Kluftinger

Volker Klüpfel & Michael Kobr

„Kluftinger“ ist der zehnte Band aus der Reihe von Allgäu Krimis, geschrieben von Volker Klüpfel und Michael Kobr. „Kluftinger“ ist aber noch ein wenig mehr. Am Ende des fast fünfhundert Seiten starken Buches wird zumindest aus der Perspektive Kluftingers ein Handlungsstrang abgeschlossen. In „Funkenmord“ – dem 11. Band der Serie – wird der tragische Fehler des jungen überambitionierten Kluftinger aufgegriffen und fortgeführt. Es empfiehlt sich, die beiden Bücher zeitlich nahe beieinander zu lesen, um die Feinheiten und Übergänge vor Augen zu behalten. Aber „Kluftinger“ ist noch mehr. Es ist vor allem eine Zeitreise weit vor den ersten Band „Milchgeld“ hinaus. Es ist der Versuch, dem exzentrischen Kommissar eine Jugend, eine echte Vergangenheit zu schenken.

Ausgangspunkt ist eine Reihe von Drohungen gegen Kluftinger. Ein Kreuz mit seinem Namen wird auf dem Friedhof gefunden, Todesanzeigen werden geschaltet und kryptische Nachrichten hinterlassen. Zeitgleich kommt es zu einem Einbruch in ein gut gesichertes Museum in der Nähe. Kluftinger vermutet zuerst, das der Schutzpatron wieder da ist. Im fünften Band der Reihe hat der Kommissar diesen gut ausgerüsteten „Riffifi“ des 21. Jahrhunderts erfolglos gejagt. Allerdings gibt es Widersprüche und die ganze indirekten Drohungen passen nicht zur intellektuellen Vorgehensweise des Schutzpatrons. In diesen Handlungsarm gehört auch der Verdacht, das ein langjähriger Mitarbeiter und ein stetiger Charakter in den Romanen mindestens bestechlich ist. In einer dramatischen Szenen lösen Klüpfel und Kobr diese Situation für die Serie überraschend dunkel auf.  Polizisten sind höchstens tragische Antihelden, die ihre Fehler umgehend zu Lebzeiten wieder gut machen, aber sie stehen nicht auf der gleichen Ebene wie die von ihnen gejagten Verbrecher.  

Volker Klüpfel und Michael Kobr haben mit diesem durchaus spannenden Roman das Kunststück vollbracht, den Klamauk deutlich zurückzufahren. Ohne Humor geht es bei Kluftinger nicht, aber in einigen der letzten Romane wurde die Grenze zum Slapstick, zu einer Abfolge eher spärlich miteinander verbundener Peinlichkeiten überwunden. Es finden sich immer noch einige nicht immer humorvolle Szenen in diesem Roman, aber sie werden an den Rand gedrängt. Stellvertretend sei der Transport einer Trommel auf dem Dach eines rosa Smart genannt. Oder wie der überforderte Kluftinger sein Enkelkind zum Schlafen bringt. Von den Peinlichkeiten ganz abgesehen, wie Langhammer seinen neuen Hund ernähren und erziehen will. Da hat Kluftinger schon eher bodenständige, aber wie es sich für ihn gehört auch improvisierte Methoden, auch wenn dieser Handlungsarm nicht nur tragisch endet, sondern sich Kluftinger wieder als der wenig mitfühlende distanzierte Allgäuer erweist.

Die Suche nach dem  Täter ist gleichzeitig wie angesprochen eine Reise in die Vergangenheit. Lange Zeit sieht es so aus, als wenn jemand aus Kluftingers Jugend sich rächen will. Die Leser erfahren von der ersten Clique und Kluftingers Spitznamen „Nazi“. Vielleicht ein kleiner Rebell mit Mofa, aber weiterhin unter der Knute des Vaters muss sich Kluftinger zwischen Verantwortungsbewusstsein und Kameradschaft entscheiden.

Der erste Tag bei der Polizei wird genauso beleuchtet wie sein erster Tag als Leiter der Soko. Die Beziehung zwischen Hefele und Kluftinger ist dabei ein wichtiger Aspekt. Immer von seinem Vater, dem örtlichen Streifenpolizisten an den Rand der Peinlichkeit gedrängt, wird Kluftinger innerlich zwischen dem aufgedrückten respektvollen Verhalten und seinen  früh entwickelten Fähigkeiten als ungewöhnlicher Polizist fast zerrissen.

Die Soko wird auf Kluftinger aufmerksam, als er beim Mord an einer örtlichen Lehrerin – die ist ein an Kreuz gebunden verbrannt worden – einige wichtige, aber vielleicht auch zu vorschnelle Beobachtungen beifügt.

Ein weiterer Aspekt ist die Verlobung mit seiner Erika. Damals noch ein aktiver junger Bursche, der ganz anders leben will als seine in ihren Mechanismen erstarrten Eltern. Natürlich darf der Klassiker nicht fehlen. Kluftinger stellt seine Freundin den Eltern vor. Viele Leser werden sich an die eigene erste Begegnung zwischen Eltern und zukünftigen Partner erinnert fühlen.

In doppelter Hinsicht die erste Begegnung mit dem Langhammer. Zuerst noch quasi anonym. Später haben sowohl Kluftinger bei der Polizei als neuer Leiter wie auch Langhammer mit der Übernahme der örtlichen Arztpraxis ihren ersten Tag. Sie begegnen sich beim Ein- bzw. Ausparken.

Lustig ist, das sich die beiden Mädchen aus Kluftinger kurzer wilder Zeit derartig konträr entwickelt haben. Aus dem hässlichen Entlein ist ein schöner und vor allem reicher Schwann geworden, während der Pfau abstürzte.   

 Am Rand der Farce überzeugen die Autoren aber mit den zahllosen Anspielungen auf Ereignisse und vor allem kleine Vertrautheiten, die die Leser aus den vorangegangenen neun Kluftinger Romanen wie die literarische Muttermilch aufgesogen haben. Es ist mutig, die jeweiligen Ursprünge so spät in der Serie zu präsentieren. Aber dieses Kunststück gelingt der Autoren nicht nur erstaunlich respektvoll, die langen Sequenzen lesen sich ausgesprochen lebendig.  

Sie überdecken auch die vorhandenen Längen. Durch die zwei Zeitebenen und im Grunde drei Fälle – der Funkenmord; das Auftreten des Schutzpatrons und schließlich auch die Jagd nach Kluftingers Erzfeind – verfügt der Roman über ausreichend Fleisch auf den Knochen. Vor allem in der Gegenwartsebene treiben die beiden Autoren den Plot derartig schnell voran, das einzelne kleinere Abschnitte abschließend unter den Tisch fallen. Im Gegensatz dazu sind die langen in der Vergangenheit spielenden Passagen deutlich ruhiger erzählt und konzentrieren sich auf die Charakterisierung von inzwischen markanten wie bekannten Protagonisten.   

Positiv ist, dass Volker Klüpfel und Michael Kobr einzelne, ein wenig klischeehaft entwickelte Figuren in den Hintergrund drängen. Dazu gehören Kluftingers Sohn und seine japanische Frau mit ihrem Baby. Alleine die Idee, das Kluftinger ihnen beim notwendigen Kauf eines neuen Wagens als gestandener Mann tatkräftig zur Seite steht, füllt zu viele Seiten. Im Verhältnis zu einigen anderen Kluftinger Krimis sind diese Exkurse allerdings deutlich erträglicher, weil Klüpfel und Kobr sofort wieder in den dritten Gang hochschalten und die einzelnen Handlungsfäden vorantreiben.

„Kluftinger“ ist nicht der perfekte Einstieg in die Serie. Auch wenn der Bogen schließlich wie erwähnt über den „Schutzpatron“ sogar bis zu den ersten Ermittlungen in „Milchgeld“ geschlagen wird und die zahlreichen in der Vergangenheit spielenden Passagen den Kluftinger als Figur deutlich abgerundeter erscheinen lassen, werden viele der kleinen Hinweise Neueinsteigern nicht unbedingt das sagen, was die Autoren auch respektvoll den eigenen Fans gegenüber beabsichtigt haben. „Kluftinger“ ist ein Buch für die Stammleser, die mehr und mehr über den kauzigen Kommissar wissen wollen, aber niemals sich zu fragen trauten. Hinzu kommt ein komplizierter Fall, der Kluftinger nicht nur an den Beginn seiner Karriere zurückführt, sondern  ihm deutlich aufzeigt, das er vielleicht nicht nur damals immer wieder dazu neigt, ein wenig vorschnell zu urteilen.  „Kluftinger“ ist vielleicht nicht der beste Roman dieser empfehlenswerten Reihe, es ist auf jeden Fall das bisher ambitionierteste Buch der Reihe.   

Kluftinger: Kriminalroman (Kluftinger-Krimis, Band 10)

  • Herausgeber ‏ : ‎ Ullstein Hardcover; 3. Edition (27. April 2018)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 480 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3550081790
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3550081798
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