Gruselkabinett 144: Kritik zum Hörspiel Der gewaltige Gott Pan

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Gruselkabinett gewaltige Gott Pan

Die Geschichte beginnt idyllisch im Jahr 1864 auf dem Landgut von Dr. Raymond. Die Vögel zwitschern und die Grillen zirpen. Der Doktor unterhält sich mit seinem Besucher Mr. Clark über die Schönheit der Natur, bevor er seinen Freund bittet, Zeuge eines grausigen medizinischen Experimentes zu sein. Clarke soll einer Operation an Raymonds Adoptivtochter Maria beiwohnen, bei der Dr. Raymond ihr eine lange Nadel ins Gehirn einführen will. So sollen Hirnareale aktiviert werden, die es der jungen Frau ermöglichen in die Dimension des antiken Gottes Pan vorzustoßen.

Das Experiment gelingt oder schlägt auf grausige Weise fehl, je nachdem, ob man Dr. Raymonds oder Mr. Clarkes Meinung folgen will. Jahre später kommt es in London zu mehreren ungeklärten Selbstmorden von Mitgliedern der besseren Gesellschaft. Über seinen Freund Mr. Clark kommt Mr. Villiers auf die Spur einer jungen geheimnisvollen Frau, die seinen ehemaligen Kommilitonen Charles Herbert geheiratet und anschließend in den Tod getrieben haben soll. Der Verdacht liegt nahe, dass die schöne Unbekannte auch hinter all den anderen mysteriösen Selbstmorden steckt. Zusammen mit seinen Clubkameraden Mr. Austin, versucht Mr. Villiers die geheimnisvolle Frau aufzuspüren.

"Geht die Geschichte etwa noch weiter?"

Der gewaltige Gott Pan aus dem Jahr 1894 ist wohl das bekannteste Werk des Schriftstellers Arthur Machen. Der walisische Autor interessierte sich Zeit seines Lebens für römische und keltische Geschichte sowie für das Verborgene und Unheimliche. So schloss sich der Autor auch dem Hermetischen Orden der Goldenen Dämmerung an, dem auch der Okkultist Aleister Crowley und der Dichter William Butler Yeats angehörten.

Sein Faible für das Übersinnliche schlug sich aber vor allem in seinem literarischem Werk nieder. Seine unheimlichen Erzählungen begeisterten und inspirierten seinen berühmten Zeitgenossen H. P. Lovecraft. Auch von Stephen King wurde Der gewaltige Gott Pan in den höchsten Tönen gelobt. Immerhin hatte es dann doch noch bis Folge 144 gedauert, bis in der Reihe Gruselkabinett Machens bekanntestes Buch vertont wurde. Das Label Titania Medien adaptiert für die Serie Gruselkabinett Schauergeschichten von klassischen Autoren wie Edgar Allan Poe, Bram Stoker oder H. P. Lovecraft.

"Sie hat den gewaltigen Gott Pan geschaut."

Wie schon in der Gruselkabinett-Kabinett-Folge Die Köpfe von Apex hat Michael-Che Koch eine Doppelrolle in dem Hörspiel inne. Es spricht Mr. Villiers, der auch als Erzähler durch die Handlung führt. Dass Koch ein guter Erzähler ist, hat ein in vielen Hörspielen bewiesen. Es gelingt ihn aber auch, den leicht verunsicherten und dennoch zu allem entschlossenen Villiers in den Hörspielszenen sehr gut darzustellen.

Bereits in Die Köpfe von Apex spielte Koch an der Seite von Thomas Balou Martin. In Der gewaltige Gott Pan spricht Martin Mr. Clarke. Er klingt hier älter, ängstlicher und nicht ganz so rau wie gewohnt, was gut zu seiner Rolle passt.

Da Dr. Raymond, wie Viktor Frankenstein oder Dr. Moreau, dem Urtyp eines skrupellosen Wissenschaftlers entspricht, legt auch Jacques Breuer (Synchronstimme von Stephen Dillane als Stannis Baratheon in Game of Thrones) bei seiner Interpretation eine ordentliche Priese Wahnsinn in seine Darstellung. Sein Dr. Raymond beherrscht aber das gesamte Spektrum von freundlichem Gespräch über die Schönheit der Natur bis zu purer Verzweiflung am Ende, so dass seine Figur nie in die Lächerlichkeit abrutscht.

Daniela Bette (Lindenstraße) hat in dem Hörspiel nur einen geringen Sprechanteil, obwohl die von ihr gespielte Helen Vaughn die Antagonistin des Hörspiels ist. Sie schafft es, ihre kurzen Auftritte gut zwischen Verführung und Bedrohung anzulegen. In weiteren Rollen sind Bodo Primus (Hörspielreihe Der letzte Detektiv), Lutz Reichert (Tatort), Matthias Lühn (Sprecher des Hörbuches Die Lügen des Lock Lamora) und in einem Kurzauftritt Detlef Bierstedt (Synchronstimme von George Clooney und Jonathan Frakes) zu hören.

"Aber es ist möglich, diesen Schleier zu lüften und hinter die Schatten zu blicken."

Trotz sehr guter Sprecher lässt die Folge den Hörer mit einem zwiespältigen Gefühl zurück. Der Beginn mit dem bestialischen Experiment fällt recht unheimlich und verstörend aus – nicht so sehr wegen der übernatürlichen Geschehnisse, sondern wegen der Gewalt, die der Doktor bei der Operation an seiner Adoptivtochter anwendet.

Danach wird die Spannung eher langsam aufgebaut und das Hörspiel erinnert mehr an einen Krimi als an eine Horrorerzählung. Die Geschichte gleicht in ihrer Erzählweise einer Zwiebel. Michael-Che Koch führt in eine Szene ein, in der dann eine weitere Figur etwas berichtet, was wieder in einer neuen Hörspielszene mündet. Inhaltlich und formal wird so Schicht um Schicht der gesamten Geschichte bloß gelegt.

Das ist gerade beim ersten Hören teilweise sehr verwirrend und es fällt schwer, den Überblick zu behalten. Andererseits wird so die Spannung aufrechterhalten und der Hörer besitzt immer nur denselben Wissensstand, wie die Figuren im Hörspiel.

"Was Mann und Frau miteinander tun, das sollte nicht Gegenstand von Gesprächen unter Gentlemen sein, niemals!"

Während Machens Geschichte bei ihrer Veröffentlichung 1894 durch die lediglich angedeuteten Sexszenen einen Skandal auslöste, ist die unterdrückte Sexualität der viktorianischen Männer aus heutiger Sicht nicht wirklich ein guter Stoff für eine Horrorgeschichte. Die lüsterne und scheinbar männermordende Frau sorgt im Hörspiel nicht wirklich für echtes Grauen.

Vielmehr scheinen die meisten Männer im Hörspiel von Helens Verlangen überfordert zu sein. Die ganze Zeit steht die Frage im Raum, was sie mit den scheinbar so prüden Engländern auf ihren Orgien Schreckliches getrieben haben mag, dass den Herren Selbstmord als einziger Ausweg erschien?

Der Schrecken und Ekel, welche die Ermittler schon bei Anblick eines Gemäldes mit einer antiken Orgie überkommt, will einen heute nicht mehr so recht überzeugen. Der titelgebende Gott Pan, welcher auf dem schön gestalteten Cover zusehen ist, tritt in dem Hörspiel nur indirekt auf und kann somit auch nicht als zusätzliche Schreckensgestalt dienen.

"Nicht umsonst habe ich mich die letzten zwanzig Jahre mit transzendentaler Medizin beschäftigt."

Das wirklich Böse in Der gewaltige Gott Pan geht von Dr. Raymond aus, welcher die junge Maria zum Spielball seiner obskuren Experimente macht. Es wäre leicht gewesen, dieses Motiv in dem Hörspiel zu verstärken und es somit zu aktualisieren. Wie schon bei den anderen Titeln der Gruselkabinett-Reihe hielt sich Regisseure Marc Gruppe aber eng an die Vorlage und hat auf Modernisieren verzichtet.

Diese Entscheidung hat dem Hörspiel nicht geschadet. Über seine 77 Minuten Laufzeit bleibt die Spannung gleichbleibend hoch, obwohl oder gerade weil man sich die ganze Zeit fragt, warum die wohlhabenden Gentlemen sich reihenweise umbringen. Unterstützt wird dieses durch die Musik, welche dezent im Hintergrund erklingt und eine permanente gruselige Stimmung verbreitet. Da ist es auch zu verschmerzen, dass die finale Auflösung im Jahr 2019 nicht mehr hundertprozentig überzeugen kann.

"Solch eine Schande ist schwer zu verkraften."

Fazit

Titania Medien hat mit Der gewaltige Gott Pan ein Hörspiel produziert, dem man deutlich anmerkt, dass die Vorlage aus dem 19. Jahrhundert stammt und sich die moralischen Vorstellungen seitdem gewandelt haben. Auch wenn die Auflösung somit nicht ganz schlüssig erscheint, wird den Hörern doch ein gruseliges Erlebnis geboten. Wer immer schon einmal wissen wollte, was es mit den viel gelobten Werk Arthur Machens auf sich hat, sollte bei dieser Gruselkabinett-Folge zugreifen.

Eine kurze Hörprobe ist hier zu finden.

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