„Waffenruhe“ – im Original deutlich effktiver „The Trigger“ genannt – ist eine Kooperation zwischen Arthur C. Clarke und dem Science Fiction Autoren Michael P. Kube- McDowell. Es ist sehr wahrscheinlich, das Arthur C. Clarke das Buch ursprünglich mit Mike McQuay verfassen wollte. Gemeinsam haben Clarke und McQuay die Grundlagen dieser modernen Technothriller in ihrer Kooperation „Richter 10“ drei Jahre vorher gelegt. McQuay überraschender Tod hat eine Planänderung bewirkt.
Sowohl „Waffenruhe“ als auch „Stärke 10“ ist gemeinsam, das eine technologische Idee positiv das Gesichts des Planeten und damit auch das friedliche Zusammenleben der Menschen verändern kann. In beiden Romanen dominiert die Skepsis der Öffentlichkeit, wobei „Stärke 10“ die extremistischen Reaktionen der verblendeten Minderheiten vor einem politisch verfremdeten Hintergrund nutzt. So sind die USA inzwischen durch einen religiösen Bürgerkrieg zerfallen und der Anführer der islamistischen Bruderschaft dominiert die Westküste. Auch in „Waffenruhe“ gibt es eine Art politischen Point-of-no-Return, ab welchem sich die den Leser vertraute nähere Geschichte verändert und insbesondere im Nahen Osten andere Entwicklungen einleiten könnte. Aber weder Clarke noch Kube- McDowell bauen diese Idee im Verlauf des umfangreichen Buches weiter aus. Vielmehr führen sie die Handlung nach einer ersten, fast cineastisch dargestellten, aber zutiefst menschlichen Szene in einem kambodianischen Reisfeld wieder zurück in die USA und konzentrieren sich auf eine anhaltende politische Diskussion um freie Selbstbestimmung und vor allem die Argumentation der Waffenlobbyisten.
Der Roman ist über zwanzig Jahre alt. Das Alter des Buches erkennt der Leser vor allem an den kleinen allgegenwärtigen technischen Details wie der Nutzung des Internets, von Handys, vielleicht auch der der Kommunikation. Das Thema des Buches ist zeitlos und wenn der Leser diese im Grunde vernachlässigbaren überholten technischen Hilfsmittel ignoriert, liest er ein Buch, dessen Thematik aktueller denn je ist. Nicht nur wegen des Kriegs in der Ukraine, sondern vor allem auch wegen der zahlreichen Amokläufe in den USA, den global operierenden schwer bewaffneten Terroristen und den Argumentationsketten der Waffenlobyisten, die Freiheit nicht als Grundrecht interpretieren, sondern als die beste Möglichkeit, den eigenen Willen gegen die Allgemeinheit durchzusetzen.
Die Ausgangsbasis könnte aus dem Mund der großen Pazifisten wie Ghandi oder Martin Luther King stammen: wie würde eine Welt nicht unbedingt gänzlich ohne Waffen aussehen, sondern ohne die Möglichkeit, sie immer und überall einzusetzen ?
Ausgangspunkt ist eine zufällige Erfindung, die Munition und Sprengstoff, selbst Feuerwerkskörper explodieren lässt, wenn sie in das künstlich erzeugte MacGuffin Feld – die technischen Beschreibungen sind für einen Clarke Roman positiv sehr überschaubar und allgemein verständlich gehalten – geraten.
Da es sich um eine private Forschung handelt, stellt sich die Frage, ab welchem Moment die (amerikanische) Regierung übernehmen soll und wie lange man das Geheimnis unter dem Teppich halten kann.
Der amerikanische Präsident ist ein ehemaliger Spitzensportler, eine Art weißer Obama, der mit einer bodenständigen, fast naiven und nicht parteipolitisch gefärbten Offenheit eher in Washington aneckt und Neider hat. Naiv will er die Welt zu einem friedlichen Planeten umwandeln, auf dem niemand gegen seinen Willen durch Waffen bedroht oder von ihnen umgebracht wird. Dabei spielt es zuerst keine Rolle, ob es sich um Militär, Kriminelle oder die paranoiden und damit sehr eindimensional dargestellten Waffenlobbyisten mit ihrer aggressiven Frontier und America First Mentalität handelt. Die neue absolute Defensivwaffe demonstriert der Präsident der Öffentlichkeit, in dem er ein Reisfeld in Kambodscha von den Mienen zahlloser Kriegsgegner innerhalb weniger Stunden durch das Initiieren der Explosionen warm räumen lässt.
Im Laufe der komplexen, aber niemals wirklich komplizierten, eher wie ein Politthriller denn einen klassischen Science Fiction Roman aufgebauten Handlung werden verschiedene Standpunkte kontrovers diskutiert. Reicht alleine das Ausschalten von Schusswaffen aus, um die Kriminalität in den Städten zurückzudrängen? Das Auge um Auge, Zahn um Zahn Prinzip als abschreckende Warnung dient als Ausgangspunkt der Diskussion. Der Präsident geht davon aus, das die Waffenträger mit den entsprechenden Risiken konfrontiert und gewarnt werden sollten. Alles andere inklusiv der Folgen liegt in ihren eigenen Händen. Natürlich kommt es zu einer neuen Art der Kriminalität und die Opfer können sich mangels Waffen weniger wehren. Hier werden vor allem Frauen aufgeführt, die ohne Waffe in der Hand/ Wohnung oder Tasche plötzlich zu Freiwild werden könnten. Der neue Begriff ist die Teamkriminalität, in welcher die Waffe durch zahlmäßige Überlegenheit ersetzt wird.
Auch die militärischen Konfrontationen spielen eine wichtige Rolle. Ab welchem Punkt wird aus der defensiven Verteidigungswaffe vielleicht eine Offensive. Nach dem aufgeführten Beispiel zeigen Clarke und McDowell allerdings erstaunlicherweise, das das Ausland – der Konfliktherd Nahost wird angesprochen – mit den Triggern sowie den entsprechend weiterentwickelten Jammer sehr gut zu Recht kommen und Frieden einkehrt. Dabei ignorieren die beiden Autoren einige der politischen Grundprobleme dieses sehr vielschichtigen Konfliktes. Steinschleudern und Armbrüste wären zum Beispiel nicht vom Trigger Effekt betroffen.
Einen breiten Raum nimmt die durch den Triger erzwungene geistige Veränderung der USA ein. Einen sehr breiten Raum beginnend mit den Prozessen vor dem Surpreme Court. Für die politischen Auseinandersetzungen benötigt der Roman auch die entsprechenden Antagonisten. Ob es Zufall oder Absicht ist, steht auf einem anderen Blatt, aber die Zeichnung der Waffenlobbiesten und damit auch der manipulierten extrem konservativen bis reaktionären Politiker wirkt deutlich schwarzweißer als vielleicht für deren politischen, so typisch verblendet amerikanischen Standpunkt notwendig ist. Das wirkt teilweise sehr extrem, wenn der ehemalige Präsident der NRA eine Senator umbringen will, der mit seiner vielleicht ein wenig arroganten, aber sehr humanistischen Einstellung eine Verbesserung der amerikanischen Gesellschaft aus der Rolle des schlechten Gewissens erreichen möchte. Einige weitere Klischees wie eine Entführung/ Erpressung runden den Plot gegen Ende eher weniger zufriedenstellend ab als es die Ausgangsbasis versprochen hat.
Hier liegt vielleicht die größte Schwäche der Kooperation. Arthur C. Clarke ist immer ein visionärer Autor gewesen. Mit kleinen Exkursen hat er vor allem auch in seinen letzten Soloromanen mehr Ideen präsentiert als viele andere Autoren in ganzen Trilogien. Dabei setzt der Brite vor allem auf den Schmetterlingseffekt, das sich wie der berühmte Flügelschlag eines Schmetterlings die Veränderung wellenartig und ab einem bestimmten Punkt nicht mehr umkehrbar ausbreitet. Dieser finale Ausblick fehlt „Waffenruhe“. In „Stärke 10“ wandte Clarke einen Science Fiction Trick an, um den berühmten nächsten Schritt zu gehen. Diese Ausflucht vermeiden die beiden Schriftsteller positiv, schaffen es aber auch nicht, die entsprechende Basis gegen Ende zu stabilisieren und über den berühmten Tellerrand zu schauen. „Fahrstuhl mit den Sternen“ verfügte über einen Epilog, in welchem die weitreichende Veränderung durch die Ingenieurwunderleistung viele Jahrhunderte in der Zukunft aus den Augen eines Außerirdischen betrachtet wird. Vielleicht hätte am Ende dieses Buches eine Art fiktiver Eintrag in das Geschichtsbuch der Menschheit gereicht, um die zahlreiche sozialen Implikationen, aber auch Schwierigkeiten hinsichtlich der wirklichen Befriedung der Menschen zusammenzufassen.
Daher ist es vor allem der mittlere Abschnitt, der durch die verschiedenen Argumentationsketten fasziniert und zeitlos wirkt. Es ist kein Actionbuch. Wie bei Michael Crichton geht es angesichts des brisanten Themas vielleicht nicht um die unmögliche komplette Durchdringung der Thematik, sondern das Gegenüberstellen von nicht immer logischen, aber auch nicht sofort von der Hand zu weisenden Argumenten. Der sympathische, sehr bodenständige amerikanische Präsident steht im Mittelpunkt des moralischen Dilemmas. Es gibt keine leichten Antworten, aber er steht auch für die Entschlossenheit, etwas aus seiner Sicht Unumstößliches wie Positives zu initiieren und nicht nur den ersten Schritt, sondern die ersten Meter zurückzulegen. Das wirkt angesichts der Spuren, die Trump hinterlassen hat, fast politisch naiv, aber entspricht dem zumindest fiktiven Selbstportrait der amerikanischen Öffentlichkeit mit ihrem globalen Sendungsbewusstsein als Bannerträger der eingeschränkten Demokratie, aber auch der Weltpolizei.
„Waffenruhe“ ist ein zeitloser Roman. Die technisch überholten Kleinigkeiten fallen nicht ins Gewicht, das Grundthema ist politisch noch relevanter als während der Entstehungsphase des Buches. Es ist die beste Kooperation in Arthur C. Clarkes langjährigem Schaffen, es ist wahrscheinlich sein bester Roman seit „Rendezvous mit Rama“ und mit einigen Einschränkungen seinem „Fahrstuhl zu den Sternen“.
- Herausgeber : Heyne; 1. Edition (1. September 2000)
- Sprache : Deutsch
- ISBN-10 : 3453169360
- ISBN-13 : 978-3453169364
- UNSPSC-Code : 55101500