The Magazine of Fantasy & Science Fiction November/ December 2021

Sheree Rene Thomas (Hrsg.)

Zum Jahresende präsentiert die Herausgeberin Sheree Renee Thomas eine Art Themenausgabe. In ihren einleitenden Worten spricht sie vom „Licht“ im wirklich sehr breit gefassten Sinne. Erstaunlich ist, dass die hier präsentieren Kurzgeschichten aber nur bedingt vom Licht handeln. Nicht einmal im übertragenen Sinne. Wie in ihren letzten „The Magazine“ Nummern verfügt die Herausgeberin über eine breite Mitarbeiterschaft, selten sind derartig viele neue bislang unbekannten Autoren und Autorinnen debütiert wie unter ihrer Ägide. Da die Themen sich mehr aus dem selbst für „The Magazine of  Fantasy and Science Fiction“ eher seltenen klassischen Bereich und mehr und mehr in die Ägide des New Weird verschieben, stellt sich unbewusst die Frage, ob die etablierte, viele Zeiten des Magazins mit tragende Leserschaft diese erneute inhaltliche Wendung auch honoriert. Mutig ist sie in diesen Zeiten ohne Frage.

 

Nalo Hopkinson präsentiert mit „Broad Dutty Water“ nicht nur die Titelgeschichte. Sie ist wahrscheinlich auch der bekannteste Name in dieser Ausgabe und sie ist eine weitere Debütantin. Jacquee kehrt zu ihrer Insel zurück, nachdem sie auf dem Festland ihr Studium, aber auch eine technische Aufrüstung hinter sich gebracht hat. Obwohl sie schnell wieder in die kleine Gemeinsam zurückkehrt und sich mit ihrem ebenfalls aufgemotzten kleinen Hausschein gegen die erdrückende Umweltzerstörung die steigenden Meeresspiegel stellt, wirkt der Text vor allem in der zweiten Hälfte mit einem unmotivierten und vor allem auch unerlaubten Gleiterflug, dem entsprechenden Absturz und schließlich der aus dem Nichts kommenden rettenden stark konstruiert und die bis dato sehr gut aufgebaute Atmosphäre verflüchtet sich entlang der schließlich pathetisch geschriebenen Dialoge.

 

Megan Lindholm vertritt mit „A Dime“ – ebenfalls eine Debütantin – die neue Richtung des Magazines ausgesprochen gut. Es handelt sich um eine nicht unbedingt sentimentale, aber anrührend kitschige Weihnachtsgeschichte. Die Protagonistin hat beginnend mit ihrem Studium immer von einer Telefonzelle zu Weihnachten zu Hause angerufen und sich entschuldigt. Sie hat auf der einen Seite ohne Frage Sehnsucht, auf der anderen Seite fehlt ihr entweder das Geld oder manchmal auch nur die Motivation, um nach Hause zurückzukehren. Die Gegend verfällt, Telefonzellen sind selten geworden und auch wenn sie über ein Handy verfügt, scheint es für sie sterbenskrank wichtig, noch einmal von diesem inzwischen gruseligen Ort Kontakt mit der Familie zu Hause aufzunehmen. Die Dialoge sind realistisch und emotional ansprechend. Die wenigen Protagonisten erstaunlich dreidimensional gezeichnet und der Leser kann nachvollziehen, wie zerrissen Megan Lindholms Protagonisten wirklich ist.

 

Auch wenn in „A Dime“ Das Wort Weihnachten nur indirekt in den Telefongesprächen fällt, ist es eine von zwei Storys, die sich mit den schönsten Tagen des Jahres auseinandersetzen. Die zweite Story ist die Letzte in dieser Ausgabe und damit auch im Jahre 2021. A Demon´s Christmas Carol“ von Jennie Goloboy. Martha beschwört einen Dämonen, damit sie und ihr Stiefbruder von ihrer Stiefmutter befreit werden. Der Dämon hat anfänglich gar kein richtiges Interesse, die aus seiner Sicht eher undankbare Aufgabe zu übernehmen, aber schließlich findet er seinen eigenen Frieden auch im Interesse der beiden Kinder. Nicht kitschig, nicht pathetisch, aktuelle Themen wie Patchup Familien aus einer etwas anderen Sichtweise darstellend handelt es sich um einen zufrieden stellenden Jahresabschluss.

 

 

Victor Pseftakis „What Makes you forget” ist ebenfalls eine semiphantastische Geschichte. In der Nähe einer kleinen Namenlosen Siedlung gibt es ein Loch im Boden, das anscheinend Wünsche erfüllt. Martha möchte unbedingt Karriere als Violinisten machen. Es finden sich keine weiterreichenden Erklärungen und die Figuren erscheinen eher eindimensional schwach gezeichnet. T.R. Nappers „A Vast Silence“ könnte zu Beginn eine klassische Gruselgeschichte sein. Jack wird von Sally durch die Wüste mitgenommen. Er hört Stimmen in seinem Kopf, als Polizisten die beiden Reisenden anhalten. Der Auftakt wird zu wenig extrapoliert, die Protagonisten wirken eher eindimensional, fast fade und am Ende bleibt der Leser ohne Erklärungen zurück. In einer stimmungsvollen Horrorgeschichte ist das vielleicht auch nicht notwendig, aber in diesem Fall wäre es sinnvoll, zumindest das Szenario ein wenig mehr zu extrapolieren. Auch „The Reckoning“ von Alexander Glass wäre in der Theorie eine interessante, aber nicht unbedingt innovative Horrorgeschichte. Der Protagonist erhält eine zweite Chance, als Geist wieder auf die Erde zurückzukehren. Er macht allerdings zu wenig aus dieser zweiten Möglichkeit und die einzelnen Bezüge inklusiv des literarischen Zitats am Ende der Geschichte kommen eher aus dem Nichts heraus.

 

„Castellia“ von Graham Edwards ist wahrscheinlich die Story, die man am ehesten als the New Weird bezeichnen könnte. Isobel erweckt ihre Burg Byre. In dieser Zeit, vielleicht auch auf diesem Planeten sind die Burgen lebendig und können sich bewegen. Byre hat keine Erinnerungen. Gemeinsam machen sie eine Reise, während der Isobel ihrer Burg einige, aber anscheinend auch nicht alle Informationen gibt. Am Ende landen sie auf einer Art „Friedhof“ der Burgen und die eigentliche Mission kann beginnen. Wie bei vielen Geschichten dieser „The Magazine of Fantasy & Science Fiction“ Ausgabe wünscht sich der Leser mehr Informationen und vor allem die Möglichkeit, eine Sympathieebene zu den Charakteren aufzubauen. Leider wird diese ihm immer wieder aufgrund unterschiedlicher Schwächen der einzelnen Autoren verwehrt.

 

Eleanor Arnasons „Laki“ ist einer der längsten Geschichten dieser Sammlung. Im wahrscheinlich 18. oder 19. Jahrhundert muss Sofias Familie ihren Hof verlassen, nachdem ein Vulkan ausgebrochen und diese mystische Island mit Asche begraben hat. Auf ihrer Suche nach einem Platz landen sie schließlich in einer Hölle, die von Trolls, den Erzfeinden der Menschen, bewohnt wird. Allerdings haben sie auch aufgrund der Katastrophe Schutz gesucht. Natürlich kommen sich Menschen und Trolle näher, aber auch hier bleibt die Atmosphäre im direkten Vergleich zu der eigentlichen Handlung dominant.

 

„Mad Milk“ ist die mit Abstand längste Geschichte, eine Novelle. Sie gehört zwar nicht in den Bereich der Weird Fantasy, aber ist nahe dran. Das Königreich Epyrotea fällt über Minorea her, weil dieses Reich den Frieden gebrochen und angeblich ein Dorf überfallen hat. Minorea ist allerdings ein Wüstenstaat und je weiter die Soldaten eindringen, um so schwieriger wird das Überleben. Viele verdursten oder sterben an Hunger. Aber sie erreichen teilweise die Hauptstadt. Das Ende der Novelle ist mit Abstand am besten. Natalie Theodoridou hat sich einige Gedanken gemacht, auch wenn nicht alle Ideen/ Elemente wirklich zueinander passen. Sie arbeitet aber den Hintergrund besser als die agierenden bzw eher reagierenden Protagonisten heraus. Insbesondere im mittleren Abschnitt vergisst die Autorin allerdings, das Tempo hochzuhalten und verschenkt einige interessante Ansätze.

 

K.A. Terynas „Lajos and His Bees“ ist ein Einzelgänger, der in den Bergen Honig produziert und im Dorf bei seinen seltenen Besuchen gegen das Lebensnotwendigste eintauscht. Eines Tages lernt er eine Frau kennen. Im Vergleich zu einigen anderen Storys dieser Ausgabe sind die allerdings exzentrischen Protagonisten in ihren Persönlichkeiten gut gezeichnet und die Interaktion ist überzeugend. Im Gegensatz zur Erwartungshaltung der Leser fügt K.A. Terynas ihrer Geschichte auch eine interessante Pointe hinzu.

 

Natürlich kann eine Werwolfgeschichte in dieser Ausgabe nicht gewöhnlich sein. „The Black Dog Gone Gray“ von Haley Stone zeigt Armitage in einer schwierigen Situation. Er soll einen Werwolf quasi becircen, für den er selbst Gefühle hegt. Maddie dagegen ist ein Kind und muss angesichts ihrer ausbrechenden Emotionen eher eingebremst werden. Die Pointe ist vielleicht nicht neu, aber die Zeichnung der Figuren überzeugt angesichts der pointierten Kürze des Textes.  

 

Neben den Kurzgeschichten finden sich drei Gedichte unterschiedlicher Qualität. David Skal geht wieder ins Kino, gleich zweimal innerhalb von zwei Tagen, um die eigene Sehnsucht zu befriedigen. Charles de Lint schreibt weiterhin vor allem über Fantasyserien, während ansonsten mit einem der wenigen karibischen – nicht geborenen, aber lange Jahre dort lebend – Horrorautoren unter den Kuriositäten und einer Reihe von Sachbüchern in James Sallis Rubrik noch schwere Kost für den Gabentisch vorgestellt wird.

 

Die Abschlussausgabe des Jahres 2021 ist nicht unbedingt gänzlich befriedigend. Zu experimentell, zu wenig über die Atmosphäre hinausgehend gehaltvolle Kurzgeschichten und abschließend auch rudimentäre Kurzgeschichten, die auf Stimmungen den Plots setzen. In dieser Form muss die Herausgeberin noch die richtige Balance zwischen literarischem Aufbruch und der Erhaltung der Tradition finden. Die Jahresendausgabe überzeugt in dieser Hinsicht nicht.   

The Magazine of Fantasy & Science Fiction, November/December 2021 by Sheree Renée Thomas

Taschenbuch, 252 Seiten

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