Schießen Sie auf den Pianisten

Schießen Sie auf den Pianisten, Titelbild, Rezension
David Goodis

David Goodis 1956 veröffentlichter Roman ist vor allem durch die Adaption des Franzosen Truffaut vielen Zuschauern eher im Gedächtnis denn die Romanvorlage, obwohl gerade sie exemplarisch für die Facetten, aber auch Handlungsmuster steht, die der Amerikaner in den fünfziger Jahren zu seinem Markenzeichen machen sollte.

 Geoffrey O Brien fasst sie in seinem Vorwort zu einer der wenigen Neuauflagen  für den amerikanischen Verlag Pryon sehr gut zusammen.

 David Goodis selbst standen nach dem Erscheinen seines Erstlings „Dark Passage“ viele Türen offen. Er ist nach Hollywood gegangen und sollte dort für Warner Drehbücher schreiben. Drei Jahre später endete seine Vertrag, ohne das er Hollywood seinen Stempel aufsetzen konnte. Goodis kehrte nach Philadelphia zurück und begann für einen Taschenbuchverlag Krimis zu schreiben, deren Inhalt immer dunkler gewesen ist. Auch sein Protagonist Eddie hat Triumph und Tragödien erlebt. In einer Familie mit zwei Brüdern im amerikanischen Hinterland aufgewachsen erkennt man sein Talent als Klavierspieler und gibt ihm eine Ausbildung. Nur wenige Tage vor seinem ersten Auftritt wird er zum Militär eingezogen und kämpft im Zweiten Weltkrieg tapfer wie stoisch. Nach dem Krieg in die USA zurückgekehrt, interessiert sich buchstäblich niemand mehr für einen talentierten Klavierspieler. Erst die Liebe zu einer Frau und ein Agent bringen ihn für einen kleinen Moment weit nach oben. Als Eddie die Zusammenhänge und deren Tragik erkennt, bricht er aufgrund des Verlustes zusammen, betrinkt sich und landet schließlich in einer schäbigen Kneipe, in welcher er seit drei Jahren die Gäste jeden Abend am Klavier unterhält, ohne mit dieser Halbwelt aus Huren, Drogendealer, Kriminellen und schließlich der Polizei wirklich in Berührung zu kommen.

Seine einzigen Bezugspersonen sind die Wirtin – eine dicke, aber mit einem Herz aus Gold versehene Person; die Prostituierte, welche auf seinem Flur in dem Haus wohnt, in dem er ein kleines, aber sauberes Zimmer hat und schließlich die Kellnerin, die in Eddie mehr sieht als dieser selbst noch zu erkennen glaubt.

 Eddie ist ein typischer Verlierer, wie ihn wahrscheinlich nur David Goodis entwickeln konnte. In seinem Leben hat er bis auf seine Liebe zur Musik immer nur reagiert. Immer wieder hat ihm das Schicksal schwere bis schwerste Brocken in den Weg gestellt, die er selbst nicht zur Seite schaffen konnte. Es ist erstaunlich, wie eine derartig eindimensionale – wahrscheinlich hat ihn Goodis absichtlich so gezeichnet – Figur bei unterschiedlichen Frauen vom Mamatyp bis zu Ehefrauenmaterial ankommen kann. Er wirkt depressiv, melancholisch, in sich gekehrt, stoisch und unentschlossen. In den wichtigen Situationen greifen „seine“ Frauen ein und retten ihm direkt wie indirekt mehrmals das Leben, ohne das er wirklich Dankbarkeit zeigen kann. Nur in seiner Musik fühlt er sich noch geborgen.

 Es ist für David Goodis auch signifikant, dass Eddie in eine lebensbedrohliche Situation gezogen wird. Sein Bruder taucht auf und bietet ihn um Hilfe. Der Leser lernt folgerichtig Eddie auch erst aus der Perspektive des Bruders kennen. Erst nach ihrer ersten Begegnung wechselt die Perspektive und David Goodis erzählt den Rest des Romans meisterlich alleine aus Eddies Perspektive, was spannungstechnisch im Grunde die einzige Möglichkeit ist, um die verschiedenen, nicht immer wirklich parallel laufenden Handlungen zu sammeln und schließlich fatalistisch, Max Allan Collins zu seinem „Road to Perdition“ inspirierend abzuschließen. 

 Eddie will seinem Bruder nicht helfen, gerät aber indirekt in den Fokus der beiden Gangster, welche um mehrere hunderttausend Dollar betrogen worden sind. Je mehr sich Eddie sträubt, um so schwerer fällt es ihm schließlich, aus diesem Netz auch mit Hilfe zu entkommen. Interessant ist, dass in der Mitte des Buches dieser Handlungsbogen abbricht und eine Konfrontation zwischen Eddie und dem Rausschmeißer seiner Kneipe in den Mittelpunkt des Plots tritt. Auch hier reagiert Eddie nur. Allerdings mit fatalen Folgen, die seine fragile bürgerliche Existenz gänzlich unterminieren. Ohne Frage wollte David Goodis die Spannungsschraube in dieser Sequenz noch einmal anziehen und Eddie die Unausweichlichkeit seiner Taten drastisch brutal vor Augen führen. Da aber der angefangene Handlungsstrang plötzlich in  den Hintergrund tritt und Eddie mit einer schrecklicheren Taten als seine Brüder begangen haben/ begehen werden konfrontiert wird, fehlt es David Goodis schwer, im letzten Drittel des Buches auf den ursprünglichen Plot zurückzukehren und diesen zynisch tragisch zu Ende zu führen.

 Genau wie der Rückblick – an einer interessanten Stelle im Handlungsverlauf platziert – dem Leser einige weitere Informationen über Eddies Vergangenheit präsentiert, ist die Rückkehr ins Haus der Eltern ein weiteres Puzzlestück, das zeigt, wie stark er von anderen Menschen beeinflusst wird und wie wenig er sich auch aktiv wehren kann. Immer kommt er im Verlaufe der Handlung zu spät oder trifft die falschen Entscheidungen. Fast sadistisch baut David Goodis vor dem taumelnden Eddie eine Wand nach der anderen auf. Auf der einen Seite droht bei dieser Vorgehensweise eine Art Overkill, ein Abdriften in den Bereich des Unrealistischen. Auf der anderen Seite gewährt David Goodis seiner Figur stellvertretend für den Leser nicht den Hauch einer Chance, sich anders zu entscheiden. Um ihn herum sind im Grunde nur Menschen, die ihn entweder manipulieren wollten oder deren Hilfe echt, aber auch ein wenig eigennützig ist.

 Es passt zu dieser Art von Roman, dass der Charakter, der sich in einer billigen schmierigen Kneipe vor dem eigenen Leben versteckt, am Ende überleben muss, während fast alle anderen Menschen, die nach dem Leben auch gegen die Gesetze mit Macht greifen, sterben müssen und sterben werden. „Schießen sie auf den Pianisten“ ist keine Hymne an die Verlierer, an die Menschen in der Skid Row, aber ungewöhnlich für einen Roman der fünfziger Jahre beschreibt David Goodis deren hartes Leben nicht nur mit einfachen, aber pointierten Worten; skizzenartigen Charakterisierungen, die effektiver wirken, je mehr man von David Goodis nicht unbedingt umfangreichen, aber in dieser Form zusammen mit Cornell Woolrich einzigartigen Werk goutiert hat.

 Als Autor verzichtet er auf Urteile. Seine Handlung läuft vor dem dreidimensionalen Hintergrund dieser Amüsiermeilen in den mittelgroßen Städten ab. Sie sind realistisch, wahrscheinlich aus erster Hand vom Amerikaner beschrieben worden. Seine Plots sind immer stringent, auch wenn man nicht selten erst auf den letzten Seiten erkennt, dass sich im übertragenen Sinne die Schlinge des Schicksals schon in den ersten Kapiteln, bei den frühen Begegnungen um den Hals des immer männlichen, immer tragischen Protagonisten gelegt hat.

 Polizei spielt in David Goodis Welt eine untergeordnete Rolle. Sie interessiert sich nur wenig für die nicht aufklärbaren Verbrechen im Rotlichtmilieu. Sie erledigen ihre in erster Linie aktentechnischen Aufgaben und lassen die Menschen in Ruhe. Diese fehlende Ordnung, dieser Fatalismus wird durch ein gänzlich anderes Element ersetzt. Immer wieder deutet David Goodis an, dass diese Menschen vielleicht andere Ehrbegriffe haben, sie aber auch Respekt und Freundschaft vor allem den unfreiwilligen Gestrauchelten gegenüber zeigen und dadurch Bande knüpfen, die in der Theorie unrealistisch, in der Form dieser Erzählung aber konsequent erscheinen.

 Ohne Frage ist „Schießen Sie auf den Pianisten“ vor allem in der zahlreich publizierten Originalfassung ein eindrucksvolles Zeitportrait. Eine moralisch exemplarische wie empfehlenswerte Geschichte David Goodis, die unabhängig von der interessanten Verfilmung betrachtet werden muss. Wer sich in David Goodis Werk auskennt, wird die Versatzstücke, die handlungstechnischen Muster per exellence erkennen, auf welche der Amerikaner immer wieder mit unterschiedlichen Erfolge zurück gegriffen hat. Wer aber den heute kaum noch vorhandenen Ruf dieses Meisters des Hardboiled Krimis kennen lernen möchte, findet in diesem Roman das Sprungbrett, um tief in die dunklen Gassen der amerikanischen Städte der fünfziger / sechziger Jahre einzutauchen.       

  • Broschiert: 190 Seiten
  • Verlag: Unionsverlag (1998)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3293201245
  • ISBN-13: 978-3293201248
Kategorie: