Der Kopfjäger

Michael Slade

Mit “Der Kopfjäger” aus dem Jahr 1984 legt Festa Crime den ersten Roman der “Special X” Thriller auf Deutsch vor. In den USA sind inzwischen vierzehn Abenteuer dieser Unit erschienen. Hinter dem Pseudonym Michael Slade soll sich eine Gruppe von kanadischen Anwälten verstecken, die unter der Koordination des Rechtsanwaltes Jay Clarke die Abenteuer niederschreiben. Namentlich bekannt sind John Banks, Lee und Rebecca Clarke sowie Richard Cowell. Das verbindende Element neben den Mitglieder der Spezialeinheit ist die Suche nach flüchtigen, wahnsinnigen Massenmördern. Sein umfangreiches fachliches Wissen hinsichtlich krimineller Massenmörder und der Vorgehensweise der Polizei nutzt „Michael Slade“, um seine Thriller authentischer und teilweise fundierter als die Bücher der damals in den achtziger Jahren noch zahlreichen Konkurrenz erscheinen zu lassen. Im Vergleich zu Richard Laymon konzentriert er sich mehr auf die Folgen seiner Taten und verzichtet auf ausführlich beschriebene sadistische Exzesse. Im Vergleich zu den provokanten wie erotischen Sexszenen finden die Folterungen und Morde meistens im „Off“ statt, der Leser lernt die potentiellen Opfer kurz auf ihrem Weg ins Verderben kennen, bevor im nächsten Kapitel die Leichen gefunden werden.

Bei der Betrachtung insbesondere des Auftaktbandes „Der Kopfjäger“ muss berücksichtigt werden, dass das Buch fast dreißig Jahre alt sind. Moderne Ermittlungsmethoden darf der Leser nicht erwarten. Daher schleppt sich die Suche im überfrachtet wirkenden Mittelteil auch deutlich hin. Von der Struktur her versucht Michael Slade mit einer im 19. Jahrhundert spielenden Nebenhandlung dem Roman ein mystisches Element als eine Art Vorgriff auf später sehr populäre Serien wie „The X- Files“zu geben. Dieser literarische Kniff soll den Leser auch bis zum finalen, zu stark konstruierten Ende hinsichtlich des Täters im Dunkeln halten und gleichzeitig verschiedene Verdächtige inklusiv einer Gruppe von Voodoo Fanatikern im Fokus der Ermittler belassen.

Im Vergleich zu vielen anderen eher routinierten Slasher Büchern und vor allem Filmen dieser Ära wirkt „Der Kopfjäger“ deutlich komplexer, vielleicht manchmal auch ein wenig zu kompliziert. Wie schon angesprochen beginnt die Handlung im 19. Jahrhundert, wo ein undisziplinierter weißer Mountie schließlich einen Indianer zur Strecke bringen kann. Das klassische Spiel vom tapferen Weißen und brutalen Wilden wird geschickt von Michael Slade ausgehebelt. Der Leser rückt unangenehm nahe an den wahrscheinlich seit vielen Jahren aufgrund der verschiedenen Missionen ebenfalls geisteskranken Ex- Soldaten und Ex- Polizisten heran, der sich selbst in der Wildnis als Köder präsentiert. Der Schnitt in die Gegenwart ist hart, aber für diese Art von Romanen fast obligatorisch.In Vancouver werden Frauenleichen gefunden. Sie sind anfänglich nicht vergewaltigt worden. Es wurde ihnen nur der Kopf abgetrennt. Dieser ist vom jeweiligen Tatort entfernt worden. Später findet man ihre Köpfe in Anlehnung an obskure Indianerrituale – interessanterweise kommt keiner der Polizisten gleich auf einen möglichen rituellen Trittbrettfahrer – erinnernd aufgespießt. Der Presse werden die entsprechenden Fotos zugespielt. Der Täter beginnt mit der Polizei im Allgemeinen und den Mitgliedern der RCMP Spezial Unit unter der Führung des anfänglich amtsmüde erscheinenden Robert DeClerq nicht weit. Im Grunde hat sich DeClerq aufgrund einer Tragödie, die seiner Frau und seiner Tochter das Leben gekostet hat, aus dem Amt schon gedanklich verabschiedet. In den achtziger Jahre semimodern wirkt die Reaktivierung DeClerq fast wie ein Klischee des Genres. Das Ziel Slades scheint es zu sein, die Figur verletzlicher, anfälliger erscheinen zu lassen als sie am Ende der Ermittlungen in Wirklichkeit ist. Weitere Abenteuer relativieren diesen ersten Eindruck. 

Zumindest macht Michael Slade bei seinem Erstling nicht den Fehler, mit DeClerq einen Überpolizisten zu etablieren. Im Vergleich zu verschiedenen anderen Psychothrillern, welche auf die Faszination eines direkten Duells zwischen wahnsinnigen Überverbrecher und anfänglich überforderten wie schockierten Polizisten stellvertretend für den Leser in der Tradition Thomas Harris zurückgreifen, erzeugt Michael Slade Spannung in Bezug auf die Identität des Täters sowie die Frage, welche Bezüge es zu den in der Wildnis Kanadas gegen Ende des 19. Jahrhundert spielenden Nebenhandlung gibt. Der Roman verfügt insbesondere in der ersten Hälfte, in welcher eine rasant geschriebene Abfolge gewalttätiger Szenen den Leser schockieren und verängstigen soll, nur über einen dominanten Charakter – DeClerq -, der sich erst wieder unter dem Druck der nach Ergebnissen gierenden Öffentlichkeit, den überforderten Politikern und der bislang hilflosen Polizei finden muss.

Das der Serienkiller in eine Art Dialog mit dem immer mehr unter dem Fall leidenden Polizisten tritt, ist ohne Frage ein perverses, pointiertes Element, das heute weniger Interesse beim Leser weckt als während der Erstveröffentlichung in den achtziger Jahre. Es ist schwer, „Der Kopfjäger“ angesichts der Flut von gegenwärtigen und qualitativ unterdurchschnittlichen Serienkillerromanen wirklich fair zu beurteilen. Zu lange liegt die damals ohne Frage Aufmerksamkeit erregende Veröffentlichung zurück. Von der Struktur her fehlt dem Roman insbesondere in der ersten Hälfte ein kontinuierlicher Spannungsbogen. Anhänger von Splatter oder Slasher Fiktion werden sich bei den sadistischen Morden aufhalten bzw. dem Überlebenskampf in Kanadas Wildnis verfolgen.

Das die zweite Handlungsebene in einem engen Zusammenhang mit der Genesis des Mörders steht und die Polizisten ohne das kontinuierliche Hauschen nach Aufmerksamkeit keine echte Chance haben, diesen Killer zu fangen, steht außer Frage und minimiert den reinen Spannungsbogen. Der Plot hätte auch auf weniger als dreihundert statt der hier präsentierten fünfhundert Seiten erzählt werden können. Auf der anderen Seite agiert Michael Slade rückblickend positiv für den Gesamteindruck des Buches relativ überambitioniert und versucht sehr viele unterschiedliche Themen in seinen Erstling zu packen.  Mit Vancouver und New Orleans verfügt der Autor über zwei konträre Handlungsorte. Während die kanadische „saubere“ Metropole Vancouver für einen entschlossenen und ehrlichen, allerdings auf Lügen aufgebauten Pioniergeist geruht, steht New Orleans lange vor Kathrina für Dekadenz, Perversion und Voodoo. Im Vergleich zu den verschiedenen graphisch erzählten S& M Sequenzen wirken die LSD Trips wie Fremdkörper aus den selbst in den achtziger Jahren in „Vergessenheit“ geratenen Siebzigern. Sie wirken eher krampfhaft in die Handlung integriert und bringen den Plot zu wenig voran. Kritisch gesprochen könnte das auch für die Voodoo Rituale sowie den ausführlichen Überlebenskampf in der kanadischen Wildnis gelten. Aber diese beiden Elemente fügt Michael Slade als Hintergrundinformationen sehr viel effektiver in die Handlung ein und integriert sie in seine ausführlichen, stimmungsvollen Beschreibungen der jeweiligen Metropolen. Insbesondere für einen Thriller ist der Hintergrund überzeugend mit viel Liebe zum fast touristischen Detail herausgearbeitet worden.

Das hemmt auf der anderen Seite den Lesefluss, macht aber auch einige inzwischen zu oft verwandte Sequenzen erträglicher.nteressant ist, dass Michael Slade sich nicht scheut, das realistisch groteske James Ellroy Szenario – dessen Morde können nicht grausamer sein – zu verlassen, um schließlich auch zur Überraschung der überforderten Mitglieder der Spezialeinheit ein übernatürliches Element in die Handlung zu integrieren. Und das mit einer Entschlossenheit und Überzeugung, die jeden Gedanken an Zufall von Beginn an ausschließt.Die Figuren sind glaubhaft beschrieben. Während die einzelnen Ermittler zumindest individuelle, manchmal ein wenig exzentrische Charaktereigenschaften erhalten, versucht Slade die anderen, für einen derartigen Thriller ausgesprochen zahlreichen Nebenfiguren solide voneinander zu unterscheiden.

Der Autor bemüht sich zusätzlich und ausgesprochen richtig, den Opfern zumindest einige wenige Züge zu geben und sie nicht als gesichtslose Randfiguren grausam sterben zu lassen. Mit dem fatalistischen, angeschlagenen Inspektor im Mittelpunkt der Handlung; einer sich noch findenden Spezialeinheit und einigen kurzen, fast übertrieben wirkenden Exkursionen in die kranke Psyche des Massenmörders hebt sich „Der Kopfjäger“ trotz einiger bekannter Handlungselement aus dem Einheitsbreit des Massenmördergenres heraus und unterhält trotz einiger Längen während der Plotentwicklung und einem hektischen, aber nicht uninteressanten Ende zufrieden stellend bis stellenweise für ein fast dreißig Jahre altes Buches in einem Subgenre mit rasanten Aktualitätsverfall gut.

 

Buchseiten:528 Seiten
Ausführung:Paperback, Umschlag in Festa-Lederoptik
Format:20 x 12,5 cm
ISBN:978-3-86552-185-9
Originaltitel:Headhunter
Übersetzung von:Heinz Zwack
Kategorie: