Die tödlichen Träume

Die tödlichen Träume, Paul Alfred Müller, Rezension, Thomas Harbach
Paul Alfred Müller

In seinem Nachwort erwähnt Heinz J. Galle beiläufig, wahrscheinlich eine Spur zu beiläufig, dass es sich „Die tödlichen Träume“  nur um den vierten Band wahrscheinlich mit dem gewichtigsten utopischen Inhalt einer aus insgesamt fünf Romanen bestehenden Abenteuerserie um den Millionär Steve Corell und seinen Begleiter/Diener/ Freund/ Ratgeber Wilson Wobbler mit Spitznamen Wobb handelt. Obwohl die Handlung überwiegend abgeschlossen ist, wäre es sinnvoll gewesen, ein wenig mehr über dessen Hintergrund zu erfahren.  Es gibt anscheinend hinsichtlich der Feinde – eine Parallele sowohl zur „Sun Koh“ Reihe als auch den „Jan Mayen“ Abenteuern – zumindest Hinweise im vorliegenden Texte, die in „Abgrund der Versuchung“ (1961), „Die Geier“ (1961), „Der Haijäger“ (1961) und dem unter dem Namen Rolf Hermes später veröffentlichten Roman „Die schwarzen Geister“ (1962) wahrscheinlich vertieft worden sind. 

Wie sehr Paul Alfred Müller ein Meister des Ideenrecyclings allerdings aus dem eigenen Werk und nicht von anderen Autoren ist, zeigt ein Vergleich mit dem Jan Maxen Heft 20 „Der Traumhut“, aus dem nicht nur einige Zitate anscheinend eins zu eins hinsichtlich der Gefährlichkeit der Erfindung übernommen worden sind, sondern mit dem Erfinder Professor Spörli eine weitere Figur nach dem Zweiten Weltkrieg in leicht veränderter Umgebung wieder zum Leben erweckt worden ist. In seinem ausführlichen Nachwort geht Heinz J. Galle nicht nur auf einige Vorlagen anderer Autoren wie Hans Dominiks „Befehl aus dem Dunkel“ und vor allem dem auch im Verlag Dieter von Reeken im Nachdruck befindlichen Kolportageroman „Atalanta“  ein, sondern vielmehr weist er auf die verschiedenen Variationen hin, die Paul Alfred Müller mit der Idee der gesteuerten Träume als ein interessanter Vorläufer zur virtuellen Realität und deren Vermarktungspotential unternommen hat.   Während „Die tödlichen Träume“  auch die Überforderung des Gehirns zum Thema haben, hat Paul Alfred Müller sich vor allem in einigen frühen „Sun Koh“ und „Jan Mayen“ Romanen mit der praktischen Manipulation des Gehirns auseinandergesetzt.  

Ausgangspunkt der Handlung ist eine zufällige Begegnung Steve Corells mit einem jungen Geschwisterpaar auf der Überfahrt nach Europa. Sie sollen einen lukrativen Werbeauftrag übernehmen. Kurze Zeit später findet Corell ein wenig neugierig geworden den verwirrten jungen Mann mit einem anderen Mann in der Einsamkeit wieder, während die Schwester anscheinend verschwunden ist. Er kann sich nur rudimentär an den Professor Spörli und seine Erfindung erinnern. In klassischer und damit auch ein wenig stereotyper „Sun Koh“ oder „Jan Mayen“ Manier gibt sich Steve Corell als potentieller Investor in die Idee des Traumators aus und versucht Spörlis Vertrauen zu gewinnen. Nur scheint dessen Finanzberater misstrauisch zu werden, zumal Corell wahrscheinlich in einem früheren Abenteuer einem seiner inzwischen ums Leben gekommenen Verwandten begegnet sein könnte. Diese Hinweise erinnern sehr stark an Erzschurken wie Garcia, wobei hier der Hintergrund komplett fehlt. Durchzogen wird die rasant erzählte, relativ unorthodox und vor allem absichtlich zur Spannungserhöhung nicht chronologisch erzählte Geschichte durch lange Traumsequenzen, in denen Paul Alfred Müller belehrend und mahnend zu gleich verschiedene Themen anspricht.  

Dabei baut er diese Sequenzen ausgesprochen gut auf. Es beginnt mit einer Inkarnation Wallensteins während des 30 jährigen Krieges kurz bevor er ums Leben gekommen ist. Paul Alfred Müller kann politisch nicht unbedingt unproblematisch auf die deutschen Tugenden verweisen und an einem Scheidepunkt der europäischen Geschichte die Zersplitterung Europas anprangern und die labile Allianz zwischen Wallenstein und den Schweden, basierend auf Opportunitäten  analysieren. Im zweiten langen Traumblock geht er Autor noch geschickter vor. Man identifiziert sich mit einem Sträfling, der gerade aus dem Gefängnis fliegt. Der Traumanator hält Einzug und droht vor allem hinsichtlich der Massenproduktion das Fernsehen zu verdrängen.  Für einen Roman aus den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren eine auf Fakten basierende Vision, da ja das Fernsehen gerade insbesondere dem Kino zu schaffen machte und sich als Massenmedium etablierte.  Der Leser verlässt fast ungerne diese fiktive Handlung und kehrt in den Bereich des Kriminalromans mit einigen Stärken, aber auch zahlreichen Vertrautheiten zurück. Die Faszination dieses zweiten langen Traums stellt sich in der Realität leider nicht wieder ein, zumal Paul Alfred Müller dabei die zum 20. Jahrhundert gehörenden Argumente hinsichtlich einer Überladung des Gehirns und schließlich der fehlenden Unterscheidungsmöglichkeit zwischen Realität und Fiktion geschickt auf seine Erfindung umgebaut hat. Wichtig ist, dass wie in vielen seiner Geschichten es immer einen Konflikt zwischen dem investierenden und damit profitmachenden Kapital und den Idealismen einzelner gibt. So besteht Spörli darauf, dass seine Erfindung nicht nur serienreif gemacht, sondern vor allem vertrieben wird. In dieser Hinsicht erinnert Corell an Jan Mayen oder Sun Koh, die für die Menschen gefährliche technische Erfindungen weg gekauft und verschlossen haben.   Zwischen den beiden Interessen steht ebenfalls wie in vielen Heftromanen der beiden Serien eine zwiespältige Gestalt. Im Gegensatz allerdings zu den ausschließlich phantastisch orientierten „Sun Koh“ und „Jan Mayen“ Ausgaben baut Paul Alfred Müller auch eine Krimihandlung sehr gut ein, so dass neben einem höflich gesprochen Unglücksfall auch ein Mord eine Rolle spielt. Der eigentliche Spannungsbogen tritt hinter den angesprochenen, sehr realen „Träumen“ zurück, aber mahnend versäumt Paul Alfred Müller nicht, über eine „träumende Gesellschaft“ zu philosophieren , sondern die verschiedenen Gefahren herauszustellen und rückt den Text damit ein wenig an die Manipulation im Dritten Reich heran. Dazu passt auf der persönlichen Ebene, das die einzige Frau des ganzen Buches sich gegen ihren Willen in eine Abhängigkeit mit dem eigentlichen Schurken begeben hat und der Ansicht ist, ihn zu lieben. Dabei mischt Paul Alfred Müller die Idee der gesteuerten Träume mit der suggestiven Hypnose, die wie Heinz Galle in seinem Nachwort feststellt, ein zweiter Schwerpunkt in einer bemerkenswerten Anzahl von „Sun Koh“ /“Jan Mayen“ Romanen gewesen ist. Dass der Handlungsverlauf dieses Spannungsbogens insbesondere Kenner von Paul Alfred Müllers Romanen an ein mechanisches Versatzstück erinnert, sei nur nebenbei erwähnt. Zusammenfassend ist „Die tödlichen Träume“ ein unterhaltsamer Roman mit einigen Schwächen im Handlungsaufbau – Correll ist manchmal zu planlos zur richtigen Zeit am richtigen Ort – und dem Rückgriff auf Plotmuster, die Paul Alfred Müller gerne, aber auch routiniert in seinem Werk immer wieder verwandt hat, wobei die technische Idee insbesondere im Vergleich zu den in dieser Hinsicht zu kurzen Heftromanen überzeugend und dreidimensional extrapoliert worden ist. Neben dem informativen, in Bezug auf den Haupthelden zu kurzen Nachwort ist es wieder die liebevoll detaillierte Gestaltung des vorliegenden Buches, das nicht nur Fans Paul Alfred Müllers, sondern den utopisch technischen Kriminalromans der sechziger Jahre ansprechen sollte.  

  

Neuausgabe des erstmals und nur einmal 1961 erschienenen Romans
Broschüre, 161 Seiten, 17 Abbildungen, mit einem Nachwort von Heinz J. Galle
Verlag Dieter von Reeken
— ISBN 978-3-945807-00-2