The Magazine of Fantasy & Science Fiction 01/02 2013

Gordon van Gelder (Hrsg.)

Die erste offizielle Ausgabe des Jahres 2013 präsentiert sich mit einem eher unscheinbaren Titelbild, das sich auf „Watching the Cow“ aus der Feder von Alex Irvine bezieht. Wie viele der Storys dieser Ausgabe scheinen Plot und literarische Umsetzung in die eine oder andere Richtung zu wenig harmonieren, so dass als Gesamtfazit ein erstaunlich unspektakulärer Jahresauftakt für „The Magazine of Fantasy & Science Fiction“ zu Buche steht.

 

"Watching the Cow" von Alex Irvine ist einer der seltenen Geschichten, in denen die Prämisse und der technische Hintergrund nicht überzeugen, die aber den Leser aufgrund der souveränen Erzählweise und der sympathisch gezeichneten Figuren trotzdem ansprechen.

Während eines VR Spieles verlieren zwei Millionen Kinder ihr Augenlicht. Während die Eltern in einer eher zurückhaltenden Panik sind, verhalten sich die Kinder ruhig. Als wenn ihre Sinne eine neue Ebene erreicht haben. Da es sich um die Schwester des ich- Erzählers handelt, die diese Katastrophe durch Änderungen im Sourcecode verursacht hat, erhält sie eine zweite Chance, den Kindern das Augenlicht zurückzugeben. Der grundlegende Plot ist zu wenig überzeugend herausgearbeitet und das Erscheinen der virtuellen Kuh eher ein Gimick als eine überzeugende Alternative. Aber als Geschichte ist "Watching the Cow" von Irvine mit einem skeptisch melancholischen Unterton der Vierziger Generation überzeugend niedergeschrieben worden.

 

David Gerrold präsentiert mit "Night Train to Paris" eine von zwei Zuggeschichten. Sie basiert auf seinen Erfahrungen während einer Europareise. Der Erzähler präsentiert sich als ein wenig arroganter Amerikaner, der nach dem Besuch einer Convention in den Nachtzug steigt. Sein Gegenüber erzählt ihm, dass auf fast jeder nächtlichen Fahrt ein Passagier aus unerklärlichen Gründen verschwindet, die Gesellschaft aus kommerziellen Gründen die Fahrten aber nicht abbrechen kann. So gut die Story auch geschrieben sein mag und so sehr sich Gerrold um einen subtilen Stil bemüht, so wenig überraschend ist die zu offene Auflösung der Prämisse. Eine durchschnittliche "Twilight Zone" Geschichte mit latent autobiographischen Bezügen ist herausgekommen. Auch Ken Lius "A brief History of the Trans- Pacific Tunnel" befriedigt nicht gänzlich. Einer der wenigen überlebenden Arbeiter des in den vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts gestarteten gigantischen Projekt - ein Tunnel von den USA nach Japan - schwelgt in dunklen Erinnerungen. Wer die Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg in Erinnerung hat und die unmenschlichen Bedingungen, unter den die Gefangenen arbeiten mußten, wird vom Verlauf des Plots wenig überrascht sein. Ken Lius angenehm melancholischer Stil und die fiktiven historischen Fakten runden eine lesenswerte, aber angesichts seines Potentials auch zu oberflächlich gestaltete Story nur zufrieden stellend ab.

 

Albert E. Cowdreys „A Haunting in Love City” verbindet im Grund die beiden Themen Geister/Himmel und Reisen. Seine beiden Protagonisten Jimmy und Morrie sollen in einer kleinen texanischen Stadt mit dem ironischen Namen Love City ein verfluchtes Haus untersuchen, das im Grunde den aufkeimenden Immobilienboom durch seinen schlechten Ruf blockiert. Der Plot ist wie bei „Night Train to Paris“ vorhersehbar und da die beiden aus mehreren Geschichten bekannten Protagonisten keine neuen Charakterzüge zeigen, plätschert der Plot eher lustlos bis zum wenig überzeugenden und auf keinen Fall überraschenden Ende dahin. 

 

Auch Deswond Warzels „The blue Celeb“ gehört zu den mysteriösen Geschichten, in denen Fahrzeuge indirekt eine Rolle spielen. Zwei Männer betreiben seit vielen Jahren in einem sich stetig negativ verändernden Harlem einen Friseursalon. Eines Tages wird in der Nähe des Ladens über Nacht ein auffälliges Auto – der Celeb aus dem Titel – abgestellt. Die Schlüssel stecken und trotzdem wird der Wagen nicht gestohlen. Statt dessen beginnen einige Schurke aus der Umgebung spurlos zu verschwinden. Mit einem sehr humorvollen Unterton und überzeugend gezeichneten, ganz normalen Charakteren erzählt Warzel sehr stringent seine Geschichte um eine vielleicht imaginäre Bedrohung, das Übernehmen von Verantwortung und Nachbarschaftshilfe, die von der Umsetzung, aber nicht der Grundidee an Stephen Kings frühe Arbeiten in einem deutlich besser nuancierten Tonfall erinnert. 

 

Matthew Hughes „Devil or Angel“ gehört zu einem Zyklus von jetzt drei Romanen um eine sinnbildliche Hölle und die Idee der Rehabilitierung im Jenseits durch gute Taten natürlich im Diesseits. Was als humorvolle doppeldeutige Liebesgeschichte im Musikmilieu anfängt endet schließlich auf den Schultern zweier Neugeborenen, denen ihr Leben schon im verzerrten Liebessinne vorgezeichnet werden soll. Das hohe Tempo und den hintergründigen Humor kann Matthew Hughes nicht ganz durchhalten, aber die Geschichte von den Herausforderungen im Jenseits und den sich irrenden strengen Engeln kann man nicht ernst nehmen, sondern als überzogene Farce in einem Rutsch gut lesen.

 

Zu den unterschätzten Höhepunkten dieser Ausgabe aufgrund mangelnder phantastischer Elemente gehört eine Geschichte über die Depression. „This is how you disappear“ von Dale Bailey ist eine dunkle, nachdenklich stimmende, aber auch schwer zu lesende Story, deren Gehalt unglaublich komprimiert und deswegen auch ergreifend präsentiert wird. 

Auf der emotionalen Ebene spricht „Ten Lights and ten Darks“ von Judith Moffett nicht nur Hundeliebhaber an. Ein Reporter soll über einen Tierbesprecher schreiben, der auf einer emotional telepathischen Ebene mit Hunden kommunizieren kann. Die anfängliche Skepsis eines nicht zu erklärenden und für den ganzen Text nicht erklärten Phänomens weicht schließlich Bewunderung. Moffett schreibt über die Menschen, die mit offenen Augen durch die Welt gehen und die mutig genug sind, auch ihre vorgefertigten zynischen Meinungen zu ändern.

 

Zu den modernen in einer wenig extrapolierten Gegenwart spielenden Kurzgeschichten gehört Robert Reeds „Among us“. Anscheinend leben Außerirdische unerkannt auf der Erde. Sie sind kaum zu erkennen. Nur ein Implantat und eine geringfügige Abweichung in der genetischen Struktur lassen den Verdacht aufkommen, das es Fremde sind. Eine mächtige Agentur mit unerschöpflichen Mitteln versucht diese Fremden schon vor ihrem natürlichen Tode aufzufinden, zu isolieren und im Grunde auch zu jagen. Eine zynische Abrechnung mit den gegenwärtigen Überwachungsstrategien, wobei der Facettenaufbau nicht immer zur Lesbarkeit beiträgt.  

 

Mit "Cosmopolis" und "Branded" geht Lucius Shepard sehr hart ins Gericht. Seine Filmkritiken gehören ohne Frage zu den Höhepunkten der verschiedenen "Magazine of Fantasy & Science Fiction" Ausgaben. Charles de Lint beginnt sich im Vergleich zu seiner Mitkritikerin Michelle West zu sehr im Kreis zu drehen. Zu viele Mittelteile von Zyklen, die er eigentlich nicht mehr besprechen wollte und zu viele Allgemeinheiten. Michelle West geht mit den von ihr rezensierten Romanen deutlich mehr ins Gericht. Dafür bespricht sie auch nur die Hälfte von Charles de Lints Büchern. Dafür findet Paul Di Fillipo in seiner Kolumne eine neue Art des semirealistischen Schreibens.

 

Wie schon angesprochen keine der stärksten „The Magazine of Fantasy & Science Fiction“ Ausgaben der letzten Zeit. Die Stammautoren wie Robert Reed und Alex Irvine liefern solide Durchschnittskost ab, während Ken Liu eher unter seinen Möglichkeiten bleibt, während Desmond Warzel ein überzeugendes Debüt abliefert.

 

Paperback, 252 Seiten

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