The Mystery Weekly Magazine October 2016

Mystery weekly, Sherlock Holmes, Titelbild, Rezension
Vincent W. Wright (Hrsg)

Im Herbst 2016 widmete sich das Online Magazin „Mystery Weekly“ in einer angekündigten Doppelnummer Sherlock Holmes. Die Ausgabe ist auch preisgünstig gedruckt bei Amazon zu erhalten. Beginnend mit dem Titelbild – es zeigt Jeremy Brett – werden aber insgesamt sieben Geschichten, ein kurzes einführendes Essay, ein sekundärliterarisches Artikel und die beliebte vom Leser aufzulösende Pointenstory dieses Mal mit Sherlock Holmes Inhalt präsentiert. Nur die drei längeren Texte, sowie das Essay über MacGuffins in den Kanon Geschichten sind Sherlock Holmes Storys. Die vier kürzeren anderen Texte sind klassische Krimi- oder Mysterygeschichten, so dass der Begriff der Doppelnummer sich wahrscheinlich nur auf den um die Sherlock Holmes Texte erweiterten Umfang bezieht. Unabhängig von dieser inhaltlichen Teilung sind die drei Geschichten um den berühmten viktorianischen Detektiv lesenswert und bilden auch umfangtechnisch einen Schwerpunkt dieser Ausgabe.  Herausgeber Vincent W. Wright geht auf die Bedeutung Sherlock Holmes von seinem ersten Auftreten im „Strand“ Magazine ein. Seine Einleitung ist weniger für Sherlock Holmes Fans als die Allgemeinheit gedacht, wobei er geschickt alle Kanonstorys inhaltlich umschifft.  

 Sekundärliterarisch setzt sich Bruce Harris mit den „MacGuffins on Baker Street“ auseinander. Rückblickend mit Hilfe von Alfred Hitchcocks Definition dieses Initialzünders für eine Geschichte, der abschließend nicht wichtig ist, arbeitet der Autor fundiert wie komprimiert vergleichbare Aufhänger kurzweilig zu lesen heraus. 

 Die erste und längste Geschichte dieser Ausgabe stammt von Michael Mallory. In „The Adventure of the Missing Princess“ lässt der Autor den Kanon mit dem auch in David Lynchs ergreifenden Film „Der Elefantenmensch“ manifestierten Schicksal des schwerkranken und entstellten John Merrick verbinden.  Die Frau des amtierenden Königs ist unmittelbar nach einem Besuch in dessen Krankenzimmer in Begleitung eines unbekannten Mannes spurlos verschwunden. Über Doktor Watson bitten die Mitglieder der britischen Regierung angeführt von Mycroft Holmes seinen Bruder, nach der verschwunden Prinzessin zu suchen.

Wie bei den besten „Sherlock Holmes“ Geschichten ist das Verbrechen zweitrangig. Im Grunde findet anfänglich nicht einmal ein Verbrechen statt. Der spätere Mord kann auch im strengsten Sinne des Wortes nicht so definiert werden.

Sherlock Holmes ist allgegenwärtig, auch wenn er seinen Hang zur Verschwiegenheit übertreibt und er dadurch vom Autoren ignoriert mittelbar für den Tod eines Unschuldigen verantwortlich ist.

Neben den gut geschriebenen Dialogen überzeugt diese vielschichtige Novelle durch die interessante Zeichnung vieler Nebenfiguren beginnend mit dem sensiblen, intelligenten und „The Strand“ lesenden Merrick über die Prinzessin von Wales bis zu den selbst verliebten Mitgliedern der britischen Regierung, die vor allem die eigene Haut retten wollen. Der Kontrast zwischen dem bulligen Mycroft Holmes und seinem dominierenden, allerdings auch im Hintergrund integrierenden Bruder in guter Absicht könnte nicht größer sein.

Während des Finales löst Sherlock Holmes das angesprochene Verbrechen in klassischer Manier basierend auf seiner Beobachtungsgabe, während er die tragische Familientragödie nur als Mittler referiert.   

 Jaap Boekestein und Roelof Goudriaam dominieren mit ihrer semiphantastischen Hommage auch an Bram Stokers Romane abseits „Draculas“ im Grunde die Ausgabe. „The Case of the Masticated Hand“ ist einer dieser Fälle, die Doktor Watson zwar aufschreiben, aber niemals veröffentlichen darf. Sherlock Holmes soll das Verschwinden einer Mumie aufklären. Nur die grob abgetrennte Hand ist der Witwe eines Archäologen geblieben. Die Spur führt zu einem obskuren Professor, der den Geist eines alten Königin wieder beleben möchte. Neben der überzeugenden Deduktionsarbeit vor allem in der ersten Hälfte des Plots ist die Wendung zum Phantastischen ein interessanter Aspekt der ganzen Story. An keiner Stelle kann Doktor Watson zugeben, ob die Vision Zufall ist oder ob tatsächlich der Geist eines alten, machthungrigen Königin ihn manipuliert hat. Der Bogen lässt sich aber noch weiter schlagen, da weder für die Protagonisten noch den Leser nachhaltig klar ist, ob diese Ereignisse sich wirklich so abgespielt haben. Auch Sherlock Holmes kann bei der Verfolgung des Täters – oder ist es ein weiteres Opfer – nicht sicher sein, dass Naturereignisse im Spiel sind. Diese vielen offenen Fragen gehören in den Bereich des viktorianisch gotischen Grusels, der nicht selten mit Stimmungen spielte dann mit Fakten zu unterhalten. Der Aufbau ist eines klassische Sherlock Holmes Geschichte mit Problemstellung, Deduktion und schließlich einem furiosen, zufrieden stellenden wie stimmungsvollen Finale. Vor allem weil die beiden Autoren sehr viel Respekt vor Doyles Charakteren zeigen und es ihnen gelingt, viele Feinheiten den Kanongeschichten entlehnend in ihren Plot einzubauen, ohne die sorgfältige Balance zwischen Tempo und Stimmung zu unterminieren.

 Die dritte Story „The Mystery of the Bee´s Egg” aus der Feder Eric Clines folgt seinen beiden Vorgängern vielleicht nur in dem Punkt nach, dass das potentielle Verbrechen angesichts der Umstände viel zu perfekt erscheint und ein geübtes Auge wie Sherlock Holmes erkennen muss, dass der Fundort nicht der „Tatort“ sein kann. Trotzdem entwickelt sich eine historisch gut recherchierte und überzeugend entwickelte Story um den Bau eine wichtigen Eisenbahnbrücke in Schottland. Interessant ist, dass Doktor Watson als Erzähler das nicht unbedingt stimmige Klischee anspricht, viele Fällen im heimischen Wohnzimmer mit allen Verdächtigen versammelt zu lösen. Agatha Christie hat diese Vorgehensweise bevorzugt. In dieser Story versammeln sich am Fuß der in der Entstehung befindlichen Brücke alle Verdächtigen inklusiv eines Sachverständigen, umringt von den Arbeitern, welche Sherlock Holmes und die Seinen vor der neugierigen Öffentlichkeit zu schützen suchen. Mit der Wind umtosten Brücke im Hintergrund ohne Frage ein eindrucksvolles Bild. Noch eine andere Tatsache ist ungewöhnlich. Doktor Watson fungiert in doppelter Hinsicht als Chronist. Vertraut ist, dass Watson die Fälle aufschreibt und später publiziert. In diesem Fall zwingt ihn Sherlock Holmes schon während der Ermittlungen Notizen zu machen, aus denen Watson während des Finale ausgiebig zitiert und Sherlock Holmes aus den auch dem Leser vertrauten Fakten seinen Fall zusammensetzt. 

 

Nicht alle dieser Texte sind wie eingangs erwähnt Sherlock Holmes Geschichten. Martin Hill Ortiz präsentiert mit „The Pit of Hell“ das Schicksal eines Entfesselungskünstlers, dessen letzter sehr gefährlicher Trick nicht funktioniert und seinen Auftraggeber in den Ruin stürzen könnte, worauf dieser sich zu rächen sucht. Wie die meisten Sherlock Holmes Geschichten auch aus der Ich Perspektive geschrieben wirkt die kurze Story stark konstruiert und kann nicht gänzlich überzeugen, auch wenn einzelne Szenen wie der spektakuläre Stunt eindrucksvoll sind.

 Wäre das Ende nicht ein wenig zu stark konstruiert und zu glatt könnte auch Allan Langs „Acid Test“ zu den besten Texten dieser Ausgabe gezählt werden. Ein älterer Patient entführt die Ärztin seiner verstorbenen Frau und deren Baby, um die qualvoll sterben zu lassen. Er hofft, dadurch ihren Geist einfangen und bändigen zu können. Mit Intelligenz und Raffinesse kann die Ärztin aus einer im Grunde auswegslosen Situation das Blatt wenden. Atmosphärisch vielleicht anfänglich ein wenig zurückhaltend baut Allan Lang wie zum Beispiel in dem Film „The Vanishing“ das Element des Wahnsinns, der Bedrohung konsequent wie kontinuierlich auf, wobei das eiskalte, taktisch überzeugende Vorgehen der Ärztin in dieser Extremsituation die Bewunderung der Leser verdient. Das nicht unbedingt doppeldeutige, aber zumindest folgerichtige Ende inklusiv der versöhnlichen Pointe im letzten Satz rundet wie eingangs erwähnt den Text vielleicht zu perfekt ab.  Die dritte und vorletzte Geschichte ohne den berühmten Detektiv dieser Ausgabe ist Karl Lykkens „Unacceptable Risk“. Vier Männer kommen unter mysteriösen Umständen ums Leben. Es gibt über ihren Arbeitgeber eine latente Verbindung. Der Ich- Erzähler versucht mit einem Freund den in Frage kommenden Täter zu überführen, in dem er bei ihm einbricht. Die Ausgangsprämisse ist  interessant, aber sowohl die Ich- Erzählerform macht abschließend keinen Sinn wie auch die Motive eher dürftig aufgerollt sind. Eine dieser Storys, in denen Theorie und umgesetzte Praxis sich widersprechend gegenüberstehen. 

 Lawrence Block hat in den fünfziger und sechziger Jahren eine ganze Reihe von Romanen um die Grifter geschrieben, die Kleinkriminellen, die sich auf Betrug und Trickdiebstahl konzentriert haben. Die mit dem Verstand und nicht in der Waffe in der Hand zu überleben suchten. Dan DeVotos „Your Turn“ präsentiert eine vergleichbare Prämisse. Zwei junge Leute versuchen in Atlantic City ältere Menschen auszunehmen. Als ein reicher nicht unattraktiver ehemaliger Geschäftsmann die Stadt besucht, wittert Randy die große Chance und zwingt seine Freundin Daphne, den Mann um eine ungeheure Summe zu erleichtern. Die Geschichte ist solide geschrieben, wobei die fast nihilistische Stimmung Lawrence Blocks in seinen ausgezeichneten Romanen nicht wirklich aufkommt. Der Dreh am Ende ist vielleicht vorher zu erkennen, aber in mancher Hinsicht ist er konsequent, sowie nicht zu dunkel. Ohne große Ecken und Kanten eine moderne Geschichte, absichtlich in die Richtung der fünfziger Jahre zielend.

 Während die Mainstream Geschichten gute, aber nicht herausragende Unterhaltung bieten, sind die drei längeren Sherlock Holmes Geschichten auf jeden Fall lesenswert und überzeugend konzipiert, wobei in zwei der Texte Verbrechen auch nicht gleich Verbrechen ist, was in der Enge eines Magazins eine erfreuliche Abwechselung darstellt.     

  • Format: Kindle Edition
  • File Size: 6192 KB
  • Print Length: 156 pages
  • Page Numbers Source ISBN: 1519022735
  • Simultaneous Device Usage: Unlimited
  • Publisher: AM Marketing Strategies; 1 edition (30 Sept. 2016)
  • Sold by: Amazon Media EU S.à r.l.
  • Language: English
Kategorie: