Timeline

Timeline, Michael Crichton, Rezension, Thomas Harbach
Michael Crichton

Auf den ersten Blick ragt Michael Crichtons 1999 veröffentlichter und 2003 von Richard Donner verfilmter Roman eigentlich aus seinem bisherigen streng wissenschaftlich extrapolierten Werk heraus. Außerirdische für den Menschen tödliche Staubpartikel; Roboter als Vergnügungssklaven und selbst genetisch gezüchtete Dinosaurier können mit dem heutigen Stand der Wissenschaft akzeptiert werden. Aber Zeitreisen scheint einen Schritt für das Werk des früh verstorbenen Amerikaners zu weit zu gehen. Wie der sorgfältig ausgewählte Titel des Buches „Timeline“ aber unterstreicht, geht es weniger um Zeitreisen, sondern eine Art Parallelverschiebung mittels der Quantenphysik, die Crichton im vorliegenden Roman zugänglich, ambitioniert, aber auch ein wenig improvisierend nutzt.  Für den Leser könnte es verwirrend erscheinen, wenn auf der einen Seite Menschen ins Mittelalter fallen, dort leben und sterben sowie in der Theorie die Zukunft verändern könnten. Stephen King hat in seinem deutlich später veröffentlichten, aber gleichfalls faszinierenden Roman „Der Anschlag“ bewiesen, dass diese Art der Veränderung gar nicht möglich ist. Auch Crichton ist sich dank des natürlich genialen, rücksichtslosen und im Geheimen forschenden Multimilliardärs sicher, dass die Zeit ausreichend Fußangeln hat, um ein klassisches Paradoxon wie die Tötung des eigenen Großvaters oder die Veränderung historischer Großereignisse zu verhindern. Darum werden die mehr oder minder Freiwilligen auch nicht in die Vergangenheit geschickt, sondern mittels des Quantenuniversums in eine Parallelwelt, in welcher sie die Ereignisse in einer opportunen wie geplanten Zeit beobachten können.  Das es trotzdem wie eine Zeitreise wirkt steht auf einem anderen Blatt. Auch inhaltlich folgt er den klassischen, aber auch klischeehaften Gesetzen des Genres. Unabhängig von der Nutzung entsprechender Versatzstücke und schwach ausgestalteter Antagonisten liest sich „Timeline“ auch mehr als fünfzehn Jahre nach der Erstveröffentlichung immer noch sehr gut. Crichtons ist ein sehr guter Erzähler, der den wissenschaftlichen Hintergrund im Vergleich zu seinen späteren Arbeiten weniger belehrend beschreibt. Er konzentriert sich mehrmals beginnend mit dem Auftaktkapitel und endend mit einem Besuch bei den Käfigen der Versuchstiere auf die Folgen dieser Reisen. Bei einer nicht optimalen Rückkehr kommt es zu Phasenverschiebungen, ganze Organe und Körperteile werden nicht mehr richtig zusammengesetzt. Neben den körperlichen Leiden, die zum Tod führen können, scheint die menschliche Matrix den Veränderungen durch die Quantenreise nur bedingt standhalten zu können. Relativ schnell kann sich auch Wahnsinn einstellen.  Wie Robert Wises „Andromeda“ beginnt die Geschichte in der Wüste und wie einige andere von Crichton Wissenschaftsthrillern gibt es ein Zeitlimit, ein Countdown, der unabänderlich herunter tickt und für weitere Spannung sorgt.   Ein Ehepaar sammelt einen Mann in der Wüste auf. Erst denken sie, dass sie ihn aus Versehen angefahren haben, aber schnell stellt sich heraus, dass bei näheren Untersuchungen im MRT die Muskeln, Sehnen und vor allem die Arterien wie abgeschnitten und ein wenig verschoben wieder zusammengesetzt erscheinen.  Der Mann hat bei der geheimnisvollen ITC Firma in der Nähe von Black Rock gearbeitet. Diese Firma finanziert auch die Forschungen in einem französischen Tal. Es geht dabei um die Ausgrabungen und Restaurierung einer Burg- und Klosteranlage. In einer abgeschlossenen Kammer finden die Studenten neben der Brille,  ihres verschwundenen Professors einen Hilferuf. Bevor sie näher die Sachen untersuchen können, werden sie im Firmenjet von ITC zur Zentrale gebracht, wo man ihnen natürlich wie bei Crichton ebenfalls üblich nur die notwendigsten Informationen präsentiert.  Die Forschungen im Bereich der Quantenphysik und die Ausgrabungen scheinen in einem unmittelbaren Zusammenhang zu stehen.

Anschließend folgt Crichton im Grunde den Gesetzen des Zeitreisethrillers. Der Professor des Ausgrabungsteams Edward Johnston ist in der Vergangenheit „gefangen“  und als Eilkommando sollen die Studenten ihn quasi retten. Historisch kennen sie ja aufgrund ihrer Tätigkeit an der Ausgrabungsstätte sehr gut aus.  Der Leser verfügt wie die Studenten über einige weiterreichende Informationen. Sie wissen, dass das Kloster und Burg angegriffen und durch Verrat erobert worden ist.  Sie müssen quasi in diese Zeit unmittelbar vor der Eroberung zurückreisen.  Den fünf Studenten mit sehr unterschiedlichen Fachrichtungen und Interessen – sie reichen vom Schwertkampf bis zum Klettern – werden zwei Leibwächter und jede Menge Informationen zur Seite gestellt. Da Crichton der Technik im Grunde in Menschenhand misstraut, kann der Leser davon ausgehen, dass vieles nicht funktionieren wird. Kaum in der Vergangenheit / Parallelwelt angekommen, werden die Leibwächter durch marodierende Ritter umgebracht und die Gruppe versprengt. Die Übersetzer im Ohr funktionieren auch nicht richtig, so dass die Kommunikation schwierig ist. Und der Professor wird streng bewacht, da er neben seinen verschiedenen Erfindungen auch nach den „Schlüssel“ zum Geheimgang hat, mit dem die bislang unbezwingbare Burg  erobert werden soll. Natürlich stehen die Studenten noch unter einem anderen Druck, denn sie sollen nur 36 Stunden in der Vergangenheit bleiben. 

Die Handlung läuft in der Gegenwart und in der Vergangenheit ab. Eine Rückholaktion wird durch einige technische Schwierigkeiten inklusiv der entsprechenden Knalleffekte erschwert. Ein zurückgebliebenes Mitglied der Studentengruppe – natürlich der Skeptiker – erweist sich als hilfreich,  wenn es um die Überbrückung der Schwierigkeiten geht, während die vom Besitzer der ITC Firma Doniger drangsalierten Techniker eher hilflos zuschauen.  So faszinierend der Autor diese fiktive Technik auch findet, genauso kritisch geht er mit der Nutzung um. Nebeneffekte werden verschwiegen und angesichts der potentiellen Idee, durch die „Zeitreise“ die Vergangenheit als Schlüssel  zur Zukunft nicht nur aufzuschließen, sondern der übersättigten Mediengesellschaft als neue, kostspielig vermarktete Freizeitidee wie vorher den „Jurrassic Park“ wenig geprüft zur Verfügung zu stellen , sieht Doniger die Milliardeneinnahmen und weniger die Risiken. Wie in „Jurrassic Park“ folgt aber auch die Strafe für den Leichtsinn und den menschenverachtenden Egoismus auf dem Fuß. Die Gegenwartsszenen sollen die Spannung in der Vergangenheitsebene erhöhen. Sie sind aber unnötig.

In seinem Nachwort führt der Autor aus, dass das Mittelalter zwar brutal, aber alles andere als finster gewesen ist.   Aus den staunenden Augen der Protagonisten  sieht man eine durch deutlich buntere, aber auch was einige Frauen angeht offenherzige Welt.  Crichton hat auf verschiedene Quellen zurück egriffen und um das Kloster/ die Mühle/ die Burg herum eine interessante und auch dreidimensionale Kultur angelegt. Die zu offenherzige, natürlich erotische und schließlich auch opportunistische junge Witwe Claire wirkt dabei ein wenig überzeichnet.  Die beiden sich bekriegenden Adligen entsprechen einer Reihe von Klischees, welche der Autor hinsichtlich des Aufbaus seiner finalen Auseinandersetzung benötigt. In dieses Mittelalter stürzen buchstäblich die Studenten und sorgen mit Aktionen, die direkt aus Kevin Costners „Robin Hood“ entnommen worden sind, für Unruhe kurz vor Beginn des Krieges. Auch wenn einige der Studenten und ihrer Leibwächter schwer verletzt werden oder sterben, fällt es der Gruppe zu leicht, sich in der Vergangenheit zu bewegen. Ihre sportliche Überlegenheit wird teilweise von Crichton erklärt. Wenn jemand Ausdauerklettern macht ist sie natürlich beweglicher als ein Ritter, der in erster Linie das Schwert  kraftvoll schwingen muss. Aber diese körperliche und geistige Überlegenheit zieht sich durch den ganzen Roman. Alle fünf Seiten auf die Vergangenheitsebene bezogen retten sich die Studenten aus lebensbedrohlichen Situationen spektakulär. Das liest sich sehr cineastisch und ist von Michael Crichton auch gut beschrieben, aber an manchen Stellen vergisst der Autor, dass er sich in einem Roman befindet und nicht in einem einhundert Minuten laufenden Spielfilm.  Das wirkt auf die Dauer ermüdend. Auf der anderen positiven Seite hat Crichton dank seiner wissenschaftlichen Vorbildung und seiner Fähigkeit, komplexe technische Vorgänge  eingängig zu visualisieren mit „Timeline“   einen rasanten Zeitreiseabenteuerroman – dabei spielt es keine Rolle, ob es sich nur um Schritte in die Quantenparallelwelt handelt, es fühlt sich wie eine Zeitreise an und so wickelt der Autor auch den Plot ab -  geschrieben, der sich auch heute noch frisch, aber nicht gänzlich frei von erkennbaren Vorbildern liest. 

 

Originalausgabe erschienen 1998 unter dem Titel Timeline, deutsche Ausgabe erstmals 2000 , 640 Seiten. ISBN 3-442-45575-8. Übersetzung ins Deutsche von Klaus Berr

Goldmann Verlag