Landläufig

Peter Kiefer

Peter Kiefer ist ein gerne gesehener Gast in p. machinerys “Außer der Reihe” Edition. “Landläufig” ist nach “Kleines Kino”, sowie den Kurzgeschichtensammlungen “Straubergs Geschichten” und “Letzte Schlachten” schon die vierte Veröffentlichung. Der Untertitel “Die Welt hinterm Acker” weist auf den wichtigsten Protagonisten dieses Romans in Episoden hin: Das Dorf. Natürlich auch dessen Bewohner, liebenswert exzentrische Personen. Das die kleinen Gemeinschaften nicht selten hintergründiger, faszinierender, bizarrer und in einigen Fällen auch tödlicher sind, haben David Lynch und Mark Forst schon bei “Twin Peaks” bewiesen. 

Die Sehnsucht nach dem Leben in einer überschaubaren Gemeinschaft ist vergleichbar mit einer Haßliebe. Peter Kiefer lebt noch mit einem Koffer in Berlin, will aber nach ASchwarmstedt umziehen. Der Jahr 1951 gehört durchaus aus eigener betrachtung noch zu den Alt- 68ers, wobei politische Untertöne vor allem auch hinsichtlich der Verbindung zwischen Kleinkommerz und Politik in “Landläufig” nur eine untergeordnete Rolle spielen. Aber auch dieses Gemisch aus Gefälligkeiten wischt schließlich die entschlossene Hand einer Frau zur Seite. 

Im Deutschlandradio hat Peter Kiefer größere Livemoderartionen. Neben dem Schreiben gehört das Reisen zu seinen Leidenschaften. Er trägt gerne in Lesungen die eigenen Arbeiten vor und hat im Mundart-Dichterwettstreit einen Preis gewonnen. Diese verbale Artikulation zeigt sich in diesen zu einem Fugenroman zusammengesetzten Episoden deutlich. Immer wieder, allerdings fairerweise seiner Leser auch immer auf Augenhöhe mitnehmen, greift er auf schon eingeführte Charaktere oder Situationen zurück. Dadurch wird der Text komplexer und das Dorf dreidimensionaler. Im Gegensatz zu klassischn orientierten Kurzgeschichten oder Miniaturen geht es Peter Kiefer nicht immer um eine schlagende Pointe. Manchmal laufen die Miniaturen einfach nur handlungstechnisch aus und der Leser bleibt genauso ratlos wie die Protagonisten zurück.    

Nicht selten sind es die hintergründigen Themen, welche die Miniaturen so lesenswert machen. Alltägliches wie die zu ihrem Mann auf den Friedhof pilgernde Frau, die es nicht lassen kann, auch einen Toten zu belehren oder er ewig darbende Fußballverein FC Victoria, der sich schließlich nicht als einzige Institution oder als einziger “Mann” die Grenzen im ureigenen Element aufzeigen lässt. 

Der Bürgermeister wird wegen seiner Vorliebe nicht nur für Italien, sondern vielleicht auch die Liebe zu einem Fleischresteverwerter Don genannt. Unermüdlich setzt er sich für die Dorfgemeinschaft ein, auch wenn das in einem modernen wie teuren Zebrastreifen endet. Einen für die den Dorf oben und einen für die zweite jene Dorfgmeinschaft unterherum einschließende Straße.  Es gibt in diesem Dorf unglückliche Liebe - da helfen auch nur bedingt die getürkten Anzeigen im Internet-, aber auch einige wenige Charaktere, die unbedingt der Gemeinschaft zu entkommen suchen. 

Geschäftstüchtig ist der Bauer, der seinen Wodka immer wieder den momentanen Gegebenheiten marketingtechnisch anpasst. Eine art Running Gag, der allerdings relativ schnell wie einige andere Exkurse Ermüdungserscheinungen zeigt, weil Peter Kiefer auf einem entsprechend hohen Niveau anfängt und das Tempo eben nicht immer mehr steigern kann. 

Im Laufe des Buches muss der Autor den intellektuellen Horizont des Dorfes erweitern. Ein lustiger Höhepunkt ist der Fehler von Googlemaps, der über dem Dorfnamen einen weißen Flecken erscheinen lässt. Alle Bemühungen, Touristen anzulocken, erreichen schließlich in einer für die heutige Zeit typischen Art einen Overkill bei den Dorfbewohnern, welche die Geister, die gerufen worden sind, schnell loswerden wollen. An einer anderen Stelle ist das Dorf wahrscheinlich in einem fragmentarisch vorhandenen lüsternen Buch aus dem 16. oder 17. Jahrhundert erwähnt worden. Nicht einmal namentlich. Am Ende weiß niemand, ob es dieses Buch in der Form wirklich gibt oder ein cleverer Betrüger mit gefälschten Gutachten sich einen schönen Tag macht. 

Mit dem abgesetzter Diktator im Asyl, der sich die beleibte Bratwurstbudenbesitzerinn als Liebe seines Lebens auserkoren und den örtlichen ein wenig dummen Polizisten zu seinem Sicherheitschef ernannt hat, schleicht das Verbrechen in das Dorf. Diese Geschichte endet in einer halb Tragödie. 

Auch das Verschwinden eines Hundes, anschließend der ihn suchenden Kinder und letztendlich auch eines Teils der Suchmannschaft in den plötzlich unergründlichen Wäldern unterstreicht die dunklen Noten der Geschichte. 

Bizarr wird es, wenn ein chinesischer Entenzüchter stirbt und die Gemeinschaft auch zur Irritation des angereisten Sohns den Kommunismus mit Hilfe von angeheuerten Flüchtlingen im Kleinen wieder aufleben lässt. 

Oder der Handyfilmemacher, der unbedingt ein existentielles Meisterwerk für die kommunalen Kinos herstellen will. Selbst Schnee mit seinen Tunnelsystemen und einer unverhofften erotischen Begegnung - der Protagonist darf zwei Frauen an einem Tag küssen - gehört eher in den Bereich der übertreibenden Fiktion.

Als Identifikationsfigur dient ein Ich- Erzähler, welche zu Beginn und gegen Ende des Buches den Plot in seine Finger nimmt und das Dorf vorstellt, bzw. die Leser aus dieser Gemeinschaft verabschiedet. Der Epilog gibt die Hoffnung, auf eine andere Art der Fortsetzung, aber im Grunde ist es passend, daß sich die Menschen voneinander, der Leser sich von allen verabschieden kann.  

Allgegenwärtig ist der Dorfklatsch, vor allem von den Frauen verbreitet. Ein typisches Klischee, wobei Peter Kiefer der Dorfkneipe inklusiv des Trainerkneipiers in dieser Hinsicht auch eine gewichtige Rolle einräumt. In einigen Momenten nähert sich der Autor sehr dem Klischee, ohne zu zeigen, dass es Teil einer Persiflage, vielleicht auch einer Parodie ist. Eine derartige literarische Spielerei, eine Übertreibung kann nur funktionieren, wenn die Bodenhaftung bleibt und irgendwo etwas Realistisches die Basis bildet. Das ist immer wieder der Fall. Wie eine Art Sprungbrett zu neuen bizarren Exzessen kehrt der Autor in einzelnen Miniaturen auf die klassisch klischeehaften Eigenheiten des Lebens auf dem Lande zurück- er erdet nicht nur seine Figuren, sondern auch seine Leser.  Mode, aufsässiges Verhalten der Dorfjugend, Krankheiten und plötzliche Tode sind in diesen Momenten die entsprechenden Themen. 

Dank der nicht immer zugänglichen, aber in ihren Details liebevoll übertreibend gezeichneten Protagonisten in ihrer “natürlichen” Isolation vom realen Leben sowie der klar komponierten Struktur mit wiederkehrenden Querverweisen auf frühere wichtige Ereignisse liest sich “Landläufig” wie ein klassischer Roman und weniger eine Aufreihung bizarrer Szenen. Stilistisch manchmal ein wenig herausfordernd und nicht immer konsequent hebt sich das Buch in Episoden aus der breiten Masse der Literatur positiv ab und unterhält auf eine interessante, erstaunlich warmherzige Art und Weise. Und dabei spielt es keine Rolle, ob man auf dem Dorf lebt und voller Sehnsucht auf das Lichtermeer der Stadt schaut oder neidvoll endlich aus dem Betonmoloch wieder in die freie Natur ziehen wollen. 

Die Episodenstruktur kommt aber eher der Lektüre während der Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit als dem beschaulichen Leben in den Häusern hinter den Ackerflächen entgegen. “Landläufig” ist ungewöhnlich,ein wenig bizarr, aber irgendwie lebenswert wie liebenswert. 

    



andläufig
Die Welt hinterm Acker
Autor: Peter Kiefer
Taschenbuch, 188 Seiten
p.machinery, Juli 2021
Cover: Klaus Brandt

ISBN-10: 3957652545
ISBN-13: 978-3957652546

Erhältlich bei: Amazon

Kindle-ASIN: B09BZLGWZ7