Clarkesworld 140

Neil Clarke (Hrsg.)

 Neil Clarke spricht in seinem Vorwort davon, was ihm die Science Fiction seit seinen Studientagen gegeben hat, viel interessanter ist Regina Kany Wangs Essay  über die Evolution der chinesischen Science Fiction im westlichen Ausland. Wie genau dieser Überblick ist, werden deutsche Leser vor allem an der Erwähnung des 1984 von Herbert W.  Franke publizierten Bands „SF aus China“ sowie weiteren  Hinweise auf deutsche Veröffentlichungen chinesischer  Kurzgeschichten sehen können.  Schon vor einigen Jahren hat Chris Urie den finnischen Autoren Hannu Rajaniemi interviewt. In „Clarkesworld“ 140 findet sich ein weiteres Gespräch, wobei vor allem auf dessen letzten Roman eingegangen  wird.  Mark Cole setzt  sich mit den gigantischen Robotern/ Kriegsmaschinen/ japanischen Monstren auseinander, wobei er seinen Bogen beginnend bei „The Last Jedi“ in die tiefste Vergangenheit des Subgenres schlägt, um dann durchaus kritisch wieder in der Gegenwart anzukommen. 

Auf den ersten Blick ist der erste Nachdruck „Cold Comfort“ von Pat Murphy und Paul Doherty interessant.  Maggie ist eine beherzte Wissenschaftlerin,  welche  den Klimawandel durch das Einfangen von Methan über der Arktis und den entsprechen Verkauf von Carbon stoppen möchte. Natürlich wird das Projekt von der kommerziellen Industrie angegangen. Sie muss in die Einsamkeit fliehen.

Die Erzählstruktur in Form eines eher distanzierten Berichts arbeitet gegen die beiden Autoren. Vor allem konzentriert sich die Erzählerin in erster Linie auf ihre eigenen Handlungen und weniger die potentiellen Folgen. Dadurch schockiert auch die angedachte Soforthilfe in Form einer Artenbereinigung nicht sonderlich. Der Stil  ist sehr belehrend und am Ende versuchen Murphy und Doherty eine Art Happy End zu konstruieren, das wie die ganze Geschichte trotz der sehr interessanten Grundidee nicht richtig funktioniert. 

Michael J. Flynns „In Panic Town on the Backward Moon“ leidet ebenfalls unter einem ambitionierten, aber nicht zufriedenstellenden Ende sowie einem über weite Strecken auch belehrenden Ton. Mickey arbeitet für die Raumhafenbehörde auf dem Marsmond Phobos. Ein Artefakt wahrscheinlich außerirdischen Ursprungs verschwindet. Mickey macht sich auf die Suche. Der Aufbau und die Struktur erinnert nicht nur zufällig an „Die Spur des Falken“. Auch das auf den ersten Blick enttäuschende Ende ist in dieser Hinsicht konsequent und orientiert sich an Hammetts Roman.  Das Artefakt wird zu einer Art MacGuffin, dessen Existenz mehr und mehr in Frage gestellt werden muss. Es ist schade, dass sich der Autor nicht mehr Mühe hinsichtlich der Zeichnung der einzelnen Figuren gemacht hat, so dass deren Schicksal für den Leser mehr nachvollziehbar und emotional ansprechender gewesen wäre.

Über weite Strecken während der Suche nach dem heiligen Gral allerdings eine gut geschriebene und vor allem sehr spannende Geschichte.  

Zwei längere und zwei kürzere Storys erscheinen das erste Mal in dieser „Clarkesworld“ Nummer. „A Vastness“ von Bo Balder eröffnet den Reigen, wobei sowohl die Kurzgeschichtenstruktur als auch die einzelnen Charaktere eher enttäuschend wirken. Yoshi und ihre Mitstudentin verfolgen ein mysteriöses Alien mit dem bezeichnenden Namen Guardian in die Tiefen des Alls. 

Die Struktur der Geschichte ist unlogisch. Yoshi möchte den Beweis für die Existenz dieser Fremden führen, denen sie auf ihrem Heimatplaneten begegnet ist. Warum sie dazu allerdings nicht zu dieser Welt zurückkehrt, sondern eine Schnitzeljagd in den Tiefen des Alls beginnt wird nicht überzeugend genug erklärt.

Auch bei der Planung dieser Suche nach den Fremden gibt es eine Reihe von Schwierigkeiten. Die einzelnen Protagonisten stellen sich lamentierend und weniger argumentierend quer.  Immer wieder fordert Bo Balder von ihren Lesern Geduld, um umständlich einzelne Punkte zu erläutern und dann wieder über den Haufen zu werfen.  Auch das Ende soll mysteriös wirken, befriedigt aber an keiner Stelle.

Die Grundidee einer der besten Geschichten ist bizarr: In „Not Now“ von Chelsea Muzar zerstört der abgefallene Arm eines riesigen Roboters Teile des   Hauses  und damit auch das Zimmer des Erzählers, ein Teenager. Stilistisch ansprechend versucht der Teenager das Geschehen seriös und ernsthaft in Worte zu fassen.  Sie ist schockiert, als ihre beste Freundin sie im Stich lässt und die Öffentlichkeit aus den Opfern potentielle Schuldige an der Katastrophe macht. Wahrscheinlich dient die Story Grundlage als eine Art Allegorie hinsichtlich des Schicksals der  Anderen. Der Roboterarm könnte in einem Kriegsgebiet einer einschlagenden Drohne entsprechen.  Aus dieser Prämisse macht die Autorin dann allerdings zu wenig und das fatalistische Ende schließt leider nur den Kreis anstatt zumindest einige Antworten hinsichtlich der verschiedenen Ideen zu liefern. Damit wird sehr viel Potential verschenk

 Sally Gwylans „Fleeing Oslyge“ ist eine Military Science Fiction Story. Nach mehr als siebenhundert Jahren der Isolation wird ein Kolonialplanet von einer anderen Gruppe von menschlichen Siedlern überfallen. Die Protagonistin flieht vor den fremden Truppen, die ihre Heimatstadt angreifen und schließt sich vier Soldaten an, welche die versprengten Reste der eigenen Einheit suchen.

 Ausschließlich aus der Perspektive des Widerstandes erzählt schafft es die Autorin, ein durchaus komplexes Bild zu zeichnen und vor allem den Hintergrund mit dem Kolonialplaneten zugänglich und gleichzeitig exotisch genug zu entwickeln. Das Ende ist eher ambivalent. Die Idee dieser kleinen Widerstandsgruppe ist nicht einzigartig genug, um die entsprechenden Opfer zu rechtfertigen. Im Grunde greift die Autorin tief in die militärische Geschichte und zieht eine von vielen Ideen des Widerstandes gegen Invasoren von der Erde heraus, ohne diese der Situation oder gar der exotischen Umgebung anzupassen. Hier hätte ein wenig mehr Originalität vor allem nach der langen, düsteren Reise der Protagonisten gut getan.

 Die längste Story dieser Sammlung hat Ken Liu aus dem Chinesischen übersetzt. „Farewell, Doraemon“ stammt von A. Que, einer Autorin, die in den letzten „Clarkesworld“ Ausgaben regelmäßig allerdings auch mit qualitativ nicht immer gleichwertigen Geschichten vertreten gewesen ist.

 Ein junger Mann kehrt nach dem beruflichen Frontalaufprall – seine Freundin hat ihn betrogen, so dass er nicht mehr in der Lage gewesen ist, sich auf die Arbeit zu konzentrieren – in sein Heimatdorf und zu seinen Eltern zurück. Er sucht wieder Kontakt zu seiner ersten Liebe und versucht gleichzeitig ein Geheimnis zu lösen, das ihn seit seinen Jugendjahren beschäftigt hat.

 Über weite Strecken zeichnet A. Que ein nicht phantastisches Portrait der gegenwärtigen sozialen Situation in China mit einem Großteil der Bevölkerung, der von ihren Eltern getrieben auf Bildung und Schule verzichtet, um jung in den zahllosen Fabriken zu arbeiten.

 Interessant ist, dass die Autorin durch das einzige phantastische Element der Geschichte impliziert, dass die nicht immer schönen Erfahrungen der Vergangenheit ein Fundament für eine bessere Zukunft bilden können, sondern das die Vergangenheit mindestens des Protagonisten verändert werden kann. Dabei fokussiert sie sich auf das individuelle Schicksal. Im übertragenen Sinne könnten alle Protagonisten ihre Vergangenheit unter bestimmten Umständen verändern/ verbessern, was ganz andere Kausalketten nach sich ziehen würde. Neben dem zuckersüßen Ende ist es vor allem die fehlende Grundlogik, welch den Plot abschließend eher bemüht erscheinen lässt. Im Grunde hat Stephen King mit „11/22/63“ alles zu diesem Thema geschrieben und aufgezeigt, dass ein positives Momentum in der Vergangenheit nicht der Funke für eine glorreiche Zukunft sein muss oder auch nur kann.

 Natürlich kann der Leser die Schuldgefühle des Protagonisten nachvollziehen, wobei er neutral gesprochen weniger Täter als ein weiteres Opfer ist. Aber die Art und Weise, auf welche A. Que diese Problematik lösen möchte, ist eher pragmatisch einfallslos und reiht sich nahtlos in eine Reihe von Storys dieser „Clarkesworld“ Nummer, welche nicht überzeugen können.

 Nach mehreren überdurchschnittlichen „Clarkesworld“ Ausgaben überzeugt der Mai 2018 leider nicht. Fast alle Geschichten weisen neben einigen wissenschaftlichen Unmöglichkeiten viel zu simple und wenig nachdenklich stimmende Pointen auf, welche die teilweise interessanten und originellen Ideen subversiv und kontraproduktiv unterminieren.