Nova 30

Michael Iwoleit & Michael Haitel (Hrsg.)

Vor 18 Jahren erschien die erste Ausgabe von „Nova“. Da die Herausgeber sich auf die Fahne geschrieben haben, alle zehn Ausgaben es quasi krachen zu lassen, nimmt ein Rückblick und leider ein inzwischen auch von der Realität eingeholter Ausblick einen Teil der Ausgabe beginnend mit dem Vorwort ein. Michael Iwoleit als einziges verliebendes Redaktionsmitglied der ersten Stunde denkt zurück und bedankt sich bei einer Reihe von Mitstreitern. Der Ausblick im Abschnitt der Jubiläumsbeiträge ist inzwischen von der Wirklichkeit überholt worden. Dirk Alt wird nicht mit Herausgeber.  Wie „Exodus“ trotz der langen Pause, aber auch „Phantastisch!“ mit einer etwas breiteren Ausrichtung hat sich „Nova“ in einem darbenden Science Fiction Markt als Plattform für altgediente, aber auch neue Kurzgeschichtenautoren etabliert. Darauf kann die Redaktion genauso stolz sein wie auf die graphische Qualität der Ausgaben, die mit der Nummer dreißig einen neuen Höhepunkt erreicht.

 Zum Geburtstag gratuliert nicht nur das Gründerteam oder wie Helmuth W. Mommers so süffisant schreibt, die Väterriege, sondern auch einige Fandompersönlichkeiten. Während vor allem Hahn und Mommers der Schalk im Nacken sitzt, andere Autoren wie Rene Moreau, Horst Pukallus, Heinz Wipperfürth, Horst Illmer, Jürgen Doppler, Franz Rottensteiner und Dittmar Dath den steinigen Weg nicht nur von „Nova“, sondern einhergehend auch „Exodus“ und der ganzen deutschsprachigen Science Fiction Kurzgeschichtenszene oder deren drohendes Aussterben zu Beginn des 21. Jahrhunderts betrachten,  wirken die Anmerkungen auch ein wenig wie Scheuklappen. „Phantastisch!“ – ebenfalls zu dieser Zeit gestartet und erfolgreich an den Bahnkiosken – wird gar nicht erwähnt. Auch „Pandora“ aus dem Shayol Verlag als qualitativer Meilenstein findet keine Erwähnung. Es finden sich Hinweise auf „Alien Contact“ als Ausgangspunkt. Das entwertet die teilweise lustigen, aber auch viele Zeiten des Fandoms auf wenigen Seiten zusammenfassenden Bemerkungen ein wenig.

Dirk Alt versucht vergeblich in seinem Essay „18 Jahre Nova- 18 Jahre Weltgeschichte“ einer der beiden Teilüberschriften gerecht zu werden. Seine achtzehn Jahre Weltgeschichte bestehen aus dem langen Erbe George Bush mit dem zweiten Irakkrieg, der fast zeitgleich mit der ersten Ausgabe von „Nova“ ausgebrochen ist. Seine politischen Bemerkungen zu Obama und Trump sind derartig oberflächlich, das es grotesk erscheint. Nicht erwähnt werden die Terrororganisationen wie den IS oder der Einmarsch in die Krim. Corona gibt es auch nicht. Klimaerwärmung; die politischen Veränderungen in Europa; die sozialen Veränderungen, das Internet mit seinem Cloud Siegeszug; die sozialen Medien mit ihrer inzwischen dominierenden Auswirkung manchmal auch gegen alle Fakten,   virtuelle Spiele oder auch nur der Brexit finden keine Erwähnung. Dirk Alt hält auf nur vier Seiten an seinem Ausgangspunkt fest. Er krallt sich förmlich hinein. „Nova“ findet mit einem Hinweis auf die erste Ausgabe und dem offenen Ausblick auf die Bedeutung der Kurzgeschichte in der Gegenwart statt. Ein Lehrer könnte nur vom Thema verfehlt sprechen und warum die Herausgeber Dirk Alt nicht zurück an den Computer geschickt haben, um der Überschrift gerecht zu werden oder sich eine andere Überschrift wie „Die Geburt von NOVA im brennenden Auge des kapitalistischen Diktators George Bush und seiner Schergen“ auszudenken, bleibt deren Geheimnis. Der Beitrag passt einfach nicht. Und das nicht, weil er polemisch oder für einzelne Leser vor allem auch mit Dirk Alts sonstigem höflich gesprochen rechtspopulistischen Hintergrund problematisch, sondern weil er einfach schlecht geschrieben ist und dem Anlass an keiner Stelle wirklich gerecht werden kann.

 Höhepunkt auch dieser „Nova“ Ausgabe sind allerdings die insgesamt neun neuen Geschichten, dazu der Nachdruck eines Klassikers aus der Feder Jack Vances, sowie die zahlreichen, die thematisch vielschichtigen Texte begleitenden Graphiken.

 Tom Turtschis „Neuromarketing“ ist die längste Geschichte. Es empfiehlt sich, den Plot in einem engen Zusammenhang mit den anschließenden Bemerkungen zu sehen. Der Autor macht deutlich, dass er aus der Zukunft und seinen technischen, den Menschen nicht unbedingt befreienden Ideen/ Erfindungen auf die Gegenwart zurückblickt und nicht nach den Wurzeln sucht, sondern Aktion/ Reaktion abwägt. Interessant dabei ist, dass Tom Turtschi trotz einer gewissen Technologiefeindlichkeit – wenn die Technik den Menschen erdrückt und nicht mehr unterstützt – auch bei einem nihilistischen Ende dem Protagonisten einen Augenblick der Interpretation schenkt, mit welcher er sich zumindest theoretisch aus einer intellektuellen Unmöglichkeit zu retten sucht. Die Grundidee eines Neumarketing, das wenige Stunden in die Zukunft das potentielle Kaufverhalten analysieren und dem Handel die Möglichkeit gibt, logistisch darauf zu reagieren, ist interessant. Tom Turtschi bringt seinen Protagonisten in die Klemme, das sein Unterbewusstsein im Grunde auf die „Käufe“ reagieren muss. Allerdings findet er in dieser auch dialogtechnisch sehr überzeugend geschriebenen Story an einem Wort klebend einen Ausweg.

 Karsten Kurschel eröffnet die „Nova“ 30 mit „Drecksdrohnen und die Mathematik Mozarts“. Es ist keine klassische Geschichte, sondern eher ein Stillleben, in welches einige persönliche Erfahrungen, aber auch interessante wissenschaftliche Forschungen eingeflossen sind. Ein exzentrischer Künstler wird damit konfrontiert, dass die Drohnen im Grunde Mozarts Musik lebendig machen. Mehr ist die kurzweilig zu lesende Geschichte nicht. Aber aufgrund der konträren Grundidee auch nicht weniger.

 Es ist wichtig, Horst Pukallus Anmerkungen zu lesen. „Das lange Jahr der kurzen Tage“ könnte schon verkehrt interpretiert werden. Der Autor macht deutlich, dass er gegen jede Form der organisierten Religion ist und an deren „Vollstreckungsorganen“ nichts Gutes erkennen kann. Die eindimensional karikierten Schurken brauchen keine Moslems sein. Auch die katholische Kirche oder der Buddhismus hätte in Form einer Flotte die Hände nach den seltenen Rohstoffen auf einem unwirtlichen Planeten ausstrecken können. Mit seinem Nachwort und vor allem zahllosen historischen Beispielen wie Abartigkeiten unter dem Deckmantel des Glaubens wehrt Horst Pukallus möglich einseitige Kritik nicht ab, sondern er lenkt sie auf das Ganze. Plottechnisch ist die Geschichte einfach gestrickt. Wer den Wind säht, wird durch den Sturm enden. Sprachlich expressiv mit einem faszinierenden Sonnensystem wird Horst Pukallus ohne Frage provozieren, aber er macht seinen Standpunkt deutlich und aus der Position heraus kann er auch argumentieren. Er ist ja nicht grundsätzlich gegen den Glauben, sondern nur Religionsgemeinschaften.

 Thomas A. Siebers „Die gute Fee von Proxima B“ fängt als politische Geschichte mit Terroristen und einem Denunzianten an. Sie endet auf der idyllischen Welt von Proxima B, die ein Linguist mit einem auf der Erde gelandeten, aber nicht unbedingt gestrandeten Außerirdischen besuchen kann. Inhaltlich sind es vor allem die Beschreibungen der fremden Welt und der exotischen Kultur, welche die Aufmerksamkeit der Leser fesseln, während der Auftakt der Story bemüht, unrund und vor allem hektisch erscheint. Thomas A. Sieber versucht seinen menschlichen Charakter zu etablieren, wobei der Protagonist eindimensional und distanziert bleibt. 

 Norbert Stöbes „RITA flies at 5 p.m.“ verfügt über sehr viele interessante Ansätze, das Format wird dem Inhalt aber nicht gerecht. Eine Novelle wäre sinnvoller gewesen. Auf der einen Seite die Vollversammlung der Diplomaten, auf die angeblich ein Anschlag verübt wird, den eine Reinigungskraft dem gefundenen Zettel entnimmt. Auf der anderen Seite Ökoterroristen, die eine Kraftwerkanlage in China vor der Inbetriebnahme zumindest stören, vielleicht sogar zerstören wollen und dabei den Pfad mit einem brünstigen Pandabären und dem Objekt seiner Begierde kreuzen. Die Ideen werden zu kompakt präsentiert, der Leser hat kaum einen Zugriff auf die Charaktere, aber der Autor setzt sich über die schematische Denkweise verschiedener politischer Gruppen hinweg und schenkt der Menschheit im Angesichts der globalen Erwärmung sogar einen Hoffnungsschimmer, obwohl oder vielleicht auch gerade weil die fanatischen Ökoterroristen ihrer eigenen Gesinnung zu sklavisch treu bleiben wollen.  

 Sowohl Markus Müller als auch Wolf Welling setzen sich auf unterschiedliche Art und Weise mit basierend auf menschlichen Vorlagen erschaffenen virtuellen Kopien auseinander. Markus Müller hat mit „Regenmädchen“ dazu noch eine wunderbare Geistergeschichte verfasst. Wie der Autor in seinem Nachwort klar stellt, sind es nicht selten die Geister und nicht die Geisterjäger, welche die Basis dieser Geschichten bilden und am dreidimensionalsten erscheinen. Sie haben hintergründige Schicksale. So auch in „Regenmädchen“, wo eine junge Frau in einem seit langer Zeit heruntergekommenen Hotel einen Auftrag erledigt und eine bestimmte Person sucht. Wolf Wellings Story „Zwei gehen rein…” nimmt bewusst eine Idee aus “Mad Max- Beyond Thunderdone” auf und verfremdet sie. In seiner Zukunft ist es nicht nur möglich, mit dem Drei D Drucker Kopien von Menschen zu erstellen, auch das Bewusstsein kann kopiert werden. So findet in der Arena eine brutale Auslese statt, wenn eine Kopie gegen eine andere Kopie kämpfen muss. Dominiert von der Actionhandlung versucht Wolf Welling die fatalistische Welt seines Protagonisten sprachlich intensiv darzustellen, während das altersschwache Original sadistisch die Auslese der Besten verfolgt. Markus Müllers Geschichte ist melancholischer, stimmungsvoller, vielleicht am Ende sogar ein wenig optimistisch, während Wolf Welling die Pervertierung der Technik auf ein neues Level bringt.   

 Uwe Post hat vor einigen Jahren mit „Für immer 8 Bit“ einen Roman geschrieben, der in den achtziger Jahren spielt. Für diese autarke Geschichte eines jungen Mannes auf dem Weg zu literarischen Ruhm in der Science Fiction hat der Autor Protagonisten und Hintergrund genutzt. Aber wie „Für immer 8 Bit“ kann nur der stimmungsvolle Auftakt überzeugen. In der zweiten Hälfte zerfällt die Geschichte. Natürlich wechselt die Perspektive zwischen Phantasie/ Wahn und „Realität“, aber die einzelnen Szenen werden immer absurder, nur nicht lustiger. Es ist schade, dass die guten Ansätze wie leider auch in seinem Roman „Für immer 8 Bit“ schließlich zu absurd werden, um den atmosphärisch guten Auftakt zu einem zufrieden stellenden Ende zu führen.     

 Auch Michael Schmidts in der „Galactic Pot Healer“ Bar spielende Geschichte ist eine parodierende Hommage an die Gegenwart mit einigen klar erkennbaren Fans und einem Querverweis – wie der Autor selbst schreibt – auf die politische Gegenwart. Allerdings leidet „Faith Healer“ unter dem hektischen Hintergrundszenario. Der Reiz vieler Bargeschichten aus der Feder von Spider Robinson oder Arthur C. Clarke, in Deutschland Monika Niehaus oder Axel Kruse liegt in de Tatsache, dass die Bars gemütlich sind. Dabei müssen sie sich schick oder sauber sein; zusammen mit den Stammgästen sind sie wie die amerikanische Fernsehserie „Cheers“ einfach vertraut und vor diesem Hintergrund entwickeln sich die einzelnen, nicht selten erzählten Storys. Michael Schmidts Bar hat sich über eine Vielzahl von Storys eher als eine Art gigantische Disco entpuppt, in der alles möglich, aber nichts gemütlich ist. Wie bei Horst Pukallus oder Uwe Post ist die zugrunde liegende Geschichte simpel gestrickt. Es ist die Atmosphäre, die eher, aber in diesem Fall nicht ganz überzeugt.

 Als würdiger Abschluss des literarischen Abschnitts hat Michael Iwoleit Jack Vance großartige Geschichte „Die Töpfer von Firsk“ neu übersetzt. Der Text ist mehrfach in Deutschland erschienen. Trotzdem gehört die Kurzgeschichte mit der allerdings vielleicht aus der Distanz klar erkennbaren Pointe zu Jack Vances besten Arbeiten. Selten ist Jack Vance Kipling und dessen wunderbarer skurriler und verfilmter Kurzgeschichte „Der Mann, der König sein wollte“ näher gekommen als in dieser Arbeit. Die menschliche Föderation setzt alles daran, primitive Völker nicht wie der Erzähler zu unterstützen, sondern in Person seines aggressiven Vorgesetzten zu bevormunden. Die Nutzung von Atombomben wirkt aus heutiger Sicht technisch naiv, ist aber hinsichtlich des dreidimensionalen phantastischen Hintergrunds akzeptabel. Auf wenigen Seiten entwickelt Jack Vance nicht nur dreidimensionale Protagonisten mit allen Ecken und Kanten sowie menschlichen Schwächen, sondern erschafft eine dreidimensionale exotisch fremdartige, aber auch teilweise den Leser vertraute Kultur.

Ergänzt wird Jack Vances Geschichte durch Thomas A. Siebers Autorstellung, aber vor allem auch durch die ausführliche und gut bebilderte Vorstellung der „Vance Integral Edition“ (geschrieben von Robert C. Lacovara und Koen Vyverman).  

Zwei  Nachrufe schließen sich noch an.  Mike Glyer gedenkt Ben Bova, wobei er sich angesichts des Schaffen als Herausgeber und Autor eher an der Oberfläche bewegt und keinem seiner beiden für das Genre wichtigen Standbeine nachhaltig gerecht werden kann. Jörg Weigand schreibt mit einigen persönlichen Aspekten über Thomas R. P. Mielke. Schon in dem 2020 veröffentlichten Geburtstagsband hat sich Jörg Weigand ausführlich geäußert. Es sind die kleinen persönlichen Anekdoten, welche den Menschen Thomas R.P. Mielke hinter dem umfangreichen und wichtigen Werk zum Vorschein kommen lassen.    

Storytechnisch gehört „Nova“ 30 zu den stärksten Ausgabe der letzten Jahre. Viele Themen werden aus unterschiedlichen Perspektiven von einer namhaften Autorenschaft gestreift und mindestens gut, bis teilweise extrem überzeugend verarbeitet. Da alle Autoren ihren Texten einige Fußnoten anfügen dürfen, kann der Leser nicht nur manchmal die Entstehung der einzelnen Geschichten nachvollziehen, sondern auch deren Gedanken und vielleicht auch Erwartungen an die eigene Arbeit ablesen. Vielleicht sollten diese kleinen Nachwörter zu einer ständigen Einrichtung werden.

 Beginnend mit einem Helmut Wenske ist „Nova 30“ auch überzeugend illustriert worden. Gerd Frey, Christian Günther, Nummer 85, Victoria Sack, Christine Schlicht und Michael Wittmann hauchen den Texten ein visuelles Leben ein. Dabei begleiten sie die guten Geschichten auf einem durchgehend hohen Niveau.

 „Nova“ 30 ist eine würdige Jubiläumsausgabe mit im Grunde einem inhaltlichen schwerwiegenden Fehlgriff und einer inzwischen aber leider nicht von den Herausgebern revidierten Entscheidung. Es bleibt zu hoffen, dass „Nova“ 30 nicht dadurch eine der letzten Ausgaben dieser sich mit Sturheit und Enthusiasmus durch die Zeiten kämpfenden Magazinreihe ist.  

NOVA Science-Fiction 30 (NOVA SF)

  • Herausgeber : p.machinery; 1. Edition (5. März 2021)
  • Sprache : Deutsch
  • Taschenbuch : 252 Seiten
  • ISBN-10 : 3957652332
  • ISBN-13 : 978-3957652331