Clarkesworld 132

Clarkesworld 132, Titelbild, Rezension
Neil Clarke (Hrsg.)

In seinem Vorwort fasst Herausgeber Neil Clarke seine bisherigen und zukünftigen Aktivitäten des Jahres zusammen. Viel umfassender ist das Interview von Chris Urie mit

Charles Stross, in dem er nicht nur auf sein gegenwärtig laufenden verschiedenen Serien, sondern auch deren Ursprünge eingeht.

Stephanie Bucklin vergleicht  auch als Ergänzung von insgesamt drei Storys dieser Ausgabe die gegenwärtige medizinische Technik mit den Ideen der Science Fiction, während in einem der besten Essays der letzten Jahre Kelly Robson darüber schreibt, wie es in ihrer Beziehung zwischen zwei Autorinnen ist. Sie arbeitet nebenbei und verdient die stehenden Kosten, während ihre Lebensgefährtin sich ganz dem Schreiben widmet. Dabei spricht sie darüber, dass es nicht unbedingt ihr ausschließlicher Wunschtraum ist, nur vom Schreiben zu leben, da es sich erstens bei den meisten Autoren nicht erfüllen lässt und zweitens diese Situation auch wieder Druck aufbauen könnte Es ist ein sehr ehrlicher informativer wie erhellender Kommentar zum Leben und Überleben vieler Kollegen aus dem phantastischen Genre.

 Die erste der neuen Geschichten stammt von A. Brym. „Antarctic Birds“ beschreibt das Leben von Menschen unter der Kontrolle der außerirdischen Herren, über die der Leser in dieser sehr kurzen Geschichte zu wenig erfährt. Der Protagonist will das Treiben dieser Fremden auf eine originelle Art und Weise beenden, während viele weitergehende Fragen offen bleiben. Wahrscheinlich hätte ein Novellenformat dem Text besser getan, da zu viele eher nebensächlich präsentierte Informationen in eine zu statische Form gepresst werden. 

 Eric Schwitzgebels Geschichte mit einem kleinen Namen und vielen bunt gemischten Zeichen ist das Konzept einer Massenintelligenz, die aus den Gedanken der Aktivitäten der normalen Menschen eher als Beimischung entstanden ist. Auch wenn die Struktur herausfordernd ist, sind es die finalen Momente, welche der Geschichte unabhängig von einigen Schwächen im logischen Aufbau ihren unverwechselbaren Reiz geben.

 Zu den längeren Texten gehört „The Secret Life of Bots“ von Suzanne Palmer. In einer verzweifelten Situation muss die künstliche Intelligenz eines Schrotthaufens von Raumschiff auch gegen den Willen der Menschen an Bord alle Bots aktivieren. Dazu gehört die Nummer neun, die sich auf die Jagd nach einer Art Rattenbot macht. Die Dialoge sind köstlich und der Versuch, zwischen Logik und Hysterie diese eine der beiden Gefahren der Geschichte zu beseitigen liest sich bei aller Tragik unterhaltsam und lustig. Die Ansätze sind sehr gut herausgearbeitet, die Angst vor diesem seltsamen „Wesen“ überzeugend beschrieben und die einzelnen Bots agieren und verhalten sich menschlicher als die Besatzungsmitglieder, die eher den Stereotypen mancher Space Opera entsprechen.

 Die Bedrohung durch die Außerirdischen gibt der Geschichte eine zweite pikante Note. Der Kampf ist im Grunde aussichtslos, auch wenn am Ende in einer ein wenig konstruierten Wendung der Ereignissee improvisierend natürlich eine Lösung für beide Probleme gefunden wird. Unerklärlich ist, dass die künstliche Intelligenz im ersten Teil der Geschichte den Befehlen des Kommandanten noch eher sklavisch folgt, dann aus dem Nichts heraus eigene Entschlusskraft entwickelt und sich gegen die Mannschaft natürlich für den Erfolg aller stellt. Unabhängig von diesen kleinen Widersprüchen unterhält die Autorin durch die gut geschriebenen Dialoge und das Augenzwinkern in einigen wichtigen Szenen ausgesprochen gut. „The Secret Life of Bots“ ist einer der Höhepunkte dieser Ausgabe.

 Jess Barbers „Pan- Humanism: Hope and Pragmatics“ hört sich vom Titel her eher als schwere Kost an. Unabhängig von den ökologischen Extrapolationen und den Warnungen vor einer weiteren Vergiftung der Erde handelt es sich vor allem um eine Liebesgeschichte zwischen zwei Menschen, denen lange Zeit ihre Aufgaben buchstäblich im Wege stehen. Um ihrem Text Tiefe zu geben, hat Jess Barber auf eine kontinuierlich entwickelte Handlung zu Gunsten einer locker durch die Protagonisten verbundene Abfolge von Ereignissen verzichtet. Die einzelnen Szenen sind nicht nur von unterschiedlicher Qualität, an einigen Stellen wünscht sich der Leser viel mehr Dynamik, damit die immer wieder implizierte, aber nur selten zelebrierte Liebesgeschichte Platz für den sozialkritischen Hintergrund macht. Diesen beschreibt Jess Barber vor allem plakativ, provokativ, aber ohne Details. Durch diese Schlaglichter kann sich der Leser keinen genauen Überblick über die globale Situation erschaffen, zumal einige Ideen wie die Korridore in der vorliegenden rudimentär beschriebenen Form ausschließlich Fragen aufwerfen. Auf der anderen positiven Seite sind die emotionalen Szenen überdurchschnittlich gut beschrieben worden und die Figuren wirken über einen Zeitraum von mehr als zwanzig Jahren entwickelt nicht nur überzeugend, sondern ihr Reifeprozess nachvollziehbar.

Überzeugend sind die naturwissenschaftlichen Hintergründe. Jess Barber hat sich sehr viele Gedanken gemacht, wie der Luftwasserkreislauf nicht nur wieder aktiviert, sondern vor den Umwelteinflüssen durch die Industrie „geschützt“ werden kann.  

 „Möbius Continuum“ von Gu Shi, als auch die beiden Nachdrucke „Warmth“ von Geoff Ryman sowie „Bonding with Morry“ aus der Feder Tom Purdons nehmen einen Faden der sekundärliterarischen Artikel über die künstliche Befruchtung und die „Züchtung“ von Menschen außerhalb des Mutterleibs auf sehr unterschiedliche Art und Weise auf. Auch wenn in Gu Shis gegen Ende vorhersehbarer Geschichte vor allem wie bei „Bonding with Morry“ die Idee im Vordergrund steht, dass erwachsene Menschen in cybernetischen Körpern leben und überleben, ist es „Warmth“, welche die Grundlage dieser Entwicklung darstellt. Der jugendliche Protagonist wird von einer BETsi, einer speziellen Maschine zur Kindererziehung, in seinen ersten Lebensjahren begleitet, da seine erfolgreiche Mutter eher dem Alkohol zugetan ist. Mit Beginn der Schule beginnt er seine BETsi zu vermissen. Er füllt sich leer und hat Angst, sich alleine dem Leben zu stellen. Die Suche sowohl nach seiner inzwischen weiterverkauften und neu programmierten BETsi führt ihn in eine emotionale Leere, aus welcher er sich im Grunde nicht mehr befreien kann. Er wird zu einer besonderen Art von Junkie. Geoff Ryman gelingt es, aus der subjektiven Perspektive des Erzählers den vielleicht dreidimensionalsten Charakter zu erschaffen. In „Möbius Continuum“ erleidet der Erzähler einen schweren Autounfall und sein Geist wird in einer künstlichen Körper versetzt. Er muss sich allerdings alle vier Stunden um seinen eigentlichen Körper noch kümmern. Diese Idee wird im Verlauf der Geschichte elegant zur Seite geschoben, bis ihm sein damaliger Mitfahrer beim Unfall erläutert, dass das Leben nicht nur eine Möbiusschleife, sondern viel schlimmer ein entsprechend geformtes Klebeband sein könnte. Die klebende Seite ist dabei immer innen und könnte beim Durchbrechen der Zeitbarriere zu Problemen führen.

Auch wenn diese Rückkehr zu den Wurzeln – sprich den Anfängen der Geschichte – eher aus dem Nichts ist, muss diese Wendung folgerichtig sein, damit die belehrende Botschaft in dieser trotzdem unterhaltsamen, aber im direkten Vergleich zu „Warmth“ emotional nicht so interessanten, eher distanziert erzählten Geschichte überhaupt funktionieren kann.

Tom Purdon streift in „Bonding with Morry“ durch ein ganzes Leben. Auch hier lebt der „Erzähler“ in einem künstlichen Körper. Über weite Strecken scheint sich der Autor in bekannten Bereichen zu bewegen und die Weigerung, die notwendige emotionale Ebene weiter zu extrapolieren, wirkt fast kontraproduktiv. Es sind die letzten Momente, in denen der Plot nicht nur auf den Kopf gestellt wird, sondern der Leser quasi auf Augenhöhe mit dem Protagonisten sich befindet. Das nicht kitschige, aber berührende Ende entschädigt für  einige Längen im Handlungsverlauf.

 Zusammengefasst überzeugt „Carkesworld“ 132 vor allem im Gegensatz zur letzten Ausgabe wieder nicht nur mit den beiden überdurchschnittlichen Nachdrucken, sondern dem thematisch Brückenschlag zur obligatorischen Science Fiction Geschichte aus China. Die beiden längeren Novellen behandeln zwar unterschiedliche Themen und können nicht gänzlich abgerundet genannt werden. Die Inhalte sind aber originell und die Zeichnung der Figuren überdurchschnittlich gelungen, während die beiden reinen Kurzgeschichten wie in den letzten Ausgaben des Online Magazins weiterhin zu experimentell um ihrer Selbst willen erscheinen und qualitativ eher durchschnittlich sind.