Forever Magazine 51

Neil Clarke (Hrsg.)

Die Aprilausgabe des Nachdruckmagazins „Forever“ besteht wieder auf einer langen Novellen und zwei Kurzgeschichten. Sowohl die Novelle als auch Robert Reeds „Great Ship“ Geschichte sind Bestandteile einer umfangreicheren Serie, die Texte lassen sich aber auch ohne größeres Hintergrundwissen goutieren.

 Karl Bunkers „The Woman from the Ocean“ ist eine melancholische Geschichte. Der größte Teil der Menschheit hat sich durch eine künstlich erzeugte Seuche dezimiert. Die Überlebenden leben in kleinen Siedlungen, die Technik ist zusammengebrochen. Es gibt keine Erinnerungen mehr an diese Zeit. Aus dem Nichts heraus taucht in einem kleinen Dorf eine unbekannte Frau auf. Sie kommt aus der tiefsten Vergangenheit, allerdings scheint sie mit einem Raumschiff in die Tiefen des Alls geflogen zu sein und der verzögerte Ablauf in der Zeit hat dafür gesorgt, dass sie eine ferne Zukunft sehen kann, die allerdings nicht ihren Erwartungen entspricht.  Langsam gewöhnt sie sich nicht nur an das Leben, so verliebt sich und heiratet. Nur scheint die Seuche in ihrer Tochter weiterzuleben. Das Ende ist fatalistisch und macht nur bedingt einen Sinn. Anscheinend sind die anderen Dorfbewohner nicht direkt bedroht. Alleine die Erkenntnis, dass die Keime noch in ihr sind, aber keine akute Gefahr bedeuten, reicht zu einem finalen Schritt. Der Hintergrund der Geschichte ist gut gestaltet, wobei Karl Bunker sehr viel mehr Wert auf Stimmungen als Details legt. Kritisch gesprochen könnte ein Leser aber auch sagen, es sind die Versatzstücke, die anders erscheinen, aber das grundlegende Konzept ist nicht unbedingt überraschend.

 Robert Reed steuert eine seiner Geschichten um das „Great Ship“ bei. Robert Reeds Texte sind immer Herausforderungen, in denen der Autor manchmal mehr Wert auf das Korsett als wirklich den Inhalt legt. Die Idee einer Kreatur, die außerhalb der Zeit lebt, aber von Ash ausgesandt wird, um einen Mord zu begehen, ist schon in der Theorie schwierig zu akzeptieren. Robert Reed baut darum einen moralischen Überbau, der auf den ersten Blick nicht funktioniert. Anscheinend muss mit 31-1 (einer künstlichen Intelligenz) eine Art Bote ausgesandt werden, obwohl eine andere Art der Nachrichtenübermittlung sicherer und vor allem schneller wäre. Hinzu kommt, dass der Leser akzeptieren soll, dass Ash unbedingt Absolution für seine Taten haben möchte. Gleichzeitig erbittet er eine zweite Chance, auch wenn er dazu sein Opfer bitten muss, eine Art zweiten Versuch zu haben. Das Konzept wirkt stark konstruiert, zumal Robert Reed hinsichtlich der Motive wie auch der Motivation in der vorliegenden Kurzgeschichte oberflächlich bleibt und eine wirkliche Sympathieebene zu den Protagonisten nicht aufgebaut werden kann. Nicht selten impliziert Robert Reed Ideen und Prämissen, denen der Autor entweder nicht folgt oder die er abschließend negiert. Das macht einige seiner Kurzgeschichten unzugänglich und vor allem der Zyklus um das „Great Ship“ wirkt momentan eher wild wuchernd als überzeugend angesichts der gigantischen Konstruktion konzipiert.

 Die längste Geschichte stammt aus dem Jahre 2002. Es ist ein ungewöhnlicher Nachdruck aus „Asimov´Science Fiction Magazine“. Eleanor Arnason ist kein seltener Gast in Neil Clarkes Magazinen. „Potter of Bones“ stammt aus ihrer Hwarhath Serie. Es ist nicht unbedingt notwendig, den genauen Hintergrund dieser Welt zu kennen, aber die Grundlagen erinnern sehr stark auch von der literarischen Qualität bei originellen Handlungsführungen an die Geschichten Ursula K. Leguin. Mit der sexuellen Orientierung auf dieser Welt provoziert die Autorin auch ihre bigotten Leser, aber sie geht dabei logisch vor. Der Plot spielt wie viele ihrer in diesem Universum angesiedelten Storys auf der Hauptwelt. Sie wird von humanoiden allerdings behaarten Lebewesen bewohnt. Homosexualität ist die Norm, heterosexuelle Partnerschaften werden nur eingegangen, um die Art fortzupflanzen. In diesen Geschichten untersucht die Autorin konsequent einzelne Aspekte dieser primitiven Gesellschaft in einer Welt, die sowohl die Raumfahrt als auch Technik in erster Linie durch die Fremden, auf ihren Welten lebenden Menschen kennt. Wichtig ist, dass ihre Texte immer eine Art Legende, eine Volkssage beinhalten. Nicht selten sie sind Allegorien wie große Themen und sollen aufzeigen, dass das Wechselspiel zwischen den Individuen ihrer Geschichten und dem zwangsläufigen sozialen Veränderungen untrennbar ist. Nicht selten ist es der im übertragenen Sinne flach aufs Wasser geworfene Stein, dessen Kreise die größte Wirkung haben. Hinzu kommen ausgesprochen dreidimensionale Figuren, die auf der einen Seite exotisch erscheinen, auf der anderen Seite aber auch so zutiefst menschlich handeln.

 Die Erzählerin der Novelle „The Potter of Bones“ lebt in der subjektiven Gegenwart der Geschichten. Aber ihre Mythen reichen weit in die Vergangenheit dieser Welt zurück. Tulwar Haik ist Mitglied des Clans der Tulwar. In der Gegenwart hat sie einen legendären Status erreicht. Nicht unbedingt wegen ihrer Handlungen, aber wegen ihrer Kunst. Sie hat unter Beimischung alter Knochen Tongefässe geformt. Sie war nicht die Erste und sie wird auch nicht die Letzte sein. Ihre Kunst unterscheidet sich aber von den anderen Handwerkern, weniger Künstlern, weil sie an Hand ihrer Funde und der Verarbeitung der Knochen eine für den Planeten Bahnbrechende, aus menschlicher Sicht aber vertraute Evolutionstheorie aufgestellt hat. Weiterhin hat sie sich bemüht, aus den gefundenen Knochen die Urzeitwesen wieder zusammenzusetzen und so gleichzeitig Kunst wie Wissenschaft zu machen. Ganz bewusst folgt die Autorin Darwins Theorien und genau wie Darwin muss sich Haik Tulwar mit Anfeindungen auseinandersetzen.

 Die Stärke Eleanor Arnasons Geschichten liegt in der Tatsache, dass sie den Menschen, ihren Lesern an Hand ihrer befellten Kreaturen den Eulenspiegel nicht selten ins Gesicht hellt und sich mit Vorurteilen, Naivität oder reiner Dummheit an Hand ihrer erwachsenen und trotzdem stetig lernenden, aber auch lehrenden Charakteren auf eine nuancierte, nicht unbedingt immer pragmatische, aber niemals provokative Art und Weise auseinandersetzt.

 Während Haik Tulwar ihre Thesen wie ihre Krüge formt, durchlebt sie verschiedene Liebesgeschichten beginnend mit der Kauffahrerin, die wirklich in jedem Hafen eine Geliebte hat und endend schließlich in den Armen einer Schauspielerin und Regisseurin, die auf der südlichen Halbkugel für die Bewohner immer leichte komödiantische Kost aufführt, während sie im Norden ihrer Leidenschaft vom Drama frönt.

 Die Geschichte verzichtet auf lange Actionpassagen. Wie bei Ursula K. Leguin geht es auch in erster Linie um die Selbstfindung ihrer Protagonisten in schwierigen Zeiten. Ohne Pathos oder Kitsch, aber auch ohne leichte Auswege gehen sie ihren Weg durch ihr Leben. Die Stärke der Novellen im Gegensatz zu den Kurzgeschichten ist, dass der Leser wirklich fast ein ganzes Leben präsentiert bekommt. Ohne Hektik, ohne große Sprünge mit einer gekonnten Mischung aus nicht immer objektiven Rückblicken und/ oder gegenwärtigen Ereignissen formt sich auf diese so natürliche Art und Weise ein weiteres Bruchstück eines der faszinierenden Zivilisationen der Science Fiction.

 Dabei steht weniger der reine Sex, sondern das Zusammenfinden, im Grunde auch die Seelengemeinschaft im Mittelpunkt ihrer Geschichten. Eleanor Arnasons Frauen dürfen ohne Frage viel Freude am Sex haben und haben auch viel Sex, aber es ist Teil einer natürlichen Ordnung. Interessant ist, dass noch David Gerrolds homosexueller, in den wilden sechziger Jahren spielenden Novelle Neil Clarke auch für die April Ausgabe von „Forever“ einen in dieser Hinsicht provozierenden Text herausgesucht und nachgedruckt hat.

 Die Faszination der inhaltlich von Legenden bestimmten Geschichten wie „The Potter of Bones“ liegt im Zusammenführen der einzelnen Ideen vor einem souverän entwickelten Hintergrund. Sie sind vielleicht mehr soziologische Fantasy als reine Science Fiction, aber sie gehören zu den so genannten Geheimtipps des Genres, die sich an erwachsene und vor allem auch selbstständig denkende Leser wenden. In dieser Hinsicht wäre Ursula K. Leguin ohne Frage auch stolz auf Schriftsteller wie Eleanor Arnason, die auf der einen Seite selbstständig schreiben/ denken, sich aber auf der anderen Seite originell an ihrem übergroßen „Vorbild“ orientieren und eigene sozial orientierter Fantasy oder Science Fiction schreiben.

 Mit der überdurchschnittlichen Novelle setzt „Forever“ seinen qualitativen Siegeszug gegenüber dem Hauptmagazin „Clarkesworld“ fort und alleine der Gedanke, dass Neil Clarke auf derartig gute Nachdrucke verzichten möchte, lässt manchen Leser auch ein wenig schaudern.  

E Book,  96 Seiten

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