Als elften Band seines Labels „Zwischen den Stühlen“ veröffentlicht Michael Haitel mit „Brand der Liebe“ den ersten Band einer emotionalen Trilogie aus der Feder Uschi Constanze Davids. Die in Baden- Würrtemberg aufgewachsene Autorin hat nach einigen Jahren der journalistischen Tätigkeit ab 2008 mit dem Schreiben von Büchern begonnen. Bislang publizierte sie vier Romane und zwei Sachbücher. Wie angedeutet ist „Brand der Liebe“ der ersten Band einer Romantrilogie, der moderne Inkarnationen von Johann Wolfgang Goethe und seine Freundin Charlotte von Stein im modernen Weimar wieder zum Leben erwecken soll.
Der moderne Johann Wolfgang Goethe ist Spieldesigner. Noam Philipp Erbe hat gerade die Trennung von seiner Verlobten hinter sich, als dem kommenden Star der Spieleszene ein ungewöhnliches Angebot ins Haus flattert. Barbara und Carl von Bargus (Mutter und Tochter) führen die Firma BARGA IT, die sich mehr und mehr auf Spiele konzentrieren möchte. Die attraktive Barbara hat immer noch das Zepter in der Hand, während ihr Sohn Carl eher ein Luftikus ist, der trotz seiner Beziehung lieber Wein, Weib und Gesang frönt. Wie Carl überhaupt geschäftliche Entscheidungen treffen soll, bleibt während des ersten Bandes dieser Trilogie vollkommen im Dunkeln. Barbara von Bargus ist an Erbe interessiert und will ihn nach Weimar locken. Carl soll diesen Auftrag übernehmen. Erbe sieht in der Provinz seine Chance, sich auf der einen Seite weiter zu entwickeln, auf der anderen Seite den Frauen zu entkommen. Natürlich ein fataler Irrtum. Bei der Exposition des Konzepts geht Uschi Constanze Davids sehr geschickt vor. Der Leser ist schnell der Ansicht, dass Barbara von Bargus mehr als ein geschäftliches Interesse an dem smarten, ein wenig eitlen, gut aussehenden Erbe hat.
Natürlich ist Erbe kein Goethe. Aber seine Liebes Whats App Nachrichten kommen aus der Sicht der heutigen Zeit den mehr als eintausendsiebenhundert erhaltenen Briefen Goethe als Constanze von Stein sehr nahe. Goethe als der aufstrebende Dichter in einem Weimar, das neben seiner Persönlichkeit allerdings auch Schiller – ebenfalls ein Freund von Constanze von Stein-, aber auch Herder die Freiheit gegeben hat, ihrer Kunst zu folgen. Erbe als der nach nur zwei Spielen mit kleinen Fehler gehypte Superstar der Gamerszene, der vor allem mit seinem zweiten großen Wurf auch Frauen vor den Computer geholt hat.
Aber Barbara von Bargus wird nicht zu Charlotte von Stein. Diese Rolle soll Ellin übernehmen. Glück- und lieblos mit dem Gutsverwalter der von Bargus Jo verheiratet. Es gibt zwischen diesen beiden Frauenfiguren einige Ähnlichkeiten, aber auch große Unterschiede. Ellin ist die Mutter von drei Kindern, Charlotte von Stein hatte schon sieben Kinder, als sich der junge Goethe Hals über Kopf in die Frau verliebte. In beiden Geschichten sind Ellin bzw. Charlotte sieben Jahre älter als der liebestolle junge Mann. In ihrem posthum veröffentlichten Stück „Dido“ ging Charlotte von Stein auf diese Beziehung zum ersten Mal ein, während sie Goethe bis zu dessen überstürzter Italienreise, die spätere Heirat mit der bürgerlichen Christiane Vulpius und dem darauf resultierenden Bruch, zu zahlreichen seiner Frauenfiguren inspirierte.
Welche Art des Verhältnis zwischen Charlotte von Stein und Goethe wirklich gewesen ist, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Es kann platonisch erotisch oder auch sexueller Art gewesen sein. Uschi Constanze David macht am Ende ihres ersten Teils klar, in welche Richtung es bei dieser modernen Version geht.
Der größte Unterschied sind aber die jeweiligen Stände. Goethe als „einfacher Dichter“ und eine Frau aus hohem Hause stehen der bürgerlichen Ellin und dem nur aufgrund seiner Leistungen zum Superstar erhobenen Erbe gegenüber. Die beiden Adligen von Bargus fallen von Beginn an unter den Teppich.
Es gibt aber noch einen anderen Unterschied zwischen diesen beiden Liebesgeschichten. Charlotte von Stein und Goethe haben sich von alleine aufeinander zu bewegt. Zwar ist geschichtlich belegt, dass Charlotte von Stein eine Art Pflichtheirat mit allerdings den angesprochenen siebenen Kindern eingegangen ist, während Ellin quai von ihrem untreuen Ehemann dazu gedrängt wird, sich ein wenig mehr um Erbe zu kümmern, der ansonsten in Weimar verkümmern könnte. Jo ist dabei aus Eigennutz großzügig, denn inzwischen hat er eine Affäre mit der Mutter eines Schulkameradin seines Sohns, die ihm sexuell alle Wünsche erfüllt.
Der Leser muss dieses emotionale Gerüst akzeptieren, damit die Geschichte – sehr viel Geduld erfordernd – auf eine moderne, wie auch irgendwie positiv gesprochen antiquierte Art und Weise funktioniert. Erbe begegnet Ellin im Fahrstuhl und ist sofort in die ältere Frau verliebt. Er beginnt ihr Komplimente zu machen, die durchaus auch erotisch sexuelle Anspielungen enthalten. Sie begegnen sich immer wieder, Ellin wird schließlich in seine Abteilung versetzt. Erbe ist im Grunde Perfektion pur. Gutaussehend, intelligent, charmant, sexuell attraktiv; kein Stubenhocker, wie die Sauftouren mit seinem neuen Chef beweisen und schließlich auch ein perfekter Vater. Schnell gewinnt er das Vertrauen der drei Kinder Ellins, passt auf sie auf und kommt mit ihnen besser zurecht als der eigentliche Vater, der Besuche bei der Familie vom Gestüt der van Bargus kommend eher als Pflichtaufgabe ansieht. Vielleicht beschreibt Uschi Constanze Davids diesen Erben als zu perfekt. Stoisch leidend erträgt er auch Ablehnung, will sich nicht mit anderen Frauen treffen und agiert teilweise wie eine Art treuer Hund, der nur auf ein wenig Streicheln seiner „Herrin“ wartet. Diese teilweise fast devote Haltung fasziniert Ellin, die ihrerseits aber einen echten Mann mit Gefühlen sucht, der sie so liebt, wie sie ist. Eine schlanke Frau mit einem durch drei Schwangerschaften üppigen Busen, intelligent und ordnungsliebend, ihre Karriere im Unternehmen eher widerwillig opfernd.
Den größten Teil dieses Romans bewegen sich Erbe und Ellin aufeinander zu. Wie zwei Königskinder können sie noch nicht zueinander kommen. Das Wasser ist nicht zu tief. Es ist eine Mischung aus Komplexen und Missverständnissen. Aus altem Standesdünkel bei Ellin, die Treue als oberstes Gebot in ihrer Ehe ansieht, auch wenn ihr Mann sie seit vielen Jahren nicht mehr anrührt und sie ahnt, dass er vielleicht auch eine Andere hat. Erbe versucht sich verzweifelt mit dem „Wissen“ eines sechsundzwanzigjährigen „Knaben“ dieser reifen Frau in voller Blüte zu nähern. Seine Whats Apps Nachrichten oder E- Mails sind voller Emotionen. Himmelhochjauzend und gleichzeitig auch zu Tode getrübt, wenn es Missverständnisse gibt.
Vielleicht auch die Autorin auch die Schwierigkeit erkannt, dass diese Romanze nicht wirklich vorangeht und platziert deswegen mehr und mehr unsympathische, teilweise klischeehaft eindimensional gezeichnete Protagonisten im ihre beiden Helden, welche sie mehr und mehr aufeinander zu bewegen lassen.
Erbe und Jo ziehen zusammen mit Carl um die Häuser. Huren, Alkohol und Drogen. Das perfekte Jetsetleben der Designerjunkies. Angetörnt vom Erfolg, reich und arrogant selbstverliebt. Frauen sind Objekte, die sich ihnen an den Hals schmeißen. Keine der Nebenfiguren ist wirklich dreidimensional gezeichnet. In einem weniger extremen Umfeld würde die Romanze vielleicht sogar noch natürlicher erscheinen.
Jo ist inzwischen von Ellin angewidert. Immer wieder kommt es zum Streit. Der Versuch, den eigenen Mann zu verführen, scheitert. Scheidung kommt für Ellin so lange nicht in Frage, bis die Kinder volljährig sind. Und das ist noch eine Zeit. Erbe findet sie attraktiv, aber ihr moralischer Kodex hindert sie, näher auf seine Annäherungen einzugehen. Jo schiebt seine Frau förmlich an Erbe ab. Erbe scheint die Zukunft von BARGA IT zu sein. Ellin hat nebenbei ein wenig programmiert und in die Konzeption von Spielen geschaut. Aber sie kann natürlich Erbe weder das Wasser reichen noch ist sie ein guter Helfer. Aber Jos Bitte, sich um Erbe zu kümmern in Kombination mit einem neuen Job innerhalb der Firma öffnet eine Reihe von Türen und Toren. Jetzt sehen sich die beiden täglich. Das eröffnet Chancen, aber auch Hindernisse. So weißt sie eine „berufliche“ Tour mit Erbe ab, weil er den Firmenwagen nicht rechtzeitig geliehen hat und damit eine gute halbe Stunde zu spät zum Abfahrtszeitpunkt gekommen wäre. Das Verhalten wirkt arrogant und zickig. Ellin ist eine Frau voller Komplexe. Der Charakter ist zwar dreidimensional angelegt, aber der Leser soll auch in Zeiten der „Me too“ Bewegung und strengen Verhaltensrichtlinien am Arbeitsplatz glauben, dass Ellin bereitwillig und fast umgehend auf die doch aggressiven Avancen Erbes eingeht. Sein Sonderstatus in der Firma kann teilweise als Erklärung dienen, wirkt aber nicht abschließend überzeugend genug.
Erbe manipuliert Ellin auch ein wenig, in dem er ihre Schwachstellen- Hilfsbereitschaft – ausnutzt, wenn der direkte Kontakt schwierig ist. Als Charakter ist der attraktive, aber auch selbstbewusste Erbe eine schwierige Figur. Die fast egoistische Empathie für einen anderen Menschen; die wahre Liebe auf den ersten Blick muss der Leser literarisch akzeptieren und sich gedanklich wieder zu Goethe und Charlotte von Stein zurückversetzen, damit es funktioniert. Eine emotionale Romanze aus einem anderen Jahrhundert in der sterilen Gegenwart. Von dieser Seite kann man sich am ehesten der Geschichte nähern.
„Brand der Liebe“ ist eine herausfordernde Lektüre. Die Autorin macht es sich in einzelnen Punkten auch nicht wirklich leicht. Sie versucht eine erotische Spannung aufzubauen, bleibt aber nicht selten in ersten Ansätzen hängen. Das liegt weniger an einer Untertreibung, sondern eher an einer Übertreibung. Statt eine Liebesgeschichte präsentiert die Autorin einzelne Szenen aus einem Softporno. Auf der einen Seite ist diese Art der Modernisierung opportun, aber ihr fehlt die Atmosphäre, diese bedingungslose Art der Liebe aus dem Nichts, welche die Geschichte verdient hätte. Es ist unmöglich, die Autorin mit Goethe oder Thomas Mann in seinem Meisterwerk „Lotte in Weimar“ zu vergleichen. Das ist sicherlich auch nicht das Ziel der Geschichte, aber an einigen Stellen macht es sich die Autorin wie Jos Manipulation zu leicht. An anderen Stellen wirken sowohl der Hintergrund wie auch die Nebenfiguren übertrieben eindimensional charakterisiert, so dass in der Welt, welche viele Leser wahrscheinlich eher kennen, Ellin die einzige vernünftige Person mit Intellekt und offenen Augen ist, während Erbe noch ein Grenzgänger zwischen beiden Welten ist. Das ekstatische Vergnügen der angeblichen Designerszene mit Drogen, Alkohol und exzessiven Partys; auf der anderen Seite das potentielle Familienleben mit Ellin und ihren Kindern. In seinem tiefsten Inneren weiß Erbe, welche Welt er momentan gerne hätte. Aber aus der anderen Welt seiner Arbeitgeber kann er auch nicht entfliehen.
Auffallend ist, dass Barbara von Bargus Erbe geholt hat und dann lange Zeit bis auf ein Gespräch aus dem Roman verschwindet. Dabei stellt sie eine der interessantesten Frauenfiguren neben Ellin dar. Sie ist vermögend und die Firma auf dem Papier an ihren Sohn übergeben. Sie ist aber weiterhin in der Leitung, verfügt über einen großartigen geschäftlichen Instinkt und kann unorthodoxe Entscheidungen treffen. Sie ist attraktiv, sexuell auf einem gehobenen Niveau aktiv und könnte zu einer Konkurrentin für Ellin werden. Aber im ersten Band dieser Trilogie ist diese Firgur so unterentwickelt wie Ellin untervögelt ist. Dabei verschenkt die Autorin- wie angesprochen – sehr viel Potential, konzentriert sich vor allem auf die schwierige, aber am Ende der Geschichte einen Meilenstein erreichende Liebesgeschichte, die eher von Goethes Anhimmelung der von Stein inspiriert ist als das es der Autorin gelingt, diese beiden Figuren in der Gegenwart der Weimarer Spieleszene zum Leben zu erwecken.
Uschi Constanze David
BRAND DER LIEBE
Zwischen den Stühlen 11
Zwischen den Stühlen @ p.machinery, Winnert, Februar 2024, 280 Seiten
Paperback: ISBN 978 3 95765 378 9 – EUR 17,90 (DE)
E-Book-ISBN 978 3 95765 731 2 – EUR 5,99 (DE)