Zeitreisen gehen anders

Axel Kruse

Die erste drei Worte in Andreas Eschbachs Einleitung beziehen sich eher auf David Gerrolds Klassiker “Zeitmaschinen gehen anders” als auf den neuen Roman aus der Feder Axel Kruses. Anschließend philosophiert Andreas Eschbach über die Notwendigkeit eines Autoren, bzgl. der physikalischen Möglichkeiten und Einschränkungen eigene Prämissen zu definieren und anschließend mit dem Zeitreisen seiner Protagonisten zu beginnen. 

Am Ende der Lektüre steht der Hinweis, das es sich um einen ersten Teil handelt. Auch wenn die Haupthandlung beendet scheint, bleiben nicht nur bei den Protagonisten, sondern vor allem auch den Lesern sehr viele Fragen hinsichtlich der verschiedenen Hintergründe offen. Und das nach einer Handvoll Reisen nicht nur durch die Zeit, sondern vor allem auch ins All inklusiv eines Abstechers zum Mars, einer Asteroiodenkolonie und indirekt zu verschiedenen Sprungtoren. 

Der Titel wird zum Programm. Immer wieder sprechen die Protagonisten davon, dass Zeitreisen anders gehen. Ein Problem des Buches ist allerdings, das die Protagonisten auch nicht wirklich wissen, wie Zeitreisen gehen. Die Amulette sind an verschiedene Gesetze gebunden. Nullzeit ist nicht unbedingt die dem Leser bekannte Nullzeit. Die Amulette brauchen eine gewisse Zeit, um sich aufzuladen. Mindestens anscheinend vierzehn Tage, wobei Sonnenlicht den Prozess beschleunigt, aber auch bei den primitiven Kulturen Aufmerksamkeit erregt. Als Zeitreisender darf man sich nicht selbst begegnen. Ein Zeitreisender darf allerdings seinem stationären Ich begegnen. Stationäre sind die Bewohner der verschiedenen Zeitepochen, vielleicht auch wie im zweiten des Buches angemerkt verschiedenen Parallelwelten, die noch nicht mittels der Amulette durch die Zeit gereist sind.  

Woher die Amulette kommen und welche Bedeutung die Sprungtore haben, wird zumindest in diesem ersten Teil nicht erklärt. 

Die Geschichte beginnt in Kettwig an der Ruhr am 14.03.1974. Der erste Teil endet auch an diesem Ort, aber nicht unbedingt in dieser Zeit. Der ich- Erzähler beobachtet auf dem Heimweg mit dem Fahrrad als zwölfjähriger Junge einen seltsamen Vorgang. Eine Frau spricht ihn direkt an und sagt ihm, sie werden ein Date haben. Am 28.05.1995 um 19 Uhr im Restaurant Come to Sing. 

Der Junge versteht die Zusammenhänge nicht. Er kennt nicht einmal das Restaurant. Dieses 21 Jahre vergehen zwar nicht im Flug, aber der Ich- Erzähler wartet. Durch einen Zufall findet er schließlich in der Zeitung die Anzeige einer Neueröffnung. Ein chinesisches Restaurant mit einem phonetisch vergleichbaren Namen eröffnet in Kettwig und pünktlich am Abend findet sich der Erzähler in dem Restaurant ein.  Die Frau erscheint mit einem Mann an ihrer Seite. Sie setzt sich an einen Tisch und scheint den Jungen nicht zu kennen. Plötzlich marschieren Männer in Motorradkleidung in das Restaurant und eröffnen das Feuer. Sie töten den Mann. Mit Mühe kann der Erzähler zusammen mit der Frau fliehen. 

Nach diesem fast cineastischen Auftakt beginnt Axel Kruse den Hintergrund seiner Geschichte zu entwickeln. Die meisten Informationen erhält der Leser stellvertretend in Person des später allgegenwärtigen Ich- Erzählers. Zeitreisen sind mittels der Amulette möglich. Die Geschichte hat zumindest in der Zeit der geheimnisvollen Frau einen anderen interessanten Verlauf genommen. Früh wurde das All erobert, die industrielle Revolution fand eher unter einem grünen Aspekt statt und inzwischen sind nicht nur der Mars besiedelt, sondern wertvolle Rohstoffe werden aus den Asteroiden geborgen. Die Zeitreise ist auch keine Wissenschaftlerin, sondern eine Ingenieurin. 

Mit einer kleinen Gruppe von Gleichgesinnten versucht sie die Zeitströme vor den Aggressoren zu beschützen und Abweichungen der Zeitlinie zu verhindern. Ihre Basis befindet sich in der Steinzeit,wo sie die Neanderthaler ihres Tals zumindest logistisch unterstützen, aber auch Freunde gefunden haben. Verschiedene Szenen am Lagerfeuer oder beim Nacktbaden in einem eiskalten See sollen das unterstreichen. Immer wieder werden die Protagonisten in dieser Zeit zurückkehren und die jeweilige Atmosphäre von freundschaftlich bis bedrohlich wird der Stimmungsmesser für die nächste Reise sein.  

Die erste gezielte Reise führt nach Alexandria, wo der Brand der Bibliothek und damit eine Dominanz der rein biblischen Lehren verhindern werden soll. Dabei hat ja der Brand der Bibliothek in der dem Leser vertrauten Zeitchronologie der Entstehung einer industriellen Revolution nicht geschadet. Ohne den Brand soll nur alles früher geschehen sein. Um Alexandria und den Brand entwickeln sich die verschiedenen weiteren Missionen, von denen eine sogar zu einer Begegnung mit einem von Lüttelnau, die in einer Reihe von Axel Kruses Büchern mehr oder minder dominante Rollen gespielt haben. 

In den unterschiedlichen Zeiten spielt Axel Kruse allerdings unabhängig vom gut beschriebenen Hintergrund auch eine Reihe von Klischeekarten aus. Das nackte Ankommen - falsche Kleider könnte zu viel Aufmerksamkeit erwecken - kann der Leser noch akzeptieren. Aber im alten Ägypten Sklaverei, Arbeit in den Mienen inklusiv der entsprechenden Verschiffung und abschließend Befreiung der holden Maid zweimal. In der fernen Zukunft Verhaftung und Verbannung auf dem Mars, da die Gesellschaft nichts mit dem fremden Mann, seinem seltsamen Gefährten und vor allem dem inzwischen zum Kameraden gewordenen Hund anfangen kann. Abschließend die finale schon angesprochene spektakuläre Rettungsaktion und das Aufsuchen eines zumindest zeitweilig unauffälligen Verstecks. 

Axel Kruse ist Hundeliebhaber aber mit dem Hund im All vor allem bei einer auf Tiere nicht mehr vorbereiteten Gesellschaft überspannt er nicht zum ersten Mal den Bogen. Von Beginn an bleibt es seinem Ich- Erzähler lange Zeit nur möglich, auf die nach der Begegnung mit der von ganzem Herzen mit der unbekannten Schönen folgenden Ereignisse zu reagieren. Die Flucht nach Belgien und das Verstecken quasi an einem bekannten Badeort ist eine der Szenen, in denen der Roman mit seiner Mischung aus Lokalkolorit und zu beschreibenden futuristischen Elementen am besten funktioniert. Wie der Leser muss der Ich- Erzähler erst einmal seine bisherige Lebensanschauung ablegen und diese phantastische Geschichte akzeptieren. 

In der zweiten Hälfte zieht Axel Kruse das Tempo noch einmal an, neigt aber wie schon erwähnt auch zu Übertreibungen. Vor allem wird er gegen Ende immer vager. Die Hintergründe verwischen und aufgestellte Theorien - unabhängig von der nicht durchgehend logischen Auseinandersetzung mit den eigenen aufgestellten Zeitreisegesetzen -  werden auf Vermutungen reduziert.  Auch die Schwerpunkte verschieben sich. Aus dem Nichts heraus wird aus dem normalen jungen Mann plötzlich ein Kämpfer. Die Arbeit in den Mienen haben wahrscheinlich seinen Körper entsprechend gestärkt, aber Axel Kruse lässt ihn zu sehr die Handlung dominieren, während andere Nebenfiguren quasi aus dem Geschehen fallen. Auch wenn er drei Jahre braucht, um ihm ersten, aber nicht zweiten Anlauf die Geliebte zu befreien, kommen die unvorbereiteten Protagonisten zu leicht in den jeweiligen Zeiten zurecht. Manches wirkt mit einer heißen Nadel gestrickt, um zumindest dem immer wieder genannten Titel des Buches “Zeitreisen gehen anders” gerecht zu werden. Dabei weiß niemand, ob es sich wirklich um Zeitreisen oder wie bei der Fernsehserie “Sliders” um Verschiebungen zu einer Parallelerde mit einer anderen Geschichte handelt. Das spielt am Ende dieses ersten Teils auch keine Rolle. 

Sprachlich ist der Roman für einen routinierten Autor eher höflich gesprochen bodenständig. Axel Kruse ist ein Arbeiter am Wort, wie Jörg Weigand einmal so trefflich über sich selbst geschrieben hat. Der Autor variiert das Tempo des Romans auf der sprachlichen Ebene zu wenig. Es fehlt in einigen Szenen einfach die entsprechende dynamische Dramaturgie. Dazu kommen einige holprige Dialoge und verkehrt genutzt Worte. Latein kann man nachschlagen und der Versuch, in einer Parallelwelt nicht nur Jesus inklusive Maria zu einem klassischen Eroberer/ sie zu einer Rächerin des Christentums im alten Rom zu machen, ist rudimentär interessant, wird aber durch eine sehr handgestrickte Definition INRIs - Axel Kruse macht ja deutlich, das es sich um eine Parallelwelt handelt - eher unterminiert. Und diese Ambivalenz zieht sich leider durch den ganzen Roman. 

Ohne Frage gehen Zeitreisen wie auch Zeitmaschinen anders. David Gerrold hat vor knapp fünfzig Jahren mit bissigem Humor demonstriert, welche absurden Variationen oder Zeitschleifen zumindest erzähltechnisch präsentierbar sind. Andreas Eschbach macht in seinem Vorwort deutlich, das jeder Autor selbst für die Physik der eigenen Geschichte positiv gesprochen in diesem Subgenre verantwortlich ist. Bei Axel Kruse wirkt einiges in diesem ersten Teil konstruiert und statisch. Eine abschließende Beurteilung ist erst am Ende der ganzen Geschichte möglich, aber beim Leser schließt sich neben den erstaunlichen sprachlichen Mängeln das unbestimmte Gefühl ein, als wenn der Autor irgendwann während des Schreibens beschlossen hat, aus einer Geschichte mindestens “zwei” zu machen und dabei das eigentliche Ziel aus den Augen verloren hat. “Zeitreisen gehen anders” ist angesichts der vielen guten Romane aus der Feder Axel Kruses eher eine durchschnittliche Arbeit, die dem Zeitreise Genre keine neuen Impulse schenkt.           

  



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  • Herausgeber ‏ : ‎ Atlantis Verlag (17. September 2021)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 308 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3864027969
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3864027963