Tentakelwacht

Dirk van den Boom

        Mit „Tentakelwacht“ liegt der erste Band der zweiten „Tentakel“ Trilogie aus der Feder Dirk van den Booms vor. Anstatt der Plot mit der zweiten, statisch zu 99 Prozent immer erfolgreichen Invasion der zahlenmäßig überlegenen „Tentakel“ stringent fortzuführen, hat der Saarbrücker eine Reihe von Überraschungen eingebaut. Dabei reicht das Spektrum von der Erschaffung der Tentakel – der Paukenschlagcliffhanger des vorliegenden Romans – über esoterische Ausflüge in Taschenuniversen, die ein wenig an „2001“ erinnern und inhaltlich doch so ganz anders und keine „Deus Ex Machina“ Lösung versprechend sind. Von den tausenden von nackten Klonfrauen ganz zu schweigen, die einer der Protagonistinnen der ersten Trilogie ähneln. Auch Tentakelsex kommt vor. Ein breites Spektrum, dass Dirk van den Boom in diesem unterhaltsam geschriebenen Roman abhandelt, ohne das der Leser an einer Stelle wirklich das Gefühl hat, einen Aufguss der ersten Trilogie zu lesen.

Im Auftaktkapitel werden die beiden wichtigsten Protagonisten Roby und Slap eingeführt. Sie sind Freunde und versuchen sich an einem Einbruch. Sie werden ergriffen und als Serientäter vor die Wahl gestellt: sofort Hinrichtung oder Dienst in der Armee. Zu diesem Zeitpunkt haben sich die Tentakel seit einhundert Jahren nicht mehr im System gezeigt. Während Slap aufgrund seiner besonderen Fähigkeiten das Potential zu einem Kontroller hat, soll Roby nach entsprechender harter Grundausbildung der Titel spendenden Tentakelwacht zugeteilt werden, die am Rande des Sonnensystems nach den ersten Anzeichen einer weiteren Invasion schaut.
Mit zwei parallel ablaufenden Handlungsebenen deckt Dirk van den Boom bis auf wenige Abstecher das ganze Spektrum der drohenden Invasion ab. Dabei Roby eher wie den Miltary Science Fiction Bereich zuständig. Eine brutal harte, sadistische Grundausbildung für junge Männer, die in den Augen ihrer Vorgesetzten sowie keine Zukunft oder gar eine zweite Chance verdient haben. As sich Roby gegen einen seiner Schinder wehrt, eröffnet sich ihm die perfide Doppelwirkung dieser Ausbildung. Es lässt sich jetzt streiten, ob eine derartig auf die Abwehr einer Invasion konzentrierter Militärorganisation wichtige Resourcen bezüglich der Ausbildung des Kanonenfutters abzweigt. Akzeptiert man Dirk van den Booms Prämisse, dann fällt Roby aufgrund seiner Aggressivität nach oben und muss zukünftig gegen Plünderer und Aufständische kämpfen, die in der zwischenzeitlich Realität gewordenen Invasion der Tentakel ums eigene Überleben kämpfen.
Ohne Frage hat Dirk van den Boom einen stringenten Actionroman geschrieben. Dabei geraten einige Facetten zu Gunsten des übergeordneten Plots in den Hintergrund. Wo er sich in „Kaiserkrieger“ viel mehr Zeit und Raum genommen hat, wird hier ordentlich zusammengepresst. So erfährt der Leser über die „Tentakelwacht“ nur sehr wenig. Vielleicht hätte es der Struktur des Romans gut getan, Roby in einer „ruhigeren“ Zeit in den seit fast einhundert Jahren bestehenden Dienst einzuführen, ihm einige Absurditäten zu zeigen und dann erst die Tentakel wieder aufmarschieren lassen. So durchläuft Roby seine Ausbildung im Schnelldurchlauf und der Leser hat wie bei Slap lange Zeit das Gefühl, als könne ihm trotz des Chaos nicht wirklich viel passieren. Es bleibt abzuwarten, ob Dirk van den Boom an einer Stelle des Romans wirklich den Mut hat, sehr wichtige Charaktere aus dem Nichts heraus sterben zu lassen oder ob er eine Alternative präsentiert. Auf jeden Fall ist Roby bei den ersten Auseinandersetzungen mit den erneut, aber anfänglich vorsichtiger, dann plötzlich Tempo aufnehmenden angreifenden Tentakel dabei. Die Actionszenen sind solide geschrieben, der Überlebenskampf wie in der ersten Trilogie ohne Frage brutal ohne in sadistischen Exzessen zu enden. Ein wenig mehr Ironie hätte allerdings dieser Handlungsebene gut getan. Die pathetischen Ansprachen erreichen zwar nicht das „Armageddon“ Niveau, sind aber vom Autoren voller Inbrunst immer am Rande des kitschigen Klischees entlang verfasst worden.
Obwohl Slab als Charakter deutlich eindimensionaler und blasser erscheint, ist seine Handlungsebene die interessantere. Verbunden werden sie schließlich durch die Klonfrauen, die ihren eigenen Staat im untergehenden irdischen „Staat“ bilden.
Als Controller ausgebildet soll Slap ein Phänomen auf dem Jupiter untersuchen. Dort hat sich eine Hitzequelle gebildet, die anscheinend keinen natürlich Ursprung hat. Er landet in einer Art Taschenuniversum. Dirk van den Boom ist erfahren genug, um hier keine echte Lösung für die Menschheit anzubieten, sondern eine weitere Quelle der Unruhe aufzumachen. Slap wird von einer attraktiven Botschafterin ein Angebot gemacht. Die Menschheit ist dem Untergang geweiht. Die meisten Völker – man spricht von mehr als achthundert – haben die erste Invasion der Tentakel nicht überlebt, nur wenig eine zweite und spätestens mit der abschließenden dritten Invasion sind alle bekannten Völker überrannt worden. Um das Überleben der Menschen zu sichern, soll eine für eine Ausbildung eines zukünftigen Genpools ausreichende Gruppe von Menschen in dieses den Tentakeln bislang verschlossene, aber bekannte Taschenuniversum übersiedeln, wo auch schon die anderen von den Tentakeln vertriebenen Rassen leben. Die Grundidee ist vielleicht nicht neu, aber die Hintergründe dieser fatalistischen und dem Stolz der Menschheit widersprechenden Einstellung verrät der Autor am Ende des vorliegenden Bandes. Das von Dirk van den Boom beschriebene Universum ist inklusiv entsprechender sexueller Tätigkeiten bizarr und faszinierend zugleich. Während Robys Tentakelwache im gesamten Roman ein wenig zu kurz kommt, reichen die Slap übermittelnden Informationen aus. Die Mischung aus „2001“ Esoterik und „Star Trek“ Mahnungen sind solide zu lesen und stehen nicht in einem Widerspruch zum harten Realismus, den Dirk van den Boom in der ersten Trilogie und der Roby Handlung bevorzugt. Das hier keine Lösung präsentiert, sondern die Ausweglosigkeit des menschlichen Überlebenskampfes demonstriert wird, trägt zum fatalistischen wie allerdings auch herausfordernden Grundton des Romans bei. Der Leser kann sich allerdings schwerlich vorstellen, das die Menschen am Ende von sechs Romanen endgültig den Tentakeln unterliegen.
Wie schon angedeutet hat Dirk van den Boom weitere Hintergrundinformationen in die Handlung eingestreut. Da wären die Mitglieder der „Kirche Rahel“. Ein direkter Bezug auf die entsprechenden Figuren der ersten Trilogie, deren Absichten Roby herausfinden soll. Die Idee, das sie die Klonfabriken der Militärs umprogrammiert und somit attraktive wie nackte Klonfrauen produziert haben, ist bizarr und wirkt vielleicht ein wenig konstruiert. Solche erotischen Exkurse heben aber die „Tentakel“ Romane aus dem Einheitsbrei der Military- / Invasiongeschichten heraus und verdeutlichen, dass der Leser nicht alles wirklich bierernst nehmen sollte. Es bleibt abzuwarten, welche Rolle diese Kriegerinnen noch spielen werden.

Vielleicht überschlagen sich die Ereignisse im letzten Viertel des Romans ein wenig zu sehr. Obwohl unterhaltsam mit pointierten Dialogen geschrieben wirkt der erste Teil dieser bislang sich überdurchschnittlich entwickelnden Trilogie ein wenig unausgewogen. Anfänglich wird gesagt, dass die Tentakel vorsichtiger taktieren und die Menschheit ein wenig mehr Zeit als beim ersten Mal hat. Dann überrennen die Tentakel die äußeren Planeten inklusiv des Asteroidengürtel – Jupiter bildet eine Ausnahme, hier wird um die Gasplaneten „Festung“ aus bekannten Gründen erbittert gekämpft -, ohne das der Leser die einzelnen Details nachvollziehen kann. Ohne Frage sind die Tentakel in einer erdrückenden Übermacht aufgetaucht und ohne Frage hat sich die Menschheit auch weiterentwickelt. Das zwischen der ersten Trilogie und dem vorliegenden Band aber einhundert Jahre vergangen sind, wird nur selten vom Autoren deutlich gemacht. Wirkungslose Wunderwaffen – man muss ja leider nur die Entwicklung der Waffentechnik unserer letzten einhundert Jahre als Beispiel nennen – werden vermisst. Die Hierarchien sind immer noch militärisch vertraut und politisch sozial scheint sich auf der Erde auch nicht viel getan zu haben. Ohne den zeitlichen Hinweis könnte „Tentakelwacht“ nahtlos an die ersten drei Abenteuer anschließen.
Für einen Auftaktband einer Trilogie macht Dirk van den Boom unabhängig von der unnötigen Hektik keine Gefangen. Das Szenario wird genauso etabliert wie die wichtigsten Protagonisten dem Leser vorgestellt und ins Geschehen geworfen. Da der Feind nicht mehr etabliert werden muss, reicht die Erwähnung des Schlagwortes Tentakel, um den Menschen das blanke Entsetzen in die Gesichter zu treiben. Das ist für die Gesamtstruktur dieses lesenswerten Bandes positiv. Hinzu kommt, das er die inneren Abläufe des Militärs aus der subjektiven Perspektive der neu rekrutierten Protagonisten kennen lernt, denen trotz aller Irrungen und Wirrungen vielleicht anfänglich zu viel gelingt. Das es dieses Militär mit seiner Sexgeilheit, seinem ausschließlich demotivierenden Drills und der Fähigkeit, aus dem Nichts heraus entsprechende Truppenverbände materialisieren zu lassen, in keiner Realität jemals geben wird, gehört zum „Flair“ dieser speziellen Serie und muss bei der Lektüre als Fakt akzeptiert werden. Sonst wird man sich nicht in die Bücher hineinarbeiten können.
Erst im Verlaufe des sehr stringenten Plots relativiert Dirk van den Boom dieses Ungleichgewicht ein wenig und fügt neue, ohne Frage exotischere Ideen hinzu. Ein spannender, abwechselungsreich ironisierend geschriebener und die Qualität der erste Trilogie trotz der ganz kleinen Schwächen übertreffender Auftaktband der wahrscheinlich finalen Auseinandersetzung mit den „Tentakeln“.

Dirk van den Boom: "Tentakelwacht"
Roman, Softcover, 238 Seiten
Atlantis- Verlag 2012

ISBN 9-7838-6402-0377