Dunkler Orbit

Dunkler Orbit, Titelbild, Rezension
Al Robertson

Im Original “Crashing Heaven” betitelt gehörte das Romandebüt des Musikers, Journalisten und jetzt auch Autoren Al Robertson zu den interessanten neuen Veröffentlichungen im Heyne Verlagsprogramm.  Al Robertson geht bei seinem Roman ausgesprochen geschickt vor, in dem er auf einen eingedampft sehr konzentrierten Plot setzt. Ein Mann mit Vergangenheit gegen alle  Widerstände auf der Suche nach einem Geheimnis, das auch seine eigenen Handlungen in einem anderen Licht erscheinen lässt. 

Dabei mischt der Autor zusätzlich Aspekte des Cyberpunks, die vorsichtig ins 21. Jahrhundert übertragen worden sind, mit einer durch den eingeschränkten  Hintergrund an Bord einer Raumschiffstation fokussierten Space Opera und fügt  allerdings lange Zeit sehr schwierig zu erkennen einige Ideen des Hardboiled Krimis hinzu.

Wichtig ist, dass der Plot von den ersten Seiten an in einem hohen Tempo erzählt wird.  Der Hintergrund des Universums wird in erster Linie nebenbei erzählt und wirkt vor allem zu Beginn des Buches eher wie ein lästiger  MacGuffin. 

Die Menschheit hat den Kampf gegen die Totalität vor einigen Jahren im Grunde verloren. Die Totalität ist eine von zahllosen künstlichen Intelligenzen gewesen, die sich vor allem allerdings auch ohne weitergehende Erklärung in Form von humanoiden, aber gesichtslosen Gestalten manifestiert hat. Am Ende ist die Erde anscheinend auch durch das Eingreifen von terroristischen Gruppen unbewohnbar geworden und die Menschen wohnen auf einem ausgehöhlten, ehemals  industriell genutzten Asteroiden in Erdnähe.  Große Teile der Station sind im Grunde nicht für das Aufnehmen von lange in ihr lebenden Menschen ausgerichtet. Daher haben die Verantwortlichen mit einer Art Sensor Overlay die Illusion geschaffen, quasi in einer normalen Stadt mit Himmel- dieser Begriff wird später zu einem Synonym -  und Bäumen zu leben. 

Auch wenn der Hintergrund des ausgehöhlten Asteroiden als letzte Schutzzone der Menschheit in Kombination mit einer virtuellen Realität neu ist, ist die Grundidee natürlich seit „Simulacron 3“ oder den „Matrix“ Filmen nicht unbedingt überraschend. Ein großer Unterschied zu den angesprochenen Werken liegt in der Wahrnehmungsebene der Protagonisten, denn sie wissen, dass ein großer Teil ihrer Umwelt  aus virtuellen Realitäten besteht. 

Hinzu kommt, dass diese virtuelle Irrealität  von den „Göttern“ – die Gruppe von Pantheon genannt und residiert im „Himmel“ -  ausgenutzt wird, um die im Asteroiden gefangenen Menschen virtuell und geistig auszunutzen oder sie ob ihrer Datensätze, Empfindungen, Emotionen und schließlich auch Gedanken virtuell zu vergewaltigen. Alles unter dem Deckmantel eines schrecklichen Ereignisses im Krieg. Ein kleiner  Gesteinsbrocken ist auf den Mond geschleudert wurden und hat beim Aufprall unschuldige Schulkinder getötet. Ein ausreichendes Argument , um die Reste der unverantwortlich handelnden Menschheit irgendwie aus Sicht der künstlichen Intelligenzen unter Kontrolle zu halten.

Natürlich handelt es sich bei diesem Schlüsselereignis auch um eine Form der gegenseitig sich beschuldigenden Propaganda.

In diese schwierige Ausgangslage hinein wird Jack Forster gebracht. Wie es sich für ein potentiell die  Ordnung störendes Element gehört,  können beide Seiten den gerade aus  der Kriegsgefangenschaft zurück gekehrten Forst nicht einschätzen.  Viele halten ihn für einen Verräter, weil er sich der Totalität ergeben hat.  In seiner Begleitung befindet sich eine Art „Puppe“.  Hugo Fist ist eine künstliche Intelligenz mit einer Killersoftware, die mit Forsters Nervensystem untrennbar verbunden ist. Sobald sich Fist  materialisiert, erinnert ein wenig an die Bauchrednerpuppe aus dem unterschätzten Film „Magic“.  Die Totalität  hat Hugo Fist in eine Art virtuellen Käfig gesperrt, um seine Fähigkeiten einzuschränken,  was nicht funktioniert.

Neben der Anspielung auf „Magic“ hat Robertson ein weiteres faszinierendes Element in die Handlung eingebaut. Hugo Fist möchte „menschlich“ werden.  Fist ist versprochen worden, nach Robertsons Tod seinen Körper übernehmen zu können.  Die Pinocchio Story auf den Kopf gestellt.  Obwohl Hugo Fist immer wieder entsprechenden Anspielungen macht, verbindet Forster und Fist auf auch eine eigenartige Freundschaft.  Vielleicht vermenschlicht der Autor Hugo Fist an einigen Stellen sogar zu sehr, dass eine Erfüllung des Kontrakts im Grunde der für  eine künstliche Intelligenz logische Schritt ist, welche sie nicht gehen möchte, weil  es die freundschaftlichen Gefühle gibt. Forster bleibt über weite Strecken des Romans nur die Möglichkeit, auf die einzelnen Punkte zu reagieren, was seinen interessanten, historisch aber eher spärlich entwickelten Charakter unterminiert.

Als Film Noir Element kommt eine auch nicht unbedingt neue, aber gut in die Handlung eingearbeitete Idee hinzu. Vor dem Krieg haben Forster und sein Partner Harry Devlin an einem Mordfall gearbeitet.  Harry wurde getötet, Forster in den Krieg geschickt.  Während der Ermittlungen hatte Forster eine Affäre  mit Harrys Frau, die inzwischen auch als verstorben gilt.  Verstorben ist aufgrund der Idee des Downloadens von Erinnerungen,  welche fast wie eine verfilmte Fassung des entsprechenden Lebens erscheinen, ein inzwischen relativer Begriff. So helfen die „Toten“ Forster bei den wieder aufgenommenen Ermittlungen, welche er natürlich stoisch gegen die Interessen mächtiger Gruppen durchführt. Schnell ist wie es sich für derartige Romane gehört auch das eigene Leben bedroht. 

Der Leser kann die einzelnen Drehungen und Wendungen des Buches nicht auf den ersten Blick erkennen, aber die grundlegende Ausrichtung des Plots und die Männer hinter dieser doppelten Verschwörung – der Tod nicht nur von Harry, sondern des ersten Mordopfers sowie der Steinfall auf  dem Mond – aus den Führungsschichten sind klar zu erkennen. „Dunkler Orbit“ hätte aufgrund dieser Prämisse ein schwächeres Buch sein können und an einigen Stellen wünscht sich der Leser auch ein wenig mehr inhaltliche Dynamik als eher impliziertes Philosophieren im intellektuellen Kampf um das goldene Kalb der fiktiven Himmelsherrscher unter der steinernen Decke. 

Was den Roman aber so faszinierend und interessant macht ist der erfrischend freche Umgang mit den angesprochenen Klischees des Steam und Cyberpunks in einer geschickten Kombination mit dem Buddy Motiv zahlloser Hollwoodfilme. Wobei Hugo Fist natürlich den ein wenig steifen und langweilig erscheinenden Forster erdrückt. Frech, offensiv, ein wenig unvorsichtig, machtvoll, verschlagen, subversiv und ambivalent ist Hugo Fist das  bestimmende anarchistische Element des Buches, der in der Theorie alles kann und schließlich auch auf der Pyrrhus Seite der Sieger stehen wird, aber der Weg dahin ist auch für ihn steinig und in seinem Käfig sind seine ansonsten erdrückenden Fähigkeiten eingeschränkt.

Robertson hat eine Reihe von sehr guten Szenen hinsichtlich dieser seltsamen symbiontischen Freundschaft verfasst, die aus dem komplizierten, aber nicht immer zufriedenstellend komplexen Roman herausragen und länger im Gedächtnis  bleiben als der vielleicht abschließend zu stark konstruierte Plot von einem aber in jeglicher Hinsicht vielschichtig und dreidimensionalen Hintergrund.     

  • Taschenbuch: 512 Seiten
  • Verlag: Heyne Verlag (13. März 2017)
  • Sprache: Deutsch von Peter Robert
  • ISBN-10: 3453316703
  • ISBN-13: 978-3453316706
  • Originaltitel: Crashing Heaven