Der Apex – Verlag legt mit „Das Gott Projekt“ einen Roman des Amerikaners John Sauls aus dem Jahr 1982 neu auf. Im Zuge der Stphen King Euphorie gehörte John Saul zu den Autoren, die vor allem im Heyne Verlag eine beständige Heimat gefunden haben.
Nach einem abgebrochenen Literaturstudium begann John Saul mit dem Schreiben von Horror Romanen. 1974 erschien „Nathaniel“ – auf deutsch „Prophet des Unheils“ – als sein Debüt. Bekannter wurde er erst in den USA mit „Suffer the Children“, der sich drei Jahre später dank eines geschickten Marketing in den Bestsellerlisten mehrere Wochen halten konnte. Der Heyne Verlag übersetzt das Buch relativ zeitnah unter dem Titel „Wehe, wenn sie wiederkehren“. Bis ins Jahr 2009 hat John Saul mehr als zwei Dutzend Horrorgeschichten geschrieben. Der rote Faden sind vor allem Jugendliche, die vom Bösen in jeglicher Form besessen sind. Einige seiner Romane wurden adaptiert. Am bekanntesten sollte hier „Cry for the Strangers“ mit Patrick Duffy und Cindy Pickett in den Hauptrollen sein. Seine Fortsetzungsserie „The Blackstones Chronicles“ ist später als gleichnamiges Computerspiel adaptiert worden.
Auch wenn es heute unglaublich erscheint, ist John Saul mit mehr als 50 Millionen weltweit verkauften Romanen nach Stephen King und Dean R. Koontz einer der weltweit erfolgreichsten Autoren des Horror Genres. Bis auf seine letzten beiden Werke „Faces of Fear“ und „House of Reckoning“ sind alle Bücher auch ins Deutsche übersetzt worden.
„Das Gott Projekt“ zeigt John Saul von seiner stärksten, aber hinsichtlich seines Gesamtwerkes auch ungewöhnlichsten Seite. Inspiriert von Robin Cook medizinischen Thrillern, aber von der Struktur her Ira Levins modernen Paranoia Büchern folgend greift John Saul ein zeitloses, allgegenwärtiges Thema auf. In der amerikanischen Kleinstadt Eastbury, Massachusetts passiert etwas mit den Kindern. Gesunde Babys sterben über Nacht in ihren Betten und die Ärzte sind ratlos. Andere Kinder verschwinden spurlos aus der Stadt. Im Mittelpunkt steht eine schockierte Mutter, welche den unerklärlichen Tod ihres Babys nicht akzeptieren will. Sie ist mit den belanglosen Kommentaren der Ärzte nicht einverstanden und beginnt zusammen mit ihrer Familie nach den wirklichen Ursachen dieser gehäuften Phänomene zu suchen.
Die Ausgangsbasis ist ein klassischer Robin Cook Medizinthriller. Auch Cook bewegt sich gerne auf medizinischen Grundlagen im Bereich des Thrillers. Bei Cook sind es nicht selten opportunistische Ärzte und geldgierige Konzerne, welche mit Menschen experimentieren und sie in mehrfacher Hinsicht ausnutzen. John Saul legt vergleichbare Spuren und schürt in den Lesern die entsprechende Erwartungshaltung.
Je weiter die Protagonisten mit ihren Untersuchungen gehen – wobei sie in erster Linie sich durch Computerdateien arbeiten, natürlich auf dem primitiven Stand der achtziger Jahre -, desto mehr Aufmerksamkeit erregen sie und folgerichtig ist ihr Leben gefährdet. John Saul ist ein solider Spannungsautor, der vor allem in seinen ersten Büchern sehr viel mehr auf klassischen Suspence und die entsprechende Dramaturgie setzt. Robin Cook hat in seinen Romanen mehr das große paranoide Ganze im Blick. „Das Gott- Projekt“ präsentiert vor allem in der ersten Hälfte eines Reihe von kleineren Sequenzen, die spannungstechnisch sehr zufriedenstellend und vor allem für den Leser auf Augenhöhe der Protagonisten auch jederzeit nachvollziehbar aufgelöst werden.
In der zweiten Hälfte zerfällt “Das Gott Projekt” inhaltlich deutlich mehr und zeigt sein wahres Alter. Zwar ist die unheilvolle Verbindung zwischen Kapital und Regierung in der Gegenwart Vertrauter und vor allem Inniger als es sich die meisten Thrillerautoren in den siebziger und achtziger Jahren vorstellen konnten, aber die grundlegenden Ideen von “Das Gott- Projekt” haben vor allem in der vorliegenden Form Patina angesetzt. Robin Cook hat in dieser Zeit zeitlosere Thriller geschrieben und Ira Levins Werke wie “The Stepford Wives” lebten und leben von den sozialen Seitenhieben auf die perfektionierte und dogmatische amerikanische Mittelschicht in ihren sauberen Vorstädten und ihrem angeblich so geordneten Leben. Es bedarf später Fernseh Serien wie “Desperate Housewifes”, um mit diesen Klischees unabhängig von Experimenten oder Manipulationen gründlich aufzuräumen. So weit sind Autoren wie John Saul und Dean R. Koontz in ihren frühen Werken noch nicht.
Hinsichtlich seines Gesamtwerkes ragt “Das Gott- Projekt” aber noch in anderer Hinsicht aus den zahlreichen John Saul Romanen heraus. Es gibt keine übernatürliche Bedrohung, alles ist ein elementarer Bestandteil eines wichtigen wie auch perfiden Plans. Diese Art von regierungsnahen Plänen hat Dean R. Koontz in einer Reihe seiner besten und vor allem spannungstechnisch dynamischsten Büchern niedergeschrieben. John Saul ist kein Dean R. Koontz. John Saul kann zwar eine bedrohliche Atmosphäre aufbauen, aber ohne übernatürliche wie ambivalent beschriebene Bedrohungen aus dem Jenseits verliert sich der Autor über den ganzen Spannungsbogen betrachtet in konstruiert erscheinende kleinere Szenen , während Dean R. Koontz auf das große Ziel hin schreibt und sich auch nicht von damals wie heute antiquierten Pointen irritieren lässt. Bei Koontz ist der Weg das Ziel, bei John Saul sind es eher die alltäglichen kleinen Situationen.
John Saul, Dean Koontz und Stephen King schaffen es in beneidenswerter Qualität, lebendige Charaktere zu erschaffen. In dieser Hinsicht gehört “Das Gott- Projekt” zu John Sauls besten Arbeiten. Während in den meisten seiner anderen Bücher die eher jugendlichen Protagonisten - überwiegend mit den eigenen Hormonen und der Antipathie gegen die langweiligen Erwachsenen beschäftigt - auf übernatürliche Phänomene reagieren müssen, bleibt den betroffenen Familien in “Das Gott- Projekt” nichts Anderes übrig, als aktiv nach den Hintergründen der Kindstode zu schauen. Alleine der Verlust des eigenen Kindes quasi über Nacht und ohne Anzeigen ist ein schockierendes, traumatisierendes und vor allem auch nachhallendes Ereignis. John Saul versucht diese Extremsituationen in seinen Charakteren zu beschreiben, ohne die Grenzen des Klischees zu überschreiten oder alle Handlungen unter diesen dunklen Stern zu stellen. Es ist ein schmaler Grat, auf dem sich der Autor in dieser Hinsicht bewegt, aber über weite Strecken des Buches vor allem während des verstörenden Auftaktes, aber auch während des ein wenig stereotypen, klischeehaften und aus heutiger Sicht hinsichtlich der Hintergründe auch konstruierten Finales funktioniert die Zeichnung der Protagonisten ausgesprochen gut.
“Das Gott- Projekt” ist nicht nur in technischer Hinsicht deutlich gealtert. Eine heutige Lektüre muss quasi als Reise in die Vergangenheit, als Rückblick auf die nicht so einfachen späten siebziger und frühen achtziger Jahre betrachtet werden. Akzeptiert der Leser diese Prämisse, dann wird er erstaunlich gut und vor allem auch für einen John Saul Roman überraschend originell auf einem heute noch zufriedenstellenden Niveau unterhalten. Eine Neuauflage ist nicht unbedingt notwendig gewesen, aber wenn ein Verlag unbedingt John Saul neu auflegen will, dann ist - wie bei Apex getan - “Das Gott- Projekt” sicherlich einer der besseren Einstiege.
- Herausgeber : epubli; 1. Edition (13. Januar 2020)
- Sprache : Deutsch
- Taschenbuch : 444 Seiten
- ISBN-10 : 3750271690
- ISBN-13 : 978-3750271692