Die Mobilisierung der Medien

Mobilisierung der Medien, Titelbild, Rezension
Heinz J. Galle

Die Verzerrung jeglicher Kriegsrealität – so weit man in dem jeweiligen Wahnsinn noch von einer Realität sprechen kann- hat sicherlich mit der Manipulation aller Wahrheiten im 21. Jahrhundert einen traurigen Höhepunkt erreicht. Die Ereignisse um die über der Ukraine abgeschossene Passagiermaschine oder der Angriff auf einen Hilfskonvoi in Syrien seien als zynische Musterbeispiele genannt. Die Kriegspropaganda haben die Nazis nicht erfunden, aber wie Heinz J. Galle in seiner Studie „Die Mobilisierung der Medien“ darlegt auf einen vorläufig streng fokussierten „Höhepunkt“ gebracht, in dem auf der einen Seite vor allem die Erfolge der Wehrmacht selbst in der Phase der Rückzugsgefechte glorifiziert und damit der Feind demoralisiert und vor allem auf der anderen Seite beginnend mit der Jugend ein Volk durch geschickte Manipulation von Beginn an gleich geschaltet werden sollte.

Gleich zu Beginn versucht Heinz J.. Galle ein vielschichtiges Bild der „Propaganda Kompanien“ zu zeichnen, jeder Kriegsberichtserstatter und Zeichner, der Fotographen und schließlich auch Kameraleute, die nicht den deutschen Streitkräften auf dem Land, dem Wasser und in der Luft folgten, sondern möglicht nahe dran am Feind sein mussten. Sie wurden je nach militärischer Lage an der Waffe ausgebildet und sollten von den Fronten ein möglichst authentisches – so lange es positiv für die Nationalsozialisten gewesen ist – Bild von den Kämpfen zeichnen. Heinz J. Galle kann diesen umfangreichen Komplex nur plakativ dem Leser darlegen. Viel mehr verweist er auf einige Autobiographien, die mit unterschiedlicher Tendenz das Leben und Sterben dieser Leute nachzeichnen. Als Einstieg in einer aus unterschiedlichen Komplexe Materie reicht diese Einleitung sehr gut aus.

 

Warum die Arbeit der „Propagandakompanien“ noch aus einem anderen Punkt relevant ist, zeigen die nächsten Kapitel, die Heinz J. Galle mit „Die Wortgewaltigen“ und „Mit Pinsel und Feder gegen den Feind“ überschrieben hat. Auch wenn der Autor vor allem bei den Graphikern nicht jeden Künstler erfassen konnte, zeichnet er einen guten Überblick über die Männern, die erst an der Front gekämpft und geschrieben/ gezeichnet haben, um dann mehr oder minder holprig vom nahtlosen Übergang bis zu mehreren Jahren Berufsverbot die vor allem bundesdeutsche Medienlandschaft wieder aufgebaut und gestaltet haben. Heinz J. Galle weiß, dass er auf einem schmalen Grat wandeln muss. Wie lange ist auch ein populärer Künstler, Autor oder Zeitungsredakteur noch ein pragmatischer Opportunist im Dritten Reich gewesen und wann wird diese Grenze überschritten? Wie gehen die meisten Menschen mit ihrer Vergangenheit um. Da reicht das Spektrum vom beredten Schweigen oder Eingeständnisse bis zum Verleugnen. Heinz J. Galle spricht mehrmals den Fall Günther Grass an, der seine Vergangenheit als Jugendlicher in einer Waffen SS Kompanie erst sehr spät in seinem Leben den Journalisten aber nur folgend zu gegeben hat. Das Problem mit Günther Grass ist weniger die Offenbarung, als siebzehnjähriger Pimpf auch gekämpft zu haben, sondern dessen Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit vieler Kollegen. Für Grass bzw. gegen Grass spricht, dass er lange Jahre im Glashaus gesessen und ordentlich mit Steinen geworfen hat.

Aber Heinz J. Galle bemüht sich redlich und vor allem mit vielen Beispielen unterlegt, zwischen den Mitläufern und den hundertprozentigen Nationalsozialisten zu unterscheiden. Dabei ist die Reihe der populären Schreiber lang. Am Anfang steht Lothar Günther Buchheim, der mit seinen Zeichnungen und Berichten – er hat sie später erst in seiner Kriegstrilogie verarbeitet – ohne Frage ein sehr realistisches und vor allem parteipolitisch vielleicht am wenigsten durchdrungenes Portrait des brutalen Vernichtungskrieges gezeichnet hat. Die Liste der aufgeführten Propagandisten umfasst neben einer Reihe eher unbekannter, aber auch relevanter Namen auch den Stern Gründer Henri Nannen, die Drehbuchautoren Herbert Reinecker und Alfred Weidemann, den allgegenwärtigen Reporter Peter von Zahn oder Werner Höfer, der jahrzehntelange den internationalen Frühschoppen geleitet hat. Werner Höfer ist vielleicht auch das beste Beispiel für den Gesinnungswindel in der deutschen Gesellschaft, der von Verdrängung und schnellem Vergessen in den siebziger und achtziger Jahren die Werte wie Verantwortung und Schuld der Öffentlichkeit vor Augen führte. Eine wahrscheinlich instinktiv gemachte Bemerkung über ein falsches Urteil des damaligen Reichsgerichtshof setzte eine ganze mit Fakten unterlegte Kampagne gegen Werner Höfer  in Gang, die seine sehr braune Vergangenheit beleuchteten und ihn schließlich zum Rücktritt zwangen. Das eine Karriere vor allem im Dritten Reich keine Einbahnstraße gewesen sein muss, zeigt das Schicksal des Verlegers Ernst Rowohlt, der kurzzeitig ins brasilianische Exil mit seiner Familie gegangen ist, um in den früher vierziger Jahren wieder zurückzukehren und für die Nationalsozialisten zu arbeiten, bevor er wieder mit einem Berufsverbot belegt worden ist. Zumindest hatten einige der geflohenen Intellektuellen keine Angst vor einer Rückkehr und der Ermordung in den KZs. Heinz J. Galle geht bei der Vorstellung der jeweiligen Vergangenheit auch behutsam, aber zielstrebig vor. Es finden sich immer wieder typische Textbeispiele für die Menschen verachtende, die Tapferkeit der eigenen Soldaten über Gebühr hervorhebende Propaganda der Nationalsozialisten. Der Autor unterscheidet zwischen dem gängigen Tenor dieser Berichte und den überdurchschnittlichen Exzessen. Ein weiteres wichtiges Unterscheidungsmerkmal ist für Heinz J. Galle, ob die Autoren oder Zeichner früh in die Partei eingetreten und Karriere gemacht haben oder wie im Vorwort erwähnt von Goebbels quasi zusammen getrieben worden sind, um ihren Dienst mit Waffe und Schreibmaschine zu beginnen. Weiterhin unterscheidet der langjährige Sammler zwischen der Arbeit im Dritten Reich und ihren späteren Aufgaben/ Publikationen in der Bundesrepublik und eingeschränkt auch der DDR. Heinz J. Galle macht es auch deutlich, dass selbst für einen Knappen wie ihn – Heinz J. Galle ist Jahrgang 1936 und hat zumindest einige Jahre des Zweiten Weltkriegs, der Verschiffung auf Land und schließlich der Nachkriegszeit bewusst erlebt – in dieser Zeit groß geworden schwierig ist, einen Stab über den einzelnen zu brechen, da niemand den jeweiligen Druck des Regimes bis zur Todesdrohung und vor allem auch Umsetzung dieser Urteile aus heutiger Polstersesselsicht wirklich nachhaltig beurteilen und vor allem emotional verurteilen kann.

Schon die Auflistung der schreibenden Propagandisten ist beeindruckend und wird durch einige Beispiele unterlegt. Der Abschnitt mit den Zeichnern und ihren immer wieder auch in überdurchschnittlicher Qualität abgedruckten Arbeiten sowie die lustigen Sprechblasen an der Heimatfront; die einfachen von Bildern sehr gut illustrierten Gebrauchsanleitungen für die Waffen und schließlich das Einzelschicksal Hans Ertls runden diese Studie ab. Hans Ertl als Kameramann von Leni Riefenstahl berichtet von seinen ersten Tagen und Wochen in der Armee, der Reduzierung auf ein austauschbares Individuum und die Schwierigkeiten, die immer stärker werdende Zensur inklusiv der Verzerrung jeglicher Realität in der vor den Kinofilmen laufenden Wochenschau  sowie die Schwierigkeit, nach wieder Fuß zu fassen. Interessanter sind die Gebrauchsanweisungen für zum Beispiele die Wegwerfpanzerfäuste mit einem einzigen Schuss oder die Bedienung der Tigerpanzer, in denen humorvoll den einfachen, immer schlechter ausgebildeten Soldaten ein Leitfaden zum im Grunde nur theoretischen Überleben in ausweglosen Situationen mit auf den Weg gegeben worden ist. Die Comics, die Sprechblasen und schließlich auch die propagandistische Werbung werden in den voran gestellten Kapiteln solide gestreift. Heinz J. Galle spricht selbst davon, dass aus so viel Material gibt, es würde jeden Rahmen einer vernünftigen und gut lesbaren Studie sprengen. Zurück bleiben die vom Herausgeber und Autor sehr gut herausgesuchten optischen Beispiele, die einen guten Eindruck der damaligen Presse zeigen. Dazu kommen die verklärenden Jugendbücher, in denen die Heranwachsenden vor und während des Krieges auf ihre schicksalhafte Bedeutung vorbereitet werden sollen.

Immer wieder weißt Heinz J. Galle auch darauf hin, dass es schwer ist, unabhängig vom Schwerpunkt der von der Front berichtenden Propagandakompanien die einzelnen ineinander verflochtenen Medien wieder voneinander zu trennen. Beginnend vom weihnachtlichen Wunschkonzert der Wehrmacht von allen Fronten – auch heute noch eindrucksvoll als gigantische Manipulation zu hören – über die Kinofilme mit ihrem zensierten Inhalt bis zu den Artikeln, Heften und schließlich auch Werbebroschüren versuchte Goebbels eine perfekte Medienmanipulation, dem der Volksmund nicht selten basierend auf populären Liedern wie „Lilli Marleen“ die bittere und irgendwann auch nur noch vor Blinden zu versteckende Wahrheit entgegen sang.

Vielleicht ist diese Tendenz des Volkes, viel schneller als viele Machthaber die wahren Hintergründe zu erkennen, die positive Botschaft, die Heinz J. Galle in dieser überfälligen, tiefer gehende Recherche gerade zu provozierende Studie dem Leser für die Gegenwart und Zukunft die Vergangenheit analysierend hinterlässt. Nicht zuletzt auch dank des einzigartigen wie seltenen Bildmaterials bietet Heinz J. Galle einen sehr guten Einstiegspunkt für historisch interessierte Leser in dieses auch heute noch sehr schwierige Thema an.    

 

       

Verlag Dieter von Reeken

Propagandakompanien und ihre Akteure im Zweiten Weltkrieg und in der Nachkriegszeit
Hardcover (Pappband, Lesebändchen, Bilderdruckpapier), 170 Seiten, 130 Abb.

17,50 € – ISBN 978-3-945807-07-1

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