Mit „Wiege der Schöpfung“ kehrt Stephen Baxter in das Arthur C. Clarke Territorium zurück, dass er neben den Kooperationen mit Arthur C. Clarke immer wieder beschritten hat. Nicht, dass er es mit den meisten seiner epochalen, an Olaf Stapledons Romane erinnernden und Äonen umfassenden Epen wie “Evolution” je wirklich verlassen hat. Immer schimmerte der lange Zeit auf Sri Lanka lebende Brite zwischen Baxters Seiten vorher und nickte dessen Ideen positiv ab.
Aber vom ersten Moment mit einem „Sternenkind“ – die zwanzig Jahre alte Salma wurde zwischen den Sternen aus den an Bord vorhandenen Embryonen ihrer Mutter „geboren“, als diese während der Expedition gestorben ist – Salma, dass das Objekt Planet Neun sieht, über die endlosen Reisen durch das Sonnensystem zu diesem Objekt, die selbst mit dem Helium 3 Antrieb um Jahre verkürzt und doch weitere Jahre dauern und schließlich der Begegnung mit mehr als nur einem an Vögel erinnernden Außerirdischen, atmet dieser alleinstehende Roman Arthur C. Clarkes einzigartiges, aber auch sperriges Werk mit jeder Seite aus.
Zusammen mit Gentry Lee hat Arthur C. Clarke mit „Die Wiege der Zukunft“ – im Original „Cradle“ – ebenfalls an einem geschrieben, wobei die verschiedenen Handlungsebenen auf der Erde spielen. Auch hier geht es um Schöpfungsprozesse, das Leben kein biologisch bedingtes Zufallsergebnis ist. Inhaltlich agiert Stephen Baxter allerdings deutlich kosmopolitischer, auch erzähltechnisch eleganter.
Obwohl Stephen Baxter die Handlung auf mehrere parallel laufende Ebenen verteilt, ist der Roman deutlich stringenter und vor allem strukturierter als einige seiner teilweise gegen Ende komplizierten, aber nicht mehr komplexen Doppel Romane oder Trilogien. In der Theorie strebt alles und jeder dem Planeten Neun entgegen. Planet Neun ist ungefähr Lichttage von der Sonne entfernt. Ein Raumschiff der Bewahrer, die sich gegen die Ausbeutung der Erde und die Kolonisation des Sonnensystems wenden, ansonsten politisch religiös ausgesprochen ambivalent sind, hat ein Raumschiff zu dieser möglichen Super Erde geschickt. Anscheinend handelt es sich aber weniger um einen bewohnbaren Planeten als ein Tor zu anderen Universen, ein Black Hole. Salma erkennt, dass aus diesem dunklen Gebilde Signale kommen und sendet diese leicht bearbeitet zurück. Damit will sie ausdrücken, dass die Menschheit den Weg zumindest außerhalb des Sonnensystems gefunden hat. Das „Ergebnis“ ist ein vogelähnliches Wesen, das sie finden und an Bord nehmen.
Die First Contact Geschichte entwickelt sich parallel zu zwei weiteren, inzwischen von der Erde ausgeschickten Expeditionen unterschiedlicher Interessensgruppen. Die Bewahrer haben also nur eine begrenzte Zeit – dabei handelt es sich weiterhin um Jahre - , um selbstständig und im Interessen ihrer eigenen Glaubensrichtung das Objekt zu erforschen.
Romantechnisch ist Salmas Handlungsebene der Dreh- und Angelpunkt des Buches. Die anderen beiden Spannungsbögen dienen bis weit in die Hälfte des zweiten Buchteils eher der Dynamik, der Dramaturgie. Es ist nicht das erste Mal, dass sich Stephen Baxter in der Exposition verliert und gegen Ende seiner umfangreichen Romane nicht mehr genug „Seiten“ hat, um die Handlung zufriedenstellend zu Ende zu bringen oder eine Überleitung zu den Fortsetzungen zu schlagen. Das Tempo von „Die Wiege der Schöpfung“ .
Die zweite und dritte Handlungsebene ist der ökologisch bedingte Wettlauf zweier Raumschiffe zu Planet Neun, wobei die „Bewahrer“ im Schatten der anderen Expedition Verstärkung schicken. Die menschliche Technik ist für einen Stephen Baxter Roman erstaunlich bodenständig. Die ökologische Krise hat die Erde noch immer fest im Krieg. Die Menschheit hat zwar einzelne Planeten und Monde kolonisiert, aber diese sind weiterhin von der Erde abhängig. So bearbeitet man zwar den Mond und hebt einzelne Bodenschätze wie Helium -3, um im Gegenzug Stickstoff zu kaufen, aber die Mondbewohner wissen, dass ihre Ressourcen begrenzt sind. Zusätzlich kann Helium- 3 auf einem der Mond des Saturns besser gefördert werden. Hier werden auch neue, schnellere und von Helium- 3 befeuerte Raumschiff Systeme gebaut, mit denen der Flug zum Planeten neun deutlich verkürzt werden kann. Stephen Baxter bemüht sich in diesen Zwischenkapiteln, ein realistisch technisches Szenario der Besiedlung des Sonnensystems ohne die Mystik der Pulp Geschichten zu beschreiben. Stephen Baxter folgt der Tradition eines Kim Stanley Robinson mit seinen Marsromanen, auch wenn neueren Lesern bis auf die kriegerischen Auseinandersetzungen natürlich James Corey „The Expanse“ Serie als erstes einfällt. Aber Baxter ist sich anderer Traditionen bewusst und neben Kim Stanley Robinson ist wahrscheinlich Ben Bovas Sonnensystem Serie ohne dessen teilweise verkitschte und nicht realistische Handlungen ein wichtiger Einfluss gewesen.
Der Wettlauf kumuliert in einer leichtsinnigen Aktion, bei welcher eines der Raumschiffe beschädigt und mehrere Menschen getötet werden. Neben den politischen Implikationen geht es kurzzeitig auch um den Konflikt zwischen den Ehepartnern. Stephen Baxter hat allerdings Probleme bei der Strukturierung seines Romans. Die dramatische Szene löst sich fast im Nichts auf, Stephen Baxter friert im Sonnensystem den Status Quo ein. Schnitt auf die Ankunft des Romans an Planet Neun. Dazwischen liegen immer noch mehrere Jahre Flug. Da Stephen Baxter sich gleich zu Beginn des Romans angesichts der ersten Expedition zu Planet Neun mit den Herausforderungen und Schwierigkeiten eines langfristigen Raumflugs auseinandergesetzt hat, braucht er sich nicht wiederholen. Das hilft generell dem Tempo der Geschichte, wirkt aber angesichts des ersten wirklich dynamischen Abschnitts im Roman wegen des angesprochenen abrupten Übergangs auch sehr hektisch aufgelöst.
Die Entdeckung des möglicherweise schwarzen Lochs ist für Stephen Baxter nicht ausreichend. Auch der Wettlauf zwischen zwei unterschiedlichen Raumschiffen mit teilweise exzentrischen, aber interessanten Charakteren – so kommt es zu einem Duell der Kommandanten, die vorher ein homosexuelles Ehepaar gewesen sind – ist nur ein relevanter Teil der Handlung. Stephen Baxter muss eine weitere Bedrohung in seinen Roman einbauen und damit die kosmopolitische Vision inklusive der für die Menschheit schwerwiegenden Entscheidungen noch deutlich verstärken. Der Wettlauf kumuliert in einer leichtsinnigen Aktion, bei welcher eines der Raumschiffe beschädigt und mehrere Menschen getötet werden. Neben den politischen Implikationen geht es kurzzeitig auch um den Konflikt zwischen den Ehepartnern. Stephen Baxter hat allerdings Probleme bei der Strukturierung seines Romans. Die dramatische Szene löst sich fast im Nichts auf, Stephen Baxter friert im Sonnensystem den Status Quo ein. Schnitt auf die Ankunft des Romans an Planet Neun. Dazwischen liegen immer noch mehrere Jahre Flug. Da Stephen Baxter sich gleich zu Beginn des Romans angesichts der ersten Expedition zu Planet Neun mit den Herausforderungen und Schwierigkeiten eines langfristigen Raumflugs auseinandergesetzt hat, braucht er sich nicht wiederholen. Das hilft generell dem Tempo der Geschichte, wirkt aber angesichts des ersten wirklich dynamischen Abschnitts im Roman wegen des angesprochenen abrupten Übergangs auch sehr hektisch aufgelöst.
Was in einigen anderen Bücher zu einer inhaltlichen Überlastung führen könnte, funktioniert in „Die Wiege der Schöpfung“ mit den angesprochenen Einschränkungen hinsichtlich des zeitlichen Ablaufs zufriedenstellend bis stellenweise gut. Solange sich Stephen Baxter auf den Plot konzentriert.
Zu den Schwächen gehört im vorliegenden Buch sein wieder verstärkter Hang, die Leser wissenschaftlich zu bilden. Beginnend mit der Begegnung am Planeten Neun und der Implikation eines schwarzen Lochs möglicherweise auch als Tor zu den Sternen folgen Exkursionen in den Bereich der Fest- und Flüssigtreibstoffe; dazu mathematische „Spielereien“ oder physikalische Phänomene. So gut Stephen Baxter mit dem Begriff der „Zeit“ innerhalb der Raumschiffe auf ihrer Reise und auch außerhalb in den politischen Systemen umgehen kann, so wenig konzentriert er sich auf die Folgen. Seine Protagonisten kommen gut damit zurecht, über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte entweder auf beengten Raum wie die erste Expedition der Bewahrer oder voller Luxus an Bord eines umgewandelten Kreuzfahrtraumschiffs, das Perry Rhodan Leser in mehr als einer Hinsicht an die SOL erinnert, durchs All zu fliegen. Immer auf der Suche nach tatsächlich mindestens einer neuen Welt. Dieser Kontrast zwischen wissenschaftlich angetriebenen Dialogen und fehlender emotionaler Spannung macht den mittleren Abschnitt des Buches zu einer leichten Herausforderung, da der Leser mehr über das fremde vogelartige Wesen und natürlich den Planeten Neun erfahren möchte als Stephen Baxter zu diesem Zeitpunkt bereit ist, mit seinen Lesern zu teilen.
Kaum sind alle relevanten “Protagonisten” an einem Ort des Geschehens konzentriert, baut Stephen Baxter eine weitere, fast klischeehaft wirkende “Gefahr” auf. Das Ende der Erde und der Menschheit könnte schneller und von einer anderen Seite kommen als mit dem Klimawandel,der grassierenden Industrialisierung, der Überbevölkerung und der Ausbeutung von Ressourcen gedacht.
Der Autor zieht eine indirekte rote Linie zum schwarzen Loch/zum Planeten Neun/ zum Tor zu anderen Welten. Mit jeder Entwicklung der einzelnen Facetten seiner Handlung bekommt das große, dumme Objekt jenseits des Sonnensystems eine neue, eine wichtigere, aber vor allem eine andere Struktur. Diese gleitende Neubewertung irritiert ein wenig, da sie den vorher etablierten Handlungsmustern/ Plotelementen nur folgen kann und spannungstechnisch Stephen Baxter auf jede “Herausforderung” zwar in der Praxis die gleiche Lösung , aber in seiner literarischen Theorie eine andere Alternative präsentiert. Die Abfolge geht gegen Ende der Story fast nahtlos ineinander über, so dass eine intensivere Beschäftigung nicht notwendig ist. Es ist sowieso alles anders als der Leser denkt.
Neben dem außerirdischen Wesen Federlein - anscheinend ein Kollateralschaden - betritt Terminus die Bühne. Hier ist Nomen nicht gleich Omen. Ab diesem Moment wird “Die Wiege der Schöpfung” kosmopolitisch.
Es ist nicht nur eine First Contact Story, im Grunde sind es zwei. Die erste Begegnung mit Federlein wirkt wie eine Vorbereitung nicht nur der Leser, sondern auch der inzwischen bunt durchmischten Crew der beiden Raumschiffe auf das, was das schwarze Loch oder Planet neun in Wirklichkeit ist. Arthur C. Clarke hat es beginnend mit seiner Kurzgeschichte “The Sentinel” vorgemacht. Es sind viele Wunder dort draußen und nicht alle sind feindselig. Schon seit vielen Jahren entwickelt Stephen Baxter moderne, philosophische Space Operas, in denen der Menschen - immer noch unreif bis naiv - der größte Feind des Menschen ist. Die Astronauten begegnen auf dem Weg zu den Sternen naturwissenschaftlich ausgesprochen ausführlich extrapolierten Naturwundern oder wie im vorliegenden Roman einem großen Plan, der mit einem schwarzen Loch beginnt. Kriegstreiberei findet nur unter den Menschen statt, wie es Stephen Baxter basierend auf der gegenwärtigen Flüchtlingskrise in “ Die Tausend Erden” drastisch auf den Punkt gebracht hat. Am Ende von “Die Wiege der Schöpfung” präsentiert Stephen Baxter eine ebenfalls auf Dialogen aufgebaute Lösung bei einem ganz anderen Problem.
Der Klappentext schreibt: “ Dort draußen ist etwas und es will mit uns sprechen”. Das fasst die Handlung sehr gut zusammen. Es will aber nicht nur mit den Menschen sprechen, sondern setzt schon seit einiger Zeit ein markantes Zeichen. Das ist Dreh- und Angelpunkt dieser Geschichte. Unsterblichkeit in welcher Form auch immer ist eine Herausforderung und gleichzeitig auch eine Bürde, wenn sie mit Opfern verbunden ist. Vor diese Entscheidung werden die Menschen an Bord der beiden Raumschiffe um Planet Neun herum gestellt. Anstatt die Dramaturgie weiter zu steigern und das Thema komplexer aus verschiedenen Perspektiven zu diskutieren, findet Stephen Baxter einen ausgesprochen stringenten, pragmatischen Weg. Nach dem Gespräch ist alles geklärt. Auf Augenhöhe. Das wirkt wie ein Anti Höhepunkt und wirkt auch stellenweise befremdlich, vielleicht zu simpel. Damit soll nicht ausgedrückt werden, dass die Idee hinter der Wiege der Schöpfung langweilig oder wenig originell ist. Das Gegenteil ist der Fall. Aber es handelt sich um eine Art Büchse der Pandora, nach deren Öffnung es keinen Weg zurück gibt. Aber der Preis ist so hoch, dass die Menschen ihn gar nicht akzeptieren können. Und auch nach Stephen Baxter nicht einmal müssen, weil der einzige für die Wiege sprechende Katalysator “abgestellt” werden kann. Das wirkt dann final ein wenig zu pragmatisch.
“Die Wiege der Schöpfung” ist im direkten Vergleich zu “Die tausend Erden” deutlich schwächer. Alle Stärken Stephen Baxters mit zufriedenstellenden Charakteren; einem kosmischen Rätsel; einer realistischen Auseinandersetzung mit den Herausforderungen der Raumfahrt und schließlich den Begegnungen über und auf/ in dem Planeten Neun sind vorhanden. Aber spannungstechnisch flacht das Buch gegen Ende hin stark ab, so dass viele zu Puzzlestücke zu schnell und zu wenig herausfordernd zueinanderpassen, als das “Die Wiege der Schöpfung” zu Stephen Baxters besten Büchern gezählt werden kann. Immer noch gut unterhaltend mit einem visionären Blick in kosmische Wunder, wie es - wie eingangs erwähnt - in erster Linie Arthur C. Clarke über viele Jahre präsentiert hat, aber leider auch nicht den letzten Schritt mehr, um aus dem Roman ein Meisterwerk wie “Die tausend Erden” zu machen.
- Herausgeber : Heyne Verlag; Deutsche Erstausgabe Edition (12. Februar 2025)
- Sprache : Deutsch
- Broschiert : 560 Seiten
- ISBN-10 : 3453323483
- ISBN-13 : 978-3453323483
- Originaltitel : Creation Node