Forever Magazine 74

Neil Clarke (Hrsg.)

Herausgeber Neil Clarke geht in seinem Vorwort auf seine verschiedenen Krankheiten in Zeiten von Corona ein. In dieser März Ausgabe seines Nachdruckmagazins präsentiert der Amerikaner drei Novellen bzw. Novelletten und keine klassische Kurzgeschichte.

Michael Bishops Novelle „To the Land of Light“  erschien vor einigen Jahren unter dem Titel „Twenty Lights to 'The Land of Snow'“. Der alte Titel passt auch besser zu einer Geschichte um ein Generationenraumschiff voller tibetanischer Mönche und dem gewählten Dalai Lama auf dem Flug zu den Sternen.  Neil Clarke ist aber nicht der erste, der die Geschichte nachgedruckt hat. Neben der Veröffentlichung in der „Year´s Best“ Anthologie erschien sie auf der Baen Books Seite sowie als Nachdruck in „Lightspeed“, einem weiteren Online Magazine. Damit soll nicht gesagt werden, dass die Novelle diese Veröffentlichungen nicht verdient, aber der Leser wünscht sich vielleicht manchmal unbekanntere Texte.

Das Thema Generationenraumschiff inklusiv der Erwartungen an die neue Welt sowie das Verlassen der Heimat ist altbekannt.  In wenigen Texten wie zum Beispiel Kim Stanley Robinsons „Aurora“ oder Michael Bishops hier vorliegender Novelle geht es nicht um die äußerliche Reise. Die wenigen Gefahren werden relativ sachlich abgehandelt. So verrechnet sich der alte Kapitän beim Kurs und stirbt kurze Zeit später. Seine Vertretung kann das Problem aber unaufgeregt lösen. Die technischen Voraussetzungen sind in erster Linie auch politischer Natur, wobei auf die Details noch eingegangen werden muss. Auf dem Planeten finden die Aussiedler eine Art Paradies, das sie allerdings mit der Arbeit ihrer Hände und weniger Maschinen erobern wollen.

Das Tempo der Geschichte ist nicht sonderlich hoch, aber Michael Bishop verfügt über einen ausgesprochen angenehmen, aber niemals wirklich sentimentalen Stil.

Mit dem Auftreten des Erzählers – dem ersten weiblichen Dalai Lama – muss sich der Leser von seinen vor allem westlichen Vorstellungen verabschieden. Michael Bishop gibt zwar einige Informationen zu deren Religion und ihren Hintergründen, er erwartet allerdings auch eine gewisse Offenheit der Leser.

So können die Mönche ihre Mission zu der neuen Welt nur beginnen, weil sie den Chinesen versprechen, den als Vertreter Tibets weiterhin umstrittenen Dalai Lama mit zu den Sternen zu nehmen und den Chinesen damit ein Problem abnehmen. Da fließt das Geld um so leichter.

An Bord des Raumschiffs verbringen die Mönche ihre Zeit mit dem Errichten und anschließenden Zerstören von Sandgebilden. Abbildungen von Göttern. Da der Sand an Bord des Raumschiffs auf die mitgebrachte Masse begrenzt ist, müssen die Mönche wie bei einer Art Perpetuum Mobile so vorgehen. Ihre Handlungen unterstreichen aber auch ihre Unbeugsamkeit.

Ohne Widersprüche akzeptieren sie die Tatsache, dass der Dalai Lama quasi in einer Frau wiedergeboren worden ist. Die später mit ihrer Schwangerschaft ein zweites Novum setzt. Michael Bishop kommentiert die religiösen Aspekte in dieser zeitlosen Novelle nicht, er breitet sie nur dreidimensional vor den Lesern aus. Mit dieser Vorgehensweise manipuliert er auch ein wenig die Leser, denn böse sind immer die Anderen, während die tibetanischen Mönche auf dem Weg zu den Sternen grundsätzlich trotz einer gewissen unbekümmerten Naivität immer gut sind.

Die Faszination des Textes liegt in der Kombination aus unzähligen Science Fiction Geschichten vertrauten Elementen und eben dem asiatischen Touch dieser besonderen Religionsgemeinschaft.    

Der Titel scheint martialisch, aber in An Owomoyelas „The Charge and the Storm“ pasiert nach einem dynamischen Auftakt relativ wenig.  Die Menschen haben sich auf einem unwirtlichen Planeten angesiedelt. Es gibt aber keine Hintergrundinformationen und das Vorhaben wirkt eher aus Verzweiflung geboren.  Die Menschen teilen sich die Welt mit den Su, die technologisch den Menschen überlegen sind. Sie teilen auf eine geheimnisvolle Art und Weise die „Macht“ auf dem Planeten.

Die Autorin konzentriert sich auf die innere Perspektive ihrer Protagonistin. Bei starken Charakteren ein opportune Vorgehensweise. In diesem Fall funktioniert es allerdings nicht, weil Perta als Protagonistin zu wenig nachhaltig entwickelt worden ist.

Amad taucht bei Perta auf und bietet sie um einen Gefallen. Früher waren sie enge Freunde, inzwischen sind sie Rivalen, wobei Amad sie auch anscheinend im Stich gelassen hat. Perta gilt als eine Art Schöpferin, auch wenn sie noch keine eigenen Kinder und vor allem keinen Frieden mit den Menschen geschlossen hat.

Am Ende des in der Mitte auseinanderfallenden Plots kann sie sich mit ihrer Gefährten auf der persönlich emotionalen Ebene versöhnen, mit Arma findet sie für die zukünftige Zusammenarbeit eine Basis und ihr Konflikt mit den Menschen wird nicht gelöst, zumindest kanalisiert.

Eine stimmungsvolle, aber inhaltlich leider auch sehr mechanische Geschichte mit einem exzentrischen Hintergrund und einer grundsätzlich fremden Kultur, deren Versatzstücke aber nicht zu überzeugen wissen.

HigherWorks”  von  Gregory Norman Bossert ist eine Art Science Fiction Thriller. Dyer hat das Geheimnis von einer Art bewusstseinserweiternden Nanotechnologie verraten. Jetzt wird sie natürlich als Verräterin in einer Science Fiction Noir Zukunft gesucht.

Die Schwäche ist die Zeichnung der Protagonisten. Vor allem der offiziell von der technisch entblößten Firma ausgeschickte Handlanger/Schurke/ Auftragsmörder wirkt eindimensional. Dyes geht als Protagonist noch, auch wenn die Hintergründe und Motive eher in den Raum gestellt als wirklich nachhaltig entwickelt werden.

Das Tempo des Plots ist ausgesprochen hoch. Einen Hauptteil der Spannungskurve bildet die Frage, ob der Verrat aus Perspektive der Firma gerächt werden kann oder nicht. Letztes spräche für ein Happy End. Da Dyer ausschließlich reagieren kann und sich schon einige Zeit auf der Flucht befindet, hat sich inzwischen so etwas wie Routine eingestellt.

So ist Dyer eine Amerikanerin, die sich im United Kingdom aufhält. Die Engländer wollen sie nicht als Wirtschaftsflüchtling anerkennen, obwohl die Staaten in dieser Hinsicht auf das Niveau eines Entwicklungslandes heruntergearbeitet haben. Dazu kommt noch eine Hommage an die Drogenkultur, die teilweise verklärend erscheint.

Der Autor löst aber den Plot zufriedenstellend, wenn auch nicht das ganze Spektrum umfassend auf. Auf einige grundsätzliche Probleme wie intellektueller Besitz oder der Missbrauch von Ideen durch Konglomerate geht Gregroy Norman Bossert zu wenig ein, auch einzelne Abschnitte des Handlungsbogen werden durch auf den ersten Blick amüsant erscheinende Dialoge, die auf den zweiten Blick eher konstruiert erscheint, immer wieder unterbrochen.

„HigherWorks“ ist eine solide mittellange Geschichte, die ihr Potential aber nicht ausschöpfen kann. Gute Ansätze sind vor allem in der ersten Hälfte vorhanden, aber wie bei der anderen kürzeren Arbeit in dieser „Forever“ Ausgabe können die beiden Autoren sie nicht zufriedenstellend genug umsetzen.  

Daher bleibt nur Michael Bishop in vielen Punkten überragende Novelle als wirklich empfehlenswerte Lektüre übrig, während die beiden Kurzgeschichten leichte, aber nicht gänzlich zufriedenstellende Lektüre darstellen. 

Forever Magazine Issue 74 cover - click to view full size

E Book, 112 Seiten

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