Projekt Luna

Projekt Luna, Titelbild, Rezension
Algis Budrys

Mit „Projekt Luna“ legt der Heyne Verlag den bekanntesten Roman des Amerikaners Algis Budrys als E Book wieder auf. Budrys hat eine gänzlich veränderte Fassung ursprünglich für „The Magazine of Fantasy and Science Fiction“ geschrieben. Die 1960 publizierte Romanversion ist ein Jahr später für den HUGO Award nominiert worden und gilt noch heute als eines der Meisterwerke der Science Fiction, dessen bedingter Einfluss sich in einer Reihe sehr unterschiedlicher Arbeiten widerspiegelt.

 Im vordergründigen Mittelpunkt der Handlung steht die Entdeckung eines außerirdischen Artefakts auf der Rückseite des Mondes. Das Objekt „tötet“ alle Menschen durch eine Mischung auf perfiden Fallen, herausfordernden sich verändernden Räumen oder impliziert durch die Ignoranz der Menschen, die es betreten. Der letzte Punkt wird von Budrys nur einmal dank seines im Grunde lebensmüden Charakters Barker gestreift, aber die Grundidee einer Hinterlassenschaft einer fremden Zivilisation, die für den Menschen unverständlich ist, wird noch in einigen anderen Werken angesprochen. Obwohl das eher ambivalent beschriebene Artefakt auf der Rückseite des Mondes fast wie ein surrealistischer Alptraum eines Drogen süchtigen Erscheinen könnte, wirkt es mit seiner majestätisch stoischen Haltung wie ein Vorläufer der Monolithen, die Arthur C. Clarke einige Jahre später beschreiben sollte.  Aber auch mit „Picknick am Wegesrand“ gibt es Überschneidungen. Ob die Strugatzkis diesen Roman gelesen haben, ist ungeklärt, aber in beiden Werken haben die Außerirdischen ohne Gründe quasi auf  der Durchreise Artefakte hinterlassen, deren Umgebung – im Buch der Strugatzkis haben sich um die Landeflächen die Zonen gebildet, in denen sowohl die Schwerkraft als auch das normale Empfinden der „Stalker“ buchstäblich außer Kraft gesetzt werden – für die Menschen tödlich ist. Es gibt keine weiterführenden Erklärungen und im Verlaufe der beiden Bücher wird das Erbe der Außerirdischen mehr und mehr zu einer Metapher, zu einer Art weißen Wal, an dem sich die jeweils gebrochenen und in der Charakterisierung der Autoren im Grunde lebensuntüchtigen Protagonisten in der Hoffnung auf einen Moment des Glücks, des wahren Lebens buchstäblich reiben. Während die Strugatzkis am Ende ihres so kongenial wie herausfordernd auch verfilmten Romans in ein Schneckenhaus zurückziehen, spricht Budrys nach der erfolgreichen Querung ein gänzlich anderes, sich wie ein roter Faden durch den Roman ziehendes Thema an.

 Actionfans werden auf den ersten Blick enttäuscht sein. Die meisten Informationen erhält der Leser nur aus zweiter Hand über das Artefakt. Barker wird wie seine Vorgänger immer wieder eindringen und immer wieder auf der Reise durch den nicht näher beschriebenen Körper getötet. Jeder dieser Tode beinhaltet aber für seinen „Nachfolger“ wichtige Informationen. Im Mittelteil des Buches beschränkt sich Budrys fast frustrierend oberflächlich auf die Zeit, die Barker mit jeder Reise mehr in dem Artefakt verbringen kann, während die finale Odyssee wie ein angesprochener surrealistischer Alptraum erscheint, in dessen Verlauf die beiden Teilnehmer auf der einen Seite immer wieder das Gleiche machen müssen und es doch anders empfinden. Diese Distanz zum MacGuffin der Handlung könnte aus heutiger Sicht befremdlich erscheinen. Budrys experimentiert nicht so stark wie zum Beispiele Alfred Bester in seinen bekannten Romanen wie „The Stars my Destination“ mit den Strukturen eines klassisch klischeehaften Science Fiction Romans, sondern die immer wiederkehrende Reise zum Mond mittels eines Transmitters – ein Handlungsteil, auf das gesondert eingegangen werden muss – wirkt irgendwann absichtlich langweilig, damit der Autor allerdings teilweise auch ein wenig stereotyp die zwischenmenschlichen Probleme seiner eher pragmatisch angelegten Figuren förmlich abarbeiten kann.

 Die Grundidee des Transmitters ist, dass auf der Erde eine Kopie hergestellt und zum Mond geschickt wird. Diese Kopie erhält wie das Original das ganze Wissen. Wenn die Kopie beim Durchschreiten des fremden Artefakts stirbt, erfährt das Original die fehlenden Informationen und eine weitere Kopie kann los geschickt werden. Das Original erfährt aber auch den Tod der Kopie und  einige von Barkers Vorgänger verlieren aufgrund dieser Belastung den Verstand. Barker ist ein typischer Macho. Er ist reich, aggressiv und gelangweilt. Er hat sich in allen gefährlichen Berufen versucht und keine Erfüllung gefunden. Bei einem Unfall hat er ein Bein verloren. Die Prothese behindert ihn nur wenig. Interessant ist, dass Budrys auf der einen Seite seinen Übercharakter verkrüppelt beschreibt, auf der anderen Seite aus dieser Idee nicht mehr macht. Sie verschwindet wie einige andere Ansätze im Verlaufe der fast komprimiert erscheinenden Handlung. Nach dem ersten Tod auf dem Mond ist Barker schockiert, aber auch angefixt. Er will sofort wieder los, um den nächsten Schritt zu machen. Er weiß, dass er dort auf eine Art und Weise „sterben“ wird, sucht aber in dieser im Grunde unmöglichen Mission seine persönliche Unsterblichkeit. Barker ist ein unsympathischer, unnahbarer Charakter, der seine Umgebung zwar fordert, aber auch tyrannisiert. Im Gegensatz zu den tragischen Antihelden, die Alfred Bester in unmögliche Situationen wirft und zu Gunsten eines universellen Blicks sogar opfert, springt der Funke nicht über und wie die Kopien bleibt Barker dem Leser fremd. Diese aufgebaute Distanz ist in einer Hinsicht tragisch, da Budrys ausgerechnet während des Epilogs relevante Fragen aufwirft, die dem Buch mehr Tiefe gegeben hätten.

 Hawks ist der Erfinder des Transmitters. Er ist ein kühler Rechner, der sich während der Experimente in eine junge Frau verliebt, die ihn zurück von Barkers abgelegenen Haus in die Stadt genommen hat. Hawks ist deutlich zugänglicher. In ihm brennt der Ehrgeiz, das Geheimnis des Artefakts nicht einmal für seine Herren – die Forschungen werden von der amerikanischen Navi bezahlt – zu lüften, sondern um der vergänglichen Zeit seinen persönlichen Stempel aufzusetzen. Budrys baut eine gewisse Erwartungshaltung auf, die während der abschließenden gemeinsamen Expedition von Barker und Hawks nur bedingt erfüllt werden. Durch die Liebe zur jungen Künstlerin Elizabeth Cummings kann Hawks seine Sehnsüchte, aber auch seine Ängste in Worte fassen und gibt damit dem Leser einen Schlüssel in die Hand, der es ermöglicht, die vielen Fragen während des Epilogs nicht zu beantworten, aber zumindest zu verstehen.

 Stereotyp ist Barkers Freundin, die auf der einen Seite attraktiv wie ein teures Escortmodell mit einem oberflächlichen Interesse an ihrem jeweiligen Auftraggeber ist, auf der anderen Seite Barker trotz der teilweise auch beschriebenen körperlichen Züchtigungen liebt und dann mit dem eindimensionalen Vorgesetzten und Personalchef Hawks durchbrennt. Die verschiedenen Beziehungsdramen wirken eher wie Füllmaterial zu Lasten der im mittleren Abschnitt zu distanziert, zu wenig ausführlich beschriebenen „Reisen“ durch das außerirdische Artefakt. Die komplette Länge des Romans betrachtend nehmen sie zu viel Raum ein und wirken vor allem aus einer Distanz von fast sechzig Jahren einfach veraltet.

 Es sind die implizierten Themen, welche Budrys Buch aber so zeitlos machen. Während alle anderen Charaktere nach dem Sinn ihres Lebens suchen und möglicherweise den Tod zu überwinden hoffen, ist es ausgerechnet Barker mit seiner offensichtlichen Todessehnsucht, der durch die erfolgreiche Durchquerung des Artefaktes eine basierend auf seinem neuen Ruhm relative Unsterblichkeit erringen.

 Durch seine ständige Begegnung mit dem eigenen Tod muss Barker im Gegensatz zu seinen Mitmenschen diese Furcht überwinden, um menschlicher zu erscheinen und eine vergleichbare Gleichgültigkeit dem Herausforderer in Form des Artefakts gegenüber zu entwickeln, wie dieses es auch allen Besuchern gegenüber durch seine stoische Ignoranz zeigt.

 Interessant, aber zu wenig herausgearbeitet ist auch die Frage, welchen Platz der Mensch in einer technokratischen Zukunft noch einnehmen kann und ob seine Menschlichkeit für die Herausforderungen der Zukunft ausreicht. Da auf dem Mond nur Kopien erfolgreich sind, muss zynisch festgestellt werden, dass ein emotionaler Mensch mit dem ersten Schritt in den Kosmos genauso wie bei der ersten Begegnung mit den Fremden überfordert erscheint. Viele Ideen wird Budrys in einem weiteren Buch „Zwischen den Welten“ (im Original „Who“ und von Jack Gould in den siebziger Jahren verfilmt) noch einmal aufnehmen und seinen Protagonisten noch mehr einer einzigen Identität berauben.

 „Projekt Luna“ lebt weniger von dem Puzzle, welches das Artefakt darstellt, als den einzelnen Herausforderungen an die Protagonisten, denen Buydrs minimalistischer stilistisch auch in der deutschen Übersetzung fast distanzierter Ansatz ein wenig kontraproduktiv gegenüber steht. Heutige Leser sollten mehr zwischen den Zeilen lesen und sich die Wirkung dieses ungewöhnlichen Buches in den sechziger Jahren vorstellen als den verpassten Gelegenheiten nachtrauen, die Budrys vor allem in struktureller Hinsicht versäumt hat. Ein herausfordernder, intellektuell stimulierender Klassiker ist „Projekt Luna“ auf jeden Fall und diese Neuauflage als E Book ist überfällig gewesen.            

  • Taschenbuch: 272 Seiten
  • Verlag: Heyne Verlag (11. Juli 2016)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 345331767X
  • ISBN-13: 978-3453317673
  • Originaltitel: Rogue Moon
  • Größe und/oder Gewicht: 12,1 x 3 x 19,4 cm