Die erste Vorstellung

Originaltitel: 
Opening Night
Land: 
USA
Laufzeit: 
139 min
Regie: 
John Cassavetes
Drehbuch: 
John Cassavetes
Darsteller: 
Gena Rowlands, John Cassavetes, Ben Gazzara
Kinostart: 
01.02.78

Inhalt & Filmkritik
von Thomas Harbach (für SF-Radio.net)

John Cassavetes „Opening Night“ aus dem Jahr 1977 beendet die zweite Obsession im Werk des amerikanischen Schauspielers und Regisseurs: die Auseinandersetzung mit dem Druck aber auch Begehren, auf der Bühne – nicht im Kino oder Fernsehen – sein Publikum zu begeistern und in den eigenen Bann zu schlagen. Schon in seinem ersten eigenständigen Film „Shadows“ ist eine der Handlungsebenen hinter den Kulissen der amerikanischen Offbroadway Nachtclubs angesiedelt. Cassavetes zeigt sehr naturalistisch das Leben der einfachen und unbekannten Schauspieler und Sänger, immer am Tropf der sie ausnutzenden Clubbesitzer und in schwindender Erwartung eines großen Engagements, das den Durchbruch bedeuten könnte. Mit „Die erste Vorstellung“ ist er einen Schritt weitergegangen. Zwischen „Frau unter Einfluss“ und „Gloria“ – beides Meisterleistungen seiner Ehefrau Gina Rowlands – ist sein programmatischer Film „Opening Night“ nicht zuletzt aufgrund seines persönlichen Dickkopfs untergegangen. Nach einer beeindruckenden Premiere und hervorragenden Reaktionen des Publikums hat sich Cassavetes entschlossen, das Ende noch einmal neu zu schneiden. Der Film konnte nach dieser Änderung in den Vereinigten Staaten keine größere Resonanz erzielen, die gezielte punktuelle Vermarktung fiel durch und die einzige Kopie schleppte sich über kurze Zeit von einem Offkino zum nächsten, bevor der Film im Grunde weltweit für fast zwanzig Jahre verschwunden ist. Dabei handelte es sich um den Eröffnungsfilm der Berlinale 1977! Erst eine Videoveröffentlichung führte zu einem neuen Kinostart auch in Deutschland und zu einer Wiederentdeckung von John Cassavetes Filmwerk.

Der interessante Aspekt an „Opening Night“ ist der auf den ersten Blick starke Kontrast zwischen John Cassavetes cineastischer Einstellung und dem Stil, mit dem er sich hier auseinandersetzt. Seine ersten beiden Filme „Shadows“ und „Faces“ lebten von der Improvisation. Auch wenn er zumindest am Ende seines erstens Werkes dem Publikum suggeriert, aus dem Gefühl heraus ohne Drehbuch und Proben eine Portrait der New Yorker Boheme gedreht zu haben, lebten seine frühen Arbeiten von ihrer Unvorsehbarkeit; dem Flair, normalen Menschen des Mittelstandes bei ihrem täglichen Kampf gegen mehr oder minder selbst geschaffene Geister über die Schulter schauen zu dürfen. In der vorliegenden Verfilmung der Inszenierung eines Theaterstücks – „The second Woman“ – geht es Cassavettes um das Method Acting, die Überwindung der Distanz zwischen der Realität und dem imaginären Charakter. Kein Versuch, sich durch die Schwierigkeiten des Lebens zu winden, sondern mit den komplexen und komplizierten imaginären Figuren zu verschmelzen. Das Theater in dieser Form soll kein Spiel mehr sein, sondern eine andere Art des Lebens. Schon in seinen ersten Filmen hat Cassavettes vor Scorsese und vor Altman Ideen des französischen „Nouvelle Vague“ erkannt und für das amerikanische Kino neu interpretiert. Seinen ersten Werken fehlt die Hoffnungslosigkeit, die Schwermut der französischen Vorbilder, er beschreibt ein Niemandsland zwischen dem Zweiten Weltkrieg der Elterngeneration und dem bevorstehenden Vietnamkrieg, eine Zeit, in der wirtschaftlicher Wohlstand – seine Mittelklasse, die Cassavetes mit fast inniger Hassliebe immer wieder als hohle Metaphern entlarvt – und soziales Elend Hand in Hand ein neues, nicht unbedingt strahlendes Amerika formten. Mit „Opening Night“ wendet er sich kurzzeitig vom Elend des Bürgertums ab und durchdringt die Fassade des Theaters, reduziert dessen Glanz und Gloria auf dessen wichtigste Komponente – den Menschen.

Ben Gazarra – ein alt bekanntes Gesicht in Cassavettes Filmfamilie – ist Theaterregisseur. Er soll ein Stück der Autorin Sarah Goode adaptieren, die Premiere ist in wenigen Tagen, die einzelnen Versatzstücke passen immer noch nicht zusammen. Er droht die Kontrolle über die Inszenierung zu verlieren. Seine Hauptdarstellerin – Gina Rowlands – kommt mir ihrer Rolle nicht klar. Sie soll eine alternde, kinderlose Frau spielen, die an den verpassten Chancen ihres Lebens zu zerbrechen droht. Mit ihrem Ex-Liebhaber hinter der Bühne und in der Rolle des Ehemanns auf den Brettern, welche die Welt bedeuten, entsteht ein weiterer Konfliktherd. John Cassavetes als Rowlands Ehemann im richtigen Leben ist in die Rolle geschlüpft. Zwischen der Generalprobe und der Premiere sind weitere Proben erforderlich. Der egoistische Regisseur versucht seine Hauptdarstellerin davon zu überzeugen, dass sie die Rolle trotz ihrer Erfahrung nicht spielen kann, sondern leben muss. So lässt er Schlüsselszenen immer wieder üben. Sie muss eine Ohrfeige ihres Ehemanns hinnehmen. In Cassavetes Filmen eskaliert der eheliche Dampfkessel auch nicht selten in einer Eruption aus Gewalt, die dann mit sinnlosen Gerede wieder unter den Teppich gekehrt, aber niemals bereinigt wird. Die Schauspielerin hat dieser Aggression nichts entgegen zu setzen. Einmal weicht sie allerdings sehr geschickt dem Schlag aus, ein zweites Mal schmeißt sie die Probe. Ihr Regisseur erkennt, dass ihre schauspielerischen Möglichkeiten im emotionalen Bereich anscheinend unterentwickelt sind und beginnt sie unqualifiziert zu provozieren. Der Regisseur will sie zwingen, ihrer Demütigung einen körperlichen Ausdruck zu verleihen. Bei dieser Szene verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Fiktion. Als Ehefrau im Stück gedemütigt, als Schauspielerin denunziert, die nicht „richtig“ spielen kann. Diese emotional dramatische Situation entlädt sich auf eine außergewöhnliche Art. Die Schauspielerin schlägt ihren Partner und ihren Regisseur. Auf ungewöhnliche Weise wird der Ansatz des Method Actings originell unterlaufen. Denn diese besondere Ausbildung soll den Schauspieler befähigen zuverlässig und wiederholbar die Situation des Charakters in der Szene wirklich zu erleben, immer wieder mit der gleichen Spontaneität und Überraschung wie ein Mensch im wirklichen Leben. Eine ausgewogene Balance zwischen Kontrolle und Impulsivität wird durch einen konkreten künstlerischen Schaffensprozeß gesteuert.

Im Zentrum dieses Films steht der stetige Konflikt zwischen dem Method Acting und der Improvisation. Dabei ist das Method Acting ein Schauspieltraining nach der Arbeit von Lee Strasberg und dessen Nachfolgern nicht unumstritten.

Das Ziel von Method Acting ist es Schauspieler so auszubilden, daß sie jede schauspielerische Aufgabe erfüllen können und dabei echte Gefühle auf der Bühne oder vor der Kamera erleben und diese auf theatralisch wertvolle Weise ausdrücken können. Für Cassavetes zählt mehr die Reflektion des Lebens in seinen Dramen, in „Opening Night“ versucht er die Irrealität des Theaterstücks an einem realen Menschen auszuprobieren. Dabei steht die Autorin des Stückes für das klassische und eben definierte Method Acting, während Myrtle in Person Gina Rowlands für die Improvisation steht. Sie wehrt sich gegen die fast klassischen Klischees, das kinderlose, einsame, ältere Frauen per Definition unattraktiv sind und an ihrem Leben verzweifeln müssen. Allerdings schlägt sich Cassavetes auf die Seite des Method Acting und stellt sein eigenes Frühwerk in Frage. In einer Passage des Filmes dürfen Rowlands und er auf der Bühne ihren wahren Emotionen freien Lauf lassen und gegen die Stringenz ihrer Rolle anspielen. Die Kamera beginnt ihre neutrale Beobachterposition zu verlassen. Die Mischung aus Halbtotalen mit unscharfen Kopfumrissen des Publikums im Bild wird gänzlich aufgegeben, aus dem eher unterkühlt inszenierten Film wird eine Mischung aus Burleske und Komödie. Natürlich sind die Grenzen fließend, aber unbewusst versucht Cassavetes darauf hinzuweisen, dass seine frühen Filme in ihrer Intention nur eine Zeiterscheinung gewesen sind. Ein Teil des seines kontinuierlichen Experiments mit dem Medium Film. Einen Augenblick hat der Zuschauer das Gefühl, als wolle sich John Cassavetes selbst von den vielen, aus seiner Sicht zweitklassigen Regisseuren mit drittklassigen, profanen Drehbüchern freischwimmen, die seine Karriere mitbestimmt haben. Nur seine Vision, seine Beharrlichkeit und phasenweise seine Arroganz, das Publikum nicht unterhalten, sondern zu schockieren bis schikanieren – ins Person seiner Hauptdarsteller, denen Cassavetes aus emotionaler Hinsicht oft Höchstleistungen abverlangt hat – zu wollen, haben seine einzigartigen, aber nicht immer erfolgreichen Filme ermöglicht. Allerdings geht Cassavetes auch einen bemerkenswerten Kompromiss mit seinem Publikum ein. Die Katharsis erfolgt durch den Tod eines ihrer Fans. Die Schauspielern erlebt diesen unvermittelten Einbruch in ihre „heile“ selbst zufriedene Welt. Sie beginnt ihre Umgebung und vor allem ihr bisheriges Leben zu hinterfragen. In vielen seiner früheren Filme brachen diese „Ereignisse“ aus den Charakteren selbst hervor, ein Überdruss mit dem bisherigen Leben, Misserfolg im Beruf, mangelnde Kommunikation und schließlich die große Langeweile in einem begüterten Umfeld. Hier dringt die Tragödie unvermittelt von außen ein, wird zu einem Symbol für den Zuschauer, aber auch die Protagonisten. Während ein Teil der mit Peter Falk, Seymor Cassel und dem Regisseur Peter Bogdanovich exzellent besetzten „Schauspieler“ mit ihrem Leben umgehend weitermachen und die schreckliche Ereignisse wie ein Bericht im Fernsehen vergessen wollen, hinterlässt das Ereignis in Myrtle deutliche Spuren.

Im Grunde bleibt allerdings John Cassavetes in seiner Botschaft sowie seinen Ambitionen ambivalent, wie in „Shadows“ mit der verlogenen Texttafel am Ende, in welcher auf die überwiegende Improvisation der Darstellung hingewiesen worden ist, während der Film über Jahre mit einer kleinen, befreundeten Theatergruppe einstudiert worden ist. Diese Scheinheiligkeit setzt sich in „Opening Night“ fort, der Zuschauer hat den Eindruck, als wolle Cassavetes die Künstlichkeit des Spieles auf der einen Seite als absolute notwendige Grundlage etablieren, auf der anderen Seite als übertriebene oberflächliche Farce entlarven. Beide Interpretationen sind möglich, definitive Antworten gibt es in seinen Filmen nicht. Genau wie sein Regisseur, der sich oft und heftig gegen den Vorwurf des Intellektuellen gewehrt hat, in seiner Konzeption und Vision allerdings unterstrichen hat, das sein Kino nicht für die breite Masse – den Mittelstand, der er Zeit seines Lebens als hohl, oberflächlich und egoistisch entlarvt hat -, sondern für ein mitdenkendes Publikum gemacht worden ist.

Der Film ist stilistisch eine Meisterleistung. Nicht zuletzt aufgrund des kleinen Budgets mit sicherer, manchmal ungewöhnlich verspielter Hand inszeniert. Zusammen mit „Gloria“ und „Frau unter Einfluss“ ist er vielleicht auch das am leichtesten zugängliche Werk in John Cassavettes Schaffen. Während er in dem gleichzeitig veröffentlichten „Die Ermordung eines chinesischen Buchmachers“ die Konventionen des Gangsterkinos zu interpretieren sucht, bleibt er bei „Opening Night“ seiner Linie treu. Er untersucht auf der Bühne weiterhin das Phänomen der Ehe. Hinter der Bühne allerdings die komplexen Strukturen zwischen dem Leben und dem Versuch, dieses realistisch zu imitieren. Mit hervorragenden schauspielerischen Leistungen sowie einem griffigen Themenkomplex – vom in Würde altern über die schwierige Trennung zwischen Berufs- und Privatleben bis zum Tod - erscheint „Opening Night“ zeitlos und vielleicht wie einige seiner Filme heute in diesen medialen Zeiten präsenter denn je.

Koch Medias Veröffentlichung ist eine sorgfältige digitale Restaurierung des längsten bekannten Schnitts. Unbestätigte Quellen sprechen von einer ursprünglichen Lauflänge von fünf Stunden, aber der Erstschnitt seiner Filme war selten kürzer als drei Stunden, erst dann hat sich Cassavetes in mühevoller, aber elementarer Arbeit an den Feinschliff gemacht. Die Farben sind natürlich und kräftig, das Material in einem exzellenten Zustand, insbesondere die englische Tonspur mit soliden deutschen Untertiteln ist zu empfehlen. Dazu gibt es ein sechzehn Seiten umfassendes Booklet, das sich mehr als Ergänzung zu dem Text in der ersten John Cassavates Collection versteht. Weitere Extras finden sich nicht auf der DVD.

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