The Chill

Jason Starr und Mick Bertilorenzi

Im Rahmen ihrer kurzlebigen „Vertigo Crime Reihe“ – Krimis mit übernatürlichen Elementen  im handlichen kleinen Hardcoverformat und schwarzweiß Zeichnungen – legt DC mit „The Chill“ eine Kooperation zwischen Jason Starr und Mick Bertilorenzi vor.

Der 1966  in Brooklyn geborene Jason Starr hat sich mit einer Reihe von vor allem in New York spielender Krimis und Thriller etabliert. Dabei legt der Amerikaner weniger Wert auf klassische Erzählmuster, sondern konzentriert sich auf die Subkultur des Big Apple.   „The Chill“ aus dem Jahr 2011 ist nicht sein erster Ausflug in den Bereich der Phantastik. Zeitgleich erschienen in den USA mit „The Pack“ und „The Craving“ zwei Werwolfgeschichten, in denen Jason Starr klassische Ermittlungsarbeit mit dem Werwolfmythos natürlich vor dem gegenwärtigen New Yorker Hintergrund miteinander kombinierte.

Der 1977 in Italien geborene Michele alias Mick Bertilorenzi hat sich in den letzten Jahren als Zeichner einer Reihe von Marvelcomics etabliert. Vor allem bei Wolfverine und X-Men hat er mit seinem markanten Bleistiftstrich Eindruck hinterlassen. Mit klassischen übernatürlichen Sujets kam der Zeichner in „X-Men: Curse of the Mutants – X-Men vs. Vampires“ in Berührung.

Auch wenn der größte Teil von „The Chill“ natürlich während eines heißen Sommers in New York spielt, hat die Geschichte ihre Wurzeln in Irland. Eine junge Frau lässt sich auf den ersten Sex mit einem Mann ein. Kurz vor dem Höhepunkt scheint der Mann zu erfrieren. Nur ihr Vater weiß, dass sie das druidische Erbe ihrer Mutter in sich trägt.

In New York wollen wir junge Männer einen schönen Abend verleben. Dafür sollen entsprechend Frauen aufgerissen werden. Innerhalb von Minuten hat einer der Jungs Erfolg und zieht mit einer schönen Frau ab. Am nächsten Tag findet man nur noch seinen Kopf, angebunden an einen besonderen Baum.

Police Detective Pavano steht vor einem Rätsel. Nur eine Sache ist sicher. Der junge Mann hat zusammen mit einer jungen Frau die Bar verlassen. Alle Zeugenaussagen unterscheiden sich derartig, dass man fast von Absicht sprechen kann. Die Überwachungskameras zeigen zusätzlich, daß die Frau anscheinend mehr als achtzig Jahre alt ist. Pavano steht vor einem Rätsel, zumal sich kurze Zeit später nach einer Betriebsfeier auf dem Dach eines der New Yorker Hochhäuser ein weiterer Todesfall ereignet. Sicher ist nur, dass das Opfer mit einer Frau aufs Dach gegangen ist. Selbstmord ist auszuschließen, denn dem Opfer fehlt ein Arm.

Pavano wird während seiner Ermittlungen von einem Bostoner Cop namens Martin Cleary angesprochen. Der Cop hat irische Wurzeln und bezeichnet sich selbst als erstes Opfer der jungen Frau mit Namen Ariana in Urlaub. Er berichtet von einer Art Fluch. Die Männer werden quasi eingefroren und müssen anschließend dreifach getötet werden. Das Ziel dieser Rituale ist Unsterblichkeit.

Jason Starr zeichnet zusammen mit Mick Bertilorenzi ein interessantes, ambivalentes Bild New Yorks. Bertilorenzi unterstreicht die Authentizität der Geschichte mit einem sehr klaren, die einzelnen Figuren differenziert darstellenden Zeichenstrich.  Mit verschiedenen Bildaufteilungen, aber vor allem auch ein Auge für Details entwickelt Bertilorenzi in einigen wichtigen Szenen eine entsprechend bedrohliche Atmosphäre. Anscheinend zwingt ihn allerdings auch der Plotverkauf, das er einzelne sexuelle Szenen fast ritualisiert wiederholen muss.

Im Gegensatz zu einigen anderen Vertigo Crime Bänden, in denen die übernatürlichen Elemente eine eher untergeordnete Rolle spielen, legen Starr und Bertilorenzi sehr viel Wert darauf, ihrer Geschichte eine Struktur zu geben. Dabei dominiert die  morbide Stimmung. Die Actionszenen mit dem Druiden wirken fast überzogen. Die dreifache Tötung der Opfer - meistens im Off erläutert, nur wenige mal direkt gezeigt - ist wahrscheinlich nichts für schwache Gemüter, aber die Szenen inklusive des Finals wirken teilweise grotesk überzeichnet, so dass man sie nicht wirklich “ernst” nehmen kann. Auch die Sexzenen befeuern eher die Phantasie der Leser als das sie ausgesprochen expliziert sind. 

Wie in seinen Thrillern konzentriert sich Jason Starr auf eine Gruppe von unsympathischen Figuren. Der überarbeitete und frische Vater Detective Pavano ist vielleicht die einzige Figur, die in dieser Geschichte für den Leser zugänglich ist. Immer am Rande der Versuchung bleibt er standhaft. Die übernatürliche Gefahr kann er nicht einschätzen. Sie übersteigt seine Erfahrungswerte als Cop.

Ariana und ihr Ziehvater Cormac suchen sich nach dem Verlust ihrer Unschuld im Irland der sechziger Jahre Opfer, die es auf unterschiedliche Art und Weise verdienen. Da wäre der Junge, der im Großstadtdschungel einfach nur ein Mädchen oder eine Frau flachlegen möchte. Auf der Betriebsfeier einer Kanzlei ist es der Chef, der seine Frau betrügen möchte, der die Karte Castingcouch spielt und dafür bestraft wird. Das dritte Opfer ist ein katholischer Priester, der in Ariana einen Jungen sieht. Ein klassischer Opfer der Angehörigen der katholischen Kirche. Das letzte Opfer ist vielleicht am ehesten unschuldig. Ein Professor mit irische Geschichte, den Ariana in eine Falle lockt. Während der Finals trifft sie natürlich auf einen Mann, der ihr nicht unbedingt gleichwertig ist, aber mit ihr mehr verbunden scheint, als es Jason Starr im Laufe der Handlung impliziert. 

Cormac ist ein klassischer Schurke. Besessen vom Gedanken, das der Fähigkeiten erst von Arianas Mutter, später der Tochter unsterblich zu werden, führt er die einzelnen rituellen Morde mit der Präzision eines Spezialisten aus. Er folgt den entsprechenden Vorgaben, wobei Jason Starr inklusiv der Exkursion zum “Wicker Man” diese dem Leser im mittleren Abschnitt der Geschichte ausführlich erläutert.

Ariana könnte das naive Opfer ihres Vaters sein. Sie hat keine eigenen Willen, hat sich nur einmal in ihrem Leben verliebt. Sie ist aber auch keine devote Frau, die alles unfreiwillig mitmacht. Das wird während des zynischen Endes deutlich. 

Die Geschichte zeichnet ein hohes Tempo auf. Der Plot spielt sich innerhalb weniger Tage ab. Der Widerspruch zum bisherigen Neun-Jahres-Zyklus hinsichtlich der rituellen Morde wird angesprochen, aber nicht aufgeklärt. Die Actionszenen sind gut gezeichnet, das Finale passend. Ariana/ Cormac sowie Cleary und Pavano fast gegeneinander arbeitend ziehen immer engere Kreise. Der Leser verfolgt das Geschehen ausschließlich auf Augenhöhe. Wissenstechnisch ist er vor allem Pavano mindestens einen Schritt voraus. Jason Starr arbeitet die Abneigung gegen mystische Rituale und Aberglauben zu wenig heraus. Der innere Widerstand Pavanos hält relativ lange an. Dabei spielt es nur eine untergeordnete Rolle, ob es sich um tatsächliche rituelle Morde handelt oder die Täter nur an die Wirkung ihrer Handlungen glauben. Die Opfer werden so oder so bestialisch förmlich hingerichtet. 

“The Chill” ist Jason Starrs Gesamtwerk betrachtend eine eher solide Geschichte, in welche seine Stärken als Autor mit wenig sympathischen Figuren und dem New Yorker Hintergrund gut einfließen. Der begrenzte Umfang der Vertigo Crime Comics lässt das Ende ein wenig zu hektisch, fast schon konstruiert erscheinen. In dieser Hinsicht ist vor allem das erste Drittel des Buches deutlich spannender und vielschichtiger.   

Aber zusammenfassend ist “The Chill” für Leser empfehlenswert, die ihren Horror ein wenig bodenständiger haben möchte und auf realistische Hintergründe Wert legen.           

 

The Chill

  • Herausgeber ‏ : ‎ Vertigo; 1. Edition (18. Januar 2011)
  • Sprache ‏ : ‎ Englisch
  • Taschenbuch ‏ : ‎ 192 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 1401225462
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-1401225469
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