Zeitmaschinen gehen anders

David Gerrold

Mit „Zeitmaschinen gehen anders“ aus den Jahre 1973 legt der Randomhouse Verlag einen der Klassiker des Themas Zeitreise als Ebook wieder auf. Selbst über vierzig Jahre nach seiner Entstehung hat der Roman nichts von seiner Faszination verloren. Dabei muss berücksichtigt werden, dass sowohl „Zeitmaschinen gehen anders“ als auch „Ich bin Harlie“ als Frühwerk des „Tribbles“ Schöpfers David Gerrold eine erstaunliche Alterweisheit aufweisen. Wer insbesondere einige Passagen aus dem vorliegenden Buch mit Abschnitten in seinem autobiographisch gefärbten Buch „A Martian Child“ vergleicht, wird erkennen, dass der Protagonist und Ich- Erzähler Dan bzw. Danny sehr viel Ähnlichkeiten mit David Gerrold hat. So pointiert und doppeldeutig auch der deutsche Titel „Zeitmaschinen gehen anders“ ist, der Originaltitel „The Man who Folded Himself“ passt deutlich besser, denn am Ende hat David Gerrold versucht, den gordischen Knoten zu durchschlagen und die These, ob zuerst die Henne oder das Ei als Basis dieses Roman da gewesen ist, simpel zu beantworten: beides gleichzeitig und doch beides nicht.

Das Buch zerfällt in zwei sehr unterschiedliche, aber thematisch auf ihre Art und Weise auch interessante Hälften. Getrennt werden sie durch die zahllosen Reisen, die Dan mit dem geerbten Zeitgürtel in die Vergangenheit und Zukunft unternimmt. Wie Stephen King in "11/22/63" scheint sich David Gerrold dabei sehr stark auf das Ende der fünfziger Jahre, Kennedys Aufstieg und vielleicht mit dem aufziehenden Vietnamkrieg auch das Ende der Unschuld zu konzentrieren. Der Protagonist ist nicht nur in dieser Zeit geboren worden, es zieht auch immer wieder dahin. Zu Beginn erfährt er, dass sein Onkel Jim ihm keine 143 Millionen Dollar, sondern nur einen Zeitgürtel hinterlassen hat. Da Onkel Jim Dan dazu brachte, sein weniges Taschengeld deutlich stärker auszugeben als es die sichere Einnahmenseite zugelassen hat, ist Dan quasi gezwungen, mit dem Zeitgürtel zu spielen. Die leichteste Art des Geldverdienens ist das Pferdewetten, wobei Dan auf sein einen Tag älteres „Ich“ trifft, das anscheinend je nach Zeitlinie vorsichtig oder aggressiv wettet und relativ schnell Geld verdient. Natürlich kommt es zu einer Warnung aus der Zukunft – ein weiterer Dan bzw. da es sich um einen der ernsten Mahner handelt, ein wie später relativierend erläutert wird  „Don“ -, es nicht auf der Rennbahn zu übertreiben. Am deutlichsten erarbeitet der Autor während dieser Passagen einige mögliche "Widersprüche".

Die Zeitreisenden können sich nicht nur begegnen, sondern gegenseitig warnen oder Ratschläge geben. Es besteht sogar die Möglichkeit, dass auf einer Zeitzone zwei konträre Zeitungsausgaben existieren können. Im Gegensatz zum Klassiker der Zeitreise von H.G. Wells wird der Zeitgürtel sogar inklusiv Bedienungsanleitung ausgeliefert, welche der Antiheld natürlich nicht ausführlich liest und dabei einige Risiken unterschätzt. Absichtlich unterläuft David Gerrold aber alle klassischen Tretmienen dieses Subgenres, in dem sich die einzelnen Inkarnationen nicht nur miteinander unterhalten und gegenseitig warnen können, sondern später im Verlauf der Handlung sogar untereinander homosexuellen als auch heterosexuellen Kontakt haben. Diese Passagen sind emotional ansprechend beschrieben, wobei die erste Liebesnacht zwischen Dan und Don auch den Neigungen David Gerrolds entspricht. Durch die verschiedenen Zeitreisen – man kann immer wieder in eine Periode zurück – wird Dan unglaublich reich, wobei er bei einigen Versuchen auch die Vergangenheit korrigieren muss, da ihm die Ergebnisse nicht gefallen. Mit dem buchstäblich in die Wüste geschickten Jesus und den Folgen für die Gegenwart scheint David Gerrold auch ein wenig Michael Moorcocks provokanten „INRI oder die Reise mit der Zeitmaschine“ parodieren zu wollen. Da es sich um einen ausgesprochen kompakten Roman handelt, werden die einzelnen Reisen wie von Onkel Jim von Beginn an gefordert in Tagebuchform erzählt und wirken dadurch distanzierter und weniger humorvoll zynisch spritzig als es vielleicht beabsichtigt gewesen ist. Höhepunkt dieser absurden Begegnungen ist eine gigantische Party natürlich im Jahre 1999 kurz vor dem Ende des Jahrtausends, an welcher in einem abgeschieden gelegenen großen Haus unzählige auch alterstechnisch weit auseinander liegende Dans und Dons teilnehmen.

Die zweite Hälfte des Buches ist trotz weiterer, allerdings mehr und mehr eine Schleife bildender Reisen der nachdenklich stimmende Teil des Buches. 

Zeitreisen machen nicht nur Spaß. Gerrolds Charaktere unabhängig von ihrem Geschlecht sind einsam. Ob es klassische Einzelgänger sind, macht der Autor nicht gleich ersichtlich. Dan oder Don fühlt sich seltsam nicht nur zum Onkel Jim und seinen unglaublich pünktlichen Auftritten hingezogen. Die meisten Begegnen hat der Protagonist mit seinen alter Egos aus anderen Zeitlinien. Natürlich wirkt es grotesk, wenn er weder mit den Teenagern noch den ganz alten Charakteren wirklich etwas anfangen kann. Die väterliche Seite kommt durch, als er sich um seinen Sohn kümmert, nachdem er lange daran gearbeitet hat, das Geschlecht festzulegen. Auf welche Art und Weise ist eine wunderschöne aus zwei Perspektiven erzählte Farce, wobei es zumindest eine Abzeiglinie zusätzlich geben muss. Am liebsten hat er die Alter Egos um sich, die ungefähr seinem Alter entsprechen, wobei auch hier David Gerrold noch die mahnende Fraktion anlegt, welche immer wieder auf der Zukunft in die Vergangenheit schauend die übertriebenen Exzesse relativiert. Natürlich wirken die Inzestpassagen – kann man überhaupt von Geschwisterliebe sprechen, wenn es sich um die gleiche Inkarnation aus einer andere, Paralleluniversum/ einer anderen Zeitlinie handelt ?- auf den ersten Blick emotional befremdlich, aber mit erstaunlich viel Einfühlungsvermögen und vor allem auch mach humorvoll erotischen Seitenhieb umschifft David Gerrold die Klippe.        

 Zeitreiseromane sollen vor allem logisch sein. Aber wie die Geschichte mit der Henne und dem Ei gibt es im Grunde keinen Anfang und kein Ende. Die erste Reise ist gleichzeitig auch die letzte Mission des Zeitgürtels, wobei der Autor ein wenig aus dem Zusammenhang gerissen und andere Werke wie H. G. Wells „Die Zeitmaschine“ ignorierend von einem ganzen Universum von Zeitgürteln spricht, die irgendwie/ irgendwo in der Nähe der Basiszeitlinie entwickelt oder anscheinend verteilt worden sind. Dabei geht der Autor wie anderen Fernsehserien – siehe „Sliders“ – oder Buchtetralogien wie die Geschichte der „Langen Erde“ später zu wenig auf diese Ursprungslinie ein. Der Autor charakterisiert sie, allerdings kann der Leser diesen Schritt nicht unbedingt nachvollziehen. Hier wirken die Erläuterungen bemüht. Sie spielen auch keine Rolle. Der englische Titel „The Man Who Folded Himself“ drückt das besser aus, denn kritisch gesprochen bis auf ganz ganz wenige Nebenrollen wie die Anwälte von Onkel Jim oder die verblüffte Nachbarin, die plötzlich mit Dans Zwilling konfrontiert wird, hat David Gerrold ein Buch um einen einzigen Charakter konzipiert. Es hat keinen Zweck, die einzelnen Reisen chronisch zu ordnen.

Der Ich-Erzähler spricht ja selbst davon, dass er einzelne Abschnitte der nahen Geschichte im Grunde wie Fausts schönen Augenblick, den er unbedingt festhalten möchte, immer wieder durchlebt hat und immer wieder an den Anfang dieser Zeit zurück reisen musste. Es sind zu viele und nicht wenige finden im Off statt. Alleine deren Resultate sind zu erkennen. Ob diese Idee wirklich logisch nahvollziehbar und dadurch auch extrapolierbar ist, steht auf einem anderen Blatt. Nach den ernsten Passagen dreht David Gerrold noch einmal auf und beschreibt im Grunde den Anfang des Buches aus einer gänzlich anderen Perspektive, welche der aufmerksame Leser irgendwann im Verlauf der Begegnungen und Wiederbegegnungen ahnt. Aber das spielt auch keine Rolle. Die Grundidee der Zeitreise, die immer wieder neue Dimensionen ausbildet, ist insbesondere in den siebziger Jahren im Vergleich zur klassischen Ein-Strom-Reise entlang des Zeitflusses relativ neu gewesen.

Mit einigen pointierten Bemerkungen unterhält David Gerrold in diesem wie eingangs erwähnt sehr kompakt geschriebenen Roman ausgesprochen gut. An einigen Stellen scheint David Gerrold ein wenig zu sehr am Rad zu drehen und versucht einzelne Aspekte überambitioniert und für den ganzen Plot zu ausführlich zu beschreiben, als müssen sich Autor und Protagonist sowie der Leser an die Grundlagen unerklärlicher Dimensionsübertretungen noch gewöhnen, aber spätestens mit dem schon erwähnten Zeitraffer im Tagebuch fügt Gerrold noch eine erstaunlich erhabene Komponente mit einem Überblick über das chaotische 20. Jahrhundert hinzu, dessen Irrungen und Wirrungen gar nicht so leicht zu ordnen sind. Hinzu kommt, dass er einen multidimensionalen Protagonisten erschaffen hat, der nicht unbedingt sympathisch ist, aber irgendwo zwischen Hoffen und Harren, Gier und Weisheit im Grunde nur eines sucht. Zufriedenheit. Und damit steht er keinem seiner Leser nach.

  • Taschenbuch: 148 Seiten
  • Verlag: Heyne Verlag (13. Juni 2017)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3453318668
  • ISBN-13: 978-3453318663
  • Originaltitel: The man who folded himself