The Magazine of Fantasy and Science Fiction March/ April 2015

C.C. Finlay (Hrsg)

Mit der März/ April Ausgabe 2015 übergibt Gordon van Gelder nach fast zwanzig Jahren den Staffelstab an seinen Nachfolger C.C. Finlay Gordon van Gelder zeichnet nur noch für den kaufmännischen Teil verantwortlich. Wie in seiner Probeausgabe finden sich vor allem kürzere Texte mit nur einer Novelle in dieser Nummer. 

Die einzige Novelle ist gleichzeitig einer der stärksten Geschichten nicht nur dieser Ausgabe. Es wird schwer, den politisch nachdenklich stimmenden Gehalt noch zu übertreffen. In seiner Heimat China durfte Bao Shus „What has passed Shall in kinder Light Appear“ nicht veröffentlich werden. Es ist grundsätzlich eine Liebesgeschichte. Das wunderschöne Cover dieser „The Magazine of Fantasy and Science Fiction“ Nummer hält den Schlüsselmoment der Geschichte sehr gut fest. Zwei Menschen wachsen gemeinsam auf, verlieren sich und kommen kurzeitig wieder zusammen, bevor sie lange getrennt werden. Das Ende könnte kitschig und rührselig sein. Zu diesem Zeitpunkt ist dem Leser aber schon vertraut, in welche Richtung sich der politische Hintergrund der Geschichte nur bewegen kann. Denn während seine Protagonisten ihre beschwerlichen Leben vorwärts ertragen müssen, verläuft die Zeit nicht rückwärts. Es sind die markanten historischen Ereignisse, die „rückwärts“ verlaufen. Beginnend in einer noch fiktiven Zukunft über den Anschlag vom 11. September, die Mondlandung, Vietnam und schließlich der Zweite Weltkrieg. Bao Shu hat diese historischen Meilensteine mit ihren entsprechenden, teilweise natürlich umkehrten Einflüssen wie bei einer Perlenschwur anders herum aufgereiht und arbeitet sie stoisch, für den Leser ab einem bestimmten Moment nicht mehr überraschend, aber anrührend ab. So entsteht aus dem Nichts heraus eine Parallelwelt, die vertraut und verstörend zu gleich ist. Gegen Ende des Spannungsbogens wartet man förmlich darauf, mit welchem Paukenschlag Bao Shu seine verdrehte Geschichtsstunde zu beenden sucht. Aber wie es sich für den eindringlichen, aber auch unauffälligen, niemals belehrenden Stil des Chinesen gehört endet seine Welt nicht auf einem Höhepunkt, sondern sich wieder auf das zwischenmenschliche Drama fokussierend überwiegen die leisen Töne. Wie seine gut gezeichneten, so lebensechten und doch teilweise stilisierten Figuren muss der Leser am Ende dieser erschütternden Geschichtsstunde einmal Atem fassen und über den Irrsinn der Welt nachdenken. Geschichten, die sich durch diese Intensität auszeichneten, verleiten zu einer zweiten und dritten Lektüre.  

Das Schulsystem der Zukunft mit der Jagd nach den wenigen begabten Schülern karikiert Jay `O Connell in seiner bitterbösen Extrapolation gegenwärtiger Exzesse an den Schulen. Ein Lehrer ist weniger ein Pädagoge, sondern eine Art Straßenkämpfer, der die talentierten jungen Leute vor immer kompromissloser agierenden Firmen zu schützen sucht. Die Protagonisten sind gut gezeichnet. Das Tempo wie auch die Action sind hoch, so dass inklusiv des ein wenig zu „weichen“ opportunistischen Endes „Things worth knowing“ ein toller Auftakt dieser neuen Ägide ist.

Die erste Ausgabe Finlays verfügt über eine Handvoll sehr interessanter weiblicher Autoren. Thematisch könnten Little Girls in the Bone Museum“ von Sadie Bruce und „A Residence for Friedless Ladies“ nicht weiter auseinanderliegen. Aber sie werden durch ungewöhnliche Ideen und vor allem sehr stark gezeichnete tragische Protagonistinnen miteinander verbunden. In der ersten Story geht es nicht nur um den Schmerz, den nicht wahre, sondern pervertierte Schönheit hervorrufen kann. Da hilft auch die zu Beginn und am Ende gebetsmühlenartig wiederholte Botschaft, das vor allem junge hübsche Mädchen den Versuchungen des schnellen Reichtums widerstehen sollten. Ganz absichtlich werden die Frauen anfänglich als Verführer, später als Opfer einer nur auf das schnelle Vergnügen ausgerichteten Gesellschaft beschrieben. Konsequent bis zum bitteren Ende treibt die Autorin den Plot voran und warnt mit exquisiten Bildern und einer das Ganze betrachtend nicht belehrenden, aber eindringlichen wie zeitlosen Botschaft.  Der Leser könnte aber auch denken, dass die weg geworfenen Frauen aus Sadie Bruces Geschichte sich in Alice Sola Kims Residenz wiederfinden.   Es sind aber nicht nur Frauen in diesem Haus. Einer der Protagonisten wird von seiner Großmutter seiner Identität beraubt und muss statt als Mann als „Frau“ in dem Haus leben. Der Innere Konflikt wird ausgesprochen gut und emotional beeindruckend beschrieben. Darüber hinaus erinnert die Atmosphäre des Hauses an die besten Horrorgeschichten aus der Feder Shirleys Jacksons oder anderer klassischer Gruselautoren. Das Haus wirkt wie ein Zwitter zwischen höherer Damenschule, Frauenhaus und schließlich auch Gefängnis, in dem die Frauen systematisch emotional auf eine perfide Art und Weise gemolken werden.  Die Autorin nutzt effektiv die Mechanismen des Genres wie das geheimnisvolle Klopfen in der Nacht oder gar Türen, die immer verschlossen bleiben sollen, um mit diesen Versatzstücken die brüchigen Beziehungen der einzelnen gebrochenen Frauen zueinander zu untersuchen. Am Ende wird der Leser von beiden Geschichten nicht nur stark beeindruckt, sondern leidet mit den überwiegend weiblichen Figuren.     

Zu den schwächsten Beiträgen gehört Jenn Reeses „How to Masqueade as a Human before the „Invasion“, dessen Titel den Plot nicht nur gut zusammenfasst, sondern dessen Pointe sehr früh erkennbar ist. „A small diversion on the Road to Hell“ von Jonathan L. Howard ist eine der eher typischen “Bargeschichten” mit einem dunklen Humor, aber der Hintergrund mit einer Art intergalaktischen Bar namens „Helix“ hätte besser und ausführlicher extrapoliert werden können. Zu viele Fragen bleiben offen.  Der Autor konzentriert sich darauf, ein Paradoxon zu etablieren, das er selbst nicht mehr auflösen möchte. 

Eher der Fantasy zu zurechnen, ist Paul M. Bergers „The Mantis Tattoo“ ist eine geradlinige Märchen- und Mythengeschichte, die in einer durchaus realistisch beschriebenen Savannah spielt. Der jugendliche Protagonist Nadur übernimmt eine schwierige, fast unmögliche Aufgabe von den Mantis, in deren Verlauf er nicht nur seinen Stamm schützen muss, sondern als junge wie es sich für diese Art von Texten gehört zum Mann reift. Auch wenn der Plot einige interessante Überraschungen erhält, folgt der Autor zu sehr den bekannten Mustern und fügt keine neuen Ideen hinzu. Kurzweilig zu lesen, aber nicht gänzlich befriedigend.  „A Users Guide to Increments of Time“ von Kurt Howard ist auch trotz des Titels eine Fantasy Story. Er beschreibt den Kampf einer Frau gegen einen mächtigen Feind, der Preis ist ihre Zeit. Dabei bleibt der Autor ambivalent. Der Kampf um die Zeit ist interessant und der Autor gibt sich viel Mühe, die unterschiedlichen Methoden, Tricks und Zaubereien nicht ausführlich die Illusion zerstörend, sondern effektiv das Duell vorantreibend zu beschreiben. Leider geht Howard den letzten Schritt nicht weiter und macht aus diesem unterhaltsamen Szenario eine abgerundete Geschichte mit entsprechenden Motiven, Zielen, Hoffnungen, Siegen oder Niederlagen. Das Erzeugen der Illusion ist wichtiger als deren Einsatz.  

Die Elfen treffen auf Alexandre Dumas in "La Heron“ aus der Feder Charlotte Ahleys. Die Anspielungen auf „Die drei Musketiere“ und die Ehrenregeln der Duelle werden von der Autorin geschickt mit übernatürlichen Elementen bereichert. Alleine das erste Duell inklusiv der Rattenfängermusik ist ein früher Höhepunkt dieser kurzweiligen und atmosphärisch überzeugenden Story. Die beiden sehr gut gezeichneten Frauenfiguren begegnen ausreichend fies gezeichneten Antagonisten, so dass ihre Siege in doppelter Hinsicht vor allem angesichts der außergewöhnlichen übernatürlichen Preise wie Honig herunter rinnen. Alleine die beiden Protagonisten und der Hintergrund der Geschichte bieten ausreichend Potential für eine ganze Serie.

Experimentell kommt das Debüt von Nik Constantine „Last Transaction“ genauso daher wie Brian Doltons „That is the Way the Universe ends with a Bang“. Während Constantine in der Maschinensprache den Datendiebstahl inklusiv einer fehlgeleiteten Überweisung bis zu den Folgen sachlich distanziert beschreibt, verliert Dolton in seiner komplizierten verspielten Universum Geschichte die Orientierung. Der Leser wünscht sich vor allem bei Dolton, dass Douglas Adams aus dem Nichts hervortreten und diese grundsätzlich anfänglich interessante Story um das Erschaffen von Universum durch eher ambivalent beschriebene Wesen mit dem notwendigen britischen Humor würzen würde. Nik Constantine verzichtet zu Gunsten seiner sprachlichen Experimente auf einen Plot, was sich rückblickend negativ auf den Ablauf der Geschehnisse auswirkt. So bleiben beide Geschichten hinter den durchaus vorhandenen Potentialen zurück und erwecken die Sehnsucht nach längeren besser ausgearbeiteten Novellen.

„Bilingual“ von Henry Lien ist äußerlich durch die Nutzung von Tweets interessant. Henry Lien umschifft die Klippe der Distanz durch die Maschinensprache, in dem er mit Akari eine sehr sympathische Protagonistin integriert hat. Da die Sprache der Delphine immer noch nicht entschlüsselt worden ist, handelt es sich um das phantastische Element der Kurzgeschichte. Leider führt Henry Lien diesen Gedanken nicht zu Ende, in dem der Autor nur Prämissen anführt, aber nicht weiter extrapoliert. Der Leser kann aber keine wissenschaftliche Logik erkennen und vieles wirkt eher improvisiert als analysiert. Das Ende ist eine Enttäuschung, da der Vorschlag der juristischen Abteilung auf taube Ohren fallen muss. Es ist schade, dass Henry Lien aus seiner Idee nicht mehr gemacht und sich vor allem zu sehr von der Form blenden lässt.

Michelle West stellt in ihrer Kolumne einige provokante Science Fiction Roman von eher unbekannten Autoren vor. Da die Arbeit des inzwischen mit dem HUGO prämierten chinesischen Autoren Cixin Liu inzwischen überall Bewunderung findet, ist ihre durchaus kritische Rezension dieser Geschichte ein deutlich ambivalenterer Blick auf diesen Roman. Charles de Lint stellt fest, dass er im Grunde doch die Bücher mag, die er aufgrund ihrer augenscheinlichen Vorhersehbarkeit normalerweise nicht lesen würde. Eine typische Charles de Lint Variante. Die Filmbesprechungen von Kathi Maio reichen von « Interstellar“ bis zu Ben Afflecks „Batman“. Dabei muss die Autoren anfänglich der Faszination Ben Afflecks und dessen Mut Tribut zollen, bevor sie bei drei Big Budget Streifen buchstäblich ins Eingemachte geht.    

Zusammengefasst ist die erste offizielle Ausgabe von „The Magazine of Fantasy & Science Fiction“ der Ägide C.C. Finlay eine durchschnittliche Nummer mit einigen sehr guten bis herausragenden Geschichten, aber auch zu vielen unnötigen literarischen Experimenten.

 

Taschenbuch, 262 Seiten