In seinem neuen sekundär literarischen Buch „Heroes“ stellt der Journalist und Autor Dirk C. Fleck fünfzig Personen und Organisationen vor, deren aktives Wirken oder passives Handeln – handeln und passiv scheinen auf dem ersten Blick widersprüchlich zu sein, aber im Laufe der Lektüre wird deutlich, dass manchmal auch das Unterlassen von etwas eine Wirkung haben kann – die Welt im Kleinen wie im Großen beeinflusst haben. Viele der hier vorgestellten Menschen und Gruppen sind in den letzten achtzig bis einhundert Jahren aktiv gewesen und trotzdem hat die Zeit sie „vergessen“.
Das Wort „Held“ beinhaltet laut Duden bzw. den Oxford Languages zwei Definitionen. Einmal mythologisch „ durch große und kühne Taten besonders in Kampf und Krieg sich auszeichnender Mann (edler Abkunft)“ , aber für Dirk C. Fleck viel relevanter: „jemand, der sich mit Unerschrockenheit und Mut einer schweren Aufgabe stellt, eine ungewöhnliche Tat vollbringt, die ihm Bewunderung einträgt“.
Nicht umsonst lautet der Untertitel „Mut, Rückgrat, Visionen“. Sie haben sich zu jeder Zeit dem damaligen klassisch dogmatischen System entzogen und sie entweder aus freien Stücken oder dem Verstand folgend/ sich treiben lassen gegen den Strom geschwommen. Das beginnt bei den Menschen, denen auf der einen Seite Dirk C. Fleck persönlich, auf der anderen Seite Milliarden von Menschen ihr Leben verdanken. Michael & Cäcilia Köhldorfner haben zur Zeit der Nazis den neu geborenen Dirk C. Fleck bei sich auf dem Hof versteckt. Ganz zu seinen Wurzeln will der Journalist nicht zurückkehren. Das Ortsschild ist die innere Grenze, die es schwer zu überschreiten gilt. Stanislaw Petrow hat die Menschheit gerettet, als er aus dem Bauch heraus entschieden hat, dass es sich um einen technischen Fehler und keinen atomaren Angriff der Amerikaner handelt. Heute würde eine künstliche Intelligenz diese Entscheidung treffen. Ob sie auch so instinktiv handelt, wie der sowjetische Offizier, steht auf einem anderen Blatt.
August Landmesser oder Gustav Wegert könnte der Mann auf einem selbst heute noch eindrucksvollen Foto sein. Auf der Hamburg Blohm& Voss Werft hebt ein Arbeiter nicht den Arm zum Hitlergruss. Dabei hätte es August Landmesser angesichts der tragischen, aber für die damalige Zeit so typischen Geschichten jüdischer und halbjüdischer Familien verdient, der Mann auf dem Foto zu sein, um nicht ganz vergessen zu werden. Auch Gustav Wegert hat in dem Moment dickköpfigen Mut bewiesen und eine ungewöhnliche Tat durch Passivität vollbracht, die heute noch bewundert wird. Paul Grüninger hat während der Nazizeit als Schweizer Grenzwächter seine Grenze offen gehalten und aktiv den Menschen geholfen. Er hat mit dem Verlust seiner Pension und seiner Stellung dafür bezahlt. Die Haltung der Schweizer hinsichtlich ihrer angeblichen Neutralität wird durch den Umgang mit Menschen, die Humanität vor Richtlinien setzen, in ein nicht mehr so sauberes Licht gerückt.
In diese Reihe der „kleinen Männer“ reiht sich auch der anonyme Tank-Man ein, der bei der Niederschlagung des Aufstands auf dem Platz des himmlischen Friedens mit dem Panzer tanzte. Ein Augenblick der Geschichte, der den heutigen Menschen aufzeigen sollte, dass sich das Rad nicht immer nur in eine Richtung dreht. Die Sowjetunion unter Putin; China unter Xi und möglicherweise wieder die USA unter Trump zeigen, dass friedliche Revolution gepflegt werden müssen, damit sie nicht untergehen.
Aber Dirk C. Fleck stellt nicht nur Menschen vor, die aktiv und ohne den Blick auf die Geschichtsbücher gehandelt haben. Jean Seberg und das morbide Interesse an ihrem verstorbenen Baby ist ein Beweis, wie schnell Menschen vorverurteilt werden und wer davon profitiert.
Ein Schwerpunkt dieser „Heros“ bilden auf den ersten Blick die Vertreter der Umweltaktivisten und die Vorkämpfer gegen das Establishment. Aber aus der Distanz ihres Wirkens ist diese Würdigung auch berechtigt. Dirk C. Fleck argumentiert aber nicht einseitig. Mit Ernst Friedrich Schumacher findet sich ein Wirtschaftspolitiker in den Reihen der hier vorgestellten Persönlichkeiten, der, ohne das Wort in den Mund zu nehmen, sich gegen die Globalisierung und vor allem ein Wachstum ohne Grenzen ausspricht. Schumachers politische Vorschläge wirken heute relevanter und notwendiger als in den fünfziger Jahren, denn Ökologie und Fortschritt müssen kein grundlegender Widerspruch sein, wie die Initiative Anthony Rinaudos zeigt, der aus Wüsten wieder Wälder macht, in dem er der Natur auf die Finger schaut. Michael Unterguggenberger mit seiner Schwundwährung - Kapitel muss arbeiten – sowie Nick Hanauer mit seiner drastischen Warnung vor einer weiteren Revolution von unten haben durch ihre grundlegend originelle Idee sowie die Warnung vor einem zu starken Ungleichgewicht bewiesen, dass der Weg der Menschheit in die Zukunft nicht grundlegend falsch, sondern manchmal von dunklen Scheuklappen gesäumt ist. Max Neef mit seiner Barfussökonomie ist einer der Menschen, die dem Volk erst ins Gesicht schauen, bevor sie wirtschaftliche Thesen aufstellen. Hinzu kommt, dass er einer der wenigen Wirtschaftsforscher ist, die das Kleine nur bedingt extrapolieren und feststellen, dass einige Sachen in einem überschaubaren Rahmen kontrollierbar funktionieren und die Manager nicht nur der heutigen Generation aus diesen Vorlagen lernen sollten.
Dirk C. Fleck ist aber nicht nur ein realistischer Pessimist. So stellt er unter anderem auch die Frau vor, die maßgeblich am Bau der Brooklyn Bridge : Emily Warren Roebling. Ein Symbol des technischen Fortschritts, das auf den ersten Blick konträr zu vielen anderen Heroes dieser Sammlung erscheint. Vielleicht war beim Hudson nicht mehr viel Natur zu zerstören. Viel mehr stehen im Mittelpunkt seiner Heroes Menschen, die etwas behindert oder vielleicht sogar verhindert haben. Frauen, die mehr als siebenhundert Tage auf einem Baum gelebt haben - Julia Butterfly Hill - oder die Frauen, welche Bäume umarmt oder umfasst haben: Die Chipko Bewegung. Aus dem Hambacher Forst das junge Mädchen, das Winter genannt wird und dessen Brief an die Öffentlichkeit in Gänze abgedruckt worden ist.
Dirk C. Fleck ist aber kein Schreibtischtäter, der aus seinem Stuhl heraus Einträge in seine Heldengalerie verfasst, die in Wikipedia Einträge übernommen werden könnten. Einige der Menschen und Bewegungen hat er auf seinen Reisen um die Welt getroffen und die Hinterlassenschaften der Ölkonzerne von Angesichts betrachtet. Einige der hier genannten Heroes haben für ihre Überzeugung ihr Leben gelassen: Ken Sare- Wiwa sei hier stellvertretend genannt, das Schicksal des chinesischen Tank- Man ist bis heute ungeklärt. Andere haben jahrelang im Gefängnis gesessen und manche hatten auch ein wenig Glück, dass ein einfaches "Nein" zu Massenprotesten geführt hat (Rose Louise Park).
Hinter den Portraits stehen aber Menschen und die Stärke dieses Buches liegt in Dirk C. Flecks Art des Erzählens. Er urteilt nicht. Natürlich sind die Sympathien des Autoren klar zu erkennen und das hebt den Kontext klar aus dem klassischen Bereich des Sachbuchs hervor. Vielmehr zeigt er, wie an einer Kette gezogen die Abfolge von Ereignissen auf, die schließlich zum anfänglich inneren, späteren offenen Widerstand geführt haben. Jose Bova und Percy Schmeiser haben sich auf unterschiedlichen Kontinenten und aus unterschiedlichen Gründen mit Monsanto angelegt und teilweise genommen. Dabei beeindruckt Percy Schmeiser Logik, während Jose Bova immer wieder aktiv angeeckt ist. Mit diesen Portraits geraten aber auch andere Themen wie die Lobbywirtschaft der Industrie, die Naivität der Politiker und schließlich die Macht den Schwarzgeld in den Fokus. Rachel Carson sei hier als Sachbuchautorin stellvertretend für die vielen kritischen Stimmen noch einmal ausdrücklich genannt, die ihre späteren Erfolge durch einen frühen Krebstod nicht mehr miterleben konnte, deren Bücher aber vielen der hier beschriebenen Aktivisten auch die Augen geöffnet haben.
So sehr das Kapital verteufelt wird, ist es auch teilweise notwendig. Die Eheleute Tompkine als Besitzer der Marken Esprit und THE NORTH FACE haben mit ihrem Vermögen in ihrer Wahlheimat Patagonien durch die Landkäufe viel Natur bewahren und rekultivieren können. Nicht immer muss Reichtum zum Schlechten eingesetzt werden. Es sind wenige Gegenbeispiele unter den Heroes, aber Dirk C. Fleck verleiht ihnen zumindest eine Stimme.
Nicht immer geht es friedlich zu. Paul Watson als Sea Warrior hat aktiv Walfangschiffe versenkt, weil er keine andere Möglichkeit gesehen hat. Sam Childers ist ein ehemaliger Rocker, der nach dem Gefängnis in den Sudan ausgewandert ist. Als Prediger mit einer Maschinenpistole rettet er Kinder und Jugendliche vor dem Schicksal, Soldaten in einem nicht enden wollenden Bürgerkrieg zu werden. Diese aktive und gewaltbereite Einstellung widerspricht einigen der hier vorgestellten Heroes, macht aber auch deutlich, dass es keinen Königsweg gibt oder besser geben sollte.
Humorvoll ist die Geschichte der Annie Londonderry, einer wahrhaftigen Baronin Münchhausen, die mit dem Fahrrad - nicht selten im Gepäck- aber einer gänzlich erfundenen Lebensgeschichte die Welt umrundete. George Corlin als zynischer Komiker hält dagegen der Welt den Spiegel ins Gesicht. Edward Abbey hat als Autor den Begriff der Ökotage als Erweiterung der Sabotage mitgeprägt. Seine Romane und Kurzgeschichten haben ganz anderen Blickwinkel freigemacht und Leser Generationen im 20. Jahrhundert beeinflusst.
Trautmann als deutscher Kriegsgefangener und späteres Idol bei Manchester City steht für die unzähligen Sportler, die gegen alle Widerstände ihren Traum gelebt haben. Kritisch muss allerdings der Umgang mit Nena gesehen werden, deren Haltung gegenüber den Maßnahmen während des Corona Lockdowns nicht zum Heros reicht. Viel mehr werden unzählige Zitate gebracht und vergessen, dass die Menschheit mit einer Extremsitutation konfrontiert worden ist, deren Ausmaß und Auswirkungen auch den handelnden Personen nicht klar gewesen sind. Wer Menschen an Corona verloren hat, wird die Aufnahme Nenas und ihrer seltsamen, im Grunde ignoranten Haltung nicht verstehen können. Nena ist keine Heroin, sondern der Beweis für die egoistische Haltung vieler Menschen, die zu Gunsten der Gesellschaft nicht einen Schritt zurücktreten können. Und die vielen Corona Toten werden von Dirk C. Fleck mit keinem einzigen Wort erwähnt, was beschämend ist.
Am Ende spricht Gualcaipurg Cuatemoc den europäischen Nationen hinsichtlich ihres Goldraubs aus Mittel- und Lateinamerika ins Gewissen. Die aufgerufenen Summen scheinen unglaublich hoch, aber unabhängig von den Zahlen - von der Verzinsung ganz zu sprechen - drückt diese pointierte, teilweise sehr ironische Rede genau das aus, was fast alle der hier vorgestellten Heroes gesucht haben: eine bessere Zukunft basierend auf den Erfahrungen, aber auch Fehlern der vergangenheit für alle Menschen. Ob sie es wirklich verdient hat, steht auf einem ganz anderen Blatt.
“Heroes” ist ein wichtiges Buch gegen das Vergessen, aber vor allem auch hinsichtlich des Lernens/ Entdeckens. Keine der hier vorgestellten Gruppen oder Menschen ist von Geburt an zum Helden, zum Veränderer, vielleicht auch zum Revolutionär geboren worden. Niemand hat ihnen als Kind gesagt, dass sie Großes bewirken werden. Ohne dieses Sendungsbewusstsein der Situation teilweise spontan folgend haben sie ihren Beitrag auch unter schweren Opfern geleistet, um Mitmenschen in Not zu helfen oder die Welt ein ganz kleines Stück besser zu machen. Dafür gehört ihnen der Dank der Menschen, weit über die Verbreitung dieses Buches hinaus. “Heroes” ist ein Büchlein, das lebt. Das zeigen auch die freien Zeilen am Ende des Hardcovers, wo die Leser ihre eigenen Helden eintragen können. Die fünfzig hier vorgestellten Personen stehen stellvertretend für die Millionen alltäglicher Helden, deren Geschichten nicht niedergeschrieben werden. Aber irgendwo und irgendwann muss man einen Anfang setzen und das hat Dirk C. Fleck in Kombination mit Michael Haitel als seinem Verleger eindrucksvoll geschafft.
Dirk C. Fleck
HEROES
Mut, Rückgrat, Visionen
Außer der Reihe 85
p.machinery, Winnert, August 2023, 200 Seiten, Hardcover
ISBN 978 3 95765 346 8 – EUR 26,90 (DE)
E-Book: ISBN 978 3 95765 757 2 – EUR 8,99 (DE)