„Mein Sonntag in Münster“ sammelt nicht in „Der Regentänzer“ publizierten Kurzgeschichten Wener Zilligs. Das einige der Geschichten in Münster spielen hat den Grund, dass er vor seinem Umzug nach Bayern immerhin 21 Jahre in der Stadt gelebt hat. Neben dem Roman „Die Parzelle“ - 1984 in der Goldmann Reihe positiver Utopien publiziert – hat Werner Zillig noch drei Kurzromane phantastischen Inhalts publiziert, die im Corian Verlag erschienen sind. Die Fortsetzung zur Titelgeschichte „Mein Sonntag in Münster“ ist exklusiv für diese Anthologie geschrieben worden.
Die erste Geschichte "Finger im Licht" erschien im Story Reader unter dem Pseudonym Heinrich Werner. Sprachgewaltig, ein wenig überambitioniert und vor allem eher am Stil denn am Inhalt interessiert ist der Text nicht repräsentativ für die deutlich sozialeren und pointierteren später Geschichten dieser Sammlung.
Das Thema "Familie" steht von Beginn an seiner Karriere im Mittelpunkt der Kurzgeschichten. Ebenfalls unter dem Pseudonym Heinrich Werner und gleichfalls im Story Reader veröffentlich erschien "Familientreffen". Das süffisante Ende ist vielleicht im Vorwege zu erkennen, aber die Idee einer derartig exotischen Familienplanung; die "Erschaffung" der nächsten Generation und dazwischen echte Gefühle heben diese Story aus der Masse anderer Texte hervor. "Ein Mann für Jolanda" geht einen etwas anderen Weg mit dem aber gleichen Ziel. In den früher achtziger Jahren gehört die Story zu den Post Doomsday Storys, in denen vor Verstümmelungen, Strahlenschäden und dadurch bedingt dem geschädigten Genpol gewarnt wird. Werner Zillig eröffnet die Geschichte fast klassisch. Ein Mann soll für die hübsche Jolanda in einer anderen der wenigen überlebenden Siedlungen gesucht werden. Nach und nach zieht der Autor den Vorhang auf, bietet rudimentäre Informationen an und lässt diese von den Protagonisten relativieren.
Obwohl das Ausgangsszenario ausgesprochen dunkel ist, zeigt Werner Zillig, dass ein Will Berge versetzen oder in diesem Fall Kilometer überwinden kann. Und das alleine, um eine perfekte Frau zu einem perfekten Mann zu bringen. "Familientreffen" und "Ein Mann für Jolanda" verbindet aber eine andere Komponente. Trotz aller teilweise improvisierter sozialer Perfektion bleibt immer ein Mensch traurig und verbittert zurück.
Auch "Katharina" reiht sich in die Phalanx im Grunde trotz teilweise düsterer Hintergründe sozial optimistischer Post Doomsday Geschichten ein. Ein junges Pärchen will die Maschinenwelt untersuchen, die in der Nähe des auf ein archaisch mittelalterliches Niveau zurückgefallenem Dorf immer noch existiert. Es handelt sich um einen Freizeitpark mit Robotern aus der Hochindustriezeit. Werner Zillig arbeitet mit Perspektivwechseln. Auf der einen Seite das Pärchen, das nicht nur von der Atmosphäre, sondern der virtuellen Realität hervorgerufen durch eine Flüssigkeit als Zusatz zu den Getränken eigefangen ist, auf der anderen Seite die Dörfler unter der Führerschaft des Vaters des Jungen, die mit Abneigung noch einmal die Maschinenwelt betreten. Wie in "Ein Mann für Jolanda" lässt sich aber der intellektuelle Fortschritt nicht mehr aufhalten und die jeweils Anderen - es spielt keine Rolle, ob es junge Menschen oder einfach kluge Köpfe sind - schwimmen gegen den Strom, um eine andere hoffentlich bessere Zukunft zu erschaffen.
"Das Mädchen aus der weißen Zeit" nimmt ein klassisches Science Fiction Thema - weniger eine Zeitreise als eine Reise durch Raum und Zeit - als Grundlage für eine oberflächliche Betrachtung einer auf der einen Seite ein wenig fremden, dann wieder vertrauten menschlichen Zivilisation. Leider ist der Text zu kurz, um die hintergründigen Betrachtungen zufriedenstellend zu extrapolieren und die strukturelle Ähnlichkeit zu anderen Zeitreisegeschichten überwiegt. Zu Beginn ist "Der Eingriff" deutlich interessanter. Aus der Zukunft bzw. Parallelwelten - in diesem Punkt ist Zillig wissenschaftlich ambivalent - können die Menschen ihren Geist in die Vergangenheit und in jeweilige Körper der damals lebenden Menschen versetzen lassen. Der Protagonist sucht sich das Jahre 1981 aus. Zeitnah am Entstehen der Geschichte. Nur kann sein unfreiwilliger Gastgeber den Besucher erkennen und beginnt gegen alle Gesetze ein inneres Zwiegespräch mit ihm. Die Ausgangslage ist interessant, wenn auch nicht unbedingt originell. Aus heutiger Sicht hätte sich ein Leser wahrscheinlich mehr Informationen über die achtziger Jahre gewünscht, aber da die Story auch in dem Jahr entstanden ist, erscheint die Gegenwart belanglos. Das Ende ist eher schwach und wirkt viel zu abrupt. Sehr viel Potential wird verschenkt, so dass der Leser im Grunde wieder aus dem Plot förmlich herausgedrängt wird.
Das Eindringen in einen fremden Geist egal aus welcher Richtung zieht sich wie ein roter Faden durch die Sammlung. "Mein Sonntag in Münster (1985 fürs Radio geschrieben) hat mit der Veröffentlichung dieser Anthologie eine erklärende Fortsetzung erhalten. "Ein anderer Sonntag in Münster" steht aufgrund der strickt chronologischen Zusammenstellung der Sammlung am Ende. Es ist die einzige Geschichte, die nur für diese Buchausgabe geschrieben worden ist, alles andere sind Nachdrucke. Es empfiehlt sich die Texte unmittelbar hintereinander zu lesen. Der Verfasser lernt in einem Cafe in Münster eine schöne Frau kennen. In der Fortsetzung wird erläutert, dass sie anscheinend nicht von der Erde stammt. Vieles deutet die erste Anekdote und weniger abgerundete Geschichte nur an. Zwischen den beiden Texten ist nicht nur in der Realität, sondern auch in der Fiktion die gleiche Zeit vergangen. Die Frau trifft auf einen Mann, der wie sie eine andere Herkunft hat. Beide Texte ergeben eine interessante Liebesgeschichte zur Erde und damit auch zu den Menschen, aber sie strahlen auch die Sehnsucht nach dem da draußen aus.
"Das Modell" reiht sich ebenfalls in diese Thematik ein. Ein Bildhauer liebt eine wunderschöne junge Frau, der er unbewusst das Leben gerettet hat. Werner Zillig zeigt aber in dieser Geschichte auf, dass eine im Grunde alterslose Liebe auf der einen Seite unter allen Umständen Bestand haben kann, auf der anderen Seite es nicht selten doch auf die inneren Werte ankommt.
Es geht auch andersherum. In der Story "Die Botschaft von Ky-Ry" werden die Raumfahrer der Erde auf einem fremden Planeten assimiliert. Die Grundidee stellt zwar nur eine Variation bisheriger Themen da, der Plot ist aber ausbaufähig. Zurückbleiben zwei Raumfahrer, die eine Brücke zu der außerirdischen, exotisch fremdartigen Kultur auf dem besuchten Planeten bilden können, während der Rest des Teams zurück zur Erde fliegt, um dort heilsbringend die neue Botschaften zu verkündigen.
Die Zusammenfassung aller Kurzgeschichten in diesem Band wirft aber auch die Frage auf, warum sich Werner Zillig nicht nur immer wieder mit der Thematik des Eindringens in einen fremden Geist beschäftigt hat, sondern was eigentlich die Missionen der einzelnen Beobachter ohne den Aspekt der Befriedigung der eigenen Neugierde tatsächlich nicht. Die Kürze der Texte erlaubt es ihm nicht, in die Tiefe zu gehen. Nicht selten werden die "Besucher" gefunden und "gerettet", wobei sich hier die Frage stellt, ob eine Rückkehr teilweise nach Jahrzehnten teilweise mit Ehepartnern und Kindern wirklich eine Rettung ist. Werner Zillig versucht die Leser zu überzeugen, das sich diese Wesen perfekt assimiliert haben, dann plötzlich lassen sie sich allerdings unter Wahrung des zumindest äußerlichen Status Quo aus ihrer Umgebung herausreißen, ohne nachhaltiges Bedauern zu zeigen. Diese Ambivalenz hinsichtlich der Emotionen wiederholt sich vielleicht einmal zu oft, um wirklich abschließend überzeugen zu können.
Bei "Der Geist in den Steinen" ist der Titel förmlich Programm. Eine durchaus satirische kleine Reise durch die menschliche Geschichte an den Eckpfeilern der Kirche und damit auch des Glaubens entlang. Pointiert geschrieben, kurzweilig und im Gegensatz zu einigen durchaus tiefgehenden Geschichten dieser Sammlung positiv erfrischend.
Der Autor geht in "Die objektive Wahrheit" noch einen Schritt weiter. Aus der Gegenwart in die ferne Zukunft schauen und dazwischen zu den Sternen blicken. Gleich zu Beginn desorientiert der Autor den Leser, in dem er die ferne Zukunft als eine Art Agrarstaat zeichnet, der wie eine futuristische Version des Morgenthau Plans von Außerirdischen der aggressiven Erde aufgedrückt erscheint. Eine Gruppe von Amateurhistorikern schwärmt von der goldenen Ära der Expansion ins All. Nur findet ein junger Forscher heraus, dass diese Geschichte so nicht stimmen kann. Wunderbar zurückhaltend mit einem selbstsicheren und doch ironischen Ton ahnt der Leser zusammen mit dem jungen Forscher die Zusammenhänge. Aus heutiger Sicht muss sich der Leser trotz der Verfremdung vor Augen halten, welcher Meilenstein zu Beginn der achtziger Jahre einen sehr langen Schatten geworfen hat. Spätestens mit diesem Querverweis ist "Die objektive Wahrheit" einer der Höhepunkt dieser Anthologie.
Auch wenn streng genommen "Ferdinand Rotkorffs Träume" keine offensichtlich phantastischen Elemente beinhaltet ist es die subversive Vorgehensweise, mit welcher der Autor in der Pointe die Erwartungshaltung nicht nur der Leser, sondern auch des Vorgesetzten auf den Kopf stellt. Ferdinand Rotkorff empfängt seit vielen Jahren Botschaften, die eher Impulse in ihm wecken als das er ein klassischer Befehlsempfänger ist. ER sieht sich zu etwas Höherem bestimmt, wobei die Begegnung mit anderen Menschen, die ebenfalls diese fokussierten Träume durchleben, vieles anfänglich relativiert. Es ist der ein wenig ironische Ton in Kombination mit der in mehrfacher Hinsicht pragmatischen Pointe, welche die Geschichte aus der Masse herausheben.
Auch "Die Spinne" weist im Grunde keine echten phantastischen Elemente auf. Der Protagonist ist ein in Mexiko lebender Übersetzer aus dem Japanischen ins Spannische. Eine bestimmte Arbeit macht ihm zu schaffen, zumal der Autor des Originals den Begriff der Spinne aus Sicht des Übersetzers falsch gesetzt hat. Erst ein Unfall erweitert den Horizont des Übersetzers und scheint eine Art Glückssträhne in Gang zu setzen. Der Text will irgendwie ein wenig surrealistisch erscheinen und schafft doch nicht ganz den Sprung über den intellektuellen Teich.
"Das Ende der Sonne" ist ein intellektuelles Spiel. Der Protagonist provoziert die ehrenwerten Professoren an seiner Universität mit einer durchaus irdischen Studie. Die imposant geschriebene, ein wenig das Geschehen aber überstilisierende Einleitung hat schon darauf hingewiesen, das die Geschichte aus dem Planeten Tertius spielt. Einiges erinnert an die irdische Kultur und jeder indirekte Versuch, den Leser von dieser Idee abzuhalten, bestärkt ihn eher in dem Gedanken, eine konstruierte Parallelweltgeschichte zu lesen. In der zweiten Hälfte mit der sterbenden Sonne versucht Werner Zillig das Altern der Menschen im Allgemeinen und seines in der Jugend intellektuell rebellierenden Protagonisten zusammenzubringen. Allerdings hat man das unbestimmte Gefühl, als habe Werner Zillig durchaus seinen philosophischen Auftakt sehr gut geplant, aber kein echtes Ende für seine Geschichte gefunden, so das vieles in der Luft hängenbleibt.
Wie eine Hommage an Lems "Solaris" wirkt "Die Frau des Astronauten". Auf der langen Reise begegnet der einsame Astronaut seiner Traumfrau. Es ist nicht wirklich eindeutig, ob die real ist; ein Teil seiner vielleicht immer verrückter werdenden Phantasie oder möglicherweise sehr weit reichend interpretiert ein außerirdischer Einfluss. Positiv ist, dass Werner Zillig den emotionalen Zwiespalt seines Protagonisten angemessen in Worte fassen kann. Die Geschichte wirkt wärmer und ansprechender als einige intellektuell ohne Frage eher mehr provozierende Texte dieser Sammlung.
„Glas“ ist eine der am meisten faszinierenden Geschichte der Sammlung. Astronauten kehren fast als Ironie von einem paradiesischen frisch entdeckten fremden Planeten zur Erde zurück und finden die Heimat komplett von einer Glasschicht überdeckt. Das Material hat es zur Zeit ihres Abfluges in dieser Zusammensetzung noch nicht gegeben. In Deutschland finden sie in einem Hohlraum im Glas einen alten Mann, anscheinend den letzten lebenden Menschen, der ihnen Auskunft über die
Ereignisse geben kann, auf der anderen Seite aber auch einen „hohen“ Preis indirekt einfordert. Das Ausgangsszenario ist wunderbar bizarr, die Beschreibungen dieser im Glas verewigten Welt interessant und der Plot bietet einige Wendungen, die Raum für Interpretationen lassen.
Die Geschichte erschien zum 80. Geburtstag von Clark Darlton. "AOL- was?" ist der dritte Text, der mittelbar in Münster spielt bzw. auf die Stadt Bezug nimmt. Im 21. Jahrhundert könnten sich einige Jungspunde gleichfalls die Frage stellen. AOL ist nicht insolvent gegangen, sondern von der alten Ökonomie übernommen worden. Eine Gruppe alter Männer im Altersheim, der Fund von alten Liebesmails auf einem nicht aktualisierten Browser bilden die Handlung dieser durchaus auch als Satire anzusehenden Geschichte, die nur indirekt mit dem Objekt der Würdigung zu tun hat, aber den jungen Geist des Perry Rhodan Schöpfers wunderbar wiedergibt.
Auch „Kanzler“ mit einem für die Politik Spätberufenen liest sich als Satire überraschend leicht und pointiert. Nur die Auflösung wirkt ein wenig zu stark konstruiert, zu despektierlich angesichts der langen Vorbereitung für das Genre „altbacken“. Auch in einer zweiten Geschichte dieser Anthologie geht es um den Bundeskanzler. Im Grunde einen perfekten Politiker, der im von der Anarchie ergriffenen Land am letzten Tag des Jahres ermordet werden soll. Parallel trägt er "die Sonde", ein anfänglich ins Gehirn eingepflanzten Fremdkörper, der dessen Gesundheitszustand überwachen soll. Allerdings kann das Gerät auch zu einer perfekten Überwachung nicht nur auf der medizinischen Ebene genutzt werden. "Die Sonde" ist eher als Ausgangspunkt einer Novelle zu betrachten denn als wirklich zufriedenstellende Kurzgeschichte. Der stimmungsvolle Prolog spiegelt sich im Handlungsverlauf nicht wieder. Das Ende erscheint abrupt und fehlende Informationen werden quasi im Off Status dem Leser rückblickend vermittelt. Auch der Einblick in die Politik erscheint oberflächlich. Werner Zillig schafft es allerdings, diesem Kanzler nicht nur menschliche Züge zu vermitteln, sondern zeigt oberflächlich und rudimentär auf, wie schwierig es ist, Politik an einem normalen Tag, geschweige denn in chaotischen Zeiten zu machen. Auch wenn die Grundidee der Sonde im Kopf weder originell noch wirklich innovativ ist, wirkt die intensive Verbindung mit der deutschen Politik positiv auf den Spannungsbogen. Es ist nur schade, dass nicht alle Potentiale gehoben werden können.
"Mein Sonntag in Münster" ist trotz einiger weniger schwächerer Texte und Werner Zilligs Hang, einzelne Themen allerdings in Variationen zu eng aufzugreifen immer noch eine ungewöhnliche, eine empfehlenswerte Geschichtensammlung, die einlädt, auch seine längeren, teilweise nur schwer erhältlichen Arbeiten entweder zum ersten Mal oder noch einmal zu lesen. Zu Unrecht ist Werner Zillig in eine gewisse Art der Vergessenheit geraten. Seine Geschichten sind zwar in den achtziger Jahren verankert, aber dank der emotional humanistischen Verankerung und rückblickend positiv einer ambivalenten wie effektiven Nutzung von fiktiver Technik ohne in möglicherweise schnell alternde Details zu gehen wirken sie zeitloser als viele andere Arbeiten aus dieser progressiven wie experimentellen Ära der deutschen Science Fiction.