Mit einem leicht verkürzten Nachwort von Lars Dangel gegenüber der limitierten Hardcoverausgabe in der „Edition Dunkelgestirn“ legt der Verlag Dornbrunnen diese klassische Geistergeschichte aus dem Werk einer lange Zeit vor allem durch ihre Familien- und Liebesromane sehr populäre deutsche Schriftstellerin Anna Eufemia Carolina Gräfin von Adlersfeld- Ballestrem als handliches Taschenbuch – der sogenannte Taschenschmöker- wird auf.
Ihre fast einhundert Bücher waren Dauerbrenner in den Büchereien, einzelne ihrer Stoffe sind erfolgreich verfilmt worden und trotzdem ist die adlige Damen, deren meisten Geschichten auch in der Welt der eigenen Klasse spielten, heute fast vergessen. Vielleicht liegt das weniger an den zeitlosen Sujets, sondern eher am gesellschaftlichen Wandel, der sich von den nicht selten konstruiert wirkenden Problemen der oberen Zehntausend nicht mehr angesprochen fühlen? Nicht umsonst urteilte die Kritik, dass die letzten Verfilmungen ihrer Bücher aus der Zeit gefallen wirken.
Schon bei den Veröffentlichungen in der Zeit der Weimarer Republik bewegten sich ihre Protagonisten immer noch in der biedermeierlichen Zeit, wobei ihre Plots nicht nur in Deutschland spielten. Nicht selten war wie in „Die Dame in Gelb“ mit den Niederlanden, dann Italien und schließlich für das Finale England Europa ihre grenzenlosen Welt, in denen sich ihre immer begüterten Figuren frei und ungezwungen bewegen konnten. Alleine der Zoll und die Grenzkontrollen der peniblen Beamten stellten ein Ärger-, aber kein Hindernis dar.
Auch wenn ihre Hauptthemen die adlige Familie und die Liebe waren, mischte sie immer wieder phantastische Aspekte in der Tradition des britischen Schauerromans, aber auch Ideen der Kriminalliteratur ihren Geschichten und Romanen bei.
1854 als fünftes von sechs Kindern geboren gehörte ihre Familie dem schlesischen Adel an. Nach dem Tod des Vaters reiste Eufemia von Adlersfeld- Ballestrem viel mit einem Schwerpunkt Italien, wo sie sich der Portraitmalerin widmete. Teile von „Die Dame in Gelb“ spielen ebenfalls in Italien, allerdings weniger in Rom – wo die Autorin in die Künstlerakademie aufgenommen worden ist -, sondern in Pisa. Aber das Portrait der Dame in Gelb ist einer der Schlüsselmomente dieser Geschichte.
Die Autorin heiratete den Rittmeister Joseph Fritz von Adlersfeld und folgte ihm durch verschiedene Garnisonstädte. Nach der Pensionierung lebte die kleine Familie kurz in der Schweiz, schließlich in Karlsruhe und nach dem Ersten Weltkrieg in München, wo sie 1941 starb.
Beginnend mit ihrem ersten Roman „Lady Melusine“ wurde die Autorin schnell zu einer Marlitt Nachfolgerin erkoren, obwohl ihre Werke in einer anderen sozialen Klasse spielten. Titel wie „Die Falkner vom Falkenhof“, „Trix oder „Die weißen Rosen von Ravensberg“ erwiesen sich als Dauerbrenner. Mit der Humoreskensammlung „Komtesse Käthe“ gelang ihr ein weiterer Erfolg, den sie als Autorin auch auf die Bühne brachte.
Die Windmüller Romane in ihrem Werk waren klassische Krimis. Dazu kam mit „Katechismus des guten Tons und der feinen Sitte“ – in späteren Neuauflagen nur noch unter „Der gute Ton und die feine Sitte“ – ein Erziehungsbuch, nach dessen strengen Regeln zehntausende von bürgerlichen Aufsteigern die feine Tischordnung, die Kunst des gesellschaftlichen Auftritts und fast als Widerspruch auch die adelskonforme Konversation in einer Zeit lernten, als die Könige und damit auch die Adligen in Bedeutungslosigkeit verschwanden. Aber diese Widersprüche zwischen ihrer eigenen adligen und damit auch ein wenig arrogant wirkenden Ansicht und der Zeit, in welcher sie leben musste, kennzeichnen weite Abschnitte ihres Lebens.
Zu den phantastischen Werken können neben „Die Dame in Gelb“ auch der 1904 veröffentlichte Roman „Ca´Spada. Eine Tragödie aus dem alten und ein Mysterium aus dem modernen Venedig“ , „Maria Schnee“, „Der Jungfernturm“, Palazzo Iran“ oder „Margarita Margaritarum“ sowie weitere Romane gezählt werden.
Auch wenn alles auf einen klassischen Rahmen mit einem Erzähler und den entsprechenden Hintergrundinformationen – verbal sowohl dem Erzähler als auch dem Leser gegen Ende präsentiert – hindeutet, überrascht auf den ersten Blick verblüffend negativ, dass die Geschichte nicht nur offen, sondern formal im Nichts endet. Alle Geheimnisse der Damen in Gelb liegen auf dem Tisch, aber wie beim Zauberlehrling gibt es keinen Hinweis, wie man sie wirklich loswerden kann. Eine Reise aufs Meer böte sich noch an.
Auch wenn das Ende fast aus dem Nichts kommt, handelt es sich bei dem vorliegenden kurzen Roman um eine interessante Geistergeschichte, die von der Autorin teilweise humorvoll mit einem allerdings zumindest zu Lebzeiten rücksichtslos agierenden Geist erzählt worden ist. Geister tragen normalerweise weiß oder schwarz, aber nicht gelb, wie mehrmals in dieser Story angemerkt wird. Aber der Grund, warum die Dame nun einmal gelb trägt, wird in einem britischen Herrenhaus erläutert. Die Lösung findet sich über den Köpfen der Menschen.
Viele basiert ein wenig auf Zufälligkeiten, die aber mit einer Eleganz erzählt werden, dass der Leser keine Sekunde zögert, es zu glauben. So strandet ein reicher Graf aus der Kurpfalz nach einem Dammbruch mit dem Zug in einem kleinen Ort in den Niederlanden. Da sich die Weiterreise in die Heimat verzögert, streift er als Sammler von Kuriositäten durch den kleinen Ort und findet bei einem Trödelhändler, dessen Geschäft heruntergekommen ist, ein weiteres Stück für seine Sammlung aus Truhen und Kisten. Aber nicht im Regal oder gar im Schaufenster – da stand die kleine Truhe nur kurze Zeit -, sondern weil er einen Haufen Decken umwirft und pflichtschuldigst diese wieder aufrichtet. Darunter befindet sich eine kleine Kiste.
Der Trödler will es ihm schenken, aber nicht zum letzten Mal verweist der Kurgraf auf seine Ehrlichkeit: Sammlerstücke müssen gekauft werden. Eine erste Untersuchung in der Gaststätte zeigt, dass dieses kleine Kästchen sehr sorgfältig gearbeitet worden ist. In der Nacht träumt der Graf allerdings schlecht und meint, dass ihm eine Frau in gelb erschienen ist.
Die Träume wird er auch zu Hause nicht los. Zusätzlich bewegt sich anscheinend das Kästchen nächstens. Lustig ist, auf welche Art und Weise der Erzähler seinem Verdacht nachgeht. Da wird das Kästchen schon mal in die Obhut der Haushälterin begeben und anschließend scheinheilig gefragt, ob sie denn gut geschlafen hat. Natürlich nicht. Auch abgeschlossene Räume helfen nicht.
Das Erscheinen der Frau in Gelb nervt den Grafen so sehr, dass er sich auf eine weitere Reise begibt. Dieses Mal nach Pisa. Aus seiner Sicht eine zufällige Reise, aber kaum ist er in der italienischen Stadt angekommen und hat sich in einem ehemaligen Palast zur Untermiete eingetragen, erkennt er, dass es ab jetzt keine Zufälligkeiten mehr in seinem Leben gibt.
Beim weiteren Handlungsverlauf arbeitet Eufemia von Adlersfeld- Ballestrem die Zufälligkeiten eher beiläufig heraus. An keiner Stelle hat der Leser das Gefühl, als wenn der Ich- Erzähler zu einer Art Marionette wird, welche die Frau in Gelb ihrer eigenen Vergangenheit entlang führt. Aktiv untersucht er anfänglich das Kästchen; in Italien erfährt er einiges über die Vergangenheit der Dame, weil auch die Gastgeberin eine Frau in Gelb gesehen hat und ihre Gäste sagen, es spukt dort. Warum die Dame allerdings abseits des Kästchens ausgerechnet in Pisa ihr Unwesen treibt, während sie ansonsten nur in der Nähe des rückblickend wichtigen kleinen Reliquienschreins erscheint, wird nicht gut herausgearbeitet.
Ein Wappen auf der Unterseite des Kästchens führt den Erzähler schließlich zu einem alten Freund nach Großbritannien, wo er mehr über die Dame in Gelb und ihr Ende erfährt. Auch hier ist der Leser seinen Figuren einen Schritt voraus. Ein Geheimnis des kleinen Kästchens hat die Autorin beiläufig früh verraten. Da die meisten Versatzstücke ihrer Vergangenheit nur verbal präsentiert werden, braucht Eufemia von Adlersfeld- Bellestram auch im Erzähler keine überraschenden Emotionen aufkommen lassen. Er weiß ja, was sich im Kästchen befunden hat und die aktive Anwendung wird ihm erzählt.
Daher folgt die Autorin eher den Regeln des Krimis denn des Schauerromans. Zwar begleitet das Erscheinen der Dame in Gelb eine kalte, die Menschen erschauern lassende Atmosphäre. Zwar hat ihr Erscheinen etwas Bedrohliches, aber auch gleichzeitig auch etwas Verlorenes. Sie greift nicht aktiv ein. Viel mehr präsentiert sie sich wie an ihrem eigenen Hofe und mehrmals sagen die Protagonisten in dieser Geschichte, dass ihr Erscheinen eher störend oder bedrohlich ist. Eine verlorene Seele, an der aus ihrer Sicht Verrat begangen worden ist. Aber im Gegensatz zu vielen anderen kitschig klischeehaften Geschichten ein berechtigter Verrat, dem eine gerechte Strafe für ihre hinterhältige Grausamkeit folgte.
Daher bezieht der Romane sein Spannung weniger aus der kaum vorhandenen inhaltlichen Dynamik, sondern lebt von der Konstruktion einer Geschichte hinter der Geschichte, welche der Erzähler sowohl in Italien wie auch Großbritannien zusammensetzen kann. Während er in Italien die ersten Informationen erhält, kann er vor und mit seinen Freunden in England die Geschichte der italienischen Tochter eines reichen Kaufmanns, welche unter falschen Voraussetzungen nach Großbritannien gelockt worden ist und dort die Situation auf ihre pervertierte Art und Weise bereinigte, mit zusammensetzen. Immer in Begleitung der kleinen Schatulle, deren erstens Geheimnis ein italienischer Arzt schon in Pisa lüftete.
„Die Dame in Gelb“ folgt klassischen, manche würden sagen, auch ein wenig klischeehaften Mustern der viktorianischen Geistergeschichte, wobei die ursprüngliche Ausgangsprämisse von Euphemia von Adlersfeld- Bellestram auf den Kopf gestellt worden ist. Unschuld sieht anders aus. Das macht auch den Reiz dieser lange Zeit vergessenen phantastischen kurzweilig zu lesenden Geschichte aus, welche Lars Dangel zuerst in einer liebevollen, aber inzwischen vergriffenen Hardcoverausgabe bei der schon angesprochenen Edition Dunkelgestirn herausgegeben hat. Da sich die Novelle in den gängigen, in erster Linie als E Book verfügbaren Sammelbänden der namenlosen Nachdruckverlage nicht findet, empfiehlt es sich, auf die handliche und mit einem gekürzten, aber weiterhin sehr informativen Nachwort von Lars Dangel ausgestatten Taschenbuchausgabe zurückzugreifen, um für sich selbst eine weitere Wissenslücke der deutschsprachigen Phantastik zu schließen.
- Herausgeber : Verlag Dornbrunnen
- Erscheinungstermin : 20. Mai 2025
- Auflage : 1.
- Sprache : Deutsch
- Seitenzahl der Print-Ausgabe : 133 Seiten
- ISBN-10 : 3943275817
- ISBN-13 : 978-3943275810

