Der letzte Regent

Andreas Brandhorst

Die neue Space Opera "Der letzte Regent" aus der Feder Andreas Brandhorsts spielt nicht in seinem Kantaki Universum. Es ist ein bislang alleinstehender Roman, dessen Ironie sich nach der Lektüre auch im Titel ablesen lässt. In doppelter Hinsicht kann man von einem letzten Regenten des Menschenreiches sprechen. Der Übergang von einer Diktatur des Einzelnen zu demokratischeren Verhältnissen wird eingeleitet. Andreas Brandhorst lässt aber kritisch gesprochen die Frage offen, ob diese Wandlung ein Teil eines für den Leser unverständlichen komplexen Plans ist oder ob wirklich eine Reihe von eher unwahrscheinlichen Zufällen dieses vorläufig positive Ende herbeigeführt haben. Zusätzlich hat der in Italien lebende Autor zumindest vordergründig als roten Faden eine Mordermittlung in die laufende Handlung integriert, welche der Autor durch die Existenz von zersplitterten Persönlichkeiten, künstlichen Intelligenzen und diversen Methoden, die Gehirne von Menschen entweder inhaltlich zu leeren oder von falschen Erinnerungen zu füllen absichtlich kompliziert. Die Grundhandlung ist dabei ausgesprochen stringent, aber auch an einigen Stellen nicht unbedingt überraschend. Das Endurium ist die monarchisch seit mehr als sechshundert Jahren beherrschte Sammlung der meisten von Menschen bewohnten Welten. Vor mehr als zweitausend Jahren haben die Ayunn während des ersten von zwei Angriffen unter anderem auch die Erde verbrannt. Neben dem Endurium und den in erster Linie im Verborgenen agierenden Fremden - so fällt die Bergung eines lebenden Ayunn im Verlaufe der Handlung gänzlich unter den Tisch, was Ähnlichkeiten zu Fernsehserien wie "Battlestar Galactica" oder "Space 2063" rückblickend relativiert - gibt es noch die Splitterwelten, welche den wirtschaftlich größten Beitrag zum Moloch Endurium beitragen. Die Rüstungsausgaben der Menschen sind gigantisch und die Geburtenraten fallen insbesondere im impliziert dekadenten Endurium sehr stark. Xavis Xavius ist der Chronist eines für alle bis auf ihn erkenntlich sterbenden Reiches. Xavius ist anwesend, als der Regent anscheinend durch Abtrünnige der Splitterwelten getötet wird. Da gleichzeitig die Ayunn ihre dritte Attacke vorbereiten, darf der Tod des Herrschers nicht bekannt werden. Der General, an dessen Biographie Xavius geschrieben hat, gibt ihm den Auftrag, nach den Tätern zu suchen und von ihren Geständnisse zu erhalten. Während seiner Reise erhält er zusätzlich den Auftrag, die Attentäter zu töten. So effektiv und pragmatisch der Auftakt auch sein mag, er macht wenig Sinn. Xavius ist ein intellektuell verknöcherter Schreibtischtäter. Selbst wenn man unterstellt, das das vorläufige Ende von den Attentätern wirklich geplant worden ist, wäre es sinnlos gewesen, ihn erstens in Gefahr zu bringen und zweitens am Leben zu lassen. Hinzu kommt, das die Schwierigkeiten, denen er während der Reise begegnet, sich tatsächlich wiederholen. Zweimal wird er als Mörder entlarvt und die entsprechenden Aufzeichnungen zeigen ihn auch beim Vollenden der Tat. Während der erste Mord al.s Kombination aus Eifersucht/ fehlgeleitete Liebe auf einen jugendlichen Kritiker seiner Position im Reich und der Politik des Regenten als Ganzes verstanden werden kann, negiert die Wiederholung im Grunde die plottechnische Exposition. Wenn das von Beginn an der Plan gewesen ist, dann hätte man Xavius nicht auf diese aussichtslose Reise schicken müssen oder ihn zum Verbrecher zu machen. Akzeptiert der Leser diese Prämisse, dann wirkt die inhaltliche Wiederholung unbeholfen. Sie negiert förmlich den angestrebten Überraschungseffekt. Auch die Auflösung der Krimihandlung erinnert zu stark an bekannte Versatzstücke. Dabei reicht das Spektrum bis zum sechsten "Star Trek" Film mit Xavius in der Kirk Rolle. Erst nach dem Abschluss der Kriminalhandlung blüht "Der letzte Regent" zu kurz in mehrfacher Hinsicht auf. Wenn Xavius dem eigentlichen Revolutionär und Mörder am Ende auf drastische Art und Weise zeigt, wie klein sein Geist ist, dann erahnt der Leser das Potential des Romans. Auch andere Baustellen wie ein wirtschaftlich zusammenbrechendes Reich unter der erneuten Bedrohung der Ayunn, deren erster Vorstoss aber anscheinend unter Mühen effektiv zurückgeschlagen werden konnte, wirken stiefmütterlich abgehandelt. Schade ist, das diese "Probleme" von einzelnen Protagonisten mehrfach angesprochen werden. Es entstehen verschiedene Diskussionen, die Xavius anfänglich verborrt stoisch in Hinblick auf die fast sprichwörtliche Weisheit und Allmacht des Regenten zurückweißt, während er am Ende lernen muss, das Opportunismus, geistige Beweglichkeit und ein gesunder Menschenverstand mit offenen Augen für die gegenwärtige Realität mehr Wert sind als seine ganzen theoretischen Geschichtsarbeiten zusammen. Andreas Brandhorst will zu Lasten des ganzen Romans deutlich zu viel. Auf der anderen Seite verzettelt er sich in seiner grundlegenden Handlung und versucht falsche Spuren zu legen, die in der Realität für Xavius "tödlich" gewesen wären. Unabhängig von diesen plottechnischen Konstruktionen, die in einer unter Umständen nur fiktiven Exkursion in eine ferne Zukunft gipfeln, in welche das Endurium und wahrscheinlich auch die Menschheit fernste Erinnerung ist, verfügt Andreas Brandhorst in doppelter Hinsicht über die Erfahrung und den Mut, einen unsympathischen Protagonisten in den Mittelpunkt der Handlung zu stellen. Zusätzlich demontiert er mit fast sadistischem Vergnügen dessen „Welt“, dessen Vorstellungen, um ihn dann die einmalige Chance zu geben, das Erhaltenswerte zu retten und auf dem Fundament des Reiches, das er nicht nur literarisch in Stein gemeißelt und vergöttert hat, etwas Neues entstehen zu lassen. Xavius läuft anfänglich mit Scheuklappen herum. Jegliche Kritik nimmt er persönlich, verteidigt den inzwischen toten Regenten gegen die Angriffe eines jungen, zweimal schon verwarnten Systemkritikers. Später wird er auf seiner Reise, die mehr und mehr zu einer Flucht wird, die Splitterwelten bereisen und deren Kultur kennen lernen. Aus den Augen des ansonsten passiven Beobachtern lernt der Leser diese unterschiedlichen „Westentaschenzivilisationen“ kennen, aber nicht lieben. Sie beginnen Xavius Weltbild zu verändern. Sie müssen seine Einstellung verändern, da ihm systematisch und wie schon angesprochen jegliche Daseinsberechtigung über den Status eines unwissenden Sündenbocks hinaus genommen wird. Trotz oder gerade wegen dieser fortschreitenden Demontage der einzigen Identitätsfigur des Lesers wird Xavius nicht zum Helden. Er bleibt widerstrebend bockig, unkritisch und stellenweise naiv. Erst als er endgültig in die Enge getrieben und einer Tat - zum zweiten Mal in diesem Buch - beschuldigt wird, die möglicherweise sein Unterbewusstsein - eine gänzlich andere Persönlichkeit, die seinen Status als neutraler Chronist ernst begründet, begangen haben könnte, schlägt er auf die einzige Art und Weise zurück, die er kennen gelernt hat: mit einem gigantischen Bluff und der Gewissheit, das er nichts mehr zu verlieren hat, während er ahnt, dass seine unsichtbaren Gegner und ihrer immer offensichtlicher werdenden Ziele sich in seiner Nähe aufhalten. Die endgültige Auflösung dieser Zwickmühle kommt rückblickend zu schnell, zu simpel. Genau wie die Etablierung seiner neuen Position. Natürlich hat Xavius dem Reich wie kein anderer außer dem letzten Regenten gedient, aber ist er deswegen würdig oder gar der einzige, der dem Konzil im Allgemeinen und der Menschheit im Besonderen dienen kann? Hier seien Zweifel angebracht. Allerdings fehlt dem Buch auch ein überzeugender Antagonist. Nicht selten hat der Leser das unbestimmte, nicht ganz falsche Gefühl, als sei Xavius auf der Suche nach sich selbst. Die wenigen Nebenfiguren wirken zu eindimensional, zu funktionell charakterisiert. Wie alle seiner bisherigen Science Fiction Romane sowohl aus der ersten wie der jetzt anderen zweiten Periode seines literarischen Schaffens verfügt der Autor über die Fähigkeit, exotische fremdartige Welten zu erschaffen, in denen im Vergleich zu seinen in den achtziger Jahren veröffentlichten Romanen mehr technokratisches Leben blüht. Seine gegenwärtigen Arbeiten rücken mehr - ohne sich in technischen Details zu verfangen - an die modernen barocken Space Operas der britischen Autoren heran. „Der letzte Regent“ ist wie schon beschrieben nicht ohne Schwächen. An einigen Stellen wirkt Andreas Brandhorst ungewöhnlich für einen Autoren mit seiner Routine überambitioniert. Er will einen Schlenker zu viel in die Handlung integrieren. An anderen Stellen sind seine Absichten zu früh zu erkennen. Mit dem bisexuellen Chronisten Xavius verfügt der Autor allerdings über eine interessante Figur, die gerade wegen ihrer zahlreichen negativen Seiten und einer Aufgabe, die im Grunde die Suche nach der Stecknadel im galaktischen Heuhafen darstellt, den Leser durch eine futuristische, aber angesichts der menschlichen Schwächen und Gelüste auch vertraute Welt führt.

Originalausgabe

Paperback, Broschur, 576 Seiten, 13,5 x 20,6 cm
ISBN: 978-3-453-52971-7
€ 14,99 [D] | € 15,50 [A] | CHF 21,90* (* empf. VK-Preis)

Verlag: Heyne