Clarkesworld 210

Neal Clarke

Im März verkündet Herausgeber Neil Clarkes die Sieger in den Kategorien bestes Titelbild, beste Kurzgeschichte und schließlich auch Novelle. Samantha Hind schreibt über bessere Milchergebnisse dank virtueller Realität. Das wirkt schon ein wenig bizarr angesichts des Schicksals der meisten Tiere. Arley Sorg interviewt mit Bodhisattva Chattopadhyay und Izzy Wasserstein wieder zwei junge Autorinnen bzw. Autoren, die außerhalb des englischsprachigen Raums ihrer Karrieren begonnen haben. In beiden Interviews geht Arley Sorg vor allem auch auf den kulturellen Hintergrund der Autoren ein und beleuchtet kurz die Entwicklung der phantastischen Literatur herunter gebrochen von der lesenden Elterngeneration. Die Interviews stimmen den Leser auch melancholisch. Was wird mit den zukünftigen Generationen passieren, wenn nicht mehr die Bücherschränke der Eltern einen frühen prägenden Eindruck hinterlassen ?

 Insgesamt acht Geschichten finden sich in der März Ausgabe von „Clarkesworld“. Fiona Jones eröffnet die Sammlung mit „Hello ! Hello ! Hello!“, eher einer Miniatur. Der Erzähler oder besser die Entität, welche Kontakt sucht, lebt vom Licht der Sterne. Es ist eine unsterbliche Wesenseinheit, die eher kärglich beschrieben wird. Sie versucht mit einem Astronauten zu kommunizieren, der in den Tiefen des Alls in seinem Raumschiff gestrandet ist. Der Fremde ist auf der einen Seite friedfertig und neugierig. Intellektuell ist er den Menschen hoffnungslos überlegen, auch wenn seine Versuche, mit dem Astronauten zu kommunizieren, fast eine kindlich naive und damit auch emotional ansprechende Note einnehmen. Auch wenn der Text sehr kurz ist, kann Fiona Jones der optimistischen Story keine ausreichenden Wendungen zufügen, damit der Leser über die einzige handelnde „Person“ hinaus sich mit dem Text identifizieren kann.

 D.A. Xiaolin Spires „Nine Beauties and the Entangled Thread“ handelt von einer Frau und einem Mann (nicht unbedingt ihr Freund), die mittels eines eigenen von ihnen entwickelten Geräts den Wald untersuchen können, in dem sich die Frau als Kind schon gerne aufgehalten hat. Anscheinend sterben die Bäume im Wald ab. Die Geschichten besteht aus zahlreichen Rückblenden, welche schließlich zufrieden stellend in die Pointe einfließen. Der untersuchungstechnische Aufwand erscheint aus der gegenwärtigen Perspektive ein wenig zu stark konstruiert, als wenn die Autorin etwas Spektakuläres „erfinden“ wollte, ihr aber die Ideen ausgegangen sind. Daher gehen ihre Untersuchungen über die Wurzeln des Übels hinaus, wobei diese am Anfang der Analysen hätten stehen müssen.

 „One Flew Over the Songhua River“ von Qi Ran ist eine der aus dem Chinesischen übersetzten Storys. Ein Raumschiff kann mittels eines modernen Antigravantriebs die Grenzen des Sonnensystems verlassen. Am Rande lauert aber ein Objekt, welches das Raumschiff zerstören möchte. Die Idee einer Art Wächterrasse außerhalb des Sonnensystems, welche die Menschen einsperren, ist uralt und wird auch zu wenig nachhaltig in dieser längeren Kurzgeschichte herausgearbeitet. Der Antigravantrieb ist dabei der Schlüssel zu einem möglichen Entkommen.

 Im Mittelpunkt der Geschichte steht weniger die eher bekannte Handlung der Geschichte, sondern das schwierige Verhältnis zwischen dem Erfinder an Bord des Raumschiffs und seiner zurückgelassenen Frau. Auch Qi Ran baut diese Beziehung vor allem auf Rückblicken auf, was auf der einen Seite den Figuren eine überzeugende Tiefe gibt, auf der anderen Seite leider auch statisch wirkt. Die Liebesgeschichte ist dabei stärker als die eigentliche Science Fiction Story, was unabhängig vom statischen Aufbau selten innerhalb der chinesischen Science Fiction ist. Meistens wirken die einzelnen Protagonisten steif und distanziert, während die Plots manchmal auch gegen alle Logik überzeugend und provokant sind.

 Malena Salazar Marcia beschreibt in „Geminoid“ die Möglichkeit, menschliche Double mittels Roboter zu erschaffen. Dabei werden sowohl die Haut wie auch einige der inneren Organe mittels Kloning künstlich basierend auf den Originalvorlagen erzeugt. Das Ziel dieses Prozesses offenbart die Autorin erst am Ende ihrer Story. Im Mittelpunkt steht ein Junge mit seinem Roboter, seiner klontechnischen Ersatzbank. Der Roboter versucht seinen Partner vor Aufregung zu schützen, was allerdings in einigen absurd konstruiert wirkenden Szenen gipfelt. Die Prämisse ist allerdings eher brüchig, denn der technologische Aufwand ist derart groß, dass es leichtere und effektivere Wege geben müsste, in einer so technologisierten Zukunft den Kranken zu helfen. Als die Autorin den Plot noch erweitern möchte, greift sie leider auf eine Handvoll genretechnische Klischees zurück und findet keine zufrieden stellende Auflösung.  

 Ben Berman Ghans „Phosphorescence“ spielt in einer fernen Zukunft, in welcher die Existenzgrundlage der Menschheit durch die Klimaveränderungen zerstört worden ist. Auf einer Konferenz werden verschiedene Möglichkeiten diskutiert. Einmal das Verpflanzen von Gehirnen in Roboter, wobei der Aufwand wie bei „Geminoid“ hinterfragt werden muss, da auch die Roboter hergestellt werden müssen. Die zweite Variante ist das Uploaden des menschlichen Bewusstsein innerhalb von Großcomputern oder das Ausschicken von Raumschiffen zu bewohnbaren Planeten. Die beiden Protagonisten – namenlos als The Machinist und The Botanist bezeichnet – verwerfen in den „Gesprächen“ die ersten beiden Ideen, weil damit angeblich ein elitärer Auswahlprozess in Gang gesetzt werden könnte. Das gilt grundsätzlich auch für die dritte Option, aber es handelt es sich bei dieser Geschichte auch eher um eine Kammerspiel, eine fiktive Simulation von Möglichkeiten, an deren Ende keine überzeugende und verbindliche Lösung steht, sondern der Ausblick in die ferne Zukunft der Menschheit. Auf dieser Note hat Arthur C. Clarke einige seiner Bücher enden lassen. Die Diskussionen sind vielschichtig, die Lösungen allerdings teilweise stark theoretisiert, so dass ein Funke nicht wirklich überspringen will.

 Alaya Dawa Johnsons „A Brief Oral History of the El Zoplilote Dock” ist eher eine Miniatur. Nach dem Zusammenbruch der Vereinigten Staaten und der Bildung von entsprechenden Nationalstaaten nach dem zweiten Bürgerkrieg spielt die Geschichte in Texas, das sich wieder auf seine Wurzeln als Sklavenstaat besonnen hat. Allerdings werden diese Sklaven in virtuellen Realitäten gefangen gehalten. Die Geschichte ist eher eine Art Essay, eine historische Zusammenfassung mit nur wenigen inhaltlichen Aspekten und einer Handvoll von Fußnoten, die länger als die Miniatur sind. Die Grundlage ist allerdings realistisch, die Autorin bezieht sich auf das Schicksal der eigenen Familie, die Texas mittels einer Untergrundbewegung im 19. Jahrhundert verlassen konnten.

 Viele politische Aspekte fließen in die Novelle ein. Im mittleren Abschnitt verlässt die Autorin die sachliche Ebene und beginnt mittels persönlicher Schicksale ein interessantes, vielschichtiges historisches Bild des Unrechtstaates Texas zu zeichnen, fest verankert in der Geschichte und doch für die folgenden Generationen geschickt und intelligent extrapoliert. Die Story verlangt aufgrund seines statischen Aufbaus Geduld vom Leser, die sich bis zum bitteren, aber auch konsequenten Ende bezahlt macht.

 „Her Body, the Ship“ von S.K. Abraham spielt auf einem Generationenraumschiff, dessen Besatzung in verschiedene Stämme aufgeteilt worden ist. Die Navigatorengilde wendet sich gegen die rigiden Regeln und will sich auf dem nächsten bewohnbaren Planeten niederlassen. Das stört andere Stämme, welche die zu ihren Gunsten ausgelegte Ordnung an Bord des Raumschiffs erhalten möchten.

 Auch wenn die Handlungen der Protagonisten nicht immer nachvollziehbar sind, überzeugt die besondere Gestaltung der einzelnen Stämme und ihre Interaktion. Wahrscheinlich wäre eine Novelle besser, um die einzelnen Konflikte besser auszuarbeiten und einzelne hektische Perspektivwechsel zu verändern. Aber S.K. Abraham gelingt es, einem alten Thema zumindest im Inneren des Raumschiffs neues Leben einzuhauchen.

 „Swarm X1048- Ethologicla Field Report: Canis Lupus Familiaris, 6“ von F.E. Choe schließt diese „Clarkesworld“ Ausgabe passend ab. Es ist eine Miniatur, in welcher die Außerirdischen das Leben auf der Erde beobachten, während sie im Laufe einer ökologischen Katastrophe Menschen und vor allem einen Hund retten. Es ist eine sentimentale Geschichte, die vor allem Besitzer von Hunden vertraut vorkommt. Emotional anrührend, vielleicht von einigen Lesern auch als kitschig empfunden, schließt sie eine solide Frühjahr 2024 Ausgabe von „Clarkesworld“ ab.

 Alle Geschichten können trotz einiger Schwächen auf die eine oder andere Art überzeugen. Bekannte Themen werden dieses Mal auf deutlich originellere Art und Weise abgehandelt. Die wissenschaftlich technischen Defizite der letzten „Clarkesworld“ Nummern sind nicht vorhanden, die Geschichten lassen sich alle gut lesen und bieten vor allem mit bekannten Versatzstücken neue Variationen an.