Sar Dubnotal 3- Nihilisten und Vampire

Gerd Frank (Hrsg.)
Mit „Nihilisten und Vampire“ liegt der insgesamt dritte Sammelband mit den Abenteuern des Geisterbanners „Sar Subnotal“ wieder in einer liebevollen Sammelausgabe vor. Sollte Gerd Frank recht haben, dann fehlen nur noch zwei Romane und die ganz vor dem Ersten Weltkrieg veröffentlichte Pulpserie läge komplett in deutsch allerdings nicht in der chronologischen Reihenfolge ein. Eine Mammutaufgabe, welche die Herausgeber anscheinend für drei der hier gesammelten sechs Romane sogar bis nach „Russland“ internettechnisch getrieben hat.
Der erste Teil dieser dritten Sammlung wird durch den Titelteil „Nihilisten“ abgedeckt. Die Originalhefte 17 bis 19 „Ein Terroristenkomplott“, „In der Hölle Sibiriens“ und „Azzef, der König der Provokateurs- Agenten“ sowie die bislang nicht aufgefundene und deswegen fehlende Nummer zwanzig bilden den einzigen Mehrteiler der Sammlung. Sar Dubnotal weisst im ersten Heftroman darauf hin, dass er schon einmal mit Azzef – Gerd Frank arbeitet in seinem mehrere Kapital umfassenden Nachwort das historische Vorbild für diesen Superterroristen überzeugend heraus – in Kontakt gekommen ist. Dabei konnte er die Entführung einer Frau verhindern. Da der Abschlussband bislang fehlt, fehlt das Finale des Zyklus und einige alleine Sar Dubnotals Gutmütigkeit zuzuschreibende rote Fäden bleiben in der Luft hängen. Aus diesem Grund kann der Mehrteiler nur bedingt kritisiert und analysiert werden.
In „Ein Terroristenkomplott“ unterwandert der Titelheld eine Gruppe von politischen Nihilisten, die Attentate auf führende russische Aristokraten planen und ausführen. Ziel ist es weniger, die politische Unordnung in Russland weiter zu forcieren, sondern den brüchigen Status Quo durch das Ausschalten wichtiger Zwischenglieder zu erhalten. In dieser Richtung argumentiert der unbekannte Autor eher schematisch, zumal sich die Motive der Nihilisten hinsichtlich des etwas überstürzten Endes des Romans eher opportunistisch als Verführung durch Azzef heraus kristallisieren, der gänzlich andere Ziele verfolgt. Der geradlinige Roman ragt als Auftakt des interessanten Mehrteilers aus verschiedenen Gründen aus der Reihe heraus. Zum einen gehört die „Actionszene“ mit dem Attentat zu den besten Passagen der Serie. Aus unterschiedlichen Perspektiven beschrieben gipfelt allerdings die Szene in einer übernatürlichen und nicht ganz überzeugenden Auflösung, in welcher die Kräfte der Levitation eingesetzt werden müssen, um alle Beteiligten zu retten. Spektakulär ist die Selbstbefreiung Sar Dubnotals, nachdem er von Azzef in der Gruppe entdeckt worden ist. Er wird bewusstlos durch ein ins Eis geschlagenes Loch in die Newa geworfen. Das Loch wird wieder verschlossen. Nur dank seiner intensiven hinduistischen Ausbildung und einigen kleinen Gerätschaften, die eher an „Fantomas“ oder James Bond denn einen Astraldetektiv oder Geisterbanner erinnern, kann er sich spektakulär retten. Eine vergleichbare Szene hat es in der Kinoserie um den britischen Agenten bislang nicht gegeben. Es ist der Höhepunkt eines unterhaltsamen Paranoiathrillers, in dem das gegenseitige Misstrauen der Nihilisten ein wichtiger Aspekt ist. Sar Dubnotals Motive sind nicht gänzlich klar und bilden den schwächsten Punkt des Romans. Seinen Gegenspieler hätte er mehrmals ausschalten können. Die Terroristen wären hilflos zurückgeblieben. Der ominöse Hinweis der verschleierten Frau zu Beginn sorgt auch eher für Verwirrung als das er dem Aufbau einer geschickten Falle dient. Am Ende ist es nicht einmal Sar Dubnotal selbst, der die Verhaftung vornimmt. Es schließt sich der Übergang zum folgenden Roman „In der Hölle Sibiriens“ an, da die Nihilisten von den staatlichen Organen verbannt werden, während Azzef zumindest kurzzeitig unter die indirekte Kontrolle Dubnotals gestellt wird. In vielerlei Hinsicht handelt es sich bei „Ein Terroristenkomplott“ weniger um eine Auseinandersetzung mit dem Übernatürlichen, sondern die nicht immer geschickt extrapolierte Konfrontation zweier mit vielen Wassern gewaschener Männer, deren Auflösung zu abrupt und zu hektisch ist. Die beiden herausragenden Spannungsszenen heben den Plot über das bisherige Durchschnittsniveau der Serie und öffnen den Blick auf eine im folgenden Roman deutlich kritische Auseinandersetzung mit dem seinen Gegnern gegenüber unbarmherzigen russisch zaristischen Regime.
Der unbekannte Autor beschreibt in „In der Hölle Sibiriens“ die Leiden der Nihilisten, unter die sich natürlich Sar Dubnotal geschlichen hat. Die Grausamkeit der Kosaken gegenüber den politischen Gefangen wird allerdings während der rückblickend eher unspektakulären Befreiungsaktion nicht gerächt. Der ganze Roman strahlt eher das Flair eines schwächeren Jules Verne aus. Der Überheld Sar Dubnotal schützt auf der einen Seite effektiv die Schwachen und wenn er sich ohne Schmerzen zu zeigen mit nacktem Oberkörper auspeitschen lässt, dann beinhaltet diese Szene eher einen stoischen Fatalismus. Auf der anderen Seite bringt er mit seiner menschlichen Vergebung den rücksichtslosen Feinden gegenüber immer wieder die Menschen in Gefahr, die sich ihm anvertraut haben. Es erscheint eher wie ein Wunder, das vom Autoren konstruiert worden ist, das niemand wirklich ums Leben kommt. Mit seinen Helfern als willige Freiwillige verschiebt sich der Fokus im zweiten Teil des neunzehnten Abenteuers in den Bereich übersinnlicher Karl May Sujets mit verschiedenen, dramaturgisch überzeugend entwickelten Verfolgungsjagden und einer zufriedenstellend spannenden Auflösung, in welcher Dubnotal eher indirekt Einfluss nimmt. Sein Pazifismus erstreckt sich allerdings nur auf Menschen, wie einige Pferde zu ihrem Leidwesen kennen lernen müssen. Der geradlinige Stoff mit intensiven Beschreibungen der "Hölle Sibiriens" bildet einen guten Mittelteil der zur Verfügung stehenden Trilogie. Wichtig ist, dass Azzef nur mittelbar bis auf das ein wenig frustrierende Schlusskapital mit seiner wiederholten Flucht unter schwierigen Bedingungen und zu leichten Gefangennahme nicht im Mittelpunkt des Geschehens steht. Der erste und der dritte sowie vermutlich abschließend vierte Teil der Serie mit verschiedenen direkten und indirekten Begegnungen, dem Ausnutzen der hypnotischen Fähigkeiten auf beiden Seiten und den Intrigen ist ausreichend. Sich intensiver mit den Folgen für die gutgläubigen "Fußsoldaten" zu beschäftigen, tut der Serie angesichts der vorhandenen Qualität ohne Frage gut.
Im letzten Roman schließt der Autor mit der Rückkehr wichtiger Protagonisten nicht nur nach Russland, sondern vor allem zum ersten Attentatsopfer hin den handlungstechnischen Kreis. Im dritten Teil "Azzef- der König der Provokateurs- Agenten" versucht der Autor zu viel auf zu wenigen Seiten unterzubringen. Das Spektrum reicht vom Schiffsuntergang von Sar Dubnotals Yacht - dieses Schiff erinnert an Jules Vernes "Matthias Sandorf" -, auf dem er die Nihilisten einer neuen Heimat zuführen wollte, über ein weiteres, dieses Mal von einem Familienmitglied durchgeführten Anschlag auf eine wichtige politische Persönlichkeit des russischen Lebens bis zu einer weiteren Konfrontation zwischen Azzef und Sar Dubnotal, die für letzteren im Grunde vor dem Erschießungskommando endet. Wie schon in den letzten beiden Romanen dieses Mehrteilers machen sich der Geisterbanner die Probleme selbst. Die Idee, Azzef durch seine Opfer bestrafen zu lassen, ist auf der einen Seite konsequent, wird aber durch Sar Dubnotals Eingreifen gleichzeitig wieder negiert. Die Schließung des Kreises wirkt ein wenig inkonsequent, da viele Nihilisten durch Azzef verraten und verhaftet worden sind. Dass es sich nicht rumgesprochen hat, dass sein Verschwinden evtl. mit der Verhaftungswelle in einem Zusammenhang steht, erscheint genauso unwahrscheinlich wie die Idee, dass er sich innerhalb weniger Tage wieder auf den Anarchistenthron setzt. Für das Attentat bereitet er die Tochter des Opfers mittels Hypnose auf ihre Tat vor. Das geht insbesondere damaligen Lesern unter die Haut, auch wenn es nicht logisch erscheint, das Sar Dubnotals Retter im nächsten Augenblick zum Täter gemacht wird.
Aufgrund des fehlenden vierten Romans lassen sich fast alle der aufgeworfenen Fragen nicht abschließend beurteilen. Als Zyklus lesen sich allerdings die drei vorhandenen Teile trotz der angesprochenen kleineren Unstimmigkeiten sehr packend.

Die Einzelabenteuer lassen sich weniger unter dem Vermerk "Vampire", sondern eher unter Menschensuche und Verbrecherjagd zusammenfassen. Es ist vielleicht unglücklich, dass die chronologisch vor dem Mehrteiler entstandenen Einzelabenteuer erst nach diesem abgedruckt worden sind. Handlungstechnisch handelt es sich aber um isolierte Geschichten. Zwei muss Sar Dubnotal zweimal nach verschwundenen Personen suchen, aber die Grundlagen der Fälle sind derartig unterschiedlich, das man nicht von Überschneidungen sprechen kann.
In Heft 12 "Die Braut auf Gibraltar" wird Dar Dubnotal gebeten, nach einer verschwundenen jungen Dame zu suchen. Die Suche nimmt nur einen kleinen Teil des Romans ein. Viel interessanter ist, dass es sich bei den potentiellen Täter um einen König der Hochstapler handelt, dessen Geschichten so unglaublich sind, das sie eine eigene Reihe verdient hätten. In Rückblenden beschreibt der Autor die Ideen des jungen Mannes, der sogar den Schwiegervater in spe überzeugen kann. Es ist schade, dass dieses Tempo am Ende wieder in einer überstürzten Aufdeckung und der Relativierung der Ausgangsprämisse besteht. In Bezug auf die Gesamtserie ist allerdings anzumerken, dass zum wiederholten Male in erster Linie attraktive Frauen unter den Willen eines Mannes mittels Hypnose gezwungen worden sind. Selbst der Held Dubnotal setzt diese Allzweckwaffe nicht selten ein, um entweder an geheime Informationen zu kommen oder die Schurken und ihre willigen Helfer unter Kontrolle zu bringen.

Im zweiten Fall einer verschwundenen Ehefrau und nicht Verlobten - "Die Schlafwandlerin der Blutigen Furt" (Heft 15) soll der Geisterbanner gleichzeitig einen geheimnisvollen, an Leroux Geschichten um Taten in verschlossenen Räumen erinnernden Fall lösen. Es ist die am meisten an Sherlock Holmes Abenteuer erinnernde Geschichte mit drei Problemen, welche Sar Dubnotal zu lösen hat. Dabei wirkt die Auflösung des Plots ungemein phantastisch, zumal wieder mittels Hypnose ungeahnte Fähigkeiten positiver wie auch negativer Natur in unschuldigen Menschen „förmlich“ befreit werden. Einige Aspekte des Falls – das „Doppelleben“ eines Protagonisten – wirken zu stark konstruiert, aber spektakulär einfallsreich. Es ist weniger Detektivarbeit als ein Zufall, der Sar Dubnotal schließlich die Zusammenhänge erkennen lässt. Die Überführung des eigentlichen Täters inklusiv entsprechender Bestrafung ist mit der Moralkeule niedergeschrieben worden, aber von den Rahmenbedingungen her ist „Die Schlafwandlerin der blutigen Furt“ eine vielschichtige Geschichte, in welcher der Meister seinen dienstbaren, ihn ständig lobenden Helfern mindestens einen Schritt voraus ist. Auch benötigt Sar Dubnotal weniger sein beachtliches Fähigkeitenarsenal, sondern seinen scharfen Verstand. Das stereotype Muster einiger anderer Romane dieser kurzen Reihe werden sehr zufriedenstellend durchbrochen und die Anlehnung an übernatürliche Phänomene, die allerdings rückblickend sehr gut relativiert werden und sich dem kriminalistischen Spannungsbogen trotz manch kleiner temporärer Unstimmigkeit anpassen.

In seinem Nachwort weißt Gerd Frank auf die Ähnlichkeit des 13. Falls "Die Vampire vom Friedhof" mit entsprechenden Passagen in Karl Mays Kolportageromanen hin. Der Text hat aber auch Ähnlichkeit mit einer Reihe von britischen Schauergeschichten, in denen übernatürliche Phänomene impliziert worden sind, die letztendlich doch mit krimineller Energie erklärt werden können. In der französischen Stadt Rennes rauben anscheinend "Vampire" nachts die Gräber aus und schänden die Leichen. Im Gegensatz zum Grafen Dracula allerdings trinken diese Vampire kein Blut. Während die Bevölkerung im Gegensatz zum Geisterbanner abergläubisch an Wesen aus den Mythen glauben, dient nicht nur Sar Dubnotals entschlossenes Vorgehen als Beweis, dass es sich nur um intelligente Kriminelle handelt. Die Auflösung ist zwar spannend niedergeschrieben worden, die Grundidee ahnt der Leser angesichts auch der Lektüre des Mehrteilers um Azzef schon im voraus. Es ist eher erstaunlich, dass Sar Dubnotal im Vergleich zu anderen Detektiven dieser Zeit auf diesen Trick zurückgreifen musste, um erfolgreich zu sein. Der Titel weckt wahrscheinlich falsche Erwartungen, aber eine gute Hommage an die britischen Mystery Geschichten dieser Zeit - nicht zuletzt fällt einem spontan Wilkie Collins ein - mit einem zu entschlossenen Helden machen die Geschichte zu einem lesenswerten Höhepunkt dieser nach Heft zehn teilweise auf zu ähnliche Handlungsfragmente – eine Ausnahme bildet ohne Frage „Die Vampire vom Friedhof“ – zurückgreifenden Serie.
Wie schon angedeutet haben die Herausgeber Gerd Frank und Dieter von Reeken den Roman mit einigen sehr lesenswerten Hintergrundinformationen angereichert. Im Anhang geht Gerd Frank neben der Identität des Provokations- Agenten (ein herrlicher so archaischer und doch passender Begriff) auf die einzelnen Ausgaben in unterschiedlichen europäischen Ländern, die Namensgebung hinsichtlich der russischen Grammatik und die Legendenfigur des Wrukolakas ein, der nur indirekt eine Rolle spielt. Die Abbildungen sind in der bekannt überdurchschnittlichen Qualität.
Wie schon in der Einleitung angedeutet ist es eine hervorragende Leistung insbesondere Gerd Franks, der von seinen ersten Funden ausgehend die Serie auch durch eine blümerante, aber passende Übersetzung mehr als einhundert Jahre nach der Erstveröffentlichung einiger weniger Bände fast komplett nach Deutschland gebracht hat. Alleine dafür gebührt ihm der Dank der Anhänger früher französischer Pulperzählungen wie Arsene Lupin oder natürlich Fantomas, sowie dem Herausgeber Dieter von Reeken für das unternehmerische Risiko. Hoffentlich nur der vorletzte Band einer sehr empfehlenswerten Edition.

Auswahlband mit den Heften 12, 13, 15, 17, 18 und 19 der 1909 erschienenen französischen Romanheftreihe im Neusatz
Übersetzt und herausgegeben von Gerd Frank
Broschüre, 411 Seiten, 11 Abbildungen, 7 Anhänge mit Anmerkungen des Herausgebers

25,00 € — ISBN 978-3-940679-78-9

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