Tomorrow & Tomorrow

Tomorrow & Tomorrow, Sweterlitsch, Rezension, Thomas Harbach
Thomas Carl Sweterlitsch

Thomas Carl Sweterlitsch hat mit seinem Debütroman in seiner inzwischen virtuellen Heimatstadt spielend sich im Grunde wie Andy Weir mit „Der Marsianer“ einen kleinen Traum erfüllt. Das Buch ist bei Tor als einem der auffälligeren phantastischen Verlage veröffentlicht worden. Wie bei „Der Marsianer“ hat sich mit Sony dieses Mal ein Studio die Filmrechte an dem Stoff gesichert. In den USA werden Sweterlitsch allerdings auch schwere Steine um den Hals gelegt. Viele sehen in dem Roman eine Wiederbelebung des Cyberpunks, den Bruce Sterling oder William Gibson auf künstlerische Höhen in einer nihilistischen Welt getrieben haben. Diese Idee ist nur bedingt richtig. Natürlich spielt „Tomorrow & Tomorrow“ mit einigen Aspekten des Cyberpunks, in dem Pittsburgh zehn Jahre nach dem Anschlag in virtueller Perfektion entstanden ist und das Leid der Überlebenden kontinuierlich verstärkt anstatt mittels des Vergessens eine erleichternde Distanz zu schaffen. Natürlich wird aus William Gibsons früheren Büchern die Idee eines fatalistischen Antihelden mit entsprechender Vergangenheit übernommen. Selbst der zugrundeliegende rote Faden eines Kriminalfalls, der aus der Vergangenheit in die Gegenwart reicht ist von Sweterlitsch übernommen worden. Konsequent gesprochen folgt Sweterlitsch nicht nur der Tradition des Cyberpunks, sondern auch des Hardboiled Romans.  Im Gegensatz allerdings zu vielen anderen Science Fiction Romanen gipfelt die Krimihandlung nicht in einer ultimativen Verschwörung, sondern die Auflösung des Falls führt zur Bestrafung der Täter in der Gegenwart. Der Fokus liegt auf dem Verbrechen und nicht einer gigantischen Verschwörung. Vielleicht ist der ausgehende Katalysator ein wenig schwammig, denn anscheinend geht es um die Entschädigungszahlungen der Versicherungsgesellschaft an die Hinterbliebene und Überlebende des Anschlags auf die Stadt Pittsburgh, welche gänzlich ausgelöscht worden ist. Wenn es sich um einen terroristischen Anschlag handelt, dann erscheint es zweifelhaft, dass eine Versicherung gegenüber Normalsterblichen aufkommt. Handelte es sich um ein Unglück – das wäre dem tragisch melancholischen Unterton angemessen -  würde der Versicherungsaspekt Sinn machen.

Natürlich ist es sinnvoll wie pragmatisch, einen Antihelden zu etablieren, der nicht nur mittelbar, sondern unmittelbar vom Anschlag betroffen ist und für den die fast sklavische Suche nach der Wahrheit zu einer Art Selbstheilung führen kann. John Dominic Blaxton trauert immer noch um seine Frau und sein ungeborenes Kind. Er ist drogensüchtig und verkriecht sich immer wieder im Archiv, der digitalen Rekonstruktion, wo er zumindest einer digitalen Kopie seiner Frau kommunizieren kann. Die Grundidee ist faszinierend und wird auch bei der Aufklärung des Verbrechens genutzt. Während in den früheren Science Fiction Romanen wie „Welt am Draht“ oder den „Matrix“ Streifen die Perspektive genau anders herum gewesen ist und die künstlichen „Wesen“ quasi heraus geschaut haben, um ihre eigene Identität zu suchen, geht Sweterlitsch den anderen Weg. Die Menschen versuchen sich zu digitalisieren, um den Realitäten zu entkommen und quasi in dieser modernen Traumwelt dahin zu vegetieren und ihr eigentliches Leben zu vergessen. Stilistisch vielleicht ein wenig schwerfällig und überambitioniert entwickelt der Autor diese fiktive Welt, ohne sie wirklich mit „Leben“ zu erfüllen. Die Unterschiede zwischen der Realität und dieser Fiktion sind zu klein, die Übergänge zu einfach, als das der Autor angesichts vergleichbarer Ideen wie in „Star Trek- The Next Generation“ wirklich nachhaltig überzeugen kann. Natürlich ist es schwer, eine vernichtete Stadt nicht nur wieder auferstehen zu lassen, sondern sie konträr zur Idee des Archivs auch lebendig zu machen. Hier scheitert der Autor auf einem soliden Niveau. Auf der anderen Seite – vielleicht ist der Zeitraum von zehn Jahren einfach zu klein – beschreibt er eine Zukunft, in der es vor den unendlichen Datenströmungen im Grunde kein Entkommen gibt. Zu den stärksten Passagen gehört, dass der Autor diese Welt er Datenüberflutung visuell überzeugend beschrieben hat. Eine klassische Extrapolation aus „Blade Runner“ und Gibsons „Neuromancer“. Dabei verwendet die Autor nicht unbedingt neue Ideen. Die Menschen haben sich Computerchips einpflanzen lassen. Das diese absolute Verbindung mit dem Internet gleich zu einer Entmenschlichung, zu Depressionen und Isolation, zu einer emotionslosen und nihilistischen Gesellschaft führt, ist nur konsequent, aber nicht inspiriert herausgearbeitet. Bedenkt der Leser, welche Folgen der Anschlag vom 11. September auf die amerikanische Gesellschaft gehabt hat, erscheint es fatal, die Ausradierung einer ganzen Stadt nicht konsequenter zu extrapolieren und daraus folgend eine datentechnisch offene, aber von der Welt isolierte paranoide Gesellschaft zu entwickeln. Stattdessen ist die „Youtube“ Generation inzwischen so weit, das alles in Netz gestellt wird. Beginnend schrecklichen Unfällen und Verbrechen wie Vergewaltigungen und endet bei Live Sex Pornos. Die Gesellschaft an sich könnte sich wie ein Moloch selbst zerfleischen, in dem es sich am Leid der jeweils Anderen erfreut. Sweterlitsch beschreibt einige Szenen detailliert und graphisch ansprechend. Aber ist diese Idee wirklich neu. Unbewusst erinnert einiges an eine Mischung aus „Brainstorm“ und „Strange Days“.  Nur aus dem Ghetto einer entweder forschenden kleinen Gruppe – siehe „Brainstorm“ – oder den Perversitäten der Neureichen – siehe „Strange Days“ – herausgenommen und der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt. Sweterlitsch macht den für einen Anfänger so klassischen Fehler, in dem er alles „groß“ macht und versucht mit einer reißerischen Stiländerung diese sensationslüsterne und damit auch voyeuristische Gesellschaft mittels Schlagwörtern näher zu bringen. Das Gegenteil ist der Fall. Sie wirkt zu künstlich.

Dominic Blaxton soll einen Tod untersuchen. Eine Familie stellt Ansprüche gegen die Versicherung für den Tod dreier Kinder während des Anschlags. Anscheinend kann der Tod nur zweier Kinder als mittelbare oder unmittelbare Folge des Anschlags festgestellt werden. Blaxton versucht den Tod des dritten heranwachsenden Kindes aufzuklären. Der Roman beginnt mit dem anscheinend virtuellen Fund der Leiche. Bei seinen Ermittlungen stellt er fest, dass anscheinend die virtuellen Akten manipuliert worden sind. Diese Veränderung reicht bis zur Ausmerzung ganzer Persönlichkeiten, die in der digitalen Rekonstruktion von Pitsburgh „gelebt“ haben. Bei seinen Ermittlungen findet Blaxton heraus, dass nicht nur die Akten manipuliert worden sind, sondern das immer wieder falsche Spuren gelegt werden. Auch wenn Blaxton von Beginn an kein klassischer Ermittler, kein aktiver Posten des Romans ist, erscheint es positiv mutig, aus ihm eine derartig passive, immer nur reagierende Figur zu machen, deren Position zum Geschehen ambivalent sich vom Rand als Beobachter in den Mittelpunkt und wieder zurück bewegt. Am Ende löst er natürlich den Fall und findet seinen Seelenfrieden. Er bleibt aber leider dem Leser im Grunde fremd und distanziert. Das kann rückblickend Absicht sein, unterminiert aber die emotionalen Szenen zwischen seiner verstorbenen Frau und ihm zu stark, als das dem Buch teilweise die Balance zwischen dieser kalten Zukunft und der menschlichen Wärme verloren geht.  Da der Fokus auf Blaxton liegt, hat Sweterlitch es versäumt, die Nebenfiguren besser zu entwickeln. Sie fallen stark gegenüber dem ohne Frage dunklen, fatalistischen Einzelkämpfer ab. Es fällt schwer, sie voneinander zu unterscheiden und wenn am Ende der Fall gelöst wird, bleibt der Leser distanziert und eher unbeeindruckt. Da der Autor der klassischen Ermittlertheorie folgt, fehlt der Showdown, der Knalleffekt. Die Ermittlungsarbeit ist konsequent und zielstrebig, die Fakten werden aus einer Mischung der Spuren des Opfers in der virtuellen Irrealität beobachtet und den manipulierten Daten der Gegenwart zusammengesetzt. Da die Perspektive der Täter keine echte Rolle spielt und das Opfer unabhängig von ihrem brutalen Tod im Grunde ein Neutrum bleibt, verschenkt der Autor das Potential eines packenden Kriminalfalls.

„Tomorrow & Tomorrow“ ist kein schlechtes Buch. Der Hintergrund ist sehr gut, technisch für einen Science Fiction Thriller des 21. Jahrhunderts entwickelt worden. Aber vor diesem Szenario wirken einige Szenen gedehnt. Zu experimentierfreudig nicht um der Handlung willen, sondern um zu spielen mit teilweise zu funktionellen Charakteren und einem Plot, der während des Cyberpunks um mindestens einhundert Seiten gekürzt präsentiert worden wäre. Ein solides Debüt, das aber im Gegensatz zum klassische Motive in einem modernen technischen Ambiente extrapolierenden Roman „Der Marsianer“ nicht ganz fesselt und zu viele Fragen am Ende nicht unbedingt hinsichtlich des Kriminalfalls, aber den Menschen dieser Zukunftsversion offenlässt.          

 

 

Heyne Verlag Paperback

ISBN: 
978-3-453-31648-5
Anz. Seiten: 480 Seiten