attraktiven Salinger und Yussuf fügt er zwei interessante Figuren hinzu. Im Gegensatz zu seinen Stachelmann Romanen mit einem allein stehenden Historiker und Hobbyermittler hat sich dieses Teambuilding als richtige Vorgehensweise in seinen bisherigen „Berlin“ Krimis etabliert. Während de Bodt später auf eigene Faust – ein altes Klischee, nachdem ihm ausreichend Knüppel zwischen die Füße geworfen worden sind – ermittelt und dabei von seinen manipulierenden Vorgesetzten nicht mehr an einer imaginären langen Leine ins Nichts geführt werden kann, dienen Salinger und Yussuf als interessante Begleitmusik. Yussuf als modernes Computergenie, das auf seinem Handy mehr Informationen hat als de Bodt aus den Akten herauslesen kann, ist ein engagiertes Mitglied des Teams, das über mehr Potential laut de Bodt verfügt, als Salinger und er zusammen. Am Ende ist er für die Anarchie während der Ermittlungen zuständig und mit seiner kraftvoll bodenständigen Ausdrucksweise spricht er gerade von Ditfurths Leservolk aus dem buchstäblichen Mund. Die attraktive Salinger als Singlefrau von Format, Verstand und die typische Untergebene wird nachher als notwendiges Pfand benötigt. Bis dahin hat sie die Aufgabe, sich in den Chef buchstäblich zu verlieben und ihn aus seiner zumindest in der Theorie lieblosen und stereotypen Beziehung zu lösen. Im Vergleich zu den lebhaften wie unterschiedlichen Frauencharakteren seiner letzten Romane vermisst man einen Knalleffekt, so dass es hoffentlich noch Ausbaupotential gibt und Salinger sich als ebenbürtiges Mitglied dieses neuen Teams etablieren kann.

De Bodts Vorgesetzte sind die üblichen feigen Waschlappen. Dabei spielt es fast keine Rolle, ob es sich um Stachelmanns Vorgesetzte an der Universität handelt oder wie in „Heldenfabrik“ de Bodts Chef, der Ergebnisse ab liebsten ohne „Spuren“ sucht. Sie sind austauschbar und dienen dazu, die Helden wider Willen in einem besseren, unbeugsamen Licht erscheinen zu lassen. Wenn de Bodt zu Gunsten des Falls seinen Weg stur, aber effektiv weitergeht, dann liegt der Fokus auf ihm. Um diese Handvoll wichtiger Figuren mit dem Söldner Andre als letzt endlich auch verschenktem Gegenpol herum hat Christian von Ditfurth ein erstaunlich kompliziertes, aber letzt endlich wie schon eingangs erwähnt nicht gänzlich überzeugendes Verschwörungsnetz gesponnen, in dem jeder der einzelnen Pole das ursprüngliche Ziel aus den Augen verloren hat. Verrat und Gegenverrat. Wie in „Das Moskau- Spiel“ dominiert die Suche nach den wenigen, den schnell zu ermordenden Zeugen und den latenten Informationen den Mittelteil des Buches. Im Vergleich zu einigen anderen seiner Thriller ist dieser rasant und spannend geschrieben worden. Erst rückblickend erscheint die Handlung zu stark konstruiert und einige lose Fäden bleiben eher störend im Gedächtnis zurück. Am besten ist es, „Heldenfabrik“ auf Augenhöhe zu goutieren und sich mit der exzentrischen, aber dann wieder so natürlichen, zu einfach zugänglichen Figur Kommissar de Bodts auseinandersetzen, der mit seiner linken Vergangenheit und der Akzepttanz der polizeistaatlichen Ordnung die Fehler seiner ungestümen Jugend korrigiert hat, ohne die Ideale nachhaltig zu verraten. Diese Läuterung zieht sich wie ein roter Faden durch von Ditfurths Gesamtwerk. Selbst die Mitglieder des Dornröschen Projektes finden trotz ihrer weiterhin sozialistischen, aber nicht mehr parteitechnisch kommunistischen Einstellung ihren Frieden mit der unnötig aggressiven Vergangenheit der RAF und wollen abseits vom sie bedrohenden Establishment im Schatten des kapitalistischen, sie erdrückenden Berlins weiterleben. Stachelmann hat sich in den ersten Büchern in erster Linie mit der braunen Vergangenheit Deutschlands auseinandersetzen müssen, später mit dem Terror von Links. Am Ende hat er erkannt, dass es im Grunde nur ein grau, kein schwarzweiß geben kann. Mit „Heldenfabrik“ geht Christian von Ditfurth am Ende einen erstaunlichen Schritt weiter. Fatalistisch muss de Bodt für Informationen den Strippenzieher frei lassen. Die Tat wird aufgeklärt, aber wie in einigen guten Sherlock Holmes Geschichten kann sie nicht gesühnt werden, weil unabhängig der zahlreichen Morde und Verbrechen die eigentlichen Täter schon bestraft worden und ihre potentiellen Verbrechen vereitelt worden sind. Das wirkt weniger realistisch als zynisch. Auf jeden Fall unterstreicht es, dass Christian von Ditfurth inzwischen relativiert und sich die Grenzen zwischen Kommunismus/ Kapitalismus, zwischen Geldgier und Machtstreben zu einem gordischen Knoten verbunden haben, den weder Stachelmann, noch die Rosenstraßen WG oder gar de Bodt durchschlagen können. De Bodt kommt aber bei dieser Herkulesaufgabe am Weitesten.              

Originalausgabe

Paperback, Klappenbroschur, 448 Seiten, 13,5 x 21,5 cm
ISBN: 978-3-570-58515-3
 Verlag: carl's books

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