Turn on the Heat

Turn on the Heat, Rezension, Titelbild
Erle Stanley Gardner

Im Jahre 2016 veröffentlichte Hard Case Crime mit “The Knife slipped”  nach mehr als siebzig Jahren zum ersten Mal den eigentlich zweiten Krimi um die Detektei Cool und den smarten Fußsoldaten/ Detektiv Lam zum allerersten Mal.  Erle Stanley Gardners Roman ist vom Verlag abgelehnt worden. Anstatt den Plot umzuarbeiten, hat sich der Amerikaner entschlossen, einen gänzlich neuen Roman für die Serie zu verfassen. „Turn on the Heat“ ist das Ergebnis und ein Jahr später 2017 publiziert Hard Case Crime diesen bekannteren Alternativband mit einem wirklich provozierenden, aber im Kern nichts mit der Handlung zutun habenden Titelbild.

Bertha Cool übernimmt den Auftrag eines älteren Herrn namens Smith. Er soll eine kurz nach dem Ersten Weltkrieg verschwundene Frau suchen. Mrs. James Lintig gehörte zusammen mit ihrem als Arzt praktizierenden Mann zur High Society der kleinen elitären Gesellschaft in Oakwood. Im Gegensatz zu ihrem bescheiden lebenden Mann versuchte sie mehr und mehr auszubrechen. Ihr Mann hat sich in seine Arzthelferin verliebt und bat um eine Scheidung. Er wollte seiner Frau sein ganzes Vermögen überlassen, nur um frei zu sein.  Kurze Zeit später ist Amelia Rosa Lintig angeblich mit dem Schiff aufgebrochen hat niemand hat sie mehr gesehen.

Für Donald Lam ein Routineauftrag. Im kleinen Ort findet er die Nichte des örtlichen Zeitungsbetreibers, die umgehend willig ist, ihm zu helfen.  Mit seinem jugendlichen Charme sehr zum sich in den Romanen wiederholenden Missfallen bis Staunen durch seine Chefin kommt Lam nicht unbedingt der gesuchten Dame näher, die angeblich einige Tage vorher in dem kleinen Ort gewesen ist, um erstens alle ihre Fotos aufzukaufen und zweitens ihren damaligen Liebhaber und jetzigen Herausgeber der Zeit nicht zu besuchen. Hinzu kommt, dass ein Polizist Lam relativ schnell aus Oakwood vertreiben möchte.

Erle Stanley Gardner baut ein nahezu klassisches Szenario auf. Im Grunde spricht alles  für ein Verbrechen, zumal auch kurze Zeit später ein zweiter Mord an einer Frau geschieht, die ebenfalls nach Amelia Rosa Lintig gesucht hat. 

Subversiv beginnt Gardner dann allerdings vorsichtig den Fokus zu verschieben und schiebt dem normalerweise üblichen Verdächtigen – dem nach Gesetz immer noch verheirateten James Lintig – geschickt einen Riegel vor. Es stellt sich heraus, dass Lintig auch ein Interesse haben könnte, nach dem derzeitigen Aufenthaltsort seiner Frau zu suchen, nachdem diese ihm angeblich geschrieben hat. Auch seine Verbindung zur Lam und Cool Agentur ist solide aufgebaut, wobei sich Lintig mit seiner Vorgehensweise und vor allem hinsichtlich seiner Intentionen so sehr verdächtig macht, dass dieser Handlungsbogen sehr viel umfangreicher hätte herausgearbeitet werden müssen und können.  Donald Lam glaubt ihm zu schnell, obwohl seine potentielle Motivlage genauso schwierig bzw. verständlich ist wie die Vorgehensweise der schließlich mittelbar und unmittelbar in Verdacht geratenen Täter, die auf eine komplizierte Art und Weise versuchen ein geradliniges Ziel undemokratisch zu erreichen.       

Mit dualen Ermittlungen wäre „Turn on the Heat“ – der Titel passt sehr gut zum Plot – noch spannender, nur ambitionierter gewesen. So  folgt Lam schließlich nur einer Spur, wobei er selbst von der Polizei als Täter einer Fahrerflucht gesucht wird. Die Behörden versuchen alles zu unternehmen, um ihn auszuschalten.

Mit teilweise bissiger Ironie untersucht Erle Stanley Gardner allerdings aus der Distanz das subversive und kriminelle Verhalten hinter der Fassade der kleinen und mittleren Städte in den USA vor allem in den dreißiger Jahren. Während „The Knife slipped“ vor allem mit aus heutiger Sicht harmlosen Szenen damals die Zensoren  aufgebracht hat,  kommentiert der Autor das nur impliziert angedeutete unzüchtige Verhalten Lintigs aus der Distanz. Es ist auch weniger Ursache als abschließende Auswirkung.

Nach stärker als in einigen der anderen frühen Lam & Cool Romanen basiert die Spannungskurve auf dem interessanten Zusammenspiel zwischen Chef und Helfer. Im direkten Vergleich zu anderen Detektivserien wie „Sherlock Holmes & Doktor Watson“ und vor allem Rex Stouts „Nero Wolfe“ operieren die beiden charakterlich so unterschiedlichen Protagonisten als Team exzellent zusammen. Dabei ist Cool mit ihrer burschikosen, dann wieder mütterlichen Art, ihrem affektierten Gehabe um nach Außen Eindruck zu schinden und schließlich ihrem Hang zum Geldverdienen nicht immer der Chef. Donald Lam ist auch nicht der Mann fürs Grobe. Auch wenn er die Fußarbeit macht und nicht selten gleich im ersten Drittel eines Romans mit mehr oder minder sanfter körperlicher Gewalt vom Pfad seiner Ermittlungen abgelenkt werden soll, sind es wie im vorliegenden Roman seine Bertha Cool stellvertretend für den Leser  vorgetragenen Schlussfolgerungen, die unterstreichen, dass er mehr Hirn als Hand ist. Bertha Cool dient dabei als eine Art Resonanzkörper, welche seine Ideen/ Vermutungen aufnimmt und dann im letzten Drittel des Romans umsetzt.    

Dabei wirkt Donald Lam als Charmeur, als Sonnyboy immer am Rande des Klischees  charakterisiert, während Bertha Cool mit ihrer besonderen Note aus der Masse auch der weiblichen Detektive durch ihren Ecken und Kanten sehr überzeugend herausragt. 

Handlungstechnisch setzt Erle Stanley Gardner nicht unbedingt auf Action. Es gibt zwei oder drei dynamische  Szenen, um  eine allgegenwärtige Bedrohung interessanterweise vor allem von den Behörden und deren Handlangern zur Steigerung der Spannung einzusetzen. Hinzu kommt, dass Lam und Cool immer unter einem gewissen Zeitdruck ermitteln. Obwohl die Ehefrau seit fast zwanzig Jahren verschwunden ist, muss sie „gefunden“ werden, damit ihr Schatten nicht auf eine anstehende Wahl in einer anderen kleinen Stadt fällt. 

Einige Flanken werden so auch weniger durch originäre Detektivarbeit geschlossen, sondern vor allem dank einiger Zufälle, schwacher Hinweise und schließlich einem Schuldeingeständnis. Das Ende ist rührend, da in einer der wenig wahrscheinlichen Wendungen anscheinend auch Donald Lam persönlich in den Fall involviert ist. Ob seine abschließende Bemerkung nur eine Schutzbehauptung ist, klärt der Autor nicht auf.

„Turn on the Heat“ ist trotz dieser kleinen Schwächen ein interessanter „Coll & Lam“ Roman, der „The Knife slipped“ vielleicht nicht unbedingt hinsichtlich der Komplexität des Falls, aber auf jeden Fall der emotionalen Verbundenheit, den verschiedenen Charakteren und der guten Zusammenarbeit zwischen Lam & Cool im Rahmen der Serie ersetzt. 

Um ihn die Serie einzusteigen, sollte der Leser auf den bislang nicht im Rahmen von „Hard Case Crime“ veröffentlichten Band „The Bigger they Come“ zurückgreifen, wobei auch in „The Knife slipped“ immer wieder in erster Linie Bertha Cools Vergangenheit angesprochen worden ist.

Natürlich sind die Romane in den vierziger Jahren nicht selten einige Jahre vor der Veröffentlichung spielend geschrieben worden und strahlen heute das Flair dieser vielleicht unschuldigen Zeit mit richtigem Verbrechen immer noch aus. Aber es handelt sich um sehr stringente, packend entwickelte Krimis  mit überzeugenden Charakteren auf beiden Seiten des Verbrechens.     

       

Paperback Hard Case Crime

252 Seiten

November 2017
ISBN: 978-1-78565-617-0
Cover art by Laurel Blechman, Robert Maguire

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