Exodus Magazin 32

Exodus Magazin 32, Rezension, Thomas Harbach
Rene Moreau

Pünktlich zum „Dortcon“ 2015 erschien mit „Exodus 32“ eine fast reine Science Fiction Ausgabe, wobei im Vergleich zu den letzten Ausgaben die Autoren nach Draußen förmlich streben. Viele Geschichte spielen in den Tiefen des Sonnensystems, während sich insbesondere die Satiren mit den Sinn/ Unsinn des Menschen und seinem Hang zur Selbstbeschädigung bis Zerstörung beschäftigen. Es ist kein Zufall, dass in einer thematisch nicht fokussierten Ausgabe vor dem vorliegenden Magazin sich die Galerie mit Alexander Preuss Bildern erstaunlich gut an die präsentierten Storys anpasst.

 Science Fiction und Humor sind nicht selten zwei Extreme, die sich nicht immer gut miteinander paaren lassen. Während es  Uwe Post in „Träumen Putzroboter von elektrischen Besen“ sehr leicht von der Hand geht, wirkt „Huhn oder Ei“ von Tom Turtschi arg bemüht. Vieles erinnert ein wenig an die Absurdität von Lems „Sternentagebüchern“, wobei der Autor sich dank seines Science Fiction technisch ein wenig belesenen und im Fernsehen auskennenden Protagonisten eine Einleitung schafft, die einen Erwartungshorizont aufwirft, dem die eigentliche Story nicht mehr folgen kann. Raumfahrt ist langweilig, es sei denn, es passiert etwas Ungewöhnliches wie eine Begegnung mit sich selbst – kann eingebildet sein – oder eine Art Zeitschleife mit Folgen insbesondere für den Kopf. Turtschis Stil ist ohne Frage unterhaltsam und der Widererkennungswert der einzelnen Szenen hoch, aber insgesamt verläuft die Story zu statisch und zu überambitioniert, um nachhaltig überzeugen zu können. Auch das Ende von Uwe Voehls Geschichte mit einem Segen für die sich auf die originellsten Arten ausrottende Menschheit könnte bekannt vorkommen, aber der Weg dahin mit Situationskomik und der Idee, die Roboterputzhilfen – männlich und weiblich – zu echten Dienstleistungen heran zu nehmen, ist trotz fehlender Originalität – siehe die verschiedenen SF Erotik Sex Anthologien der achtziger Jahre – kurzweilig unterhaltsam und stellenweise in typischer Post Manier doppeldeutig niedergeschrieben worden.

 Stilistisch ist Manfred Horchs „Io ruft“ ohne Frage eine der besten Geschichten dieser Ausgabe. Aber spätestens Jan Hoffmanns Graphik von H. P. Lovecraft auf Seite 17 dieser Ausgabe erscheint, ahnt der Leser das Schicksal der nach Europa und mit einer Schleife zum Io Mond ausgeschickten Expedition. Der Schiffsarzt kennt zwar einige Lovecraft Geschichten aus dem Internet und kann sich angesichts der seltsamen Träume und einer anscheinend Virus bedingten Veränderungen innerhalb der Mannschaft vorstellen, das die Großen Alten da draußen auf neue Opfer warten, aber ein wenig mehr Originalität hätte der wirklich gut geschriebenen Story gut getan. Auf der anderen Seite macht Victor Boden aus einer bekannten Prämisse – Mensch in einer Art intergalaktischen Zoo auf einer abgeschiedenen Welt gefangen gehalten- in „Die Sumpfmonster“ gegen Ende eine emotionale Story, in welcher die Monstren menschlicher sind als es der arrogante Protagonist wahr haben möchte. Nicht immer liegt Schönheit und Intelligenz nur im Auge des Betrachters.

 „Mensch2“ aus der Feder Uwe Hermanns ist einer dieser Texte, in denen der Protagonist der Liebe willen durch einen Reifeprozess im umgekehrten Sinne gehen will. Als der Erzähler eine blauhaarige Schönheit voller Implantate kennen lernt, will er auch zu einem solchen umstrittenen Supermenschen werden. Ein Vertrag mit dem Hersteller von Implantaten als Versuchsobjekt/ Modell enthält natürlich seine Tücken und als er sich befreien will, schlägt der Konzern nicht nur bei ihm unbarmherzig zurück. Solide geschrieben mit unterschwelligem Humor geht die abschließende „Befreiung“ inklusiv des Happy Ends und der ein wenig schwerfälligen Botschaft an den reinen Menschen zu leicht von der Hand. Ein wenig mehr Raum und eine nuancierte Entwicklung der Handlung hätten der solide geschriebenen Story sehr gut getan.  Unter den gleichen Schwächen leidet Jacqueline Montemurris „Koloss im Orbit“. Die Verknüpfung von zwei Science Fiction Subgenres ist ohne Frage gelungen, auch wenn die suggestiv vorbereitete First Contact Geschichte in eine gänzlich andere Richtung geht. Selbst die Charaktere sind für die Kürze des Textes durch ihre unterschiedliche Ausrichtung als Crew der Verlorenen interessant gezeichnet. Nur am Ende überstürzen sich passend die verschiedenen Ereignisse und die Lösung inklusiv des offenen „Epilogs“ liegt so nahe, dass erstens die bisherige Struktur – warum bleibt der Koloss so lange im Orbit ? – vom Leser hinterfragt wird und sich die konstruktiven Schwächen des ganzen Spannungsbogens zeigen. Ohne Frage eine auch stilistisch lesenswerte Geschichte, die in Form einer Novelle allerdings deutlich mehr überzeugt hätte.   „Ein Leben lang“ von Ulf Fildebrandt zeigt die Welt in achtzig Millionen Jahren – der Bogen scheint ein wenig weit gespannt – und das Auffinden menschlicher Artefakte unter den Meeren. Auch hier leidet der Text zu sehr unter der Zusammenfassung des Inhalts. Der Leser kann ahnen, das sich die Menschen angesichts des Weitstreits zweier privater Bergungsunternehmen nicht sonderlich weit entwickelt haben kann. Das symbolische Ende mit dem Auftauchen eines dritten Protagonisten könnte man in einen Zusammenhang mit dem aufgefundenen Kunstwerk stellen, aber da die einzelnen Figuren zu wenig entwickelt worden sind bei einer stringenten Handlung, fehlt der Geschichte ein innerer Spannungsaufbau, der über die gute Zeichnung von Stimmungen hinaus geht.

„Time-Out“ von Elisabeth Marienhagen ist vielleicht die Story mit dem meisten Potential, das aber durch den Hang zum konzeptionellen Experiment nicht gänzlich gehoben wird. Wie bei vielen anderen Geschichten dieser Ausgabe hätte der Inhalt für eine längere Arbeit ohne Probleme gereicht. Eine Cyberpunk Zukunft mit dem geheimnisvollen „Time Out“ als Ausweg, als Droge, als Fluchtburg. Das erste Drittel des Textes ist gut entwickelt. Zynische Dialoge, schräge Charaktere und ein klassischer, wenn auch klischeehafter Antiheld. Aber in dem Moment, in dem er seinen ersten „Time Out“ erlebt und der Leser vielleicht auch ein wenig von diesem Bogenschlag in die Gegenwart überrascht worden ist, beginnt der Plot überambitioniert zu werden und die einzelnen Teile der Handlung fallen eher auseinander. Mit ein wenig mehr innere Dynamik, den anfänglich gut entwickelten Protagonisten und der grundsätzlichen Idee verfügt „Time- Out“ über das Potential zu einer interessanten Novelle, das die Autorin vielleicht noch heben wird.           

 Für den lyrischen Teil ist Frank Neugebauer mit einem eher schwierigen und mit einem langen Titel versehenen experimentellen Text zuständig, der ohne Frage Geschmackssache ist, aber viele Leser auch zu wenig emotional oder auch intellektuell ohne belehrend erscheinen ansprechen wird. 

Die Galerie gehört Alexander Preuss, der mit seinen dreidimensionalen fremdartigen Gemälden beginnend vom eindrucksvollen, für diese Ausgabe erweiterten Titelbild an die Ausgabe nachhaltig bestimmt. Auch wenn die dunkle, exotisch fremdartige Technik die Szenerie bestimmt und seine Menschen/ Wesen ein wenig zu steif und manchmal auch eher um ihrer Selbstwillen platziert erscheinen, sind es die gelungenen Farbmischungen und vor allem die durch die Komposition erzeugten Stimmungen, die diese Galerie zu einer der eindrucksvollsten der letzten Ausgaben machen.  Noch harmonischer als in den letzten „Exodus“ wirkt die Zusammenarbeit zwischen den Graphikern und den Autoren. Insbesondere Michael Vogt bei „Huhn oder Ei“ sowie Chris Schlicht müssen mit ihren Beiträgen aus dieser graphisch qualitativ hoch stehenden Ausgabe hervorgehoben werden. Neben den Graphiken – viele vertraute Namen wie Lothar Bauer oder Hubert Schweizer – finden sich ebenfalls in „Exodus 32“ sind es die Kurzcomics von Kostas Koufogiorgos sowie Jan Hillen zynische Karikatur, welche die Ausgabe gut graphisch abschließen. 

„Exodus 32“ ist eine solide Ausgabe, die optisch wieder auf allen Ebenen überzeugt, während die meisten der Science Fiction Kurzgeschichten gut unterhalten, aber ihr erhebliches Potential nicht richtig in der Kürze der Texte heben können. Stilistisch sind wie in der Vergangenheit auch alle Storys gut bis sehr gut geschrieben worden, aber im Vergleich zur letzten Ausgabe ragt bis auf die anfänglichen Satiren Uwe Postsund mit Abstrichen aufgrund der innewohnenden Absurdität  Tom Turtschis sowie „Io ruft“ trotz der Bekanntheit des Plots nur „Die Sumpfmonster“ aufgrund des nicht kitschigen, aber intensiven Endes aus dieser Ausgabe heraus.

Erschienen: 02. März 2015

110 Seiten

Din A 4 Format

ISSN 1860-675X

www.exodusmagazin.de