Die Dämonenfalle

Peter F. Hamilton

Im Original heißt die Sammlung sehr viel passender „Manhattan in Reverse“ und versammelt die Handvoll von Kurzgeschichten und Novellen, die Peter F. Hamilton seit seiner letzten Sammlung vor fünfzehn Jahren geschrieben hat. Es sind insgesamt sieben Geschichten, die in unterschiedlichen Magazinen bzw. als Einzelausgabe im Kleinverlag PS Publishing schon erschienen sind. Nur „Ein ganz großer Deal“ ist exklusiv für diese Sammlung geschrieben worden.

Zu den Höhepunkten gehört ohne Frage „Den Bäumen beim Wachsen zusehen“, die vor vielen Jahren in einer limitierten Ausgabe bei PS Publishing erschienen und in einem der von Peter Crowther zusammengestellten Anthologien einmal nachgedruckt worden ist.
„Den Bäumen beim Wachsen zusehen“ ist eine sich über Jahrhunderte hinziehende Detektivgeschichte mit einem stoischen Detektiv, die in einem alternativen Sonnensystem spielt. Dank der industriellen Revolution haben die reichen, dominante Familien bildenden Menschen eine relative Unsterblichkeit erreicht. Hamiltons Zivilisation hat ihren Zenit überschritten. Die Geschichte beginnt im Jahre 1832 dieser Altnativwelt, in der am Oxford College ein Schüler mit überdurchschnittlichen Fähigkeiten ermordet aufgefunden wird. Die Verdächtigen sind – wie es sich für diese Art von Geschichte gehört- Mitglieder der elitären Klassen. Das Besondere an dieser Geschichte ist, dass die Ermittlungen im Grunde Jahrhunderte andauern und Alibis erst nach langer Zeit erschüttern werden können. Hamilton integriert in seine kompakte Geschichte die unterschiedlichsten Ermittlungsmethoden und sein nicht unbedingt sympathischer, aber charismatischer Ermittler hebt sich gut von etablierten Figuren wie Poirot oder Holmes ab. Wenn am Ende der überraschende Täter überführt und sein Motiv herausgearbeitet wird, stellt Hamilton in einer faszinierenden Wende der Handlung die Grundfesten seiner Alternativwelt in Frage. Als Autor belehrt er nicht seine Leser, sondern hält ihnen einen moralischen Spiegel ins Gesicht. Er unterstreicht, das sich die fiktive Parallelwelt und die dem Leser vertraute Gegenwart in vielerlei Hinsicht weniger unterscheiden als es dem Leser lieb ist. Ungewöhnlich kompakt geschrieben, stilistisch trotz aller Eigenständigkeit an die Hardboiled Krimis der dreißiger und vierziger Jahre angelehnt funktioniert „Bäume beim Wachsen zusehen“ auf verschiedenen Ebenen und stellt einen frühen Höhepunkt dieser Anthologie dar.

Am Ende der Sammlung finden sich zwei Geschichten um die Ermittlern Paula Mayo, die ohne Frage dem futuristischen Kriminalgenre zugeordnet werden können. „Die Dämonenfalle“ spielt während des Doppelromans „Pandora´s Star/ Judas Unchained“. Sie zeigt, mit welcher Beharrlichkeit Mayo auf der einen Seite ermittelt und welche juristischen Probleme es mit der Möglichkeit geben kann, eine Persönlichkeit mit falschen/ fremden Daten zu überspielen. Der Protagonist hat bei einem Attentat auf die verwöhnten Kinder der hierarchisch dominierenden Familien insgesamt einhundertachtunddreißig Menschen getötet. Die Beweislage könnte eindeutig sein, wenn nicht sein Gedächtnis dieses Tages durch einen Helfer mit einer Art virtuellem Alibi überspielt worden wäre. Mayo macht sich nicht nur auf die Suche der politischen Helfershelfer, sondern erfährt Zusammenhänge zwischen dem Commonwealth, ihrer Heimatwelt und schließlich der natürlich deutlich umfangreicheren Verschwörung. Thematisch ist die Geschichte sehr gut in Hamiltons Universum integriert. Wurmlöcher, um entfernte Welten zu erreichen; relative Unsterblichkeit; sozial sehr starke Unterschiede und schließlich die Idee einer subjektiven Gerechtigkeit. Der Text erreicht nicht die Faszination von „Baum beim Wachsen zuzusehen“, ist aber trotz des etwas zu abrupten, zu selbst zufriedenen Endes eine spannende Ermittlungsgeschichte. „Ein ganz großer Deal“ ist extra für diese Sammlung geschrieben worden. Der Originaltitel „Manhattan in Reverse“ ist der Titel der Originalausgabe. Die Handlung ist nicht unmittelbar an die anderen „Commonwealth“ Geschichten angebunden. Paula Mayo versucht sich auf ihre Art zu erholen und wird – wie es sich für fast alle literarischen Detektiv gehört – in einen neuen Fall verwickelt. Sie soll auf dem Planeten Menard für die neuen Kolonisten negative Entwicklungen stoppen. Die sich auf den Titel beziehende Pointe zeichnet sich zu schnell für den Leser im Gegensatz zu Paula Mayo ab. Dadurch verliert die ansonsten kurzweilige Geschichte im Mittelteil hinsichtlich des Falls an Spannung. Im Gegensatz zu den längeren Novellen der Sammlung wirken auch die Nebenfiguren zu eindimensional, zu zielstrebig charakterisiert. Die Grundidee ist selbst für Hamilton nicht unbedingt neu, wird aber ausgesprochen stringent erzählt.

„Abstimmung mit den Füßen“ ist für diese Sammlung überarbeitet worden. Die aktuelle Euro Krise mit der kritischen britischen Haltung ist in den Hintergrund eingearbeitet worden. Ein Wissenschaftler hat ein Wurmloch entdeckt, das den Übergang zu einer neuen, bewohnbaren Welt ermöglicht. Um nicht die Fehler der tief in der Rezession steckenden britischen Regierung zu wiederholen, versucht Murray, den Zuwandererstrom zu regulieren. Peter F. Hamilton beschreibt diese Titel bestimmende „Abstimmung mit den Füßen“ der Bevölkerung am Schicksal eines geschiedenen Ehepaars. Während die Hintergrundinformationen ohne Frage kritisch sind, bieten sie keine Alternativen an. Die Charaktere sind eher eindimensional klischeehaft herausgearbeitet und die Pointe zu früh zu erkennen. Aus dieser Idee haben andere Autoren wie Wilson in „Spin“ mehr gemacht.

Zeitparadoxe stehen im Mittelpunkt der vordergründig originellen Geschichte „Auf ein Neues..“ Der Auftakt ist ein klassischer Kriminalbeginn mit dem aus der Ich Perspektive erzählenden Ermittler und Bedrohungen gegen einen der mächtigsten Industriellen des Planeten. Beim Verhör stellt sich heraus, dass dieser Industrielle anscheinend ein „Zeitreisender“ ist, der als achtjähriger Junge schon einen Wissensvorsprung vor seinen Mitmenschen hatte. Mit jeder Reise in die Vergangenheit wird im Grunde eine Parallelwelt gebildet, wobei die Reisenden ihr Wissen um die Zukunft mitnehmen. Die Prämisse ist interessant und hätte als Vorlage für einen längeren Text dienen können. Durch die komprimierte Erzählstruktur fällt die zweite Hälfte der Story deutlich ab, da der Leser im Gegensatz zum Erzähler ahnt, in welche Richtung die Pointe geht. Stilistisch ansprechend allerdings geschrieben ist „Auf ein Neues“ trotz der schwächeren Pointe eine unterhaltsame Variation des Themas Zeitreise.

Das Thema Unsterblichkeit hat Peter F. Hamilton in einer Reihe seiner keinem Zyklus zugehörigen Romane beschäftigt. Die zu kurze Geschichte „Das ewige Kätzchen“ wirkt in dieser Hinsicht wie eine Fingerübung. Nach drei Jahren wird ein Wissenschaftler wegen unethischer Experimente aus dem Gefängnis entlassen. Seine Kunden sind ihm treu geblieben und erwarten jetzt Erfolge. Mit vier Seiten Umfang ist der Text zu kurz, um der Idee Rechnung zu tragen. Die handelnden Personen sind zu spärlich gezeichnet und die Pointe wäre ein besserer Anfang für einen deutlich längeren Text.
„Wenn Engel reisen“ setzt sich mit Thematiken aus Hamiltons „Commonwealth“ Zyklus auseinander. Höhere Kulturen, die so genannten Engel, besuchen die Abgründe der Menschheit und stellen sich den in erster Linie körperlichen Gelüsten der Menschen. Die Idee, das diese geistig überlegenen Rassen ihre „Beschleuniger“ auf die Menschen loslassen und ihre Evolution manipulieren, ist in anderen, weniger verklausuliert geschriebenen Romanen deutlich besser, nachhaltiger und vor allem plottechnisch abgeschlossener abgehandelt worden. Texte wie „Wenn Engel reisen“ unterstreichen nachdrücklich, das Hamilton wie im Vorwort erwähnt, die Kurzgeschichte zwar schätzt, seine Stärken aber auf einem ganz anderen Gebiet hat.

„Die Dämonenfalle“ unterstreicht nachdrücklich, dass Hamilton in erster Linie ein Roman- bzw. Novellenautor ist. Seine Texte brauchen eine bestimmte Grundlänge, um zufriedenstellend funktionieren zu können. „Bäumen beim Wachsen zusehen“ und „Die Dämonenfalle“ unterstreichen dies nachdrücklich. Viele der anderen hier zusammengefassten Kurzgeschichten wirken wie Fingerübungen seiner längeren Romane. Ideen wie Wurmlöcher, neu entdeckte Welten oder die relative Unsterblichkeit werden mehr oder minder sozialkritisch beleuchtet und oberflächlich hinterfragt. Dabei leiden einige Geschichten unter der zu schematisch Ausführung interessanter, aber nicht umwerfender Ideen. Wer vor Hamiltons Epen noch ein wenig scheut, kann mit der kurzweilig zu lesenden Sammlung inklusiv der beiden schon angesprochenen Meisterwerke – alleine „Bäume beim Wachsen zuzusehen“ ist den Kaufpreis wert – einen guten Einblick in das Schaffen des Engländers erlangen.   

Anthologie, Softcover, 352 Seiten
Bastei- Verlag 2013

ISBN 9-7834-0420-7091