Clarkesworld 159

Neil Clarke

Neil Clarke leitet die letzte Ausgabe des Jahres 2019 mit seinen gescheiterten Versuchen ein, zu zwei Science Fiction Convetions nach China zu kommen. Viel interessanter ist Mark Coles Essay über Science Fiction Filme vor allem als Europäer, die sich auf den ersten Blick als Arthouse sehen, aber klassische Ideen verarbeiten. Wer sich für SF Filme im Allgemeinen interessiert, wird hier noch einige Perlen finden, deren Suche sich lohnt. Kurz, prägnant, Ideen und Ideale gegenüberstellend handelt es sich um einen der besten Beiträge dieser Ausgabe.

Unterschiedlicher könnten die beiden Interviews nicht sein. Peter Watts berichtet von seiner Frustration, Science Fiction auch nach Jahren des Erfolgs zu verkaufen und seine Abhängigkeit von einem einzigen verblieben Verlag – Tor Books -, der sich allerdings sehr viel Mühe mit dem nicht einfachen Watts macht. Juliette Wade hat seit einigen Jahren Kurzgeschichten publiziert, ihr erster Roman steht in den Startlöchern. Da beide Interviews von Arley Sorg geführt worden ist, setzen sie zwar unterschiedliche Schwerpunkte, ergänzen sich aber gut.

 In der Dezemberausgabe finden sich insgesamt sechs Kurzgeschichten. Kein Nachdruck ist vorhanden. Ob es am deprimierenden Vorwort Neil Clarkes liegt oder an der Jahreszeit lässt sich nicht feststellen, aber in den Texten herrscht ein dunkler Ton vor.

 Rebecca Campbells setzt in Hinsicht auf Nihilismus mit „Such Thoughts are Unproductive“ ein klares Zeichen. In einem zukünftigen Kanada spricht eine junge Frau mit ihrer Mutter, die als politische Gefangene festgehalten wird. Die Hintergründe sowohl ihrer Taten als auch der Beschreibung des Landes sind eher ambivalent. Mehr und mehr hat sie den Verdacht, das sie nicht tatsächlich mit ihrer Mutter spricht, sondern einer Simulation auf höchstem Niveau. Der Polizeistaat wird genauso angesprochen wie die Tatsache, dass die Menschen nicht mehr zwischen den künstlichen Intelligenzen und ihrer Dominanz sowie echten Menschen unterscheiden können. Die Kontrolle scheint in dieser kargen wie futuristischen Welt perfekt zu sein.

 Die Tochter flieht am Ende in die Wildnis, wobei diese Reise möglicherweise ohne Rückkehr wie eine sinnlose Flucht erscheint. Ob sie dort wirklich „frei“ ist steht dank des zu offenen Endes in den Sternen.

 Aus Afrika stammt „Eclipse our Sins“ von Tlotlo Tsamaase. Zwei Kinder beobachten den schmerzhaften Tod ihrer Mutter, welche den positiven Geist der „Erde“ verkörpert. Durch den klimatischen Wandel ist sie gezwungen, nicht mehr Leben zu gebären, sondern den Tod zu säen. Unabhängig von einigen surrealistischen Ideen wie Atemmasken, welche jegliche rassistische Anfeidung aussondern können sind es die sprachlichen Bilder, welche wahrscheinlich in Tloto Tsamaasses Muttersprache intensiv und aufregend erscheinen, im Englischen aber klischeehaft und künstlich verzerrt wirken.

 Henry Szabranskis „Witch of the Weave“ wirkt wie der Auftakt zu einer längeren Arbeit, möglicherweise einem Roman. Das Ende ist zu offen, ein Abschnitt dieser Reise ist zu Ende, die neuen Gefahren stehen irgendwo auf den noch nicht geschriebenen nächsten Seiten. Percher und Skink müssen nach dem Absturz ihres Hostes – Motherman genannt- sich auf einer herausfordernden Planetenoberfläche anscheinend mit anderen Überlebenden anderer Siedlungen auseinandersetzen. Die Faszination des bekannten Plots liegt in der wirklich fremdartigen Welt, die der Autor teilweise eher mit Andeutungen als Beschreibungen entwickelt. Percher und Skink müssen dank ihrer unterschiedlichen Fähigkeiten zusammenarbeiten, um überleben zu können. Die Beschreibungen der Protagonisten sind allerdings rudimentär, ihre möglicherweise übernatürlichen an Hexenkraft erinnernden Fähigkeiten werden ambivalent eingesetzt und das angesprochene offene Ende frustriert eher.

 Catherine George präsentiert mit „Annotated Setlist of the Mikaela Cole Jazz Quintet“ einen im Grunde zeitlosen Stoff. An Bord eines Generationenraumschiffs, das sein ursprüngliches Ziel verfehlen wird, findet sich eine Gruppe von Menschen zusammen, mit in einer improvisierten Bar Jazz spielen. Der wissenschaftliche Hintergrund ihrer Geschichte ist wie bei den bisherigen Texten rudimentär und improvisierend entwickelt worden. In dieser Hinsicht hätte Neil Clarke auch eingreifen müssen.

Aber der Aufbau der Geschichte mit Hinweisen zu den einzelnen Stücken, welche die so unterschiedlichen Menschen spielen, ist klassisch bis teilweise auch sentimental klischeehaft. Aber diese Art von Texten ist auch unabhängig vom Hintergrund zeitlos.

Interessant ist, wie der Protagonisten erkennen, was während der Reise ihres Raumschiffs schief gegangen ist und welche Konsequenzen es inklusiv einer Selbstmordwelle hat. Wobei die Grundidee wie angesprochen unlogisch und konstruiert ist. Langsam beginnt sich aber wieder das Leben durchzusetzen.

Die Beschreibungen der einzelnen Texte nehmen einen breiten Raum ein. Sie könnten auch abschrecken, aber generell konzentriert sich die Autorin auf Stimmungen, auf Strömungen und kann dadurch einige, aber nicht alle Hintergrundschwächen quasi überschreiben.

 Aus Korea kommt „Symbiosis Theory“ von Choyeop Kim. Wissenschaftler sind verblüfft. Eine exzentrische und früh verstorbene Künstlerin hat einen fiktiven Planeten in den Mittelpunkt ihrer Arbeiten gestellt. Jahre später entdecken die Sonden der Erde eine Welt, die genauso diesen Abbildern entspricht. Kim bemüht sich, die Handlung stringent zu erzählen, greift aber immer wieder auf unnötige und ausführliche Erklärungen zurück, welche den natürlichen Plot hemmen. Auf der anderen Seite präsentiert sie nicht nur eine wirklich fremdartige, aber nicht gewalttätige außerirdische Rasse, sondern gibt eine verblüffende Erklärung für die menschliche Phantasie.

 Gabriel Murrays „Appointment in Vienna“ ist ebenfalls die Geschichte eines Künstlers. Nur scheint dieser verrückt zu sein. 1961 diskutiert ein Photograph seine eigene Retrospektive mit einem Herausgeber. Die Charaktere sind unsympathisch, aber diese fiktive Geschichte ist faszinierend. Der Leser weiß nicht, ob er nicht das Geschehen auf einer Parallelwelt verfolgt. Die historischen Fakten basierend auf den einzelnen Expeditionen des Fotographen sich schwer einzuordnen, die Hintergründe zu wenig bekannt. Auch kann der Leser nicht entscheiden, ob die potentielle „Morde“ wirklich stattgefunden haben oder ein Teil der kruden Phantasie des Fotographen sind. Unterstellt man unsere Erde und vor allem keinen mordenden Psychopathen, so verfügt  der Text über keine phantastischen Elemente, so dass die Lektüre nicht für jeden etwas ist. Zumindest gehört sie zu den atmosphärisch intensivsten Geschichten dieser „Clarkesworld“ Ausgabe.

 Neil Clarke verbreitet kontinuierlich das Spektrum „Clarkesworld“. Mehr und mehr wendet er sich von der angloamerikanischen Science Fiction ab und versucht neben China und Korea auch Afrika einzubinden. Grundsätzlich ein lobenswertes Vorgehen, wenn die fremdsprachigen Texte nicht manchmal zu schwach übersetzt worden wären und vor allem inhaltlich nicht immer zufrieden stellen. Hier sollte Clarke strengere Richtlinien ansetzen.

 Die amerikanischen Texte wirken dieses Mal stärker und sind auch spannender. Zusammenfassend ein zufrieden stellender Abschluss eines nicht unbedingt qualitativ einfachen Jahres für „Clarkesworld“.       

E Book, 122 Seiten

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