Die Schiffbrüchigen der Zeit Band 10: Die große Plage

Die Schiffbrüchigen der Zeit, Band 10, Titelbild, Rezension
Paul Gillon

 "Die große Plage" ist das zehnte und letzte Album der "Schiffbrüchigen der Zeit". Zwischen der Publikation der ersten Geschichte und dem abschließenden Band liegen nicht nur fünfzehn Jahre – 1974 bis 1989 -, sondern eine ganze Comicgeneration. Den Geist der Siebziger, aus dem heraus diese in erster Linie Science Fantasy Serie geboren worden ist, hat Paul Gillon sowohl als Zeichner in Zusammenarbeit mit Jean- Claude Forest, sowie ab Band fünf als Zeichner/ Texter niemals ablegen können.  Auch wenn Zeichner/ Texter Paul Gillon einen sehr großen Handlungsabschnitt mit einem süßsauren Beigeschmack zum Abschluss bringt, bleiben sehr viele Fragen offen.

Inhaltlich ist der Komplex um die Erde und ihre potentielle Zukunft abgeschlossen. Aber auch hier wehrt sich Paul Gillon mit Händen und Füßen, um Antworten zu geben. Diese Vorgehensweise ist vor allem in einem Punkt befremdlich. "Die große Plage" und ihre biologische Ursache wird bekämpft. Angeblich haben die Menschen der Zukunft ja lange auf das Erwachen der Schiffbrüchigen der Zeit warten müssen. Selbst die Kapsel hat so lange ausgeharrt, bis Chris wieder zurück kommt und Form eines Kommandounternehmens eine Gruppe von Freiwilligen ins Innere der Erde führt, um die Ursache in Form einer Art Geschwür zu bekämpfen. Warum die Zukunftsmenschen aber von ihrer eindrucksvollen Basis unter dem Meer ausgehend nicht direkt das Geschwür bekämpft haben, bleibt ungesagt. Mit Chris an der Spitze entwickelt sich auf jeden Fall eine sehr farbenfrohe, psychedelische Reise ins Innere der Erde.

Paul Gillon opfert - um die Gefährlichkeit der Expedition auszudrücken - einige Nebenfiguren. Typisch für ihn ist aber, dass Chris keinen echten Sieg erringen kann. Durch die insgesamt zehn Alben zieht sich die kontinuierliche Idee des Pyrrhussieges. Die kleinen Erfolge werden und können das Gesamtbild nicht ändern. Darum wirkt das Ende des Zyklus auch eher süßsauer. Die großspurigen Pläne können nicht umgesetzt werden und die Erde wird den Menschen weiterhin auf eine ganz andere Art und Weise verschlossen bleiben.

Im Umkehrschluss liegt die Zukunft der Menschheit weiterhin in den Tiefen des Alls und auf den anderen, zahllosen fremdartigen und doch bewohnbaren Planeten.

Die letzte Reise unter der Erde und vor allem über dem Planeten erzählt Paul Gillon auf den sehr hektisch und eher wie in einem Actionfilm zusammenlaufenden Spannungsbögen erstaunlich nihilistisch. Am Ende des neunten Albums sind ja Valerie und eine der weibliche Offiziere von Bord des Raumschiffs gegen alle Befehle zur Erde geflohen. Maya folgt ihnen. Sie landen in der Nähe einer versunkenen Stadt  und werden prompt von zerlumpten menschenähnlichen Kannibalen festgenommen. Nur Maya kann sich verstecken und ihnen in ein versunkenes, aber sehr gut erkennbares Venedig folgen. Hier kommt es zur Begegnung mit einem mutierten, örtlichen Herrscher. Paul Gillon spielt ein wenig mit den Erwartungen der Leser. Äußerlich handelt es sich um degenerierte Barbaren, die aufgrund ihrer körperlichen Defizite wie eine Mischung aus Zootieren und  den Morlocks aus der Zeitmaschine aussehen. Eine echte Zivilisation gibt es nicht mehr. Die wenigen überlebenden menschlichen Wesen sind in das Zeitalter der Barbarei zurückgefallen. Kein Novum in dieser Serie. Auf einigen Planeten sind Valerie und Chris vor allem niederen Zivilisationen begegnet und auch die Gefahren beginnen sich zu wiederholen. 

Alleine die Nachkommen der Menschen haben durch verschiedene Verästelungen eine hochstehende technologisch überlegene, streng oligarchisch geordnete Zivilisation errichtet, die vor allem in den Tiefen des Alls mit zahlreichen Stationen und kastigen Raumschiffen lebt. Auf den Planeten, die sie mit archaisch erscheinenen Städten voller Palästen bevölkert haben, herrscht Dekadenz und ein gepflegtes Gefühl der Langeweile vor.   

Paul Gillon verzichtet zwar auf die Idee des Klassenkampfes, aber seine entwickelten Zivilisationen hinterlassen einen müden Eindruck. Als wenn sie nicht nur regierungstechnisch den Höhepunkt überschritten haben. Chris erscheint da wie eine Art technokratischer Heiland wider Willen. Das er Skyla und Karybtis zugleich ist, geht am Ende dieses lange Zeit sehr rasant erzählten, dann aber viel zu abrupt und dem Zufall geschuldet beendeten Albums fast unter.

 Auf der zweiten Handlungsebene verfolgt der Leser vor allem durch Mayas Beobachtungen diese untergegangene Welt. Paul Gillon orientiert sich ein wenig am New Wave, in dem er die Barbarei über die menschliche Zivilisation siegen lässt. Aber inhaltlich bleibt er seiner Linie treu. Frauen sind Opfer. In diesem Fall unfreiwillige Blutspender. Es herrscht wie angesprochen Anarchie und Barbarei. Der Zeichner ist sich nicht zu schade, eine der Nebenfiguren brutal und aus dem Nichts heraus zu opfern, um die Gefährlichkeit dieser Gruppe herauszustellen. Auf der anderen Seite wirkt die abschließende Flucht nach einer erneuten Gefangennahme viel zu hektisch und erstaunlich wenig spannend erzählt. Da die beiden Handlungsarme zusammenfließen müssen, weiß der Leser, dass es eine Rettung in letzter Sekunde geben wird und wie in den letzten Geschichten auch geben muss.   

 Darauf baut auch ein anderer Aspekt auf. Die potentielle Liebesgeschichte wirkt relativ pragmatisch fast nebenbei aufgelöst. Auch wenn Chris Valerie wieder aus einer extrem schwierigen, im Grunde unmöglichen Situation retten muss, greift Paul Gillon nicht mehr auf die teilweise inzwischen mechanisch eingesetzten Handlungsmuster zurück. Auf der anderen, negativen Seite dagegen scheut er auch vor abschließenden Antworten zurück und lässt im zwischenmenschlichen Bereich zu viel offen. Obwohl Chris und Maya wie mehrfach in den vorangegangenen Alben zusammen passen und Maya fast gegen jede Logik immer wieder trotz der Gefahr, Chris an die andere Schiffbrüchige der Zeit zu verlieren, hinter Valerie her läuft, wirkt diese Beziehungsebene noch weniger abgeschlossen oder auch nur fortgeschrieben.  Wieder geht die interessante und vielschichtige Figur der Maya insbesondere im direkten Vergleich zu zickigen, arroganten und selbst verliebten Valerie förmlich unter.

 Paul Gillon bindet sich in diesem abschließenden Band zu sehr an das Albumformat. Die Geschichte hätte mit zwanzig oder dreißig Seiten mehr Umfang sehr viel besser gewirkt und die abschließenden Ecken/ Kanten hätten zufriedenstellender geglättet werden können. Zu Beginn setzt Gillon trotz einiger Actionszenen vor allem auf Stimmungen. Die Odyssee nach Venedig und dann vor allem durch die Lagunenstadt ist absichtlich nach den Postkartenmotiven inklusiv der Gondeln gestaltet worden. Der Leser kennt die Perspektiven, um dann förmlich von den Ruinen erschlagen zu werden. Die vermoderten verfallenen Gebäude und schließlich auch die Kannibalen. Wer sich intensiv mit der ganzen Reihe auseinandersetzt, wirkt erkennen, wie absichtlich diese Szenen ausgewählt worden sind. Sie finden sich in den ersten Alben während des Betretens der einzelnen Raumstationen oder Städte durch Chris fast spiegelverkehrt ebenfalls wieder. Natürlich ist Venedig ein bekannterer Ort als die phantasievoll erschaffenen, aber sehr leeren Siedlungen oder Stationen der Zukunft. Aber die wunderschön exzentrischen, verfremdenden Farben in Kombination mit den teilweise großformatigen Bildern bilden einen hervorragenden Abschluss des letzten Albums und zeigen noch einmal auf, welch besondere Stimmungen Paul Gillon in dieser Science Fantasy Serie immer wieder erzeugt hat.

 Der Titel ist ja eine Hommage an Jules Vernes „Die geheimnisvolle Insel“, der im französischen Original „Die Schiffbrüchigen des Luftmeeres“ heißt. Und wie bei Jules Verne werden nicht nur die Zeitreisenden hin und her getrieben. Es ist eine seltsame, unerklärliche Welt, der sie begegnen. Während am Ende die geheimnisvolle Insel allerdings durch einen Vulkanausbruch untergeht und wahrscheinlich Nemo sowie die Nautilus mit sich nimmt, steht den beiden Protagonisten Chris und Valerie der ganze Kosmos bis auf die Erde wahrscheinlich auf unterschiedlichen Wegen offen. 

Und das kann der Leser durchaus als hoffnungsvolles Happy End bewerten.

Zeichner

Autor/ ZeichnerPaul Gillon
EinbandHardcover
Seiten56
Band10 von 10
VerlagSplitter Verlag
ISBN978-3-95839-109-3
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