Clarkesworld 213

Neil Clarke (Hrsg.)

Neil Clarke setzt sich in seinem Vorwort mit dem Marketing für ein Online Magazin auseinander.  Dabei ist das Verteilen von alten gedruckten Magazinen in Bücherschränken eine analoge Methode.

Der Belgier Gunnar de Winter schreibt über Science Fiction und Träume. Es gibt ausreichend Bücher, in denen sich diese beiden Elemente miteinander verbinden.  Dazu kommt eine Auseinandersetzungen mit den einzelnen Traumphasen.

Arley Sorg interviewt mit Suyi Davies Okungbowa und Toboias S. Buckell/ Dave Klecha drei mehr oder minder etablierte Autoren. Suyi Davies Okungbowa geht auf seine afrikanischen Wurzeln ein, während er inzwischen in Kanada lebt. Buckell und Klecha befinden sich in unterschiedlichen Phasen ihrer literarischen Karriere, sind aber einige Projekte gemeinsam angegangen. Arley Sorg ist wieder ein sorgfältiger Zuhörer, der die richtigen Nachfragen stellt, so dass ein flüssiges Gespräch zu unterschiedlichen Themen in Gang kommt.

Sieben zum Teil längere Geschichten präsentiert Herausgeber Neil Clarke für den Juni.

Auf den ersten Blick scheint „Twenty-Four Hours“ von H.H. Pak keine phantastischen Elemente zu enthalten. Eine Frau kommt von ihrem Militärdienst auf Heimaturlaub und trifft für einen Tag ihre Mutter. Während der gemeinsamen Zeit erkennt der Leser einige Merkwürdigkeiten und ab der Mitte der Geschichte wird die Beziehung zwischen Mutter/ Tochter klarer. Trotz der Kürze sind die Figuren gut gezeichnet, allerdings lässt sich die vermeintliche Absicht des Autoren relativ früh erkennen, so dass die emotionale Wirkung des Endes schon frühzeitig verpufft.

S.B. Divyas „Artitistic Encounters of a Momumental Nature“ beinhaltet auch zwei konträre Charaktere. Eine Straßenkünstlerin und ihren Begleiter. Sie malen verbotenerweise Bilder auf die Natursteinformationen in einem Nationalpark. Die Bilder verschwinden nach einer kurzen Zeit, ohne das sie Spuren oder Schäden hinterlassen. Also moderne Klima Kleber. Plötzlich erscheinen die Gebilde oder Gebäude, welche die Protestler malen, real in der Umgebung. Technisch ist die Geschichte eher bemüht. Die Protestler tragen ihre Handys bei sich, sowohl die Monumente wie auch der Nationalpark sind eher spärlich bewacht und am Ende präsentiert der Autor eher wenig zufriedenstellende Auflösung der ganzen Situation.

Es ist nicht die einzige Protestgeschichte dieser Ausgabe. Mit etwas mehr als zweitausend Worten schafft es Luc Diamant, ein zeitloses Thema anzusprechen. Ein Schulmädchen protestiert auf eine originelle Art und Weise gegen den Ausschluss eines Jungen mit einem künstlichen Bein von einem lokalen sportlichen Wettkampf.  Sie erzeugt dabei eine Art Mini Klima um sich herum und drückt mittels Massen von Regen ihren Unwillen aus. Schnell ist sie nicht alleine, wobei Luc Diamant beide Positionen zu Wort kommen lässt. Die Geschichte ist in Form von E Mails geschrieben und wirkt eher kosmisch als satirisch.  Der Leser kann – trotz gegenteiliger Intention des Autoren- auch die Haltung der Schulleitung verstehen.

„Himalia“ (Carrie Vaugn) ist eine der längsten Geschichten dieser Ausgabe.  Die Geschichte spielt auf den Monden des Jupiters, auch der Titel ist eine Anspielung. Die Erzählerin kehrt nach vielen Jahren zum Ort ihrer Kindheit zurück. Die Menschen werden die Forschungsstation in naher Zukunft aufgeben. Eine Freundin versteckt sich in den Höhlen und möchte zurückbleiben.  Natürlich versucht die Erzählerin sie in der herausfordernden Atmosphäre zu finden und vor dem sicheren Tod zu retten.  Carrie Vaughn hat den Hintergrund ihrer Geschichte sehr gut recherchiert. Sie beschreibt die Herausforderungen und macht auch deutlich, dass die Aufgabe der Station aus wirtschaftlichen Gründen sinnvoll ist. Auf der emotionalen Ebene steht die Auseinandersetzung mit dem Begriff der Heimat und dem entsprechenden Gefühl, das die beiden Frauen miteinander verbindet, auch wenn sie jahrelang keinen Kontakt gehabt haben. Das Ende der Geschichte ist – je nach der Perspektive des Lesers – zwiespältig oder konsequent.  Carrie Vaugh verzichtet zumindest auf die Standardfloskeln.

Caroline M. Yoachims Geschichte „Our Chatbots Said, I Love You, Shall We Meetß “ fasst den Inhalt sehr gut zusammen. Avatare treffen sich, gesteuert von der künstlichen intelligenz dahinter, welche kontinuierlich alle Daten auswertet und ergänzt. Eine frau ist unentschlossen, den ihr vorgeschlagenen Partner in Persona zu treffen. Die Autorin fügt diesem alltäglichen Szenario noch eine weitere Note hinzu. Die Frau bespricht sich mit Simulationen ihrer Tochter und Mutter, um eine Entscheidung zu bekommen. Die letzte Idee führt zu einer Reihe von pointierten Dialogen und einigen  satirischen Seitenhieben auf die ganze Industrie, am Ende ist der Leser aber nicht unbedingt schlauer als zu Beginn.  

Aua dem Chinesen ist die längste Geschichte übersetzt worden. Tan Gangs „The Reflection of Sand” ist fest im buddhistischen Glauben und Chinas absurd erscheinender Wirtschaftspolitik verankert. Die Mogao- Grotten sind ein System auf mehreren hundert Höhlentempeln, in einer Flussoase an der Seidenstraße. Dunhuang ist 25 Kilometer entfernt.  In dem Weltkulturerbe finden sich 17 Meter hohe Sandsteinfelsen, die Mönche haben mehr als 1000 Höhlen künstlich gegraben. In ihnen finden sich Skulpturen, Buddha Statuen, aber auch Wandmalereien.  Ein Teil der Höhlen ist in der Gegenwart für den Tourismus geöffnet. In dieser Science Fiction Geschichte sollen die Artefakte aus den Höhlen an anderen Stellen entlang der Seidenstraße verteilt werden. Einige der Stauen landen sogar auf dem Mond in der chinesischen Siedlung.  Die Regierung möchte gleichzeitig eine Art Cloudbewusstsein etablieren, in das die „Seelen“ der Verstorbenen einziehen können. Der Transport des ganzen Berges bis zum Mond macht in dieser Form keinen technischen Sinn. Als Allegorie auf eine Regierung, welche glaubt, Berge versetzen zu können, um der eigenen Bevölkerung einen nicht endenden wollenden Quell des Wohlstandes zu schenken, funktioniert das Konzept vielleicht. Selbst für chinesische Verhältnisse muss Tan Gang hart arbeiten und sehr viele Informationen erklärend präsentieren, so dass der Lesefluss zu Beginn der Geschichte ordentlich gehemmt ist und zu viele Ideen auf zu wenig Raum treffen. Im Laufe der Plotentwicklung wird die Balance zwischen Hintergrund und Handlung deutlich besser. Aber die Geschichte alleine reicht nicht. Insbesondere westliche Leser sollten sich vorher in die Materie der Mogao Grotten einarbeiten, um die nicht immer subtil präsentierten Zwischentöne zu erkennen und den fiktiven technischen Aufwand zu würdigen, den die Chinesen hier ohne ökologische Not zu unternehmen suchen.

Cat McMahan feiert mit „Bodies“ ihren ersten professionellen Verkauf.  In einer Fabrik werden Klone von einer besonderen Geflügelart hergestellt. Es ist schwer, bei dieser kurzen Geschichte viel zusammenzufassen, ohne die Pointe zu verraten. Das alte Sprichwort „Wie Du mir, so ich Dir“ passt aber zu Teilen dieser Geschichte, wobei der Leser einige Wendungen im voraus erahnen kann. In dieser Hinsicht bietet die Geschichte wenige inhaltliche Überraschungen. Diese Schwäche wird durch einen angenehmen, fließenden Stil, pointierte Dialoge, aber vor allem auch erstaunlich dreidimensionale Charaktere ausgeglichen.

Der Juni bietet einen soliden, breiten Genre Mix aus interessanten, allerdings auf sehr phantastisch bemühten Ideen aufgebauten Geschichten und einigen satirisch sarkastischen Miniaturen. Im Vergleich zu den letzten, thematisch deutlich fokussierten „Clarkesworld"-Ausgaben fällt der Juni ein wenig schmalbrüstig aus.