Gotham Noir 2- Vier Stunden Ewigkeit

Christian Humberg

Im zweiten Band seiner neuen Serie „Gotham Noir“ wirkt die Balance zwischen Hintergrundinformationen, zwei Fällen und der Weiterentwicklung der Figuren überzeugender als im Auftaktroman. Dabei erscheint positiv, das der Fokus nicht nur auf der strafversetzten Polizistin Sarah Dolan liegt, sondern Flynn Elliot nicht nur einen eher kuriosen Fall „lösen“ muss, sondern mit seiner eigenen Vergangenheit konfrontiert wird.

Sarah Dolan lebt überwiegend ihren Frust über die Versetzung in den Keller aus. Im Schießstand liefert sie eine Bestleistung nach der anderen ab, während ihr Vater – ein hochrangiger Polizeioffizier – sie besucht und zum sonntäglichen Familienmittagessen einlädt. Für den Leser stellt sich die Frage, ob er in diese Strafversetzung zu Gunsten der Stadt involviert ist. Am Ende versucht die junge Polizistin vielleicht regelgerecht, aber überambitioniert eine Geiselnahme zu beenden und gäbe es nicht die „Deus Ex Machina“ Lösung, dann wären zumindest einige Viertel New Yorks Geschichte. Diese Aktion hätte die Strafversetzung eher gerechtfertigt als ihr Eingreifen beim Selbstmord eines Kollegen. Obwohl Christian Humberg Sarah Dolan in den finalen Showdown integriert, wirkt sie eher positiv wie eine Nebenfigur.

Auf der anderen Seite spielt Flynn Elliot aktiv wie passiv die Hauptrolle. Passiv, weil der Geiselnehmer Elliot sucht, um sich für die Verhaftung zu rächen. Das zweideutige, in den Bereichen des übernatürlichen weisende Ende ist auf der einen Seite ohne Frage überraschend, auf der anderen Seite Teil eines zu unbefriedigenden „Deus Ex Machina“ Ende, in dessen Verlauf Christian Humberg vielleicht ein wenig zu einfach eine neue Seite an einem seiner Charaktere aufdeckt. Damit negiert der Autor ein wenig die angenehme Ambivalenz zwischen Magier, Possenreißer, Scharlatan oder doch übernatürlich Begabten, welche den Ton des vorliegenden zweiten „Gotham Noir“ dominiert. Insbesondere Flynn Elliots Fall – er soll eine vom inzwischen verstorbenen Patriarchen versteckte Goldmünze finden, welche dem unfähigen Stiefsohn den Weg zu einem großen Erbvermögen öffnet – ist ein Musterbeispiel für diesen unterhaltsam süffisanten Grundton der Serie. Wie die Erben – ein geradezu klassisches Trio aus besorgter sterbender Mutter, arroganten wie unfähigen Stiefsohn und der gierigen Ehefrau – von Elliot an der langen Leine geführt und  wie die Leser im Dunkel gelassen werden, ob der okkulte Detektiv wirklich mit dem Jenseits Kontakt aufnehmen kann, ist überzeugend geschrieben. Die pointierten Dialoge mit einem typischen „britischen“ Butler im Hintergrund, der sehr viel mehr weiß, als er verlautbaren möchte, sind gut geschrieben und unterstreichen diese Mischung aus absichtlich typisch klischeehaften Beschwörungselementen und einem Flynn Elliot, der seinen Auftrag zurückstellt, um die Falschen nicht zu belohnen. Dieser Spannungsbogen gehört zum besten nicht nur dieses Romans, sondern den ersten beiden Abenteuern.

Am Ende führt der Autor die insgesamt drei Handlungsbögen – Sarah Dolans Selbstreflektion auf dem Schießstand, Elliots Geisterbeschwörung und die Geiselnahme – zusammen. Die Geiselnahme im Polizeirevier mit dem Elliot fordernden bleichen Mann aus dem Auftaktband ist ebenfalls solide geschrieben worden. Christian Humberg lässt seiner Ankündigung Taten folgen, sympathische Nebenfiguren sterben zu lassen. Nur am Ende hat sich der Autor in eine interessante wie logischen Argumenten folgend ausweglose Situation manövriert, aus der er sich nicht gänzlich überzeugend rettet. Es bleibt abzuwarten, ob in den folgenden „Gotham Noir“ Bänden noch mehr über Flynn Elliots Vergangenheit offenbart wird, aber am Ende von „Vier Stunden Ewigkeit“ erinnert der Charakter ein wenig an John Constantine aus den „Hellblazer“ Comics, dessen Gaben zu einem Fluch werden.  Da bei übernatürlichen Ereignissen alle Türen und Wahrscheinlichkeiten offen stehen, muss abgewartet werden, ob dieser Handlungsbogen um den bleichen Mann wirklich abgeschlossen ist. Interessant erscheint, dass die impliziert übernatürliche Möglichkeit von handfesten Materialen wie automatischen Waffen und Körperbomben begleitet werden muss.  

 

Über hoffentlich mehrere Bände wird – in „Vier Stunden Ewigkeit“ bislang im Hintergrund laufend – das Verschwinden des amtierenden New Yorker Bürgermeisters am Fuße der Freiheitsstatue ablaufen. Der Prolog ist stimmungstechnisch effektiv geschrieben. Dieser rote Faden wird noch einmal durch das aggressive Fragen einer Journalistin aufgegriffen, bleibt aber ansonsten „in der Luft hängend“. Christian Humberg hat ja in Interviews angekündigt, das die vordergründig abgeschlossenen Einzelabenteuer im Hintergrund miteinander verbunden werden. Es bleibt abzuwarten, ob diese bisherigen Nebenkriegsschauplätze angesichts des geringen Umfangs der einzelnen Ebooks nicht die fortlaufende Handlung zu erdrücken drohen, da hinsichtlich der Hintergründe seiner beiden Hauptprotagonisten auch noch Aufklärungsarbeit betrieben werden muss.

Strukturtechnisch hat Christian Humberg sich noch nicht ganz auf den Ebook Heftumfang eingeschossen. Wie im ersten Band zieht er nicht nur das anfänglich gemütliche, aber nicht phlegmatische Tempo an, sondern ist gezwungen, sich auf den letzten Seiten zu überschlagen. Den „Gotham Noir“ Romanen täte ein deutlich flexiblerer Umfang gut, da „Kollateralschaden“ und wie auch „Vier Stunden Ewigkeit“ Platz für mehr Stoff geboten hätten. Zusammengefasst ist „Vier Stunden Ewigkeit“ hinsichtlich der Flynn Elliot Handlung der originellere Band der beiden „Gotham Noir“ Ebooks. Die Charakterentwicklung schreitet zwar voran, aber die grundlegende Handlung wirkt durch die verschiedenen Ebenen variabler und interessanter. Es bleibt abzuwarten, ob der Autor schließlich auf die bislang nicht notwendigen „Buddy“ Schemata verfällt und damit den verschiedenen, von Christian Humberg in Interviews angesprochenen Serien folgt oder ob die neue „666“ Akte am Ende des zweiten Buches doch eher für Konfrontation denn Kooperation spricht. Ersteres könnte der Serie gut tun. Solide Unterhaltung mit einigen interessanten Ideen ist „Gotham Noir“ weiterhin eine Serie mit Potential, das Christian Humberg noch nicht ganz zufrieden stellend aufs Papier gebracht hat.   

E- Book, Rohde Verlag, 100 Seiten

Erschienen September 2013

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