Der Fluch des Skipetaren

Alexander Röder

Es ist erstaunlich, wie stark der zweite Band von Alexander Röders Vierteiler den Gesetzen des sechs Bände umfassenden „Schut“ Zyklus von Karl May ergänzt um die angesprochenen magischen Zugaben, allerdings auch eine weitere starke Frauenfigur folgt. Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar müssen fast parallel der alten Route wieder in das Reich des Schuts eindringen, in das sein Getreuer Al- Kadir auf seinem Pegasos oder den Legenden des Orients folgend Wüstenpferd voraus geeilt ist. Dabei begegnen sie sehr vielen aus dem Original bekannten Figuren wie dem Mubarek oder dem treuen naiven Schmied. Auch der Schut hat mindestens einen Auftritt in diesem zweiten Teil der Serie, wobei sich der Autor ambivalent ein wenig hinsichtlich seiner wirklichen Identität zu Beginn zurückhält.

Sowohl „Im Banne des Mächtigen“ als auch „Der Fluch des Skipetaren“ beginnen mit einem inhaltlichen „Paukenschlag“ . Im ersten Buch handelte es sich um die Jagd auf einen geschickten Dieb im Basar von Basra, der in der Begegnung mit Djarmilla gipfelte, einer jungen in der Fortsetzung teilweise schmerzlich vermissten Tochter eines Piraten. „Der Fluch des Skipetaren“ wird mit dem Empfang in einer britischen Botschaft eröffnet, in deren Verlauf die befrackten Abdi, Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar wieder einer Diebin begegnen, die in einen abgeschlossenen magischen Raum einzudringen sucht, der anscheinend einige Geheimnisse bürgt. Es handelt sich sowohl die Neuinterpretation als auch Karl Mays Originale betrachtend zum ersten Mal um eine dreidimensionale, selbst bewusste und vor allem auch aktive selbstständige Frau – die albanische Freiheitskämpferin Quendressa, die mit ihrer durchaus spöttischen, den sie umgebenden Machos Angst einflößenden Art eine der interessanten Figuren nicht nur dieses Romans, sondern der beiden veröffentlichten Bände zusammen genommen ist. Vor allem weil Alexander Röder diese Figur nicht nur durch einen Fluch beladen, sondern hinsichtlich ihrer pragmatischen Ambitionen, ihres Wesens und schließlich teilweise auch ihres Aussehens um 180 Grad auf den letzten Seiten des Romans dreht. Je skurriler ihr Schicksal erscheint, desto mehr distanziert sie sich auch von dem Leser und wirkt mit ihrem buchstäblichen Abflug während des zu offenen Endes zu sehr wie eine den europäischen Märchen entlehnte Gestalt, die einen wichtigen Teil ihres Flairs vor allem in einem direkten Vergleich mit ihrem ersten Erscheinen „verloren“ hat. Natürlich weiß der Leser, dass Kara Ben Nemsi ihr und ihren beiden getreuen Löwinnen noch mehrmals begegnen wird. Die Mischung aus Spannung, Action und Magie wirkt in dieser Auftaktszene perfekt. Alleine die Idee, dass es Insekten gibt, die Buchstaben fressen, um sie an einer anderen Stelle wieder in der richtigen Reihenfolge aufs Papier zu bringen, ist faszinierend. Es ist nur der Auftakt einer Reihe von magischen Szenen wie zum Beispiel die an die späteren Verbrennungsöfen erinnernde „Maschine“, die ein blaues Licht ausstrahlt und Körper inklusiv der Asche innerhalb von Sekunden verzerrt. Oder der Einsatz von zahlreichen magischen Kräutern, der in einer der überraschenden, aber sehr gut vorbereiteten Szenen einen alten Bekannten wieder zum Leben bringt. Es sind diese Wiedererweckungen, welche den Text sehr eng an Karl Mays Original binden. Sie bieten Potential, aber auch Risiko. Immer wieder holt Alexander Röder Leser geschickt ab, welche die Vorlage Karl Mays in ihrer langen Form nicht kennen oder vergessen haben. Und an diese Rückblickend anschließend präsentiert Alexander Röder Erklärungen für die Wiedererweckung der einzelnen Protagonisten. Was beim Schut in seinem grotesken, aber langsam heilenden Körper noch nachvollziehbar  ist, da seine Leiche in der Schlucht nicht gefunden werden konnte, wirkt beim Mubarek ein wenig konstruiert. Tödlich von Kugeln verletzt und von einem Bären zerrissen biegt Alexander Röder die Glaubwürdigkeit zu stark und reißt trotz einiger potentiell magischer Erklärungen den Leser aus dieser „1001 Nacht“ Welt. Er beginnt gegen die eigene Überzeugung zu Grübeln. Auf der anderen natürlich positiven Seite ist dessen Erscheinen ein Paukenschlag, zumal der Mubarek insbesondere im direkten Vergleich mit dem allgegenwärtigen und doch sehr lange auch gesichtslosen Schut insbesondere bei jugendlichen Lesern einen nachhaltigeren Eindruck hinterlassen hat. Neben den beiden Erzschurken und dem stetig fliehenden, aber nicht sonderlich in Erscheinung tretenden Al- Kadir sind es einige Nebenfiguren wie das sich inzwischen liebende Paar Ali und Ikbala oder der angesprochene widerwillig wieder in den Diensten des Schuts stehende   Schmied, die eine enge Verbindung zu den Original aufrecht erhalten.

Während „Im Banne des Mächtigen“ bis auf die magischen Exkurse ein klassischer Karl May sein könnte, wirkt „Der Fluch des Skipetaren“ nicht negativ gemeint wie eine Mischung aus Indiana Jones und James Bond. Am Ende kommen außer der räumlichen Entfernung Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar den Gesichtern dieser Verschwörung keinen wirklichen Schritt näher, auch wenn es ihnen gelingt, einen perfiden Plan zu vereiteln. Die Versatzstücke wie die billig verkauften Uniformen, die Färberei/ Schneiderei in einem abgeschiedenen Tal und schließlich die Nutzung magischer Utensilien inklusiv Menschenversuche sind alle vorhanden und werden gut in die laufende Handlung eingebaut. Das perfide Endziel offenbart sich den Helden erst auf den letzten Seiten. Es ist historisch interessant und nachvollziehbar, für den Schut ohne Frage würdig angelegt, auch wenn diese Art der umfassenden Pläne eher wie erwähnt zu einem viktorianischen James Bond oder besser archaischen Steampunk Abenteuer passen könnte als zu Karl Mays in dieser Hinsicht ausgesprochen direkten Geschichten. Auch wenn der Schut wie andere Schurken – siehe „Der Ölprinz“ oder „Der Schatz im Silbersee“ – in erster Linie auf zahllose wie dumme Helfer zurückgegriffen hat, um ihre Machtansprüche durchzusetzen, geht „Der Fluch des Skipetaren“ einen interessanten Schritt weiter und wirkt ausgesprochen modernm in diesem wichtigen Punkt.

 Der auf beiden Seiten zugrundeliegende Plan kann aber nur durch die Nutzung nicht nur magischer Ideen, sondern alter Kräuterkunde funktionieren, für die der Mubarek bekannt und gefürchtet gewesen ist. Auch Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar suchen ja nach einem Mittel, das den Pegasos ausschalten oder auch töten kann. Diese Idee wirkt allerdings teilweise wie eine Art MacGuffin. Immer wieder begegnen die Helfer des Schuts den Gefährten, wobei der Autor zumindest eine andere Erklärung für eine der auch in Karl Mays zahlreichen Entführungsszenen und der buchstäblichen Flucht in letzter Sekunde anbietet, was bei dem Sachsen immer nur auf Kara Ben Nemsis überlegenen Intellekt zurück geführt worden ist. Um die beiden Schlüsselszenen – nicht nur die wichtigsten Protagonisten werden gefangen gesetzt, in den beiden bisherigen Romanen sind sehr viele Nebenfiguren verschleppt und schließlich befreit worden – herum platziert der Autor eine Reihe von interessanten Sequenzen. Rückblickend nimmt er sogar den Faden aus dem Finale des ersten Buches auf und liefert eine weitergehende Erklärung. Wenn Kara Ben Nemsi davon spricht, dass sie auf dieser Suche ihre bisherigen Erfahrungen zur Seite schieben und sie „die Pläne des Feindes nicht mehr so beurteilen“ dürfen, „wie wir es früher getan haben“ (Seite 452), dann ist diese Aussage für den Roman richtig. Teilweise inzwischen mit magischen Werkzeugen – das Zelt aus dem ersten Buch spielt immer noch eine Rolle – wie einer zusätzlichen Glaskugel ausgestattet, die „wahres Sehen“ ermöglicht sind die Männer gerüstet, während die Feinde mit ihrem umfangreicheren magischen Arsenal noch unbesiegbarer erscheinen als es das Spinnennest mit zahllosen willigen Helfern in den Karl May Abenteuer gewesen ist.

Das Tempo des Romans ist ein wenig höher als im in dieser Hinsicht angenehm unterhaltsam dahin plätschernden Auftaktband. Alexander Röder hatte schon in „Im Banne des Mächtigen“ bewiesen, das er die Intentionen Karl Mays mit einem ihn sehr gut imitierenden und sich nicht auf dessen Dialoge verlassenden Stil zu einem spannenden Abenteuer verbinden kann. Dieser Marschroute folgt der Roman nicht nur, die Grundlagen werden ausgebaut. Magie ist noch deutlich zu spüren, auch wenn sich der Mann der Wissenschaft Kara Ben Nemsi immer noch ein wenig gegen diese Möglichkeit sträubt. Konnte „Im Banne des Mächtigen“ auch mit der Auseinandersetzung zwischen den britischen Soldaten und den Banditen am Fuße der Tempelanlage des Baals sowie dem Endkampf am Schachbrett einige eindrucksvolle Szenen aufweisen, geht Alexander Röder in „Der Fluch des Skipetaren“ subtiler, aber nicht uninteressanter vor. Neben der Entdeckung der Weberei sowie der Fund  der Wiederbelebungsmaschine , des finalen Fallenlassen der Masken sowie gleich zu Beginn dem Kontrast zwischen dem affektierten Gehabe während der Feier in der Botschaft sowie dem spektakulären Einbruch über die Außenwand  lebt der vorliegende Roman wie eingangs erwähnt vom Wiederentdecken bekannter Figuren und vor allem markanter Schauplätze aus den ursprünglichen Romanen. Interessant ist zusätzlich, dass Alexander Röder nach der überzeugenden Hommage an die Originale Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar die markanten Züge dieser beiden Potagonisten zu Gunsten neuer/ alter Bekannter und vor allem einige interessanter Szenen zurücknimmt und den Text damit unbewusst noch ein wenig mehr von den Vorlagen ablöst, um am Ende einen unterhaltsamen, aber viel zu frustrierend offenen ersten Mittelband dieser weiterhin sehr unterhaltsamen magischen Orientgeschichte Tetralogie zu präsentieren.  Auch die Hinwendung an die von Fantasy begeisterte Jugend als neuem Leserschicht ist in dem zweiten Teil der Serie nicht mehr so ausgeprägt wie im Auftaktband.

 

 

 

  • Taschenbuch: 480 Seiten
  • Verlag: Karl-May-Verlag; Auflage: 1 (4. Oktober 2016)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3780225026
  • ISBN-13: 978-3780225023
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