A fine dark Line

Joe Lansdale

“A fine dark Line” ist einer der Thriller, die Joe R. Lansdale aus der grotesken Horrorecke hinaus in Rampenlicht des harten Mainstreams katapultiert haben. Wie Stephen King setzt sich der Texaner mit Amerikas falscher Unschuld in der Zeit vor der Ermordung J.F. Kennedys und den Rassenunruhen auseinander. Die Geschichte spielt im Jahre 1958. Im Sommer 1958 in Dewmont, Texas. Die Rassentrennung wird weiterhin aktiv. Farbige werden schlechter bezahlt und noch schlechter behandelt. Die Aufbruchstimmung nach dem Sieg im Zweiten Weltkrieg ist wirtschaftlicher Resignation gewichen. Lansdale zeichnet ein derartig überzeugendes Portrait dieser kleinen Gemeinde, das sich der Leser nicht nur in diese Tage zurückversetzt fühlt, sondern den Eindruck hat, die Geschichte könnte auch einhundert Jahre früher spielen. Es ist die Bigotterie, die Heuchelei der Erwachsenen, die aus „A fine dark Line“ mehr als nur einen Kriminalroman macht. Mit dem dreizehn Jahre alten Stanley Mitchell jr. verfügt die Erzählung über einen allwissenden, aber nicht subjektiven Erzähler, der aus einer Distanz von vierzig Jahren – das wird im melancholischen Abgesang überdeutlich – die Ereignisse eines, vielleicht sogar seines Sommers erzählt.

Die enge Identifikation mit dem Ich- Erzähler negiert sicherlich in einigen Punkten die innere Spannung der Geschichte, der Leser weiß, das er im Vergleich zu einigen anderen Figuren überleben wird. Lansdale bemüht sich insbesondere in der ersten Hälfte des Buches mit zwiespältigen Hinweisen zusätzlich Spannung aufzubauen, aber im dreidimensionalen Gesamtkontext des Romans wirken diese Vorgriffe auf kommende Ereignisse eher bemüht als überzeugend. Zumal sie unnötig sind. Durch die Konzentration auf einen Erzähler muss das gesamte Geschehen über ihn laufen, was während des langen Krankenhausaufenthaltes wegen eines gebrochenen Beines in der zweiten Hälfte des Buches das Tempo sehr stark herausnimmt.

Auf der anderen Seite hilft diese Enge zum Erzähler, viele der unzähligen Fakten besser zu verstehen. Im Sommer 1958 lernt Stanley Mitchell jr. viele wichtige für sein späteres Leben wichtige Denken. Er erfährt von seiner älteren Schwester einiges über eher platonischen Sex. Ihm wird erklärt, dass es keinen Weihnachtsmann mehr gibt und er lernt die Spuren von Rassismus überdeutlich kennen. Sein Familie ist vor einigen Jahren nach Dewmont gezogen, um das örtliche Drive In Kino zu übernehmen. Diese enge Verbindung zum B- Movie dient auch zum Erwachsenenwerden, wenn Mitchell schließlich den älteren und farbigen Filmvorführer zumindest unter der Woche ablöst und schließlich in den letzten Jahren des Drive- In alleine für die Projektion der Filme zuständig sind. Neben dem Drive In Grundstük befindet sich die Ruine eines vor zwanzig Jahren abgebrannten Hauses.

Zusammen mit seinem Freund findet er eine kleine Metallkiste, in welcher sich alte Liebesbriefe eines jungen Mädchens befinden, das in der Nacht des Brandes grausam umgebracht worden ist. In der gleichen Nacht ist ein anderes Mädchen ebenfalls in dem Haus in den Flammen gestorben. Die Polizei hat ermittelt, das sie an ihr Bett gefesselt gewesen ist, als der Brand in ihrem Zimmer gelegt worden ist. Die beiden Fälle sind schon lange zu den Akten gelegt worden. Natürlich beginnt sich Mitchell für diese Briefe und die Nacht zu interessieren.

Er erhält Hilfe von seiner älteren Schwester Caldonia, seinem neuen Freund Richard Chapman und schließlich auch dem alten Filmvorführer Buster Lighthorse Smith, der Mitchell mit den berühmten Detektiven wie Sherlock Holmes vertraut macht. Wie schon angesprochen ist „A fine dark Line“ mehr als nur ein Krimi. Die Krimihandlung ist vielleicht das schwächste Element des ganzen Buches. Geschickt lenkt Lansdale den Verdacht auf den reichsten Mann der Stadt, dessen Sohn auch zu Gewalttätlichkeiten neigt. Über weite Strecken ermitteln die Amateurdetektive in diese Richtung und beginnen in ihn einer direkten Konfrontation einzuschüchtern. Hinzu kommt die persönliche Ebene, da dessen Sohn Caldonia zumindest sexuell belästigt hat. Da Mitchells Vater ein ganzer Kerl ist, will er am liebsten den Jüngling nicht nur verdreschen, sondern verletzen.

Er lässt sich im Gegensatz zur ganzen Stadt auch nicht kaufen. Wer sich ins Lansdale inzwischen sehr umfangreichen Kriminalwerk auskennt, wird ahnen, dass diese zu offensichtliche Spur nicht ganz ins Nichts, aber zu anderen Abgründen führen wird. Der eigentliche Täter taucht über den ganzen Roman verstreut immer wieder auf. Der Autor scheut sich nicht, dessen brutale Seiten genauso wie seine eine Schwäche zu zeigen. Das der Leser dabei auch Abstecher in den noch sehr verhaltenen Bereich des Sadismus/ Masochismus kennen lernt, ist weniger sensationslüstern als konsequent. Die eigentliche Entdeckung des Täters – in diesem Fall eines fanatischen Serienkillers mit religiösen Zwangsneurosen – erfolgt eher als Nebeneffekt. Der finale Showdown ist ohne Frage dramatisch, wird aber im Vergleich zur bis dahin eher ruhigen und stimmungsvollen Entwicklung der Handlung zu cineastisch dargestellt.

Das mit der Ergreifung des Täters zumindest vorläufig auch einige rote Fäden in Stanley Mitchells persönlichen Umfeld abgeschlossen werden, ist ein zusätzlicher Nebeneffekt. Aber in erster Linie ist „A fine dark Line“ ein dramatisches und ausgesprochen realistisches Zeitportrait einer kleinbürgerlichen Gesellschaft mit all ihren Neurosen und unter der Oberfläche liegenden Gewalttätigkeiten. So flieht die ältere farbige Haushälterin schließlich zu den Mitchells, als sie die Schläge ihres Lebensgefährtin nicht mehr ertragen kann. Auch Mitchells bester Freund Roger Chapman flieht vor dem gewalttätigen Vater und hält sich bei seinem einzigen Freund einige Tage versteckt.

Stanley Mitchells Vater hat eine lockere Hand. Den eigenen Kindern gegenüber streng, aber bis auf eine einzige stark konstruiert erscheinenden Situation auch fair, verteidigt er seine Familie und deren „Freunde“ mit eiserner Faust der Tradition des Frontiermannes folgend. Vielleicht bewegt sich Lansdale hinsichtlich einiger sozialer Strömungen stark im Bereich des Klischees, um sein historisch fiktives Portrait authentischer, dramatischer und eindrucksvoller zu zeichnen, aber das Bild das er vom nicht unterschwelligen, sondern offensichtlichen amerikanischen Kleinstadtrassismus zeichnet, ist überzeugend und bleibt dem Leser länger im Gedächtnis als die eigentliche Handlung des Buches.

Zusätzlich zeichnet Joe Lansdale sich durch eine differenzierte und sehr feinfühlige Zeichnung seiner Protagonisten aus. Stanley Mitchell ist ohne Frage ein neugieriger und aufgeweckter Junge, aber er ist positiv für den ganzen Roman kein Amateurdetektiv, der den Fall eigenhändig löst und die natürlich nichts ahnende Polizei blamiert. Die einzelnen Versatzstücke fallen letzt endlich positiv für den ganzen Plot durch einen Zufall, durch den Versuch, Rache zu nehmen und einen „Übermenschen“ an seiner einzigen empfindlichen Stelle zu treffen, zusammen. Mitchells kindliche Welt wird zu Beginn des Buches nachhaltig erschüttert. Auf der anderen Seite bildet sich zum ersten Mal zu seiner wenige Jahre älteren Schwester eine Art Bindung aus, die über das gegenseitige Ändern hinausgeht und in Respekt und geschwisterliche Liebe endet. Mitchell sieht über den Tellerrand seiner absichtlich normal und durchschnittlich gezeichneten Familie hinaus. Es ist bezeichnend, das er in der farbigen Hausangestellten eine Art fürsorgliche „Oma“ findet und der ältere farbige Filmvorführer und Hausmeister des Kinos im die Türen der Literatur öffnet, was sein Vater nicht kann. Für Mitchells selbst verschwimmen die Grenzen zwischen den Hautfarben, er wird ohne Frage offener mit seinen Mitmenschen umgehen. Dieser „Coming of Age“ Aspekt des Romans ist nicht belehrend entwickelt, er wirkt wie ein natürlicher Prozess. Neben Mitchell sind aber einzelne Figuren wie die beiden so unterschiedlichen Elternteile mit einer im Haus letzt endlich doch dominierenden Mutter überzeugend gezeichnet worden.

Caldonia ist eine für ihr Alter erstaunlich bodenständige Schwester, die zwar Jungs im Kopf hat, ihren Verstand über sie nicht verliert. Roger Chapman wirkt wie eine Art Huckleberry Finn, was sein abschließendes, in einem Nebensatz erwähntes Schicksal um so tragischer macht. Buster Lighthorse Smith ist nur in wenigen Szenen präsent, aber Lansdale kann sich eine finale Ironie nicht verkneifen. Smith hat mit dem Hollywoodwesternidol seines Vaters noch zusammengearbeitet. Während Smith aus einer weniger rassistischen, aber nicht goldenen Ära zum Hausmeister hinab gestiegen ist, stieg der Stern von Mitchells geschäftstüchtigen, die Entwicklungen der Zeit – Drive In, Kino und schließlich Videoverleih – vorausahnenden, aber wenig phantasievollen Vaters auf.

Es sind diese gegenläufigen Prozesse, die im Hintergrund ablaufenden dem vorliegenden Buch einen Charme geben, der die wenigen plottechnischen Schwächen mehr als ausgleicht. „A fine dark Line“ ist ein ideales Buch, um in Joe Lansdale ohne Frage teilweise auch sehr bizarre Welt einzusteigen und ein wahrscheinlich nicht einmal fiktives Amerika zwischen dem Zweiten Weltkrieg und den aufdämmernden Rassenunruhen und des endgültigen Verlustes der Unschuld in Vietnam kennenzulernen.

  • Taschenbuch: 320 Seiten
  • Verlag: Phoenix House; Auflage: New Ed (1. März 2007)
  • Sprache: Englisch
  • ISBN-10: 0753821915
  • ISBN-13: 978-0753821916
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