Die Kälte im Juli

Die Kälte im Juli, Joe Lansdale, Rezension, Thomas Harbach
Joe Lansdale

Wie  Joe Lansdale in einem der beiden Nachwörter beschreibt, ist „Cold in July“ ihm förmlich zugeflogen. Nach einer Hausbesichtigung mit einer gut zu erkennenden Wandbeschädigung durch eine Kugel schrieb er einen seiner ersten Thriller fast in einem Zug

Nieder. Auch der Hinweis im Impressum, dass der Roman schon im Rowohltverlag unter dem Interessanten, frei assoziierten, aber nicht unpassenden Titel „Kalt brennt die Sonne über Texas“ schon 1997 veröffentlicht worden ist, lässt den Thriller bequemer in Lansdale inzwischen umfangreiches, aber niemals unterinteressantes Werk einordnen. Im zweiten Nachwort schreibt der Regisseur Jim Mickle ein wenig zu euphorisch über den Roman, aber auch seine Adaption. Da das Buch in den USA zeitgleich zur Filmveröffentlichung noch einmal neu aufgelegt worden ist, fehlt eine kritische Analyse des Films.

 Wie einige andere seiner Thriller geht es im Grunde um die Suche nach einem „Sinn des Lebens“, nach einem Element der Gefahr, das der Erzähler Richard Dane im Grunde bislang in seiner langweiligen, aber gut bürgerlichen Existenz vermisst hat. Es sind diese Doppeldeutigkeiten, die beginnend mit einem fast alltäglichen Szenario aus „Die Kälte im Juli“ einen der interessantesten Joe Lansdale Thriller machen. Wie es sich für sein Werk gehört, gibt es weder schwarz noch weiß, sondern im Grunde nur grau. Richard Dane erschießt nachts in Notwehr einen Einbrecher in seinem Haus. Kurz knapp präzise und ein wenig sadistisch beschreibt Lansdale auf den ersten Seiten diesen Moment, der Danes Leben einstürzen und gleichzeitig neu beginnen lässt. Die Polizei hat den Täter schnell identifiziert. Es ist ein lokaler Ganove, dessen Vater allerdings nach mehr als zwanzig Jahre wegen bewaffneten Raubüberfalls aus dem Gefängnis entlassen wird. Dieser schwört für den Tod seines Jungen Rache. Aus dieser alltäglichen Situation baut Lansdale auf den ersten Blick eine klassische und damit auch klischeehafte Rachegeschichte auf. Der brutale Vater des Ermordeten will sich effektiv an Danes eigenem Sohn rächen und steht kurz vor Vollendung des Ziels, als der Autor das erste Mal den stringenten Handlungsstrom unterbricht. Wie in vielen Lansdale Romanen ist die Polizei ein ausschließlich störender Faktor. Sie kommt entweder zu spät, wirkt überfordert oder hat etwas zu vertuschen. In seinen besten Romanen treffen alle drei Kriterien auf die vor allem in Kleinstädten ohne Verbrechen – spätestens seit „Twin Peaks“ ein Klischee, das so gerne zerstückelt wird – stetig präsente, aber niemals wirklich anwesende Polizei zu. Im Moment höchster Gefahr dreht Lansdale den Plot für zwei Beteiligte um. Dane erkennt, dass er wahrscheinlich einen ganzen anderen Mann erschossen hat und die Identität ausgetauscht worden ist. Der einzige Mann, der ihm helfen kann, ist sein potentieller Todfeind. Und der bringt einen extrovertierten, arroganten und selbst verliebten Privatdetektiv mit.

Auch wenn der Plot dominiert, fasziniert „Die Kälte im Juli“ vor allem über seine Figuren. Richard Dane ist der dominierende, verbindende Faktor. Ein Mann, der Angst hat, seine Waffe auf den Einbrecher zu richten. Der in der Theorie seine Familie schützen möchte. Dabei geht er soweit, dass er nicht nur alle Spuren des Einbruchs am nächsten Morgen beseitigen lässt, sondern sein Haus übertrieben und ineffektiv zu einer Festung ausbaut. Der eine Bilderbuchehe führt und doch trotzdem gelangweilt, farblos erscheint. Er ist die einzige Figur, über die der Leser in verschiedenen Dialogen im Grunde wenig bis gar nichts erfährt. Er ist aber auch der Protagonist, der sich am meisten wandeln wird. Fasziniert von der Gewalt kann er trotz aller Ratschläge seiner beiden Freunde wider Willen – dem Vater Russel und dem Detektiv Jim Bob – die Mission nicht abbrechen und setzt seine bürgerliche Existenz aufs Spiel. Wenn er am Rande Blut geleckt hat, weiß er, dass er nicht mehr wirklich zurückkehren kann. Auch wenn er in den meisten Szenen naiv wirkt, dient er als Protagonist in erster Linie als eine Art Mittler zum Leser. Als Ich- Erzähler rückt er in klassischer Manier dicht an den Leser heran. Diese intime Erzählperspektive zwingt Lansdale als Autor aber auch dazu, alles als Danes Perspektive zu berichten. Er ist immer dabei. Unmittelbar, direkt und später untrennbar. Dabei bewegt sich der Autor aber auch auf einem sehr schmalen Grad, da Dane zusammen mit seiner natürlich attraktiven, auch schlagfertigen, aber ansonsten eindimensionalen Frau auch der uninteressanteste Charakter des ganzen Buches ist.

Russel kommt nach zwanzig Jahren aus dem Gefängnis frei. Anfänglich scheint ihn Lansdale absichtlich nach Robert de Niros Charakter im Remake „Cap of Fear“ gezeichnet zu haben. Ein brutaler Mann, der aufgrund seiner Bauernschläue und vor allem seiner Instinkte weiß, wie weit er Dane ohne Gefahr einer erneuten Verhaftung provozieren kann. Der gnadenlos die Schwäche ausnutzt und Dane im Grunde zu einer Reaktion zwingt. In der Auseinandersetzung zwischen den beiden Männern kann er im Grunde nur einen Sieger geben. Russel. Im entscheidenden Moment versagen seine Nerven, er wird bezwungen. Später ist er ein leidender Vater, der erkennen muss, das sein Sohn viel schlimmer als er ist. Während Dane seine Familie verteidigt und dafür einen Menschen getötet hat, muss Russel die Umwelt vor seinem Sohn schützen und entsprechende Entscheidungen treffen. Es ist die erste von verschiedenen Doppelungen. Zwischen beiden Männern steht im Grunde Jim Bob. Der Klischee eines lauten Texaners mit einem Nuttenwagen, Schweinen hinter seiner Farm, einem despektierlichen Auftreten und einer Aussprache, die Danes Frau immer wieder provoziert. Er scheint ein Dummkopf zu sein, der als Detektiv nur versagen kann. Und trotzdem seiner er das Team auf die richtige Spur, löst Gefallen ein und bezahlt einige Rechnungen aus der eigenen Tasche. Nur weil Jim Bob und Russel vor zwanzig Jahren einmal Freunde gewesen sind. Und sich Russel gegen den Rat des Detektivs für die falsche Richtung entschieden hat. Jim Bob agiert als eine Art Leitplanke. Durch einen Zufall – vielleicht nutzt Lansdale diese Situationen ein wenig zu oft, aber sonst würde der Krimi nicht funktionieren – kommen sie dem Geheimnis von Russels Sohn auf die Spur. Es lässt sich offen diskutieren, ob die ambivalente Haltung der Behörden wirklich akzeptabel ist, aber sie dient als Katalysator der anschließenden Ereignisse. Während anfänglich in Danes Haus eingedrungen worden ist, muss er schließlich mit seinen Freunden einbrechen, um den Kreis der Gewalt nicht zu durchbrechen, sondern ihn zu schließen. Von der Struktur her extrapoliert Lansdale die Auftaktszene, nur dass Danes Angst inzwischen durch reines Adrenalin ersetzt worden ist. Es ist eine seiner Stärken, ungewöhnliche Männerfreundschaften zu beschreiben, die eher zu einem Western als einem modernen Thriller passen. Aber dieses Bündnis wider Willen, geboren aus Notwendigkeiten und endend im gegenseitigen Respekt ist einer der Eckpfeiler dieses Romans.

Wenn Lansdale einen wichtigen Teil des Geheimnisses offenbart und damit nicht nur dem Leser, sondern vor allem auch den Protagonisten buchstäblich den Boden unter den Füßen wegzieht, ist die Überraschung perfekt. Alle bisherigen Handlungsstränge, alle so natürlich wie tragisch alltäglich erscheinenden Spannungsbögen werden eliminiert. Der Roman beginnt quasi von vorne. Nicht umsonst die Dreiteilung in drei Kapitel von Novellenlänge, die rückblickend sehr sorgfältig wie doppeldeutig übertitelt worden sind.

Der Autor spielt mit sozialen Aspekten, die auf amerikanischen Tugend geboren worden sind. Dane hat sein Haus verteidigt und wird deswegen von der Polizei betrogen. Die Tat ist nicht unkehrbar, es sind nur die falschen Schlüsse gezogen worden. Im Verlauf des Plots geht es Dane nicht mehr nur um die Aufklärung des Verbrechen, des absichtlich Verwechselns der Identität des Täters. Er wird zu einem Vigilanten, im Grunde zu einem der namenlosen Kopfgeldjäger des Wilden Westens, die das Gesetz beugen müssen, um es zu erhalten. Es ist ein Männerding, wie Danes Frau selbst sagt. Eine Katharsis, der Abschluss eines „Lebensabschnitts“ und wahrscheinlich wie im Epilog impliziert der Aufbruch zu etwas Neuem.

Auch wenn der ganze Roman manchmal im Mittelabschnitt ein wenig schwerfällig erscheint und vor allem von den auch sehr gut durch Teja Schwaner übersetzten Dialogen lebt, vollzieht sich am Ende eine drastische, eine interessante Wendung. Vielleicht fehlt Lansdale im Vergleich zu einigen anderen Autoren der Mut, die Geschichte wirklich dunkel enden zu lassen und Dane die Folgen seiner Taten auf einer persönlichen Ebene noch einmal zu zeigen, aber der Weg dahin ist eine der besten Geschichte Lansdale, zeigt sein Potential als durchaus zeitkritischer, innovativer, die bisherigen Grenzen des Genres nutzender Autor – immerhin ist das Buch fast zwanzig Jahre alt - , der aus seinen Horrorarbeiten die Dramaturgie, das Aufbauen von Atmosphäre und die Eruption von Gewalt sehr gut übernommen hat.                 

  • Taschenbuch: 272 Seiten
  • Verlag: Heyne Verlag (9. März 2015)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3453418182
  • ISBN-13: 978-3453418189
  • Originaltitel: Cold in July
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