Mountain Home

Bracken MacLeod

Genau wie David Morrells „First Blood“ Titel in doppelter Hinsicht ironisch ist, wirkt Bracken Macleods Erstling „Mountain High“ zweideutig. Zum einen ist es der Name eines Schnellrestaurants, das förmlich in kurzer Zeit aus dem Boden gestampft worden ist. Nicht um auf der Bergkuppe mit ahnungslosen Touristen nahe dem Highway Geld zu verdienen, sondern um eine ehemalige Soldatin schließlich aus ihrem Heim zu vertreiben. Anschließend soll dort ein Hotel entstehen. Zum anderen spielt sich in der friedlichen, endlos erscheinenden Natur eben auf dem Bergplateau ein Drama ab, das intensiv, packend, aber stellenweise auch schematisch geschrieben worden ist. Dabei folgt Bracken MacLeod mit einem anderen Krieg – das Ende des zweiten Irakkriegs – und einem anderen Geschlecht – die Elitesoldatin, die über die Grenze des Erträglichen gereizt wird, ist weiblich – den Schemata des Morrell Romans. Die großen Unterschiede sicherlich auch begünstig durch die veränderte Zeit sind, dass die Ex- Soldatin Joanie Myer wegen ihrer Abfindung und daraus resultierend dem Kauf eines isolierten Haus in der erzkonservativen Gemeinde nicht wohl gelitten ist und zweitens eine Liebesbeziehung zum örtlichen Polizisten dazu beiträgt, das sie eine finale Lösung sucht. John Rambo zog nur durch eine vergleichbar konservative Gemeinde und wurde von den örtlichen Sicherheitskräften provoziert.  Weiterhin erlitt Joanie Myer ihre traumatischen Verletzungen abschließend nicht durch den Feind, sondern durch die Mitarbeiter der Sicherheitsfirma Blackwater, die sich gefangen nehmen und als Geisel über Tage/ Wochen vergewaltigen und foltern. John Rambo wurde im Dschungel von Vietnam noch vom amerikanischen „Feind“ gefoltert. In beiden Romanen greifen schließlich wieder die Mechanismen der Ausbildung, die schließlich zu einem nihilistischen Blutbad in erster Linie nicht nur an Schuldigen, sondern vor allem Unschuldigen führen. Bracken MacLeod versucht dabei durch Grenzen zwischen Schuld und Unschuld sowohl im Krieg als auch im amerikanischen „Frieden“ zu verwischen und möglichst wenig Partei im Vorwege einzunehmen. Das gelingt ihm nur begrenzt, denn damit dieser sehr stringente Actionroman mit zwei Handvoll mindestens zufriedenstellend charakterisierter Protagonisten überhaupt funktionieren kann, muss der brüchige Status Quo zerstört werden. Und in dieser Hinsicht schenken sich die Betreiber/ Besitzer des Restaurants mit anfänglichen Provokationen und die Soldatin mit ihrer lange geplanten Massenmordstrategie buchstäblich nichts.

 Wie schon angesprochen werden viele der Einzelheiten entweder durch die langen Rückblenden, die Joanie Myers doppeltes Kriegstrauma noch unterstreichen sollen oder in Dialogen wie die nächtlichen Feuerwerkskörper offenbart. Diese Vorgehensweise ist nachvollziehbar, beinhaltet aber auch das Risiko, das viele wichtige Aspekte zu schnell relativiert werden. So hätte Joanie Myer die Entführung und Vergewaltigung auch in den Staaten passieren können. Im Vergleich zu den anderen immer wieder erwähnten Kriegsveteranen, die nicht einmal mehr ein Feuerwerk in ihrer Nähe ertragen können, wirkt sie als Soldat und nicht als Frau zu wenig traumatisiert. Es ist auch erstaunlich, dass sie die nächtlichen Störungen nicht ihrem kurzzeitigen Freund gegenüber erwähnt hat, der zufällig auch noch der örtliche Sherriff ist. So wirkt ihre Beziehung vielleicht auf der einen Seite rein sexuell, auf der anderen Seite scheint MacLeod diesen wichtigen Aspekt der Handlung zu ignorieren. Vielleicht wäre es sinnvoller gewesen, das Ende dieser heimlichen Beziehung nicht mit der Rückkehr zur Verantwortung und der Sehnsucht nach der eigenen Familie auf Seiten des Sheriffs zu begründen, sondern durch Anweisungen, welche die einflussreichen Besitzer mit Schmiergeldzahlungen erkauft haben. Auf der anderen Seite provoziert Joanie Myer immer wieder die Leute. Sie hat Lokalverbot und geht trotzdem rüber, um einen Kaffee zu trinken. Dabei spielt dieser letzte Besuch keine Rolle mehr, da sie ihre Fallen schon gesetzt hat. Es erscheint unwahrscheinlich, dass sie ihre umfangreichen Fallen bei einer anderen Reaktion des kleingeistigen Restaurantleiters abgebaut hätte.

Joanie Myers ist dabei freundlich gegenüber der Kellnerin Lyn, die nur in der abgeschiedenen Gaststätte bedient, bis sie einen neuen Job hat. Mit wenigen markanten Bemerkungen skizziert MacLeod das harte Leben der Kellnerinnen, die verzweifelt versuchen, ein Trinkgeld zu erhaschen, das ihnen im ungünstigen Fall von den Kollegen gestohlen wird. Lyn zeichnet; versteht sich gut mit dem Koch, der nicht nur ihr ab und zu guten Stoff besorgt und hält den körperlich auch kleingewachsenen Restaurantleiter für einen Tyrannen. Mit wenigen effektiven Sätzen charakterisiert der Autor so die wichtigste Figur. Lyn als Gegenstück zu Joanie Myers zu bezeichnen, wäre vielleicht zu viel. Aber aus Sicht der Planung wollte die Soldatin zwar unschuldige Menschen neben den aus ihrer Sicht zwei Schuldigen töten, aber in ihrer Motivation hinsichtlich der Opferzahl ist sie schwankend und gegen Ende führt der Autor noch eine weitere Intensivierung der Situation ein, die den anfänglichen Plänen endgültig widerspricht. Zumal Myers damit auch die Menschen töten will und wird, die ihr als Soldat in Kriegszeiten direkt oder indirekt immer geholfen haben. Hinsichtlich der Auflösung der Situation macht es sich der Autor schließlich sicherlich auch zu Gunsten ohne Frage cineastischer Situationen zu einfach.

Um Joanie und Lyn sind ausreichend Nebenfiguren platziert, die mehr oder minder als Opfer frei gegeben werden. Das lesbische Ehepaar, das natürlich in dieser erzkonservativen Gegend angefeindet wird. Vater und Sohn, die sich nicht grün sind. Der angesprochene Koch mit seiner Mischung aus Interesse und platten Weisheiten. Das nette Ehepaar, das rechtzeitig den Imbiss verlässt und nachvollziehen kann, wie hart die Arbeit sowohl als Soldat - sie danken Joanie Myers für ihre Dienste bei der Verteidigung der USA, was zumindest ausserhalb der USA auch als blanker Hohn verstanden werden kann - denn auch als Kellnerin sein kann. Und schließlich die geizigen nervigen Kunden, die an allem etwas auszusetzen haben. Kein Wunder, das sie die ersten Opfer sind. Ebenfalls effektiv entwickelt ist mit Bryce der örttliche Sherriff, der ein Verhältnis mit Joanie hat, auf der anderen Seite aber auch seine Frau liebt. Er ist der typische Feigling, den sein schlechtes Gewissen zwingt, sich erwischen zu lasen. Wie ein Mann will er dann das Verhältnis zu Joanie beenden, bei der er sich fünf Wochen nicht gemeldet hat. Sie ahnt inzwischen, was er will. Ohne Kitsch und Pathos fließt diese persönliche Konfrontation in das Geschehen hinein und Joanie unterscheidet am Ende nicht mehr richtig zwischen den einzelnen Opfern.  

Nach wenigen Seiten erschießt sie aus dem Nichts von ihrem Hochstand - auch diese Position ist kritisch gesprochen ambivalent zu verstehen - die ersten Opfer und isoliert die anderen Menschen im Restaurant. Sie können keine Hilfe rufen, da das Telefon im Schusswinkel Jaonies ist und die Handys nicht funktionieren. Später stellt sich heraus, dass nicht nur das Restaurant vermint ist, sondern unterhalb des Restaurants Fallen aufgebaut worden sind. Warum Joanie schließlich diesen Weg wählt, obwohl sie theoretisch das sie störende Haus in tausend Stücke sprengen kann, bleibt unausgesprochen. Die elegante Art des Tötens wird rückblickend auf einen ihrer Kriegseinsätze gezeigt. Und wie bei "Shooter" - ein weiterer Roman um einen Scharfschützen, der schließlich mit dem die Verfassung mit Füßen tretenden Washingtongesindel bricht - beschreibt der Autor die Eleganz des fast anonymen Tötens aus der Entfernung und die emotionale Destabilisierung dieser Tötungsroboter. Im Gegensatz allerdings zu "Shooter" steht das Ende von Beginn an fest. Es geht nur noch darum, wer überlebt. Hier hat Bracken MacLeod nach einigen brutalen, aber nicht voyeuristisch angelegten Szenen eine kleinen, den Leser nachträglich befriedigenden Vorepilog parat, der Ursache und Wirkung vielleicht ein wenig zu sehr relativiert. Auf dem Weg dahin gelingen dem Autoren eine Reihe von sehr intensiven Sequenzen, wobei er durch verschiedene Handlungseben im Vergleich zu den von Stephen King so exzellent in geschlossener Atmosphäre inszenierten Dramen den Lesern und damit indirekt auch den eingeschlossenen Charakteren ein wenig Luft zum Atmen gibt. Überraschend ist, dass sich MacLeod in diesem Mittelteil fast gänzlich von der neben Lyn am besten beschriebenen Person Joanie Myers fast gänzlich zurückzieht und ihr Schicksal nur über die Rückblenden definiert. Dardurch wird einiges an Potential verschenkt.

Im Vergleich zu vielen anderen oberflächlichen Dramen, die den Krieg mit fadenscheinigen Argumenten in die jeweilige Heimat zurücktragen, bemüht sich MacLeod nicht immer effektiv um eine Differenzierung und beschreibt zwei Handvoll Menschen unter extremen Druck, die nur jeweils einen einzigen Ausweg sehen. Sie reagieren auf Gewalt nicht unbedingt immer gleich mit Gegengewalt, sondern versuchen verzweifelt in aussichtslosen Situationen zu überleben. Damit verschwimmen auch die Grenzen zwischen den zivilen Opfern in den verschiedenen Golfkriegen und den Unschuldigen, die sich einfach am falschen Ort zur falschen Zeit befunden haben. Bracken MacLeod präsentiert einen sehr komprimierten Plot mit gut gezeichneten Charakteren. Die angesprochenen Schwächen eines Erstlings sind vor allem angesichts der intensiven und teilweise verstörenden Eröffnung des Buches zu verschmerzen, zumal der Autor das Tempo nicht nur hochhält, sondern die kritischen, aber auch ein wenig klischeehaft eindimensionalen Zwischentöne effektiv über den ganzen Roman bis zum schwierigen, die Spätfolgen der Ereignisse behandelnden Ende souverän verteilt. 

 

Autor:MacLeod, Bracken
Buchreihe:Festa Crime
Auflage:Deutsche Erstausgabe
Buchseiten:224 Seiten
Ausführung:Paperback, Umschlag in Festa-Lederoptik
Format:20 x 12,5 cm
ISBN:978-3-86552-345-7
Originaltitel:Mountain Home
Übersetzung von:Christian Siege und Felix F. Frey
Erscheinungsdatum:20.11.2014
Kategorie: