Clarkesworld 166

Neil Clarke (Hrsg.)

Neil Clarke schreibt von der Vorbereitung auf den ersten virtuellen Worldcon, seine Erwartungen und Hoffnungen. Douglas F. Dluzen fügt mit „The Human Genome Disparity“ einen sekundärwissenschaftlichen Artikel hinzu, in dem er sehr beredt, aber auch jederzeit nachvollziehbar über neue Forschungen berichtet.

Der Höhepunkt dieser Ausgabe sind die beiden Interviews von Arley Sorg sowohl mit Madeline Ashby als auch Kate Elliott. Während die erfahrene Autorin Kate Elliott nicht nur auf ihre Karriere, sondern vor allem auch ihre verschiedenen literarischen Abschnitte von der Science Fiction über die Fantasy wieder zurück zur SF berichtet, spricht Madeline Ashby nicht nur über ihren ungewöhnlichen Werdegang zur Science Fiction, sondern ausgesprochen ausführlich und teilweise mit sehr kraftvoller Aussprache über die Wechselwirkung zwischen der Realität und ihren Büchern sowie den Erwartungen weniger der Leser als der Herausgeber und  schließlich auch der Verlage.

Michael Swanwick eröffnet die Juli Ausgabe von „Clarkesworld“ mit seiner Kurzgeschichte „Artifical People“. Swanwick ist normalerweise ein herausragender Kurzgeschichtenautor, der aber mit der Lebensgeschichte eine humanoiden Roboters namens Raphael im Grunde nicht zum Punkt kommt. Raphael ist der Erzähler der Geschichte und aus seiner Perspektive erfährt der Leser alle Informationen. Raphael ist aber keine zugängliche Persönlichkeit und vor allem seine anfängliche Entwicklung gesteuert von seinem Schöpfer Dr. Erdmann wirkt selten unlogisch. Auf der einen Seite soll eine Art Maschine erschaffen werden, welche den Menschen hilft und ihnen körperlich überlegen ist. Auf der anderen Seite versucht Dr. Erdmann Raphael mit der Fähigkeit, Emotionen zu empfinden menschlich zu machen und dabei die Grundausrichtung zu unterminieren. Die finanzielle Förderung wird genauso oberflächlich gestreift wie immer wieder betont wird, das andere Entwickler Raphael und damit auch Dr. Erdmann einen Schritt voraus sind. Warum abschließend der Krieg ihn reicht macht und die Emotionen plötzlich verschwinden, wird nicht weiter ausgearbeitet.

Raphael dagegen wächst eher an den Rückschlägen und Michael Swanwick zeigt überzeugend, dass Mensch und Maschine über sich hinauswachsen können. Das ist vielleicht die stärkste Seite dieser inhaltlich wenig überraschenden Novelle, deren emotionale Seite vor allem für die Kürze überbetont erscheinen.

Nicht selten ist die Reise interessanter als das Ziel. Das ist auch bei „One Time, a Reluctant Traveler“ von A.T. Greenblatt. Der Erzähler will die Asche seiner/ ihrer Eltern zu einem besonderen Platz in den Bergen bringen. Immer wieder stellen sich natürlich Herausforderungen in den Weg. Auf dem Weg versucht der Erzähler mit seinem persönlichen Verlust fertig zu werden. Gleichzeitig erkennt er, dass sein Lebensweg anders als der seiner Eltern sein wird. Der emotionale Funke will nicht überspringen, weil sich Greenblatt zu sehr bemüht, diese Botschaft immer wieder dem Leser zu vermitteln, als sich auf die Herausforderungen der Reise zu konzentrieren.

Verspielt soll „Three Stories Conjured from Nothing“ bei Shakespace sein. Bei der Geschichte handelt es sich um eine Übersetzung. In den drei Texten sollen aus dem Nichts kommende Veränderungen kurz skizziert worden, allerdings wirkt nur der zweite Text mit der Dysen Sphäre und einem geflügelten Wesen überzeugend. Aber das Thema einer Dyson Sphäre ist von Christopher Priest ausführlich in seinem Roman „Der steile Horizont“ abgehandelt, so dass es nichts hinzuzufügen gibt. Wahrscheinlich wäre es sinnvoller gewesen, aus den Vignetten abgeschlossene Kurzgeschichten zu machen und die Hintergründe vielschichtiger zu entwickeln.

Tegan Moores „Strange Comfort“ ist eher eine Horror als eine Science Fiction Geschichte. Zehn Kilometer unter der Oberfläche des Mondes Europa gefangen muss der Forscher Jens nicht nur mit dem Verlust seiner Partnerin bei dieser Expedition zurechtkommen, auch seine Arbeitgeber haben nicht wirklich ein Interesse an, ihn zu bergen.

Lässt man jeglichen wissenschaftlichen Hintergrund aus, der stark konstruiert erscheint, ist es vor allem die beklemmende Atmosphäre, die Tegan Moore gut entwickelt und konsequent bis zum Ende durchdenkt. Hinzu kommt, dass Jens mit einem  gigantischen Wurm einen persönlichen „Feind“ hat, der anfänglich wie eine paranoide Vorstellung erscheint, aber im Laufe der Handlung immer realer wird. Die Verbindung zwischen dem Gefangenen und seinem Wurm geht schließlich ins Metaphysische über, was auf den ersten Blick wie eine Übertreibung erscheint, auf den zweiten Blick die Geschichte mehr aus dem bekannten Lovecraftbereich entfernt und näher an die Science Fiction heranbringt.

Das Ende wirkt dagegen wie ein fauler Kompromiss. Anstatt die Geschichte entweder mit einem Happy End oder einer Tragödie enden zu lassen, entzieht sich Tegan Moore seiner Verantwortung als Schriftsteller wie er auch den Beginn der Mission ambivalent unwahrscheinlich dargestellt hat. Und das alles nur, um seinen Protagonisten in eine im Grunde nicht nur unmögliche, sondern viel schlimmer unwahrscheinliche Situation zu bringen.

Die beiden kürzesten Geschichten dieser Ausgabe weisen eine Reihe anderer grundsätzlicher Schwächen auf. Auch wenn Neil Clarke mit Gabriel Calacias Debüt „The Oddish Gesture of Humans“ das internationale Spektrum um Bolivien erweitert, ist die Pointe dieser Geschichte zu schnell erkennbar. Karier und Hiimar versuchen die Daten einer Sonde auszuwerten, welche sie zur Erde geschickt haben, um das menschliche Verhalten zu beobachten. Auch wenn die Story ausschließlich aus der Perspektive der fremden erzählt wird, wirken diese auf den ersten Blick zu menschlich und wie erwähnt ist das Problem für den Leser schnell erkennbar. Die Pointe verliert dadurch an Kraft.

Bei Beth Goders „The House That Leapt Into Forever“ funktioniert die Pointe nicht. Ohne den Hintergrund zu erläutert versucht der Autor die Computergesetze zu überlisten und verfängt sich. Der ganze Plot ist zwar auf den ersten Blick mit dem intelligenten Haus und seinem einzigen Bewohner in aller Abgeschiedenheit auf dem Mond interessant, aber im richtigen Moment mit schwindenden Energie und vor allem Nahrungsreserven kommt aus dem Nichts die „Rettung“ daher. 

Die längste Geschichte ist die Novelle „Power to Yield“ bei Bogi Takacs. Es ist im Grunde keine klassische Horror oder Science Fiction oder Fantasy Geschichte, sondern eine SM Liebesstory, die auch ohne die utopischen Versatzstücke oder gar die Idee einer Kolonie im All funktionieren könnte. Der Hintergrund ist eher spartanisch entwickelt.  Auf dem Planeten Eren muss eine Art „Mawaleni“ immer wieder Freiwillige „foltern“, um ihre physischen Kräfte zu wecken, mit denen sie auch durch die Unterstützung von Implantaten die Siedler vor eher implizierten Gefahren schützen sollen.          

Der Autor führt die Leser aus der subjektiven Perspektive der Protagonistin die Geschichte der Kolonie ein. Dabei wechseln sich Mythen, Legenden und vor allem historische Kommentare ab.  Dadurch soll dem Leser ein Eindruck der Motivation der Freiwilligen vermittelt werden, welche im Grunde ihre eigene Existenz aufgeben.

Um diese Kräfte zu wecken, müssen die Freiwilligen gegen die zukünftigen Schmerzen desensibilisiert werden. Dabei ist es wichtig, dass sie sich quasi dem Schmerz hingeben und nicht gegen ankämpfen. Aramin ist ein selbst erklärter Sadist, dem es auf der einen Seite Freude bereitet, diese Schmerzen zu verabreichen, der aber anscheinend keine sexuelle Befriedigung dabei empfindet. Anders ist der Fall bei Oyarun, die sich nicht nur intensiv mit ihrem zukünftigen Folterknecht und seiner umstrittenen Geschichte beschäftigt hat, sondern tatsächlich eine Art sexuelles Verlangen hinsichtlich der Folter und der Schmerzen empfindet. Dabei bleibt der Autor jugendfrei vage.

Das Ende dieser Beziehung soll der Anfang eines neuen Schutzwalls sein. Das Zufügen von Schmerzen wird eher oberflächlich beschrieben, die Abschnitte werden natürlich immer länger und intensiver, wobei insbesondere Aramin eher wie eine schmierige Persönlichkeit und kein Beschützer der Kolonie erscheint. Vor allem scheint die einzige Qualifikation für seine Aufgabe seine sadistische Persönlichkeit zu sein, was angesichts der Wichtigkeit dieser Bemühungen absurd erscheint. „Neutrale“ und nicht vom Schmerzen angezogene Mediziner hätten die gleiche Mission wahrscheinlich effektiver wie erfolgreicher erledigen können. Natürlich handelt es sich bei dem Sadisten um einen Mann, bei der Masochistin um eine Frau. Interessanter wäre es gewesen, wenn die Rollen vertauscht worden wären. Aber selbst in diesem Fall hätten die Erklärungen nicht abschließend ausgereicht.     

Schade ist, dass der gute Aufbau vor allem im ersten Drittel der Novelle nicht zu einem befriedigen Ende geführt wird und der Leser sich eher alleine gelassen fühlt. Hier wird mit einer grundlegend interessanten Prämisse fast alles potential abschließend ohne Not hergeschenkt.

Zusammengefasst präsentiert sich diese Sommerausgabe von „Clarkesworld“ auf einem soliden Niveau. Die Plots der einzelnen Texte schwanken zwischen vertraut und bemerkenswert konstruiert. Es sind die Kleinigkeiten, welche den Leser stutzen lassen. Bei vielen Texten springt der inhaltliche Funke nicht über, weil die Autoren sich vor allem auf wissenschaftlicher Basis keine Gedanken machen, ob die Texte funktionieren könnten und Herausgeber Neil Clarke greift in dieser Beziehung leider auch nicht ein.

cover

E Book, 122 Seiten

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