„Krieg der Schrecken“ vereinigt eine längere Novelle und zwei kürzere Texte des 1966 auf Kuba geborenen und seit dem Jahr 2000 in Barcelona wohnenden Kubaners Vlad Hernandez. Der Hintergrund der drei Texte – die Auseinandersetzung mit den insektoiden Schrecken – ist gleich. Es ist die erste eigenständige Veröffentlichung eines aus Kuba stammenden Autoren. Wer sich über die Entwicklung der Science-Fiction und Phantastik in den letzten dreißig Jahren auf der kleinen Insel informieren möchte, dem sei ein Artikel aus einer 2016er Ausgabe des Magazins LOCUS empfohlen. Ein kurzes Nachwort oder einige genehmigte Zitate aus dem angesprochenen, sehr informativen Artikel hätten die Präsentation der drei Geschichte deutlich zufriedenstellender abgerundet.
Es lohnt sich, die zwei kürzeren und den längeren Text nicht in der in der Sammlung vorgegebenen Reihenfolge anzugehen. In „Die bleiche Schrecke“ erfährt der Leser am meisten in seiner komprimierter Form über diese insektoide Rasse und ihren Expansionsdrang aus der Sicht eines Insiders, der gleichzeitig durch seine Herkunft auch ein Außenseiter ist. Die Geschichte lebt vor allem von seinem Informationsgehalt, wobei ans Ende der Sammlung gestellt, viele Fakten insbesondere auch sehr unterhaltsam präsentiert aus „Die Emperatriz“ bekannt ist. Das Spektrum ist aber breiter. Wie in der Novelle geht es weniger um die klassische Auseinandersetzung mit dem Feind, sondern einer Art Verstehen. Im Vergleich zur ersten Geschichte scheint „Die bleiche Schrecke“ aus der Sicht der Fremden erzählt worden zu sein. Der Hintergrund wird aber erst auf den letzten Seiten deutlicher und umfasst Ideen, die sowohl in „Die Emeratriz“ als auch der Novelle „Wesen des Kriegs“ angerissen worden sind. Während die beiden angesprochenen Geschichten eher vor dem Hintergrund der Military SF funktionieren, handelt es sich bei „Die bleiche Schrecke“ um eine fast philosophisch dunkle Betrachtung, welche an Longyears „Enemy Mine“ Zyklus als Ganzes und weniger nur die bekannte verfilmte Novelle erinnert.
In der erst genannten geht es vor allem um eine Mischung aus „Alien“ mit Aspekten der waghalsigen Unternehmung in „Alien IV“ und den Space Western, die vor allem die Serie „Firefly“ so geschickt aufgezogen hat. Im Grunde reicht der Plot für eine längere Novelle. Die Ich- Erzählerin befindet sich in einer schwierigen Lage. Sie ist alleine auf ihrem Schiff und wird von einer Emperatriz, einer der Königinnen der Schrecken bedroht. Wie sie in diese Lage gekommen ist, zeigt der lange Rückblick. Da es sich um eine Ich- Erzählerin handelt, könnte diese intime Erzählebene der Geschichte die Spannung nehmen.
Der Autor löst dieses Problem geschickt und für den Leser auch ein wenig frustrierend. Das Ende ist offen, die finale Auseinandersetzung wirkt auf den Bereich außerhalb der Geschichte vertagt. Bis dahin lernt man eine Reihe von interessanten, aber auch exzentrischen Figuren kennen. Da wäre die Erzählerin und Besitzerin eines kleinen Raumschiffs. Sie ist Spezialistin für unmögliche Situationen und Handelsgeschäfte. Im Grunde kann sie fast alles verkaufen. Dann gibt es ihren neuen Liebhaber Kyle, der sie dazu überredet, die Emperaratriz zu befreien.
Den Menschen ist während des immerhin schon fünfzehn Jahre andauernden Vernichtungskriegs gegen die insektoiden Schrecken – daher hätte das Buch auch eher „Krieg gegen die Schrecken“ als „Krieg der Schrecken“ heißen sollen – bislang nur ein einziges Mal gelungen, eine Königin lebendig zu fangen. Und Kyle möchte sie befreien und meistbietend verkaufen. Um neben seiner Geliebten auch eine Handvoll Söldner anwerben zu können, verspricht er ihnen einen ultimativen Preis: Unsterblichkeit. Mehr und mehr im Verlaufe des geradlinig erzählten Plot erweitert Vlad Hernandez den Horizont seiner Geschichte, in dem er für Trickdiebe markante Wendungen einführt und schließlich die Identität einer der Figuren auf den Kopf stellt.
Die Erkenntnis kommt spät, aber nicht zu spät, dass viele der Söldner und Glücksritter im Grunde nur benutzt worden sind, damit der Plan hinter dem Plan erfüllt werden kann. Vielleicht werden diese Wendungen durch die relative Kürze der Geschichte zu hektisch erzählt und der eigentliche Diebstahl findet wie das Ende der Geschichte nicht auf Augenhöhe der Leser statt. Alleine die Ergebnisse werden gezeigt. Bis dahin präsentiert sich diese Auftaktgeschichte – sie sollte allerdings nach „Die bleiche Schrecke“ als zweite Story der Sammlung gelesen werden – aber wie ein klassisches Gangstergarn mit sympathischen Schurken, distanzierten kaum vorhandenen Ordnungskräften vor dem Hintergrund eines chaotischen Universums mit einem Feind, der allerdings wie eine Mischung aus riesigem Insekt und einem aus den Filmen bekannten Alien erscheint. Aber da die Erzählerin ihrer Gegnerin durch ihre Erzählung mehr Persönlichkeit schenkt, als diese selbst ausstrahlt, liest sich der ganze Plot ausgesprochen kurzweilig. Der offene Rahmen sorgt ebenfalls dafür, dass der Leser wissen möchte, wie die Erzählerin gegen alle guten Absichten in diese außerordentlichen Schwierigkeiten geraten ist.
Die Novelle „Wesen des Krieges“ erinnert in ihrer Ausgestaltung ein wenig an Lucius Shepards frühe Arbeiten. Der Dschungelkrieg auf einem fernen Planeten mit den Schrecken auf der einen Seite und den biomechanisch hoch gezüchteten Soldaten auf der anderen Seite spielt im Grunde eine untergeordnete Rolle. Paco als Mitglied dieser Elitetruppe dient als Mittler nicht nur zwischen dem immerhin schon fünfzehn Jahre andauernden Krieg und dem Leser, sondern später auch zwischen zwei erstaunlich unterschiedlichen Gruppen.
Hernandez packt in diese auf den ersten Blick simple Kriegshandlung erstaunlich viele ungewöhnliche Ideen. Der Schwenk ist die Heimat ist eine virtuelle Realität als Urlaubsparadies, in das sich die Soldaten „zurückziehen“ können. Hier spart der Autor nicht mit einigen Seitenhiebe auf das vordergründige Dollarparadies des immer noch herrschenden Kommunismus und die auf dieser fiktiven Erde herrschende Unwissenheit dem Konflikt gegenüber. Eine andere, auf den ersten Blick nicht neue, in dieser Umsetzung aber interessante und schließlich in „Die bleiche Schrecke“ noch mal angesprochene Idee ist, dass die Schrecken im Grunde die Galaxis nur vor den Menschen als wilde, emporstrebende, aber auch unehrliche Rasse schützen wollen. Diese Idee wird wie die Modifizierung der Soldaten inklusiv ihrer Entfremdung gegenüber ihren Auftraggebern eher im Vorbeigehen angesprochen.
Es ist schade, dass der Autor diese Aspekte nicht in einer noch längeren Form extrapoliert, da ausreichend Raum vorhanden gewesen wäre. Auch die Begegnung zwischen Paco und den „anderen“ Söldnern in der Isolation des Dschungels trägt ein wenig die Züge nicht nur des schon angesprochenen Shepards, sondern erinnert auch die Surrealität Joseph Conrads und seinem „Hearts of Darkness“. Ohne militärisch zu sehr abzuweichen, die einzelnen Auseinandersetzungen aber auch zu blutig zu beschreiben, entwickelt der Autor eine bizarre Niemandslandatmosphäre, in welcher dieser Kampf wahrscheinlich ewig mit nur Verlierern ausgetragen werden könnte. Zurückbleibt eine über weite Strecke interessante, aber durch die Komprimierung einiger Themen auch hektisch wirkende Novelle, die immer wieder aus dem Off heraus einen Blick hinter die Kulissen erlaubt, während die Haupthandlung solide voranschreitet.
Durch die wechselnde Perspektiven mit allerdings immer wiederkehrenden Themen fügen sich die drei Geschichten zu einem interessanten Episodenroman zusammen, der aus dem bekannten und inzwischen auch klischeehaften Grundthemas – der Kampf gegen die wie Insekten aussehenden Aliens – auf eine allerdings nicht unbedingt spezifisch kubanische, sondern eher globale Art und Weise etwas stellenweise Originelles zaubert. Viele der guten Ideen werden eher gestreift als extrapoliert. Höhepunkt ist vielleicht zu Beginn die Gaunergeschichte, auf die zumindest indirekt in der Novelle noch einmal hinsichtlich der Entwicklung dieser neuen perfekt getarnten Gegner Bezug genommen wird. Die abschließende philosophische Extrapolation in „Die bleiche Schrecke“ fügt viele weitere Informationen auch einer gänzlich anderen Perspektive hinzu, so dass Vlad Hernandez in seinem Episodenroman „Krieg der Schrecken“ gut unterhält und den Leser an einigen Stellen auch trotz mancher Actionszenen zum Nachdenken und vor allem Reflektieren des gerade Gelesenen anregt.
Krieg der Schrecken
Autor: Vlad Hernandez
Ins Deutsche übersetzt von: Pia Biundo
Verlag: Saphir im Stahl
Taschenbuch, 173 Seiten
ISBN 978-3-943948-71-1